BVwG W197 2200802-1

BVwGW197 2200802-118.7.2018

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
FPG §76 Abs2 Z2
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W197.2200802.1.00

 

Spruch:

W197 2200802-1/10E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Elmar Samsinger als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch Rechtsanwalt Edward W. Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2018, Zahl 821789603-180602099, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Anhaltung des BF in Schubhaft für rechtswidrig erklärt.

 

II. Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorliegen.

 

III. Der Bund hat gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von € 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

IV. Der Antrag, den Beschwerdeführer von der Eingabegebühr zu befreien, wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang und Feststellungen:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Nigeria, und stellte am 29.4.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Behörde vom 28.02.2018 abgewiesen, dem BF wurde weiters subsidiärer Schutz und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht gewährt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

 

1.3. Dagegen wurde zulässig Beschwerde erhoben, das BVwG hat bislang keine Entscheidung getroffen, das Asylverfahren ist demnach noch offen.

 

1.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Mandatsbescheid vom 27.06.2018 wurde über den BF gem. § 76 Abs. 2 Z.1 die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

 

1.5. Gegen den Mandatsbescheid, die Anhaltung in und Fortsetzung der Schubhaft erhob der Rechtsvertreter Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen damit, dass die Verhängung im Hinblick auf das nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren unzulässig sei. Beantragt wurde weiters Kosten- und Aufwandersatz.

 

1.6. Die Behörde legte die Akten vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

 

1.7. Aufgrund des Akteninhalts und der Beschwerde konnte von der Aufnahme weiterer Beweise abgesehen werden.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen (Sachverhalt)

 

Die als Feststellungen formulierten Punkte im Sachverhalt werden der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt. Insbesondere wird festgestellt, dass über den Asylantrag des BF noch nicht rechtskräftig durch das BVwG abgesprochen wurde, das Asylverfahren sohin offen ist.

 

2. Beweiswürdigung

 

Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde, den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts und der erhobenen Beschwerde.

 

3. Rechtliche Beurteilung

 

3.1. Zu Spruchpunkt A. I. - Anhaltung, Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

 

3.1.1 Gemäß § 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

3.1.2. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3).

 

3.1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 05.10.2017, Ro2017/21/0009, nach Zitierung des Art. 8 der Aufnahme-RL unter anderem Folgendes ausgeführt:

 

"20 Der letzte Satz des Art. 8 Abs. 3 der Aufnahme-RL normiert also, dass die Haftgründe im einzelstaatlichen Recht geregelt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Fälle, in denen nach Art. 8 der Aufnahme-RL Haft in Betracht kommt, einer Ausgestaltung im nationalen Recht eines jeden Mitgliedstaats bedürfen. Das Fehlen entsprechender Vorschriften im innerstaatlichen Recht bewirkt, dass Schubhaft nicht auf die in Art. 8 Abs. 3 Aufnahme-RL genannten Gründe gestützt werden darf (vgl. in diesem Sinn Rn. 28 und 47 des Urteils des EuGH vom 15. März 2017, C-528/15 , "Al Chodor").

 

(...)

 

22 Dieser Anforderung wird allerdings - sieht man von § 76 Abs. 6 FPG ab, worauf noch zurückzukommen sein wird - nur der "Dublin-Konstellationen" erfassende Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 2 (iVm Abs. 3) FPG gerecht, der insoweit Art. 8 Abs. 3 lit. f der Aufnahme-RL umsetzt. Der hier im Schubhaftbescheid herangezogene Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG, der als Haftgrund im Ergebnis nur auf das Vorliegen von Fluchtgefahr abstellt, lässt sich hingegen auf keinen der in Art. 8 Abs. 3 der Aufnahme-RL abschließend normierten "Ausnahmefälle" zurückführen.

 

23 3.3. Insbesondere findet er, entgegen der in den Stellungnahmen des BMI und des BFA vertretenen Ansicht, auch in Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL keine inhaltliche Deckung."

 

3.1.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat damit unmissverständlich klar gemacht, dass er Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL nur dann für im nationalen Recht anwendbar erachtet, wenn dieser konkret in nationales Recht umgesetzt wird. Dies ist bislang nicht erfolgt. Die Verhängung und Anhaltung in Schubhaft war sohin rechtswidrig, da über den Asylantrag des BF bislang noch nicht rechtskräftig abgesprochen wurde, das Asylverfahren sohin noch behängt.

 

3.2. Zu Spruchpunkt A. II. - Fortsetzungsausspruch

 

Auf Grund der getroffenen Feststellung und ihrer rechtlichen Würdigung ergibt sich, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorliegen.

 

3.3. Zu Spruchpunkt A. III. - Kostenbegehren

 

Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen allein der Ersatz ihrer Aufwendungen zu.

 

3.4. Zu Spruchpunkt A. IV. - Eingabegebühr

 

Mangels gesetzlicher Bestimmungen war der Antrag des BF auf Befreiung der Entrichtung von Eingabegebühr bzw. dessen Refundierung zurückzuweisen. Dass die Eingabegebühr das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu Gericht beschneidet, trifft im Hinblick auf die geringe Höher nicht zu. Dieser Gebührensatz kann keineswegs als prohibitiv hoch angesehen werden. Durch Beigebung eines Rechtsberaters sind dem BF keine weiteren Verfahrenskosten erwachsen.

 

4. Zu Spruchpunkt B - Revision

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

 

Wie ausgeführt, sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in allen Spruchpunkten nicht zuzulassen.

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