LVwG Wien VGW-123/046/7416/2019

LVwG WienVGW-123/046/7416/201922.7.2019

BVergG 2018 §137 Abs1
BVergG 2018 §137 Abs2
BVergG 2018 §137 Abs3
BVergG 2018 §140 Abs1
AWG 2002 §2 Abs6 Z3
AWG 2002 §24a Abs1
AWG 2002 §24a Abs2 Z5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.123.046.7416.2019

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richter Dr. Schweiger als Vorsitzenden, Mag. Schmied als Berichter und Dr. Zirm als Beisitzerin über den Antrag der A. Gesellschaft m.b.H., vertreten durch Rechtsanwälte GmbH, vom 29.05.2019 auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 24.05.2019 betreffend das Vergabeverfahren des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 34, Bau- und Gebäudemanagement, Zentrale Dienste - LV "B." nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung durch Verkündung am 03.07.2019

 

zu Recht e r k a n n t:

 

I. Gemäß § 13 Absatz 1 WVRG 2014 wird der Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 24.5.2019 betreffend das Vergabeverfahren "B." abgewiesen.

 

II. Die Antragstellerin hat gemäß den §§ 15 und 16 WVRG 2014 die von ihr entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen.

 

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

Gang des Verfahrens:

 

Die Stadt Wien, Magistratsabteilung 34 – Bau- und Gebäudemanagement (Auftraggeberin), führt gemäß § 31 Abs. 2 Bundesvergabegesetz 2018 – BVergG 2018 ein offenes Verfahren über eine Bauleistung im Unterschwellenbereich, nämlich den Bauauftrag "B.“ durch. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis (Billigstbieter-prinzip). Die Angebotsfrist endete am 28.2.2019 um 9.00 Uhr.

 

Am 26.3.2019 teilte die Auftraggeberin den Bietern, die ein Angebot gelegt hatten, über die elektronische Vergabeplattform mit, nach Ablauf der Stillhaltefrist (5.4.2019) den Zuschlag dem Angebot der C. e.U. erteilen zu wollen.

 

Aufgrund des gegen diese Zuschlagsentscheidung gerichteten Nachprüfungsantrags der A. Gesellschaft m.b.H. vom 4.4.2019 erklärte das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 23.5.2019, …, die Zuschlagsentscheidung vom 4.4.2019 für nichtig. Begründend führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass die vertiefte Angebotsprüfung im Vergabeakt mangelhaft dokumentiert wurde.

 

Im fortgesetzten Vergabeverfahren hat die Auftraggeberin am 24.5.2019 neuerlich eine Zuschlagsentscheidung zu Gunsten der C. e.U. (präsumtive Zuschlagsempfängerin) getroffen.

 

Dagegen richtet sich der gegenständliche, am 29.5.2019 eingelangte Antrag der A. Gesellschaft m.b.H. (Antragstellerin) auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung, Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Erlassung einer einstweiligen Verfügung, Akteneinsicht und Pauschalgebührenersatz. Der Antrag wurde entsprechend vergebührt.

 

Begründend wird im Nachprüfungsantrag im Wesentlichen vorgebracht, das Angebot der zweitgereihten Antragstellerin liege preislich rund 59% über jenem der präsumtiven Zuschlagsempfängerin, die Angebote der dritt- und viertgereihten Bieter würden bloß knapp über dem Angebot der Antragstellerin liegen. Da die Antragstellerin bereits knapp kalkuliert habe, könne das Angebot der Antragstellerin nur unterpreisig bzw. spekulativ sein. Dies hätte im Zuge der vertieften Angebotsprüfung auffallen und zum Ausscheiden des Angebots der präsumtiven Zuschlagsempfängerin führen müssen. In diesem Zusammenhang wird seitens der Antragstellerin insbesondere die ordnungsgemäße Kalkulation der präsumtiven Zuschlagsemfängerin im Bereich der Baustellengemeinkosten in Abrede gestellt. Außerdem wird von der Antragstellerin vorgebracht, dass das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin wegen nicht vorliegender Eignung auszuscheiden gewesen wäre. Aufgrund der bestandsfesten Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen sei Teil der ausgeschriebenen Leistung auch das Verwerten und Deponieren von Abbruchmaterial, welches in das Eigentum des künftigen Auftragnehmers übergehe. Es handle sich dabei um Abfall im Sinne des AWG. Die Bieter benötigten daher eine Erlaubnis als Abfallsammler gemäß § 24a Abs. 1 AWG. Nach den Informationen der Antragstellerin verfüge die präsumtive Zuschlagsempfängerin über keine solche Erlaubnis. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass dafür auch kein Subunternehmer benannt worden sei, weshalb das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin auszuscheiden gewesen wäre.

 

Mit Beschluss vom 4.6.2019, …, erließ das Verwaltungsgericht Wien eine einstweilige Verfügung, mit welcher der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt wurde, im gegenständlichen Vergabeverfahren den Zuschlag zu erteilen.

 

Zum Nachprüfungsantrag erstatteten sowohl die Auftraggeberin als auch die präsumtive Zuschlagsempfängerin umfassende Stellungnahmen, in denen sie dem Vorbringen der Antragstellerin entgegentraten.

 

Mit Schriftsatz vom 26.6.2019 erstattete die Antragstellerin eine „ergänzende Stellungnahme, in welcher sie ihrerseits der Argumentation der Auftraggeberin und der präsumtiven Zuschlagsempfängerin entgegentrat.

 

Am 3.7.2019 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung am Verwaltungsgericht Wien statt.

 

In der Verhandlung erklärte die Auftraggeberin, dass mit dem gegenständlichen Auftrag jener Teil des D., der bislang von der G. genützt wurde, im Hinblick auf die Vorgaben des Bedienstetenschutzgesetzes renoviert und barrierefrei gestaltet werden soll. Danach werde wieder die G. dort einziehen, die während der Bauarbeiten in einem anderen Amtsgebäude untergebracht sei. Konkret sollen Durchgänge vergrößert werden, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten. Dabei ist auf Erdbebensicherheit und die Statik des historischen Gebäudes Rücksicht zu nehmen und müssen deswegen neue Stahlträger eingebaut werden. Auch die Toiletten sollen barrierefrei umgestaltet werden. Zusätzlich sind auch die Lüftungen zu erneuern, weiters die Stromanlagen und die Beleuchtung. Auch die Fußböden und Türen sollen renoviert werden, dies alles unter Berücksichtigung der Vorgaben des Denkmalschutzes. Bei diesem Auftrag sei davon auszugehen, dass in etwa gleich viel Material neu verbaut wird als in Form von Bauresten nach Abbruch zu entfernen ist. Dort wo Wände entfernt werden, sollen sie an anderer Stelle neu errichtet werden, wo der Verputz abgeschlagen wird, ist er zu ersetzen und auch die Fußböden sind, sofern schadhaft, entsprechend zu erneuern.

 

In der Folge wurde der von der Auftraggeberin im Zuge der vertieften Angebotsprüfung beigezogene nichtamtliche Sachverständige DI E. zu seiner Qualifikation befragt und führte dieser diesbezüglich aus, er habe ein Technikstudium an der Technischen Universität Graz absolviert, sei danach im Bereich Hochbau als Bauleiter bei größeren Unternehmen tätig gewesen und habe dort in erster Linie mit der Ausarbeitung von Angeboten sowie mit der Kalkulation von Angeboten zu tun gehabt. Er habe sich dann selbstständig gemacht und sei jetzt als Zivilingenieur in erster Linie mit der Prüfung von Angeboten, der Kalkulation von Angeboten sowie der Erstellung von Ausschreibungen beschäftigt. Seit 2003 sei er gerichtlich beeideter Sachverständiger für den Bereich Kalkulation, Vergabe- und Verdingungswesen.

Nach Ausschluss der Öffentlichkeit sowie der Parteiöffentlichkeit (Antragstellerin) zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, deren Wahrung bei der detaillierten Erörterung des Angebots der präsumtiven Zuschlagsempfängerin nicht möglich gewesen wäre, wurde die Verhandlung mit der Erörterung der gutachterlichen Stellungnahme, die der Sachverständige zur Kalkulation des Angebots der präsumtiven Zuschlagsempfängerin im Auftrag der Auftraggeberin erstellt hatte, fortgesetzt. Dabei wurde der Sachverständige besonders eingehend zu den auffälligen Preisdifferenzen bei den Baustellengemeinkosten befragt und kam er zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Vorgangsweise der präsumtiven Zuschlagsempfängerin insgesamt und insbesondere auch bei der Kalkulation der Baustellengemeinkosten sich nicht nur inhaltlich als nachvollziehbar erweise, sondern auch im Einklang mit den Ausschreibungsunterlagen und den für die Kalkulation einschlägigen ÖNORMEN stehe.

 

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde die gegenständliche Entscheidung samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und der Rechtsmittelbelehrung mündlich verkündet.

 

Mit Schriftsatz vom 9.7.2019 beantragte die Antragstellerin die Erstellung einer schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

 

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

 

I. Zum Vorwurf der spekulativen Preisgestaltung:

 

Aufgrund des Vergabeaktes, der Schriftsätze der Verfahrensparteien und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung wird folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

 

Der Gesamtpreis der präsumtiven Zuschlagsempfängerin liegt deutlich unter dem Gesamtpreis der zweitgereihten Antragstellerin und aller danach gereihten Bieter. Die Differenz beträgt mehr als ein Drittel. In concreto liegt das zweitgereihte Angebot der Antragstellerin rund 59% über dem Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin, die Angebote an dritter und vierter Stelle liegen dagegen vergleichsweise knapp an jenem der Antragstellerin.

 

In Anbetracht des im Vergleich zu den übrigen Angeboten ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreises hat die Auftraggeberin eine vertiefte Angebotsprüfung durchgeführt. Dabei hat sie alle wesentlichen Positionen anhand eines zu den jeweiligen Leistungspositionen erstellten Preisspiegels mit den Positionspreisen der übrigen Bieter verglichen, zur Prüfung der Preisangemessenheit auf im Preisspeicher der Auftraggeberin dokumentierte Erfahrungswerte zurückgegriffen und zu diversen Positionen die präsumtive Zuschlagsempfängerin um Aufklärung und um die Vorlage der K7 Blätter ersucht. Die präsumtive Zuschlagsempfängerin hat diesem Ersuchen entsprochen und kam die Auftraggeberin letztendlich zu dem Schluss dass sowohl die Positionspreise als auch der Gesamtpreis im Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin schlüssig erklärbar und nicht spekulativ sind.

 

Der mit der vertieften Angebotsprüfung befasste, sachkundige Mitarbeiter der Auftraggeberin, Ing. F., hat auszugsweise folgende zusammenfassende Beurteilung im Vergabeakt dokumentiert:

„Im Preisspiegel nach Positionen wurde die Preisangemessenheitsprüfung mit handschriftlichen Vermerken geprüft. Es wurde der Vergleich mit dem Preisspeicher dokumentiert. Es wurden Anmerkungen zum Leistungsbild und zum kalkulierten Zeitansatz vorgenommen. Von den gelb markierten Positionen im Preisspiegel wurden K7 Blätter verlangt. Diese wurden am 13.3.2019 eingereicht. Der Bieter hat die Annahmen zur Kalkulation in den K7 Blättern sowie die Zeitansätze, Materialmengen, Materialkosten dargestellt. Der Bieter hat die zum Teil günstigen Preise aufgeklärt. Im Ergebnis zeigen die K7 Blätter keine Auffälligkeiten.“

 

Erst im Verlauf des ersten Nachprüfungsverfahrens … hat die Auftraggeberin noch zu weiteren Positionen im Leistungsverzeichnis, die einen im Vergleich zu anderen Bietern besonders auffällig niedrigen Preis aufweisen, insbesondere betrifft dies Leistungspositionen bei den Baustellengemeinkosten, Aufklärungen der präsumtiven Zuschlagsempfängerin eingeholt und nach Prüfung der vorgelegten K7-Blätter und der von der präsumtiven Zuschlagsempfängerin gegebenen Aufklärung die angebotenen Preise als betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar beurteilt. Die Aufklärung und die Beurteilung durch die Auftraggeberin sind im Vergabeakt ausführlich und nachvollziehbar dokumentiert.

 

Anschließend (nach Erlassung des Erkenntnisses …) hat die Auftraggeberin zu der von ihr durchgeführten Preisprüfung eine gutachterliche Stellungnahme des Zivilingenieurs für Wirtschafts-Ingenieurwesen im Bauwesen Dipl.-Ing. E. eingeholt.

 

Diese Feststellungen gründen sich auf den Vergabeakt und die Angaben des Dipl.-Ing. E. in der mündlichen Verhandlung.

 

Rechtlich ist zum Vorwurf der spekulativen Preisgestaltung Folgendes festzuhalten:

 

Gemäß § 137 Abs. 1 BVergG 2018 ist die Angemessenheit der Preise in Bezug auf die ausgeschriebene oder alternativ angebotene Leistung und unter Berücksichtigung aller Umstände, unter denen sie zu erbringen sein wird, zu prüfen. Dabei ist von vergleichbaren Erfahrungswerten, von sonst vorliegenden Unterlagen und von den jeweils relevanten Marktverhältnissen auszugehen.

 

Gemäß § 137 Abs. 2 BVergG 2018 muss der öffentliche Auftraggeber Aufklärung über die Positionen des Angebotes verlangen und gemäß Abs. 3 vertieft prüfen, wenn

1. Angebote einen im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis aufweisen, oder

2. Angebote zu hohe oder zu niedrige Einheitspreise in wesentlichen Positionen aufweisen, oder

3. nach der Prüfung gemäß Abs. 1 begründete Zweifel an der Angemessenheit von Preisen bestehen.

 

Gemäß § 137 Abs. 3 BVergG 2018 ist bei einer vertieften Angebotsprüfung zu prüfen, ob die Preise betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind. Geprüft werden kann insbesondere, ob

1. im Preis von Positionen alle direkt zuordenbaren Personal-, Material-, Geräte-, Fremdleistungs- und Kapitalkosten enthalten sind und ob die Aufwands- und Verbrauchsansätze sowie die Personalkosten, diese insbesondere im Hinblick auf die dem Angebot zugrunde gelegten Kollektivverträge, nachvollziehbar sind,

2. der Einheitspreis (Pauschalpreis, Regiepreis) für höherwertige Leistungen grundsätzlich höher angeboten wurde als für geringerwertige Leistungen, und

3. die gemäß § 105 Abs. 2 geforderte oder vom Bieter gemäß § 128 Abs. 2 vorgenommene Aufgliederung der Preise oder des Gesamtpreises (insbesondere der Lohnanteile) aus der Erfahrung erklärbar ist.

 

Gemäß § 140 Abs. 1 BVergG 2018 ist die Prüfung der Angebote so zu dokumentieren, dass alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände nachvollziehbar sind.

 

Nach der einschlägigen höchstgerichtlichen Judikatur zur vertieften Angebotsprüfung nach § 125 BVergG 2006 ist es Aufgabe des Auftraggebers, die Angemessenheit der Preise (gegebenenfalls im Rahmen einer vertieften Angebotsprüfung) zu beurteilen. Die Vergabekontrollbehörde hat nicht nur zu prüfen, ob die betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit von sachkundigen Personen auf Grund ausreichend detaillierter Unterlagen geprüft worden ist. Sie hat vielmehr - ebenso wie der Auftraggeber bei der vertieften Angebotsprüfung - unter Berücksichtigung der auch dem Auftraggeber zur Verfügung gestandenen Unterlagen die Preisgestaltung auf ihre betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit in der Regel aus sachverständiger Sicht zu prüfen, wobei im Einzelnen die in § 125 Abs. 4 Z. 1 bis 3 BVergG 2006 genannten Kriterien maßgeblich sind. Da es sich hiebei um eine Plausibilitätsprüfung handelt, muss zweifellos nicht die gesamte Kalkulation des Bieters minutiös nachvollzogen, sondern nur - grob - geprüft werden, ob ein seriöser Unternehmer die angebotenen Leistungen zu den angebotenen Preisen erbringen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 2011, Zl. 2007/04/0102, mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 25. Jänner 2011, Zl. 2008/04/0082, und den dortigen Verweis auf das Erkenntnis vom 5. November 2010, Zl. 2006/04/0245, mwN, sowie die Erkenntnisse vom 22. Juni 2011, Zl. 2011/04/0011 und Zl. 2007/04/0076, letzteres auch mit Verweis auf das Erkenntnis vom 15. September 2004, Zl. 2004/04/0032).

 

Eine vertiefte Prüfung des Angebots der präsumtiven Zuschlagsempfängerin hat die Auftraggeberin bereits vor der ersten Zuschlagsentscheidung vom 26.03.2019 vorgenommen. Im Verlauf des ersten gerichtlichen Nachprüfungsverfahrens … führte die Auftraggeberin die Angebotsprüfung fort und holte weitere Aufklärung der präsumtiven Zuschlagsempfängerin insbesondere zur Preisgestaltung im Bereich der Baustellengemeinkosten ein.

 

Nachdem das Verwaltungsgericht Wien im Nachprüfungsverfahren … die Dokumentation der vertieften Angebotsprüfung als unzureichend beanstandet und deshalb die (erste) Zuschlagsentscheidung vom 26.3.2019 für nichtig erklärt hatte, zog die Auftraggeberin einen von der Stadt Wien unabhängigen Sachverständigen für Kalkulationsfragen bei.

 

Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung seine Qualifikation dargelegt und sein schriftliches Gutachten in seiner Eigenschaft als nichtamtlicher Sachverständiger schlüssig und nachvollziehbar erläutert.

 

Der Sachverständige legte vor dem Hintergrund der Ergebnisse des ersten Nachprüfungsverfahrens einen besonderen Schwerpunkt auf die Preispositionen bei den Baustellengemeinkosten und kam dabei zu dem Ergebnis, dass in Ansehung der Begründung, die die präsumtive Zuschlagsempfängerin im Zuge der Aufklärungsersuchen gegeben hatte, abgeleitet werden könne, dass die veranschlagten zeitgebundenen Kosten als plausibel anzusehen sind und die Kalkulation auch mit den Vorgaben der einschlägigen Ö-Normen im Einklang steht. Weiters konnte der Sachverständige feststellen, dass das Angebot und somit die Einheitspreise mittels einer schlüssig geführten Kalkulation der Einzelpreise erstellt wurde und sämtliche wesentlichen Kostenträger Berücksichtigung fanden. Auch die Leistungsansätze seien als plausibel anzusehen. Zusammenfassend hielt der Sachverständige fest, dass das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin eine schlüssig geführte Kalkulation und eine plausible, nachvollziehbare Zusammensetzung des Gesamtpreises aufweist.

 

Die vertiefte Prüfung des Angebots der präsumtiven Zuschlagsempfängerin ist nunmehr im Vergabeakt sorgfältig dokumentiert und erweist sich ebenso wie das dazu erstellte Sachverständigengutachten als schlüssig, nachvollziehbar und plausibel. Der im gegenständlichen Nachprüfungsantrag erhobene Vorwurf der spekulativen Preisgestaltung geht somit ins Leere.

 

II. Zum Vorwurf des Fehlens einer Abfallsammlererlaubnis

 

Aufgrund des Vergabeaktes, der Schriftsätze der Verfahrensparteien und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung wird folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

 

Der gegenständliche ausgeschriebene Bauauftrag betrifft jenen Teil des D., der von der G. genützt wurde. Dieser Gebäudeteil soll im Hinblick auf die Vorgaben des Bedienstetenschutzgesetzes, insbesondere der gebotenen Barrierefreiheit renoviert werden. Danach soll dort wieder die G. einziehen, die während der Bauarbeiten in einem anderen Amtsgebäude untergebracht ist. Konkret sollen Durchgänge vergrößert werden, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, wobei auch auf Erdbebensicherheit und die Statik des historischen Gebäudes Rücksicht zu nehmen ist und zu diesem Zweck Stahlträger eingebaut werden sollen. Auch die Toiletten sollen barrierefrei umgestaltet werden. Zusätzlich werden auch die Lüftungen, die Stromanlagen und die Beleuchtung erneuert. Auch die Fußböden und Türen sollen renoviert werden, dies alles unter Berücksichtigung der Vorgaben des Denkmalschutzes. Bei diesem Auftrag ist davon auszugehen, dass in etwa gleich viel Material neu verbaut wird als in Form von Bauresten nach Abbruch der alten Teile zu entfernen ist. Dort wo Wände entfernt werden, sollen sie an anderer Stelle neu errichtet werden, wo der Verputz abgeschlagen wird, ist er zu ersetzen. Auch die Fußböden sind, sofern schadhaft, entsprechend zu erneuern. Diese Feststellungen gründen sich auf die unwidersprochen gebliebenen Aussagen des Ing. F. in der mündlichen Verhandlung vom 3.7.2019.

 

Nach dem letzten Gedankenstrich in Punkt „02 Abbruch“ des Leistungsverzeichnisses geht das abgebrochene Material in das Eigentum des Auftragnehmers über, sofern eine Wiederverwertung durch die Auftraggeberin nicht Vertragsbestandteil ist.

 

Für das „Verwerten, Deponieren bzw. Entsorgen der Baurestmassen ist in Punkt 02.91 des Leistungsverzeichnisses Folgendes vorgegeben: „Geladenes Abbruchmaterial abtransportieren einschließlich Verwerten, Deponieren oder Entsorgen nach Wahl des Auftragnehmers.“

 

Diese Feststellungen gründen sich auf das Leistungsverzeichnis, welches Teil der bestandsfesten Ausschreibungsunterlagen ist.

 

Die präsumtive Zuschlagsempfängerin verfügt unstrittig nicht über eine Erlaubnis als Abfallsammlerin oder Abfallbehandlerin nach § 24a Abs. 1 AWG.

 

Sofern die Antragstellerin gegenständlich vorbringt, das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin wäre wegen fehlender Eignung auszuscheiden gewesen, da die präsumtive Zuschlagsempfängerin über keine Erlaubnis als Abfallsammlerin oder –behandlerin gemäß § 24a Abs. 1 AWG verfüge und diesbezüglich auch keinen Subunternehmer genannt habe, erweist sich auch dieses Vorbringen aus rechtlicher Sicht als unzutreffend.

 

Gemäß § 2 Abs. 6 Z 3 AWG ist „Abfallsammler“ jede Person, die von Dritten erzeugte Abfälle selbst oder durch andere

a) abholt,

b) entgegennimmt oder

c) über deren Abholung oder Entgegennahme rechtlich verfügt;

 

Gemäß § 24a Abs. 1 AWG bedarf, wer Abfälle sammelt oder behandelt einer Erlaubnis durch den Landeshauptmann.

 

Gemäß § 24a Abs. 2 Z 5 AWG unterliegen Personen, die erwerbsmäßig Produkte abgeben in Bezug auf die Rücknahme (im Sinne von § 2 Abs. 6 Z 3 lit. b) von Abfällen gleicher oder gleichwertiger Produkte, welche dieselbe Funktion erfüllen, zur Weitergabe an einen berechtigten Abfallsammler oder Abfallbehandler nicht der Erlaubnispflicht nach Abs. 1. Dies gilt nicht, sofern es sich bei den zurückgenommenen Abfällen um gefährliche Abfälle handelt und die Menge der zurückgenommenen gefährlichen Abfälle unverhältnismäßig größer ist als die Menge der abgegebenen Produkte; ein diesbezüglicher Nachweis ist zu führen und auf Verlangen der Behörde vorzulegen.

 

Nach dem Leistungsverzeichnis, welches Teil der bestandsfesten Ausschreibungsunterlagen ist, geht bei Abbrucharbeiten das abgebrochene Material, welchem jedenfalls Abfalleigenschaft zukommt, in das Eigentum des Auftragnehmers über. Das Abbruchmaterial ist abzutransportieren und nach Wahl des Auftragnehmers zu verwerten, zu deponieren oder zu entsorgen. Die Ausschreibungsunterlagen verwehren es dem Bieter somit keineswegs das Abbruchmaterial zu entsorgen, indem er es an einen befugten Abfallsammler oder –behandler weitergibt. Zumal mit der Übergabe an einen solchen Sammler oder Behandler die ausgeschriebene Leistung vollständig erbracht wird, muss der Sammler oder Behandler, der das Abbruchmaterial vom Bieter übernimmt, entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin im Angebot nicht als Subunternehmer benannt werden.

 

Der Antragstellerin ist insofern zu folgen als die präsumtive Zuschlagsempfängerin nicht über eine Erlaubnis als Abfallsammler verfügt. Weiters trifft es zu, dass die präsumtive Zuschlagsempfängerin von der Auftraggeberin erzeugte Abfälle (Abbruchmaterial) entgegennimmt und somit gemäß § 24a Abs. 1 AWG in Verbindung mit § 2 Abs. 6 Z 3 AWG als Abfallsammler gilt.

 

Die Antragstellerin verkennt jedoch, dass gegenständlich die Ausnahmebestimmung des § 24a Abs. 2 Z 5 AWG zum Tragen kommt, zumal die präsumtive Zuschlagsempfängerin nicht bloß mit Abbrucharbeiten betraut wird, sondern die gegenständlich ausgeschriebenen Leistungen sowohl die Beistellung und Verbauung von eigenen Produkten (Baumaterial) als auch die Entsorgung gleichartiger Produkte (Abbruchmaterial) in einem ausgewogenem Verhältnis umfasst. Mag auch der Wortlaut des § 24a Abs. 5 AWG auf ein engeres, auf den reinen Handel (Warenverkauf und Warenrücknahme) beschränktes Verständnis des Ausnahmetatbestands hinweisen, so wird bereits aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur AWG-Novelle 2010 deutlich, dass dieser Ausnahmetatbestand weiter reichen soll. So heißt es in den Erläuterungen wörtlich:

„Die Rücknahme und Weitergabe der in der Ausnahme in § 24a Abs. 2 Z 5 genannten Abfälle umfasst die Entgegennahme, die Zwischenlagerung und die Weitergabe dieser Abfälle an einen befugten Abfallsammler oder -behandler. Diese Ausnahme umfasst damit zB einen Dachdecker im Hinblick auf Abfälle von Dachziegeln. Nicht relevant ist dabei die Art der Dachziegel bzw. aus welchem Material diese bestehen. Handwerker sind in der Regel erlaubnisfreie Rücknehmer und daher nicht bilanzpflichtig.“

 

Nicht anders als beim Dachdecker, der ebenfalls nicht als Handelsunternehmen einzustufen ist und nicht bloß Produkte (Dachziegel, Schrauben und anderes Dachdeckermaterial) liefert, sondern ein altes Dach ganz oder teilweise abträgt, um dann eine neues zu errichten, hat auch ein Baumeisterunternehmen im Zuge eines Renovierungsauftrags, wie er gegenständlich vorliegt, Baumaterial zu verbauen und das beim Abbruch des Vorbestandes anfallende Abbruchmaterial zu entsorgen.

 

Dass dieses aus den Gesetzesmaterialien abzuleitende weite Verständnis der Ausnahmeregelung des § 24a Abs. 2 Z 5 AWG auch vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus als oberster Vollzugsbehörde des AWG geteilt wird, zeigt sich daran, dass in den Erläuterungen zur Abfallbilanzverordnung, BGBl. II Nr. 497/2008 ausgeführt wird, dass auch ein Bauunternehmen, das entsprechende Produkte in Verkehr setzt, hinsichtlich der Abfälle des Bauherrn als „erlaubnisfreier Rücknehmer“ gilt.

 

Wollte man dagegen die Ausnahmeregelung des § 24a Abs. 2 Z 5 AWG so eng verstehen wollen, wie dies der Antragstellerin vorschwebt, so bräuchte etwa auch jeder Elektriker, der in einer Wohnung Beleuchtungskörper austauscht, dafür eine Bewilligung als Abfallsammler; ein solches Verständnis der betreffenden Rechtsvorschrift war vom Gesetzgeber, wie die oben auszugsweise wiedergegebenen Gesetzesmaterialien belegen, nicht intendiert.

 

Die präsumtive Zuschlagsempfängerin, die nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen im Zuge der gegenständlich ausgeschriebenen Renovierungsarbeiten im D. in etwa gleich viel Baumaterial zu verbauen hat wie Abbruchmaterial als Abfall anfällt, gilt daher als erlaubnisfreier Rücknehmer im Sinne der Ausnahmebestimmung des § 24a Abs. 5 AWG und bedarf somit keiner Erlaubnis gemäß § 24a Abs. 1 AWG. Der von der Antragstellerin erhobene Vorwurf der fehlenden Eignung geht somit ins Leere.

Pauschalgebühren:

 

Da sämtliche von der Antragstellerin ins Treffen geführten Gründe für eine Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung nicht vorliegen, war der Nachprüfungsantrag spruchgemäß abzuweisen und hat daher die Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht Wien weder ganz noch teilweise obsiegt. Dem entsprechend hat die Antragstellerin die von ihr entrichteten Pauschalgebühren für die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung in der Höhe von insgesamt 4.681,50 Euro selbst zu tragen.

 

Revisionszulassung:

 

Die Revision war zuzulassen, da es sich bei der Rechtsfrage, ob die präsumtive Zuschlagsempfängerin eine Abfallsammlererlaubnis nach § 24a Abs. 1 AWG bräuchte oder ob die Ausnahmebestimmung des § 24a Abs. 2 Z 5 AWG zum Tragen kommt, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG handelt. Diese Frage, der über den Anlassfall hinaus Bedeutung zukommt, ist aus dem bloßen Gesetzeswortlaut heraus nicht eindeutig zu klären und liegt zu dieser Frage bislang auch keine höchstgerichtliche Judikatur vor.

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