BVwG W196 1433671-3

BVwGW196 1433671-39.11.2016

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AVG 1950 §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AVG 1950 §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W196.1433671.3.00

 

Spruch:

W196 1433671-3/4E

W196 1433668-3/5E

W196 2130452-1/3E

W196 1433670-3/4E

W196 1435334-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) mj.

XXXX , geb. XXXX , und 5.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.) 25.05.2016, Zl. 13-820924605/160070297, 2.) 25.05.2016, Zl. 13-820924801/160070238,

3.) 25.05.2016, Zl. 13-820924910/160070335, 4.) 25.05.2016, Zl. 13-820925003/160070777, und 5.) 25.05.2016, Zl. 13-830575905/160071129, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 68 Abs 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide werden gemäß den §§ 10 Abs 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gelangten im Juli 2012 zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern, der Drittbeschwerdeführerin und dem Viertbeschwerdeführer, unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellten am 22.07.2012 Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz. Sämtliche Beschwerdeführer brachten vor, Staatangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig zu sein.

1.1. Bei seinen Befragungen brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, er und seine Familie stammten aus der Ortschaft Gudermes, wo sie von den Milizen in Tschetschenien verfolgt worden seien. Er sei mit seiner Frau, der Zweitbeschwerdeführerin, im Jahr 2005 von der Polizei festgenommen worden, damit sich sein Bruder den Behörden stelle. Nachdem dies geschehen sei, seien er und seine Frau wieder freigelassen worden. Bis zur Ausreise der Beschwerdeführer sei es zwar zu keinen weiteren Anhaltungen, Festnahmen oder Verhaftungen gekommen, im April 2012 sei aber ein angeblicher Mithäftling des Bruders des Erstbeschwerdeführers bei ihm erschienen und habe in den Wohnräumlichkeiten der Beschwerdeführer übernachtet. Ungefähr zwei bis drei Wochen später habe der Erstbeschwerdeführer einen Bericht darüber gesehen, dass dieser Mann umgebracht worden sei; er wisse jedoch nichts Näheres darüber. Der Erstbeschwerdeführer habe sich sodann verfolgt gefühlt, sei aber weder angesprochen noch verhört worden. Am 05.07.2012 seien tschetschenische Soldaten bei seiner Mutter gewesen und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt; sein Schwager habe ihn gewarnt und die Familie zu sich gebracht. Anschließend hätten die Beschwerdeführer ihre Heimat verlassen.

Eigene Fluchtgründe machte die Zweitbeschwerdeführerin weder für sich noch - als gesetzliche Vertreterin - für ihre Kinder geltend.

1.2. Mit Bescheiden vom 25.02.2013 wies das Bundesasylamt die Anträge der Erst- bis Viertbeschwerdeführer auf Gewährung von internationalem Schutz vom 22.07.2012 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asyl G 2005 als auch bezüglich der Zuerkennung der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab; unter einem wurden sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, wonach ihm im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit dem Besuch eines Mithäftlings seines inhaftierten Bruders Verfolgung drohe, nicht glaubhaft sei. Die Erzählungen des Erstbeschwerdeführers erwiesen sich in näher aufgezeigten Punkten als widersprüchlich; außerdem habe der Erstbeschwerdeführer selbst keine konkrete Verfolgungshandlung darzulegen vermocht. Den Ausführungen des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich der von ihm behaupteten Verfolgungshandlungen mangle es - wie der gesamten Fluchtgeschichte - zudem an Plausibilität.

1.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.05.2013 wurde auch der für den Fünftbeschwerdeführer am 02.05.2013 gestellte Antrag auf internationalen Schutz nach den genannten Bestimmungen ab- und er selbst aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

1.4. Die gegen die angeführten Bescheide des Bundesasylamts erhobenen Beschwerden der Beschwerdeführer wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 02.09.2013 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet ab. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers unglaubwürdig sei. Dem Bundesasylamt sei in seiner Beurteilung zuzustimmen, wonach zum einem nicht plausibel erscheine, dass der Erstbeschwerdeführer zwei bis drei Wochen nach dem behaupteten Besuch eines Mitgefangenen seines Bruders dessen Ermordung im Fernsehen gesehen haben will, und zum anderen unschlüssig sei, dass der Besuch des Mithäftlings des Bruders des Erstbeschwerdeführers zwar von den Behörden beobachtet und er in weiterer Folge observiert worden, aber erst Monate später am Wohnort der Beschwerdeführer ein Festnahmeversuch unternommen worden sein soll, während sich der angeblich observierte Erstbeschwerdeführer bei der Arbeit befunden habe. Zudem habe sich das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers zu den Erzählungen des Mitgefangenen über dessen eigene Verurteilungen als widersprüchlich erwiesen. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass der Erstbeschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt noch behauptet habe, zwei bis drei Wochen nach dem angeblichen Besuch "ca. im April 2012" den erwähnten Fernsehbericht über den Tod des Mithäftlings gesehen zu haben, wobei bis zum 05.07.2012 nichts weiter vorgefallen sei. Hingegen habe der Erstantragsteller in einer Ergänzung zu seiner Beschwerde vorgebracht, die Polizei sei bereits eine Woche nach dem Fernsehbericht zu ihm nach Hause gekommen. In Steigerung seines Vorbringens habe er obendrein auch noch eine physische Misshandlung seiner Mutter behauptet. Schließlich habe sich der Erstbeschwerdeführer mit anonymen Erhebungen vor Ort nicht einverstanden erklärt und in der Beschwerdeergänzung lediglich die telefonische Befragung seiner Mutter angeboten, deren Unparteilichkeit nicht gegeben sei. Die Anregung des Erstbeschwerdeführers, die Inhaftierung seines im Jahr 2005 festgenommenen Bruders überprüfen zu wollen, erweise sich zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit der auf das Jahr 2012 datierten Ausreisegründe als nicht geeignet.

Diese Erkenntnisse des Asylgerichtshofes wurden den Beschwerdeführern am 04.09.2013 zugestellt.

2. Mit Anträgen vom 29.03.2014 begehrten die Beschwerdeführer die Wiederaufnahme der mit den angeführten Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.09.2013 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über ihre Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz. Diesen begründeten sie damit, dass der Erstbeschwerdeführer mit einem in Wien lebenden Cousin Kontakt aufgenommen und ihm dieser erzählt habe, Kenntnis von den Umständen der Flucht der Beschwerdeführer zu haben. Der Cousin könne das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers also bestätigen und habe "diese Geschichte" schon gelegentlich seiner Vernehmung im eigenen Asylverfahren im Jahre 2003 erwähnt. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten vom Wissen des besagten Cousins ohne ihr Verschulden bis zum 21.03.2014 keine Kenntnis gehabt, sodass sie auch nicht in der Lage gewesen seien, den Asylakt des Cousins als Beweismittel zur Untermauerung des eigenen Vorbringens zu benennen. Hinzu komme, dass die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer aktenkundigen psychischen Beeinträchtigung nicht in der Lage gewesen sei, alle denkbar möglichen Beweismittel zu sammeln.

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht hörte im Rahmen einer am 09.10.2014 durchgeführten mündlichen Verhandlung - zu welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin unentschuldigt nicht erschienen - den von den Beschwerdeführern im Rahmen ihres Wiederaufnahmeantrags namhaft gemachten Zeugen. Dieser gab an, den Erstbeschwerdeführer bis zu seiner eigenen Ausreise aus Tschetschenien im Jahr 2001 fast jeden Tag gesehen zu haben. Unmittelbar nach der Einreise der Beschwerdeführer nach Österreich habe der Zeuge den Erstbeschwerdeführer wieder getroffen, über dessen Fluchtgründe aber zunächst nicht viel gesprochen; schließlich habe der Erstbeschwerdeführer dann doch die Ausreisegründe erzählt. Warum der Erstbeschwerdeführer den Cousin erst im Wiederaufnahmeverfahren als Zeuge benannt habe, wisse er selbst nicht, zumal sie "ja über alles schon früher gesprochen" hätten. Schließlich gab der Zeuge zu, dass er zu den Problemen der Beschwerdeführer aus eigenen Wahrnehmungen nichts sagen könne. Er habe nichts gesehen, weil er seit 2001 nicht mehr in Tschetschenien gelebt habe. Mit seinem Erscheinen in der Verhandlung habe er dem Erstbeschwerdeführer einen Gefallen tun wollen, weil er wisse, wie schwer es die Beschwerdeführer zu Hause hätten.

2.2. Angesichts dieser Aussagen des von den Beschwerdeführern namhaft gemachten Zeugen in der mündlichen Verhandlung wies das Bundesverwaltungsgericht am 29.10.2014 ihre Anträge auf Wiedereinsetzung in die mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.09.2013 abgeschlossenen Asylverfahren zurück: Es sei nach dem durchgeführten Verfahren nicht glaubhaft, dass sich erst in einem Telefonat am 21.03.2014 herausgestellt habe, dass der Zeuge zweckdienliche Aussagen für das Asylverfahren der Beschwerdeführer tätigen hätte können. Vielmehr sei dies bereits zu einem Zeitpunkt der Fall gewesen, zu dem die Verfahren der Beschwerdeführer noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Wiederaufnahme seien sohin nicht erfüllt. Davon abgesehen sei die Zeugenschaft des Cousins auch sonst nicht geeignet, den Anträgen auf Wiederaufnahme zum Erfolg zu verhelfen. Er habe nämlich Tschetschenien im Jahr 2001 verlassen und sich bis zu seiner Flucht nach Österreich im Jahr 2003 in Dagestan aufgehalten; von den Problemen der Beschwerdeführer habe er kraft eigener Wahrnehmung somit keine Ausführungen tätigen können. Überdies beziehe sich das Wissen des Zeugen (wenn überhaupt) bloß auf die Haft des Bruders des Erstbeschwerdeführers - an der Beurteilung des Verfolgungsvorbringens der Beschwerdeführer betreffend ihre Ausreisegründe im Jahr 2012 als unglaubwürdig vermöge dies nichts zu ändern, "sodass auch die Einvernahme des Zeugen allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis nicht hätte herbeiführen können".

(Zum in den Pkt. I.1. und 2. dargelegten Verfahrensgang in näheren Details vgl. BVwG 29.10.2014, W190 1433668-2 ua.)

3. Die Beschwerdeführer stellten am 13.01.2016 neuerlich - die nunmehr gegenständlichen - Anträge auf internationalen Schutz.

3.1. Im Rahmen ihrer am selben Tag durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gaben der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin an, dass laut Aussage des tschetschenischen Präsidenten heimkehrende Flüchtlinge ins Gefängnis gesperrt würden. Die Beschwerdeführer seien in ihrer Heimat vom Militär verfolgt. Die in Tschetschenien lebende Mutter des Erstbeschwerdeführers werde vom Militär bedroht. Darüber hinaus sei die Zweitbeschwerdeführerin schwer krank und in Österreich mehrere Male operiert worden. Im Herkunftsstaat gebe es keine Möglichkeiten einer medizinischen Behandlung.

3.2. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 19.01.2016 führten die Beschwerdeführer näher aus, dass die in Tschetschenien wohnhaft verbliebene Mutter des Erstbeschwerdeführers in den vergangenen Monaten wiederholt von Polizeibeamten - teils in Uniform, teils in Zivil - aufgesucht und nach dem Verbleib der Beschwerdeführer befragt worden sei. Zuletzt habe ein derartiger Besuch am 04.01.2016 kurz nach einer Demonstration von Tschetschenen in Wien gegen Präsident Kadyrow stattgefunden. Die Polizeibeamten hätten der Mutter des Erstbeschwerdeführers mit der Inhaftierung der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr gedroht. Dass dies keine leere Drohung sei, zeige die regelmäßige Verhaftung von Rückkehrern nach Tschetschenien.

Weiters sei auf die bereits weit fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer zu verweisen: Der Erstbeschwerdeführer verrichte seit 15.06.2015 gemeinnützige Arbeiten beim Abwasserverband Kufstein, verfüge über eine bedingte Einstellungszusage einer näher genannten Firma als Hausmeister und beherrsche die deutsche Sprache auf umgangssprachlichem Niveau. Die Zweitbeschwerdeführerin versorge die Familie und habe einen Deutschkurs besucht. Bei der Prüfung sei sie zwar gescheitert, doch zeige dies ihr ernstes Bestreben zum Erlernen der deutschen Sprache. Ihre schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen könnten in Tschetschenien nicht fachgerecht behandelt werden. Die Drittbeschwerdeführerin besuche seit 2013 die Neue Mittelschule Kufstein und habe im laufenden Schuljahr als ordentliche Schülerin Aussicht auf einen positiven Pflichtschulabschluss. Bei Vorliegen einer Aufenthaltsberechtigung könnte sie eine von ihr angestrebte Lehre als Schneiderin beginnen. Der Viertbeschwerdeführer besuche dieselbe Schule, habe in vielen Fächern - auch in Deutsch - außerordentlich gute Noten und sei seit 2013 Mitglied in einem Judo-Verein; er trainiere dort drei Mal in der Woche und sei in seiner Altersklasse Tiroler Meister.

Zur Untermauerung dieses Vorbringens sind der Stellungnahme mehrere Dokumente sowie Unterstützungserklärungen beigelegt.

3.3. Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.03.2016 und 01.04.2016 getrennt voneinander im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen.

3.3.1. Dem Einvernahmeprotokoll der Befragung des Erstbeschwerdeführers sind folgende entscheidungswesentliche Passagen zu entnehmen:

"F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.

F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten und wenn ja, welche?

A: Nein, ich bin gesund.

F: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

A: Ja ich habe die Wahrheit gesagt. Es wurde korrekt protokolliert und rückübersetzt.

F: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente besorgt?

A: Ja habe ich.

• Bestätigung Abwasserverband Kufstein vom 15.01.2016

• Bestätigung Vertex vom 18.01.2016

• Bestätigungen über Deutschkursbesuch

F: Haben Sie irgendwelche Personaldokumente oder andere Dokumente in Österreich, die Sie noch nicht vorgelegt haben?

A: Nein.

Erklärung: Sie haben am 22.07.2012 zum ersten Mal beim BFA um Asyl ersucht. Dieses Verfahren wurde mit Bescheid des Asylgerichtshofs vom 02.09.2013, Zl. D7 433671-1/2013/6E in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden.

Haben Sie das verstanden?

A: Ja, das habe ich verstanden.

Am 13.01.2016 stellten Sie einen Folgenantrag auf internationalen Schutz bei der PI Kufstein. Sie wurden am 13.01.2016 bezüglich Ihres zweiten Asylantrages von der Polizei befragt. Können Sie sich an Ihre damaligen Angaben erinnern? Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und entsprechen diese der Wahrheit? Wollen Sie selbst zu diesen Angaben noch etwas hinzufügen oder etwas sagen, was Sie noch nicht angeführt haben?

A: Ja, ich kann mich noch daran erinnern. Meine Angaben sind vollständig, ich habe damals alles gesagt, mehr habe ich selbst nicht dazu anzuführen. Ich habe die Wahrheit gesagt. Andere Gründe gibt es nicht.

[...]

Angaben zur Person und Lebensumständen:

F: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?

A: (AW fängt an zu weinen) Es war so, dass wir immer verschiedene Wohnungen gemietet haben. Manchmal haben wir auch bei Verwandten wohnen können. Wir hatten nicht viel Geld und konnten uns keine teure Miete leisten. Am Schluss, als mein Bruder mitgenommen wurde, hat man uns unsere zwei Zimmer Wohnung weggenommen, in der wir gerade wohnten. Es blieb uns nichts. Wenn wir jetzt zurückkehren müssten, weiß ich nicht, was mit den Kindern werden soll. Es belastet mich sehr darüber nachzudenken, was sie zu Hause erwartet. Um meine Frau und mich mache ich mir nicht so große Sorgen, aber es tut mir weh darüber nachzudenken, was meine Kinder erwartet. Wir sind Österreich sehr dankbar, dass man uns aufgenommen hat. Wir sind ja schon seit fast vier Jahren hier. Die Kinder gehen zur Schule und ich habe Arbeit. Es geht uns gut hier. Das Land ist sehr schön, die Gesetze werden eingehalten und die Leute sind gut zu uns. Man respektiert einander. Bei uns zu Hause ist es so, dass wenn jemand einen Fehler macht, die ganze Familie verurteilt wird. Das möchte ich meinen Kindern ersparen.

Vermerk: Der AW wird darauf hingewiesen, nur auf die ihn gestellten Fragen zu antworten und nicht abzuweichen.

A: Ich habe immer wieder für Bekannte oder Verwandte gearbeitet. Ich hatte keine offizielle Arbeit. Es gab auch Monate, wo ich gar keine Arbeit hatte. Meine Frau hat von ein paar Freundinnen das Friseurhandwerk gelernt und hat zu Hause Friseurdienstleistungen angeboten. Meine Kinder sind zur Schule gegangen. Es war eigentlich soweit alles in Ordnung. Nachdem wir mitgenommen wurden und verhört wurden und geschlagen wurden ist sie krank geworden. Sie hat den Stress nicht ausgehalten. Es war sehr schwer mit ihr. Sie wurde dann zu Hause untersucht, weil man sagt, sie hätte eine Zyste im Kopf. Hier wurde sie in Österreich behandelt, die Ärzte haben ihr geholfen. Jetzt geht es ihr viel besser.

F: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z. B. Häuser, Grund?

A: Nein.

F: Wo hält sich derzeit Ihre Mutter genau auf? Können Sie die genaue Adresse bekannt geben?

A: Bei verschiedenen Verwandten im Bezirk Gudermes. Manchmal bei einer Schwester oder einem Bruder von ihr.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Mutter? Wie gestaltet sich der Kontakt? Kommunizieren Sie auch über soziale Netzwerke und andere Medien?

A: Ja. Über Skype. In der Woche ein bis drei Mal.

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland wieder an Ihrer Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen?

A: Nein. An der alten Adresse nicht, das war nur eine Mietwohnung. Die Verwandten könnten uns sicher auch nicht aufnehmen. Die haben ja auch ihre eigenen Familien, die haben keinen Platz für uns.

F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?

A: Ja. Freunde habe ich noch dort.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihren Freunden und Bekannten?

A: Es ist sehr teuer, deswegen haben wir selten Kontakt. Vielleicht einmal oder zweimal im Monat.

F: Waren Sie nur in Ihrem Heimatort oder kennen Sie sich in anderen Teilen Russlands aus und wenn ja, wo haben Sie sich in Russland schon aufgehalten bzw. wohin sind Sie gereist (z.B. Verwandtenbesuche, Schulaufenthalte etc.?)

A: Ich war immer nur in Gudermes (Stadt und Umgebung).

Angaben zum Fluchtweg:

F: Können Sie sich an die damals gemachten Angaben zu Ihrem Fluchtweg erinnern?

A: Ja ich kann mich erinnern.

F: Möchten Sie zum Fluchtweg noch etwas angeben, was Ihnen wichtig ist?

A: Nein, das war alles.

Angaben zum Fluchtgrund:

F: Sie haben bereits im Zuge Ihres ersten Asylverfahrens ausführlich Ihre Fluchtgründe dargelegt. Wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas hinzufügen?

A: Nein, da habe ich alles gesagt.

F: Halten Sie Ihre Fluchtgründe nach wie vor aufrecht?

A: Ja.

F: Hat sich seit der letzten Entscheidung der erkennenden Behörde im Jahre 2012 etwas geändert?

A: Es ist zu Hause noch schlimmer geworden. Es ist nicht möglich zurückzukehren. Wir haben wie im Gefängnis gelebt. Obwohl mein Bruder im Gefängnis sitzt, wurden wir trotzdem noch verfolgt.

F: Aus welchen konkreten Gründen haben Sie neuerlich einen Asylantrag in Österreich eingebracht?

A: (AW fängt an zu weinen) Aufgrund des Gesprächs mit meiner Mutter über Skype am 28. Dezember 2015 habe ich erfahren, dass sie wieder gekommen sind. Es waren Leute in Zivilkleidung. Sie haben meiner Mutter gesagt, dass sie wüssten, dass wir hier sind. Wenn wir nach Hause kommen würden, würden sie uns gleich wieder mitnehmen. Sie haben auch über meinen Bruder im Gefängnis gesprochen. Sie haben uns zu verstehen gegeben, dass sie uns niemals in Ruhe lassen würden.

F: Woher sollen diese Leute wissen, wo Ihre Mutter lebt, wenn diese keinen festen Wohnsitz hat?

A: Die Polizisten wissen schon, wo sich die Leute aufhalten. Die haben sich sicher erkundigt. Meine Mutter befand sich zu diesem Zeitpunkt bei ihrem Bruder.

V: Ihre dargelegten Gründe werden als nicht glaubwürdig erachtet, da Sie keine neuen Fluchtgründe vorbringen konnten, Ihr heutiges Vorbringen auf jenem von Ihrem ersten Verfahren aufbaut und Ihr bisheriges Vorbringen bereits rechtskräftig in zweiter Instanz abgewiesen wurde. Sie haben augenscheinlich nur aufgrund einer bevorstehenden Auslandserbringung einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Was sagen Sie dazu?

A: Das mit dem Anruf ist für mich sehr wohl ein wichtiger Grund. Für mich ist das eine Katastrophe, wenn wir nach Hause müssen und es uns dann schlecht geht. Es geht hier nicht um mich oder meine Frau, sondern um meine Kinder. (AW zittert und weint)

F: Wollen Sie eine Pause machen?

A: Nein. Es geht mir um meine Kinder.

F: Bei Ihrer Befragung vor der Polizei am 13.01.2016 gaben Sie an, dass Ihre Frau schwer krank sei und in Ihrer Heimat keine medizinische Behandlung gebe. Woher wissen Sie das?

A: Es war so, dass wir zu Hause versucht haben den Gesundheitszustand meiner Frau zu verbessern. Weder in Gudermes noch in Grosny gab es die Möglichkeit ein CT zu machen. Wir sind dann extra nach Astrachan gereist und sie ist zehn Tage dort geblieben. Man hat sie gründlich untersucht und eben festgestellt, dass sie eine Zyste im Kopf hat.

Vermerk: Der AW wird neuerlich darauf hingewiesen, dass er auf die gestellten Fragen antworten soll.

A: Also es war so, dass wir in vielen Krankenhäusern waren und jeder Arzt sagt etwas anderes. Man konnte ihr nirgends helfen. Ich habe dann mir Geld geliehen um nach Astrachen zu fahren. Die Behandlung gäbe es dort, aber dort wäre sehr teuer gewesen. Ich wusste nicht, wie ich das Geld hätte aufbringen sollen.

F: Wo ist Astrachan?

A: In Russland an der Wolga.

F: Wurde Ihre Frau bezüglich diese Zyste hier in Österreich untersucht?

A: Ja in Kufstein. Man hat ihr Medikamente verschrieben. Die haben ihr auch geholfen, deswegen war keine Operation notwendig. Früher hatte sie schwere Schlafstörungen. Das ist jetzt alles viel besser geworden. Sie hat jetzt auch angefangen abzunehmen, weil die Ärzte ihr das empfohlen haben. Seit sie hier in Österreich behandelt wird, geht es ihr viel besser. Nach der zweiten negativen Entscheidung hat man uns die Asylkarten weggenommen. Die Heimleiterin machte nur eine Kopie. Meine Frau wurde trotzdem operiert. In der Heimat würde so etwas nicht gehen. Ohne Dokumente ist man kein Mensch dort.

F: Woher wissen Sie, dass der tschetschenische Präsident / Gouverneur sagt, dass zurückkehrende Flüchtlinge ins Gefängnis kommen?

A: Das habe ich im Internet gesehen. Meine Frau hat das auch gesehen. Das war nach der Demonstration in Wien. Ich glaube die war am 23. Dezember. Meine Tochter hat gestern die Seite im Internet gefunden auf denen das steht. Wir haben das ausgedruckt und nach Vorarlberg zu Dr. XXXX geschickt.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

Pause für 20 Minuten (10:00 - 10:20)

F: Um was für eine Demonstration genau hat es sich bei dieser in Wien gehandelt?

A: Was ich gesehen habe, ging es darum, dass die Leute gegen die Vorgehensweise von Kadyrow demonstrieren.

F: Waren Sie bei der Demonstration dabei?

A: Nein, weder ich noch jemand aus meiner Familie war anwesend.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Ich glaube, am ehesten die Polizei. Dass sie mich suchen, hat mir ja meine Mutter erzählt. Aber es ist nicht so, dass ich etwas verbrochen hätte. Ich habe nicht einmal am Krieg teilgenommen. Aber genaueres kann ich nicht sagen.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Ja. Sie haben mich und meine Frau festgenommen, als mein Bruder über den Balkon geflüchtet ist. Das habe ich bereits bei meinem ersten Asylantrag alles erzählt.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?

A: Nein.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein.

F: Gab es jemals bis zu den besagten Vorfällen auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Nein.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Ich habe Angst, dass man mich umbringt und um die Kinder natürlich auch. Sie würden die Kinder nicht in Ruhe lassen.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Ja sie würden kommen und uns mitnehmen.

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen?

A: Es ist kein Unterschied. Sie würden uns in Russland überall finden.

Vermerk: Der Antragsteller wird darauf hingewiesen, dass seinem rechtsfreundlichen Vertreter bereits am 30.03.2016 auch für ihn eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme zu den Länderinformationen eingeräumt wurde. Der Antragsteller nimmt dies zur Kenntnis.

Angaben zum Privat- und Familienleben:

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?

A: Ich glaube Juli 2012.

F: Seit wann sind Sie in Österreich aufhältig?

A: Seit meiner Einreise.

F: Hatten Sie in Österreich jemals einen gültigen Aufenthaltstitel zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: Ich gehe zum Deutschkurs. Ich arbeite zweieinhalb Tage in der Woche gemeinnützig bei der Gemeinde. Ich arbeite dort am Bauhof im Straßenpflegedienst. Ich glaube seit Juli letzten Jahres.

F: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, falls Sie hier bleiben könnten?

A: Meine Frau und ich würden arbeiten. Der kleine Sohn würde in den Kindergarten gehen und die Großen in die Schule. Ich habe ja auch eine Bestätigung vorgelegt, dass mich eine Firma anstellen würde. Ich müsste halt die Sprache noch besser lernen.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Ich bin in der Grundversorgung und das was ich für die Arbeit in der Gemeinde bekomme.

F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?

A: Ja. Die Unterlagen habe ich heute vorgelegt.

F: Haben Sie einen abgeschlossenen Deutschkurs mit mindestens dem Niveau A2? Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

A: Nein. Ich habe nur A1 abgeschlossen.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

A: Nein.

F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

A: Ich versuche möglich viel mit der einheimischen Bevölkerung zu kommunizieren. Wir gehen auf Veranstaltungen. Ich unterhalte mich oft mit dem Trainer meines Sohnes oder mit den Lehrern meiner Kinder. Ich versuche auch im Geschäft mit den Leuten ins Gespräch zu kommen usw. Mein Chef lädt mich auch einmal mit einem anderen Asylwerber ins Restaurant ein.

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Nur meinen Cousin und dessen Schwester. Und meine Familie (Frau, Kinder) leben hier mit mir.

F: Wo leben Ihre Verwandten?

A: Mein Cousin und dessen Schwester leben in Wien.

F: Unter welchen Voraussetzungen leben Ihre Verwandten hier?

A: Mein Cousin ist anerkannter Flüchtling, er lebt schon seit ca. 12 Jahren hier. Seine Schwester lebt auch schon viele Jahre hier, sie ist bereits österreichische Staatsbürgerin.

F: Haben Sie Kontakt zu diesen Verwandten?

A: Ja, aber nicht so oft, lediglich zum Neujahr oder vielleicht noch zu Feiertagen.

F: Wie verhält es sich mit dem Gesundheitszustand Ihrer Kinder - sind diese in Österreich in fachärztlicher Behandlung?

A: Es geht ihnen gut. Sie haben Stress mit der Situation, aber sonst geht es ihnen gut. Sie befinden sich nicht in fachärztlicher Behandlung.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO - Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein.

F: Haben Sie für Ihre Kinder spezielle Asylgründe vorzutragen, oder sollen für Ihre Kinder die gleichen Asylgründe gelten, wie für Sie?

A: Ich habe als gesetzlicher Vertreter, nämlich als Vater für meine drei Kinder, namentlich XXXX , XXXX und XXXX , Asylanträge gestellt. Ich habe zu diesem Verfahren bereits alle Angaben in meinen Einvernahmen gemacht. Diesen Angaben habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Für Kinder habe ich keine eigenen Asylgründe vorzubringen. Für meine Kinder sollten die gleichen Gründe gelten wie für mich. Meine Angaben gelten auch für meine Kinder.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

A: Eigentlich möchte ich das nicht. Ich habe Angst vor diesen Leuten, dass sie dann irgendetwas machen oder meine Verwandten zu Hause Probleme bekommen.

F: Ich weise Sie erneut auf Ihre Mitwirkungspflicht in Ihrem Asylverfahren hin. Die Erhebungen finden unter Wahrung Ihrer Anonymität statt! Ich frage Sie daher nochmals, ob Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort einverstanden sind?

A: Wenn das notwendig ist, bin ich damit einverstanden.

F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?

A: Nein, ich habe alles gesagt.

F: Hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?

A: Ja, das hatte ich. Ich hatte die Gelegenheit alles vorzubringen, was mir wichtig war."

3.3.2. Dem Einvernahmeprotokoll der Befragung der Zweitbeschwerdeführerin sind folgende entscheidungswesentliche Passagen zu entnehmen:

"F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ja es geht mir nicht schlecht. Ich habe heute morgen alle meine Medikamente genommen um für die Einvernahme fit zu sein. Die Einvernahme ist sehr wichtig für mich.

F: Was für Medikamente nehmen Sie?

A: Trittico 150mg, Thyrex 25, AstraZeneca 40, Candeblo 8, Mexalen

500. Wenn ich aufgeregt bin, kann es sein, dass sich mein Zustand verschlechtert. Das möchte ich nur sagen.

F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten und wenn ja, welche?

A: Ich habe eine psychische Erkrankung. Ich habe hohen Blutdruck. Ich habe Schlafprobleme - ich kann höchsten 2-3 Stunden schlafen. Ich wurde letztes Jahr mehrmals operiert. Gallensteine, am Darm zwei Operationen und zwei gynäkologische Eingriffe und ich hatte einen Leistenbruch.

Vermerk: Die Antragstellerin legt diverse Unterlagen in Original und Kopie vor. Die Kopien werden zum Akt genommen und die Originale wieder der Antragstellerin ausgehändigt.

• Fachärztliche Stellungnahme vom 15.01.2016 BKH Kufstein, Abteilung für Psychiatrie

• Kurzarzt-Bericht vom 23.09.2013

• Bestätigung für psychotherapeutische Behandlung vom 22.03.2016,

XXXX

• Schilddrüsenbefund vom 14.08.2014, Institut für Nuklearmedizin

• Kurarztbericht vom 02.10.2014, BKH Kufstein, Abteilung Chirurgie

• Neurologischer Befundbericht vom 13.08.2014, Dr. Stahr

• Bericht vom 04.05.2015, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Endoskopiebefund (Gastroskopie) vom 14.10.2015, BKH Kufstein, Abteilung Chirurgie

• Endoskopiebefund (Koloskopie) vom 14.10.2015, BKH Kufstein, Abteilung Chirurgie

• Ärztlicher Kurzbericht vom 10.11.2014, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Arztbericht vom 26.01.2015, BKH Kufstein, Abteilung Chirurgie

• Orthopädischer Befundbericht vom 31.03.2015, Dr. Dialer

• Ärztlicher Kurzbericht vom 10.11.2014, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Bericht vom 01.10.2014 Standarduntersuchung, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Ärztlicher Kurzbericht vom 20.11.2014, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Endoskopiebefund vom 10.10.2014, BKH Kufstein, Abteilung Chirurgie

• Ärztlicher Kurzbericht vom 24.04.2015, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Befund MRT vom 05.05.2015

• Bericht vom 21.11.2014, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe samt Laborbuch

• Ambulanzbericht vom 08.02.2015

• Terminkarte XXXX

• Bericht Standarduntersuchung vom 07.04.2015, BKH Kufstein, Abteilung

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Aufklärungsblatt Entfernung der Gebärmutter

• Bericht Standarduntersuchung vom 24.08.2015, BKH Kufstein, Abteilung

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Bericht TILAK Uniklinik Innsbruck vom 27.11.2012

• Aufklärungsblatt Entfernung Gallenblase

• Aufklärungsblatt Spiegelung der Gebärmutterhöhle

• Aufklärungsblatt Mastdarmspiegelung

• Aufklärungsblatt Spiegelung Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm

• Bericht Standarduntersuchung vom 02.05.2015, BKH Kufstein, Abteilung

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Ärztlicher Kurzbericht vom 29.05.2015, BKH Kufstein, Abteilung Innere Medizin

• Bericht vom 04.12.2014, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Bericht vom 12.05.2015, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Bericht vom 08.02.2015 Standarduntersuchung. Dr. Ortner

• Bericht vom 06.11.2013, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Bericht vom 01.10.2014, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Kurzarztbericht vom 21.03.2014, BKH Kufstein, Abteilung Psychiatrie

• Kurzarztbericht vom 23.09.2013, BKH Kufstein, Abteilung Psychiatrie

• Bericht 08.02.2015, BKH Kufstein, Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe

• Röntgenbefund vom 16.10.2015

• Arztbericht vom 14.08.2015, BKH Kufstein, Abteilung Chirurgie

• MRT-Befund vom 13.09.2013

• CT-Befund vom 26.07.2013

F: Sind Sie in Österreich in fachärztlicher Behandlung? Wie lange wird die Behandlung noch dauern?

A: Ich gehe noch mehr oder weniger zur Psychotherapie und bin bei meinem Hausarzt wegen des Blutdruck, Magen und Schilddrüse in Behandlung. Stationär war ich noch nie in psychischer Behandlung.

Anmerkung: Die Anwesenheitskarte von XXXX liegt vor.

F: Befinden Sie sich aufgrund Ihrer erwähnten Operationen noch bei einem Arzt in Nachbehandlung?

A: Ich habe noch verschiedene Kontrolltermine. Ich muss noch eine Darmuntersuchung machen. Für den Magen gibt es auch noch

Untersuchungen: Sie wollten mich operieren, ich habe es abgelehnt. Man will es zuerst mit Medikamenten versuchen. Man muss die nächsten Monate abwarten, wie sich die Krankheit entwickelt. Ich habe das Gefühl, dass die Medikamente für den Magen mir helfen. Man hat mir gesagt, wenn die Beschwerden schlimmer werden, soll ich wieder kommen.

F: Was für eine Krankheit genau haben Sie beim Magen?

A: Ich glaube ich habe ein Magengeschwür. Ich war ohne Dolmetscher beim Arzt und ich habe nicht alles verstanden. Ich glaube es ist ein Magengeschwür. Ich war die letzten Jahre so viel beim Arzt und im Krankenhaus. Ich versuche es mit Schmerzmitteln in den Griff zu bekommen, da ich nicht mehr zum Arzt will.

F: Gibt es diesbezüglich ärztliche Unterlagen?

A: Das letzte Mal hat man mir gesagt, dass man den Arztbrief zum Hausarzt schickt. Ich war am 25.03.2016 beim Hausarzt zur Blutabnahme. Ich war aber noch nicht dort wegen der Ergebnisse. Ich hätte heute dorthin gehen sollen.

F: Sind Sie damit einverstanden, dass ho. Behörde Einsicht in bereits vorliegende und künftig erhobene ärztliche Befunde nehmen kann, sowie dass die Sie behandelnden Ärzte, als auch behördlich bestellte ärztliche Gutachter wechselseitig Informationen zu den Ihre Person betreffenden erhobenen ärztlichen Befunde austauschen können? Sind Sie weiters mit der Weitergabe Ihrer medizinischen Daten an die Sicherheitsbehörde und die für die Grundversorgung zuständigen Stellen einverstanden? Sie können Ihre Zustimmung danach jederzeit widerrufen.

A: Ja, ich bin damit einverstanden. Es geht mir jetzt nach den Operationen viel besser. Der Stress ist immer noch geblieben und ich habe halt einen hohen Blutdruck. Aber ich bin eigentlich arbeitsfähig.

F: Befürchten Sie wegen Ihrer Krankheiten Probleme im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland und wenn ja, welche?

A: Wegen der übrigen Krankheiten nicht. Aber wegen des Stresses schon. Ich war ja im Gefängnis und wurde dort geschlagen und vergewaltigt. Ich glaube dass die Beschwerden des Magens und des Darms mit dem Stress zusammenhängen und die würden dort sich wieder schlimmer werden. Ich kann deswegen nicht mehr zurück. Ich habe nachts immer noch diese Schlafstörungen und auch Anfälle. Es sieht aus wie Epilepsie, ist es aber keine. Ich liege dann ganz steif da und schreie. Ich höre alles, aber ich kann nicht antworten, wenn man mit mir spricht. Ich kann dann nicht einmal den Mund öffnen um Wasser zu trinken. Es ist alles wie als Holz. Der Blutdruck steigt natürlich dann ganz stark an. Mein Mann versucht mich danach wieder zu beruhigen und mir meine Medikamente zu geben. Aber das kommt alles durch diesen psychischen Stress und die Albträume die ich habe, wenn ich ein paar Stunden schlafen kann. Ich habe früher andere Tabletten bekommen. Jetzt nehme ich Trittico. Die helfen mir etwas besser als die anderen Tabletten. Ich bin aber noch in der Gewöhnungsphase. Ich versuche mich zu kontrollieren dass die Anfälle nicht mehr vorkommen, aber immer gelingt mir das natürlich nicht. Ich versuche mein kleines Kind nicht zu erschrecken. Wenn es soweit kommt, dann bringen sie das Kind weg, damit es mich nicht in diesem Zustand sieht. Die größeren Kinder sind das schon gewöhnt. Mein jüngstes Kind soll das nicht mitbekommen.

F: Haben Ihre Kinder XXXX und XXXX irgendwelche Krankheiten?

A: Ja. Es geht ihnen zwar schon besser, aber immer wenn sie an zu Hause denken ist das ein psychischer Stress für sie. Sie versuchen das Erlebte zu vergessen. Als wir gestern darüber geredet haben über die Einvernahmen, haben sie wieder Stresssymptome gehabt. Vielleicht wenn es möglich ist, über die Ereignisse von zu Hause nicht zu befragen, da es sie zu sehr belastet. Ich lege folgende ärztliche

Unterlagen vor:

• Für XXXX :

• Neurologischer Befundbericht 04.03.2015

• Kurzinformation 25.03.2014, BKH Kufstein

• Ambulanzbericht vom 18.11.2013, BKH Kufstein

• Ärztliches Gesundheitszeugnis 15.01.2016

• Für XXXX :

• Ambulanzbericht vom 14.09.2013

• Kurzinformation vom 18.07.2015, BKH Kufstein

• Ambulanzbericht vom 27.11.2015, BKH Kufstein

• Ambulanzbericht vom 11.06.2015, BKH Kufstein

• Kurzbericht vom 23.08.2013, BKH Kufstein

• Ambulanzbericht vom 08.10.2015

F: Befindet sich Ihr Sohn XXXX in fachärztlicher Behandlung?

A: Nein.

F: Befindet sich Ihr Sohn XXXX in fachärztlicher Behandlung?

A: Nein.

Pause für 15 Minuten (10:30 -10:45)

Fortsetzung um 10:45

F: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

A: Ja ich habe die Wahrheit gesagt.

F: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente besorgt?

A: Ja. Für die Deutschkurse:

• Bestätigungen diverse Kursbesuche

• Diplom A2 Prüfung NICHT BESTANDEN vom 15.01.2015

• Stellungnahme NMS Kufstein vom 15.01.2016 bzgl XXXX

• Stellungnahme Klassenvorstand XXXX vom 18.01.2016

• Schreiben NMS Kufstein vom 21.03.2014

• Schreiben Flüchtlingsheim Aufschub Abschiebung

• Schreiben Heimleitung vom 12.02.2013 Fieberbrunn

• Schreiben Flüchtlingsheim Kufstein vom 17.09.2013

• Schulbesuchsbestätigung XXXX 2014/2015

• Schulbesuchsbestätigung XXXX 2013/2014

• Schulnachricht XXXX 2013/2014

• Informationen Notenstand XXXX

• Jahreszeugnis 2014/2015

• Ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibung XXXX 2014/2015

• Schulbesuchsbestätigung XXXX 2012/2013

• Schreiben Bürgermeister Stadt Kufstein vom 12.11.2014

• Schreiben Bürgermeister Stadt Kufstein vom 23.12.2014

• Lizenz Judoverband XXXX 2016

• Urkunde XXXX Jänner 2015

• Kopie Foto Judoclub

• Urkunde Tiroler Fahrradwettbewerb XXXX

• Urkunde Leichtathletik XXXX

• Schreiben Trainer Judo verband 2016

• Diverse Fotos XXXX Judo

• Schreiben Judoclub vom 10.11.2014

• Schreiben Judoclub vom 13.11.2015

• Kopie Medaille

• Einladung

• Urkunde Schifahren XXXX 2013

Erklärung: Sie haben am 22.07.2012 zum ersten Mal beim BFA um Asyl ersucht. Dieses Verfahren wurde mit Bescheid des Asylgerichtshofs vom 02.09.2013, Zl. D7 433668¬1/2013/4E in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden.

Haben Sie das verstanden?

A: Ja, das habe ich verstanden.

Erklärung: Am 13.01.2016 stellten Sie einen Folgenantrag auf internationalen Schutz bei der PI Kufstein. Sie wurden am 13.01.2016 bezüglich Ihres zweiten Asylantrages von der Polizei befragt. Können Sie sich an Ihre damaligen Angaben erinnern? Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und entsprechen diese der Wahrheit? Wollen Sie selbst zu diesen Angaben noch etwas hinzufügen oder etwas sagen, was Sie noch nicht angeführt haben?

A: Ja, ich kann mich noch daran erinnern. Meine Angaben sind vollständig, ich habe damals alles gesagt, mehr habe ich selbst nicht dazu anzuführen. Ich habe die Wahrheit gesagt. Andere Gründe gibt es nicht. Ich habe gesagt, dass wir nicht zurück können. Wenn wir keine Probleme gehabt hätten, wären wir nicht weggegangen. Wir als Familie können nicht zurück, da die gesamte Familie verfolgt wird. Ich möchte sagen, dass meine Kinder gut integriert sind und ich möchte sie bitten, dass wir wegen der Kinder hier bleiben können. Das was sie in der Heimat erleben mussten, wie man meinen Mann und mich mitgenommen hat usw, nicht wieder erleben müssen. Deshalb bitte ich, dass wir alle hierbleiben dürfen. Ich möchte nicht, dass meine Kinder diese schrecklichen Dinge noch einmal erleben müssen. Ich habe schon einige Mal versucht Selbstmord zu begehen. Mein Mann hat mich immer gerettet. Ich bitte sie inständig dass wir hierbleiben dürfen. Wenn wir wieder einen negativen Bescheid bekommen, werde ich mich umbringen. Ich bin ständig in Stress hier, ich habe immer wieder Gedanken, dass ich sterben will. Jedes Mal, wenn wir eine schlechte Nachricht von den Behörden erhalten haben, wollte ich mich umbringen. Mein Mann hat mich immer gerettet. Den Kindern geht es dann auch immer schlecht. Wir wohnen alle in einem Zimmer und sie bekommen alles mit. Wir sind natürlich diesem Land sehr dankbar, dass man uns aufgenommen hat, ich bitte sie sehr darum, dass wir hier bleiben dürfen. Ich selbst erwarte nichts mehr vom Leben. Zu Hause habe ich vieles durchmachen müssen und viele schreckliche Dinge erlebt. Man hat uns das Haus weggenommen. Meine Schwiegermutter ist ebenfalls gezwungen bei Verwandten zu wohnen, weil sie kein Dach über den Kopf hat. Sie hat Epilepsie. Ich hatte auch vor den Operationen immer große Angst, dass ich nicht mehr aufwache. Ich habe mir große Sorgen um meine Kinder gemacht. Ich habe intelligente und gut erzogene Kinder. Sie sind gut in der Schule und hoffe dass sie hier eine Zukunft haben.

Sie haben keine Ahnung was zu Hause vor sich geht. Wenn bei uns ein Mensch in irgendeiner Sache beschuldigt wird, wird die ganze Familie verfolgt. Diese Leute verschwinden oft spurlos und dann werden sie irgendwo tot aufgefunden. Man gibt den Verwandten oft nicht die Möglichkeit sie zu beerdigen. Wenn man mich zwingt, wieder dahin zurück zu gehen, ist es besser wenn ich sterbe. Ich werde das nicht noch einmal durchstehen. Der einzige Wunsch ist, dass meine Kinder hier bleiben können und dass ich für sie sorgen kann und dass wir ein normales Leben und eine gute Zukunft haben. Wir hatten nie finanzielle Probleme, aber wir waren gezwungen zu fliehen. Ich habe ja noch meine Geschwister zu Hause. Wir wären nie hierher, wenn wir einen anderen Ausweg gehabt hätten.

Die Antragstellerin wird an dieser Stelle unterbrochen, da sie nichts Relevantes für die Frage mehr vorbringt. Sie wird darauf hingewiesen, dass sie im späteren Verlauf die Möglichkeit bekommt, ausführlich über Ihre Fluchtgeschichte zu berichten.

[...]

Angaben zur Person und Lebensumständen:

F: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?

A: Wir lebten recht gut. Mein Mann hat als Tischler gearbeitet. Wir wollten eigentlich auf ein Haus sparen. Ich habe auch gutes Geld verdient. Als Frisörin verdient man recht gut. Anfangs habe ich als Verkäuferin gearbeitet und dann als Frisörin. Als Verkäuferin habe ich selbstständig für verschiedene Firmen gearbeitet.

F: Welchen Beruf haben Sie in Ihrer Heimat ausgeübt?

A: Ich war Frisörin und Verkäuferin.

F: Haben Sie in Ihrem Heimatland derzeit Angehörige, wenn ja, geben Sie eine Erklärung dazu ab, in welchem Verwandtschaftsgrad Sie zu diesen Personen stehen?

A: Ich habe nur meine Geschwister.

F: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z. B. Häuser, Grund?

A: Mein Mann und ich besitzen nichts. Meine Geschwister haben schon Besitztümer. Vor allem meine Schwester in Grosny. Ihr Mann ist sehr wohlhabend. Er hat einen Mercedesbus und ist viel ins Ausland gefahren. Er hat mit Waren gehandelt. Er ist mittlerweile krank geworden und es herrscht eine Krise.

F: Gibt es eine Telefonnummer unter der Ihre Familie erreichbar ist?

A: Nein. Manchmal rede ich über Skype mit ihnen.

F: Unter welchen Umständen lebt Ihre Familie, wovon bestreiten Ihre Angehörigen den Lebensunterhalt, wer versorgt sie etc.?

A: Die Brüder arbeiten als Maler und sie verdienen auch recht gut damit. Der Mann meiner Schwester arbeitet jetzt als Fahrer.

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland bei Verwandten wohnen?

A: Nein. Sie alle haben große Familien, sie haben keinen Platz für uns.

F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?

A: Ich habe zu niemandem mehr Kontakt. Seit langer Zeit schon nicht mehr

F: Waren Sie nur in Ihrem Heimatort oder kennen Sie sich in anderen Teilen Russlands aus und wenn ja, wo haben Sie sich in Russland schon aufgehalten bzw. wohin sind Sie gereist (z.B. Verwandtenbesuche, Schulaufenthalte etc.?)

A: Ich war immer nur in Gudermes.

F: Inwieweit beherrschen Sie die Sprache Ihres Heimatlandes - sprich Russland und Tschetschenien?

A: Tschetschenisch ist meine Muttersprache. Russisch kann ich auch sehr gut lesen und schreiben.

F: Inwieweit sind Ihnen die gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten Ihres Heimatlandes vertraut?

A: Gut. Wir haben auch immer alle Feiertage begangen. In Österreich machen wir das übrigens auch.

Angaben zum Fluchtgrund:

F: Sie haben bereits im Zuge Ihres ersten Asylverfahrens ausführlich Ihre Fluchtgründe dargelegt. Wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas hinzufügen?

A: Ehrlich gesagt, nach den vielen Vollnarkosen kann ich mich an vieles nicht mehr erinnern. Ich vergesse vieles und kann mich nicht mehr an alles erinnern, was ich damals gesagt habe. Ich möchte noch sagen, dass der Bruder meines Mannes nur unter Druck alles gestanden hat. Ich habe auch das Gerichtsurteil dabei. Als Beweis dass er im Gefängnis sitzt.

F: Hat sich seit der letzten Entscheidung der erkennenden Behörde im Jahre 2012 etwas geändert?

A: Nach dieser Demonstration in Wien kamen sie zu meiner Schwiegermutter. Sie sagten sie wissen dass wir in Österreich sind. Woher sie das wissen, weiß ich nicht. Sie haben meine Schwiegermutter gewarnt. Ich weiß nicht mehr genau wann das war. An das Datum kann ich mich nicht erinnern. Sie hat mit meinem Mann über Skype geredet. Sie hat geweint und hat gesagt, dass sie eben gekommen sind und nach uns gefragt haben. Sie hat gesagt, kommt bloß nicht nach Hause und sie würden euch sofort festnehmen und umbringen. Wir sind diesem Land sehr dankbar, dass man uns seit fast vier Jahren Aufenthalt gewährt hat, trotz der Negativentscheidung. Wir konnten hier in Sicherheit leben und dafür bin ich sehr dankbar. Meine Kinder können eine normale Kindheit erleben. Am 07.Mai soll XXXX an einem großen Wettkampf teilnehmen.

F: Halten Sie Ihre Fluchtgründe nach wie vor aufrecht?

A: Ja, diese halte ich aufrecht. Da hat sich nichts geändert.

F: Aus welchen konkreten Gründen haben Sie neuerlich einen Asylantrag in Österreich eingebracht?

A: Weil meine Schwiegermutter das erzählt hat, was ich bereits gesagt habe. Wir haben Angst bekommen und daher haben wir einen neuen Asylantrag gestellt.

V: Ihre dargelegten Gründe werden als nicht glaubwürdig erachtet, da Sie keine neuen Fluchtgründe vorbringen konnten und Ihr bisheriges Vorbringen bereits rechtskräftig in zweiter Instanz abgewiesen wurde. Sie haben augenscheinlich nur aufgrund einer bevorstehenden Auslandserbringung einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

A: Nein das ist nicht richtig so. Wir haben den zweiten Antrag gestellt, weil unsere Schwiegermutter gesagt hat, dass nach uns gesucht wird und wir deshalb auf keinen Fall zurückkehren sollten. Wir haben keine schriftliche Mitteilung erhalten, dass man uns abschieben will. Als wir die Nachricht meiner Schwiegermutter erhalten haben, sind wir sofort zur Polizei und haben den neuen Antrag gestellt.

V: Ihr Vorbringen baut nur auf Ihrem bisherigen Vorbringen Ihres ersten Asylverfahrens auf, welches als nicht glaubwürdig erachtet wurde. Deshalb ist ihr heutiges Vorbringen auch nicht glaubwürdig!

A: Ich habe natürlich keine Beweise für dieses Gespräch. Ich habe es selbst gehört und erlebt. Wir leben in einem Zimmer und als mein Mann mit seiner Mutter gesprochen hat, hatte ich es selbst gehört, wie sie es gesagt hat.

V: Bei Ihrer Befragung vor der Polizei am 13.01.2016 gaben Sie an, dass Sie aus einer tschetschenischen Zeitung erfahren hätten, dass heimkehrende Flüchtlinge mit Gefängnisstrafe bestraft werden. Wo befindet sich dieser Zeitungsartikel?

A: Meine Tochter hat mir das im Internet gezeigt. Sie lernt in der Schule mit dem Computer umzugehen und sie hat eben diese Zeitung im Internet gefunden und mir diesen Artikel gezeigt.

F: Warum haben Sie den Artikel nicht ausgedruckt um diesen heute vorzulegen. Er erscheint ja doch wichtig für ihr Verfahren?

A: Wir waren sehr gestresst, wir haben nicht daran gedacht, das zu machen. Vielleicht kann man die Seite noch einmal aufrufen und es ihnen dann schicken.

Die Antragstellerin wird aufgefordert den Zeitungsartikel binnen einer Frist von 2 Wochen vorzulegen.

F: Was genau was das für eine Demonstration in Wien?

A: Das war eine Demonstration gegen Präsident Kadyrow. Wie er mit den Menschen bei uns zu Hause umgeht.

F: Haben Sie persönlich an dieser Demonstration teilgenommen?

A: Nein. Weder ich noch sonst jemand aus meiner Familie. Wir haben seit zwei Jahren keine Dokumente mehr. Wir fahren auch nirgends hin. Auch wenn es möglich gewesen wäre, wären wir nicht hingefahren, da wir nicht auffallen wollen. Außerdem war ich immer krank.

F: Wann genau fand diese Demonstration statt?

A: Ich glaube im Dezember letzten Jahres. Ein genaues Datum kann ich aber nicht sagen.

F: Hat jemand aus Ihrem Bekanntenkreis an dieser Demonstration teilgenommen?

A: Nein.

V: Es ist nicht nachvollziehbar, dass in Ihrer Heimat Sie aufgrund der Demonstration in Wien gesucht werden. Weder Sie noch Bekannte von Ihnen haben daran teilgenommen. Was sagen Sie dazu?

A: Ich habe von anderen Tschetschenen in Europa gehört, dass dasselbe mit ihren Angehörigen in der Heimat gemacht wurde. Auch wenn sie nicht an der Demonstration teilgenommen haben. Jene Angehörige, die sich noch in der Heimat befinden und deren Familienmitglieder an der Demonstration teilgenommen haben wurden festgenommen und deren Häuser verbrannt.

F: Von wem genau haben Sie das erfahren?

A: Ich kann nicht mehr genau sagen, wer mir das gesagt hat. Wir haben das bei einem Treffen mit anderen Tschetschenen erfahren. Man redet ja dann darüber. Kadyrow ist ja selbst aufgetreten und hat gesagt, dass alle Tschetschenen, die in Europa sind, Verräter sind. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich habe seit den Vollnarkosen ein schlechtes Gedächtnis. Ich habe auch starke Kopfschmerzen seither. Wie gesagt auch diese Schlafstörungen.

F: Woher wissen Sie, dass Kadyrow das gesagt hat?

A: Das habe ich in den Nachrichten im Fernsehen gesehen.

F: Wann haben Sie das gesehen?

A: Das war irgendwann nach der Demonstration.

F: In welchem Sender?

A: Wir schauen da ein tschetschenisches Fernsehen über das Internet. Wir haben ja keinen Fernseher. Ich weiß nicht wie der Sender heißt. Die Kinder schalten den Computer ein. Ich weiß nicht wie das geht. Ich kann mit dem Computer nicht umgehen. Ich weiß nur, dass es ein eigener tschetschenischer Kanal ist der berichtet, was in Tschetschenien vor sich geht.

F: Wissen Sie ob das ein unabhängiger Sender ist oder von Kadyrow kontrolliert wird?

A: Ich glaube das ist ein unabhängiger Sender. Genau weiß ich es aber nicht. In diesem Kanal wird viel über ihn geredet. Es wird gezeigt, was er sagt und was er bei seinen Auftritten verkündet. Vielleicht ist es sein Kanal. Ich weiß es nicht.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt woran ich mich erinnern kann. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

Pause für 20 Minuten 12:00 - 12:20 Fortsetzung um 12:20

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Ich weiß nicht wer die Leute sind, die damals zu uns gekommen sind. Sie haben Zivilkleidung getragen. Sie haben sich auch nicht vorgestellt. Sie sind aber von einer staatlichen Einrichtung. Es ist so, als sie uns festgenommen haben und eingesperrt haben, hat man uns im Austausch zum Bruder meines Mannes freigelassen. Obwohl mein Schwager dann im Gefängnis gesessen hat, sind sie weiterhin gekommen und ich bin überzeugt, dass sie uns heute auch noch suchen.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Außer diesem einen Mal, als sie uns wegen meines Schwagers festgenommen haben nicht. Wir haben nie etwas Unrechtes getan.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?

A: Nur wegen meines Schwagers. Sonst hatten wir nie Probleme.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein.

F: Gab es jemals bis zu den besagten Vorfällen auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Es gab nach unserer Festnahme noch mehrere Vorfälle, dass sie zu uns nach Hause kamen und alles durchsucht haben. Sie haben uns gedroht, dass wir sie nicht stören sollen, sonst wird uns etwas Schlimmes passieren.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten? A: Wir haben Angst, dass sie uns dieses Mal umbringen. Das nächste Mal lassen sie uns sicher nicht am Leben. Sie greifen sogar kleine Kinder an.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Ich weiß nicht wer diese Leute waren. Von welcher Behörde oder Einheit. Sie haben uns ständig bedrängt und uns ständig bedroht. Sie wollten meinen Mann eigentlich mitnehmen, dann man sie festgestellt, dass er nicht der Richtige ist und haben ihn nicht mitgenommen. Das letzte Mal vor unserer Ausreise, waren sie bei uns zu Hause, als wir nicht da waren. Ich war bei meinem Bruder und mein Mann hat gearbeitet.

F: Was meinen Sie mit "er war nicht der Richtige"?

A: Es war so, dass sie meinen Mann mit seinem Bruder verwechselt haben. Es kamen immer andere. Dann haben sie ein Foto geschickt und die Leute haben gesehen, dass sie eben den Falschen mitnehmen wollten.

F: Wurden Sie also bereits vor Ihrer Festnahme und dem Austausch verfolgt?

A: Ja. Sie kamen auch schon bevor sie uns festgenommen haben. Einmal war es so, dass mein Schwager bei uns war, sie kamen und er flüchtete über den Balkon.

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen?

A: In der Situation ist es uns nicht in den Sinn gekommen im Land zu bleiben. Mein Bruder hat uns bei der Flucht geholfen. Mir ging es damals sehr schlecht. Ich hatte Depressionen und psychischen Stress. Und wenn wir innerhalb Russlands geblieben wären, wäre es leicht gewesen für sie uns zu finden.

F: Wissen Sie über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in Ihrer Heimat Bescheid?

A: Ja, darüber weiß ich Bescheid.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die in die vom Bundesamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs schriftlich Stellung zu nehmen. Möchten Sie die Erkenntnisse des BFA Ihr Heimatland betreffend in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen dazu abgeben?

A: Ich möchte das.

Anmerkung: Die Feststellungen werden dem Vertreter ausgehändigt und eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

Angaben zum Privat- und Familienleben:

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?

A: 2012. Wann genau weiß ich nicht mehr.

F: Seit wann sind Sie in Österreich aufhältig?

A: Seit unserer Einreise 2012.

F: Hatten Sie in Österreich jemals einen gültigen Aufenthaltstitel zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: Ich war sehr viel krank und im Krankenhaus. Wenn es mir gut geht, kümmere ich mich um die Kinder. Ich werde meinen Sohn XXXX bald in den Kindergarten geben. Ich fühle mich in der Lage zu arbeiten. Mein Mann arbeitet seit wir hier sind. Mein Sohn XXXX besucht derzeit die Neue Mittelschule in Kufstein, er geht in die 3. Klasse.

F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen?

A: Nein.

F: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, falls Sie hier bleiben könnten?

A: Wir würden beide arbeiten gehen. Ich würde gerne arbeiten. Wir würden sich nicht zu Hause sitzen. Ich glaube schon, dass wir durch unsere Arbeit unsere Familie ernähren können.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Wir leben noch im Flüchtlingsheim. Mein Mann arbeitet und wir sind in der Grundversorgung.

F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?

A: Ja ich habe bereits die Unterlagen vorgelegt.

F: Haben Sie einen abgeschlossenen Deutschkurs mit mindestens dem Niveau A2? Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

A: A1 habe ich schon lange gemacht. Die Prüfung für A2 möchte ich sobald es geht wiederholen.

F: Verfügen Sie über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspricht oder haben Sie einen Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule?

A: Ich habe 8 Jahre die Schule besucht. 11 Klassen muss man absolvieren um studieren zu können.

F: Haben Sie in Österreich eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert? Wie war das Ergebnis, bzw. was resultierte daraus?

A: Das konnte ich leider noch nicht, weil ich keine Dokumente habe. Ich habe nur die Deutschkurse besucht.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

A: Nein. Mein Sohn ist Mitglied im Judoclub.

F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

A: Wie gesagt, ich war recht lange krank. Ich bin aber immer zu allen Feiertagen und Festen gegangen. Am Montag hat man uns zum Judoclub eingeladen und gesagt, man würde uns wieder einladen. Wir versuchen Kontakt zu haben mit der einheimischen Bevölkerung. Viele kennen uns auch schon.

F: Sie haben eine Unterschriftenliste mit ca 570 Unterschriften vorgelegt. Kennen Sie diese Personen alle persönlich?

A: Ja doch. Das sind Mitschüler und ihre Familien und die Lehrer. Nicht alle kenne ich, aber ich habe viele Kontakte und rede viel.

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Mein Mann hat Angehörige hier.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO - Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein.

F: Haben Sie für Ihre Kinder spezielle Asylgründe vorzutragen, oder sollen für Ihre Kinder die gleichen Asylgründe gelten, wie für Sie?

A: Ich habe als gesetzliche Vertreterin, nämlich als Mutter für meine Söhne und Tochter einen Asylantrag gestellt. Ich habe zu diesem Verfahren bereits alle Angaben in meinen Einvernahmen gemacht. Diesen Angaben habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Für meine Kinder habe ich keine eigenen Asylgründe vorzubringen. Für meine Kinder sollten die gleichen Gründe gelten wie für mich. Meine Angaben gelten auch für meine Kinder.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

A: Nein damit bin ich nicht einverstanden. Ich habe um meine Schwiegermutter Angst. Wir haben ja sonst auch noch Verwandte und wir haben Angst, dass sie wegen uns Probleme bekommen.

V: Sie werden hiermit nochmals auf Ihre Mitwirkungspflicht im Asylverfahren hingewiesen. Die Erhebungen finden unter Wahrung Ihrer Anonymität statt! Ich frage Sie daher nochmals, ob sie damit einverstanden sind oder nicht?

A: Nein ich möchte das nicht.

F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?

A: Ich möchte noch sagen, dass, wenn wir die Möglichkeit bekommen hier zu bleiben, für dieses Land nützlich zu sein. Wir können wirklich nicht zurück. Wir werden mit dem Umbringen bedroht. Ich hoffe, vor allem für meine Kinder, dass die Behörde die Entscheidung trifft, dass wir hier bleiben können. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns selbst erhalten können und unseren Lebensunterhalt selbst verdienen. Wenn wir außer Landes gebracht werden, ist es besser wenn ich hier sterbe, als zu Hause. Ich werde sich wieder versuchen mich umzubringen, ich habe keine Kraft mehr.

F: Hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?

A: Ich glaube schon, ich habe mich glaube ich an alles erinnern können und das habe ich auch alles gesagt. Bitte lassen sie uns hier bleiben - um meine Kinder willen.

Frage an den Vertreter: Wollen Sie noch etwas zu Protokoll geben?

Vertr: Nein danke."

3.3.3. Dem Einvernahmeprotokoll der Befragung der Drittbeschwerdeführerin sind folgende entscheidungswesentliche Passagen zu entnehmen:

"F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.

F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten und wenn ja, welche?

A: Nein.

F: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

A: Ich möchte nur sagen, dass ich vor der Polizei auch das mit der Demonstration erwähnt habe. Ich wollte wissen, worum es da genau ging und ich habe im Internet danach recherchiert und auch gefunden. Ich habe dort gelesen, dass Kadyrow alle Tschetschenen die nicht in der Heimat leben als Verräter sieht und dass die Verwandten dieser Leute dafür verantwortlich gemacht werden, besonderes diejenigen die an dieser Demonstration teilgenommen haben. Ich bin darüber sehr erschrocken und habe mir über meine eigenen Freunde Sorgen gemacht.

F: Ich wiederhole die Frage, ob Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht haben und Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert wurden?

A: Ich habe das Protokoll selbst gelesen. Es war alles korrekt. Ich habe auch unterschrieben. Offiziellen Dolmetscher hatten wir keinen. Mein Bruder und ich haben das gemacht.

F: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente besorgt?

A: Ja habe ich.

• Schulbesuchsbestätigung 2014/2015

• Schulbesuchsbestätigung 2013/2014

• Ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibung 2014/2015

• Jahreszeugnis 2014/2015

• Schulbesuchsbestätigung 2014/2015

• Schulnachricht 2015/2016

• Schulbesuchsbestätigung 2012/2013

• Schreiben NMS Kufstein Klassenvorstand 18.01.2016

• Schreiben Hr. Harrasser 15.01.2016

• Vorläufige Aufnahmebestätigung HLW FW Kufstein vom 16.03.2016

• Ärztliches Gesundheitszeugnis 15.01.2016

• Ärztliches Gesundheitszeugnis 24.03.2014

Erklärung: Ihre Eltern haben am 22.07.2012 für Sie zum ersten Mal beim BFA um Asyl ersucht. Dieses Verfahren wurde mit Bescheid des Asylgerichtshofs vom 02.09.2013, Zl. D7 433669-1/2013/4E in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden.

Haben Sie das verstanden?

A: Ja, das habe ich verstanden.

Erklärung: Am 13.01.2016 stellten Sie einen Folgenantrag auf internationalen Schutz bei der PI Kufstein. Sie wurden am 13.01.2016 bezüglich Ihres zweiten Asylantrages von der Polizei befragt. Können Sie sich an Ihre damaligen Angaben erinnern? Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und entsprechen diese der Wahrheit? Wollen Sie selbst zu diesen Angaben noch etwas hinzufügen oder etwas sagen, was Sie noch nicht angeführt haben?

A: Ja, ich kann mich noch daran erinnern. Meine Angaben sind vollständig, ich habe damals alles gesagt, mehr habe ich selbst nicht dazu anzuführen. Ich habe die Wahrheit gesagt. Andere Gründe gibt es nicht.

[...]

Angaben zur Person und Lebensumständen:

F: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?

A: Es war so, dass mein Vater keine ständige Arbeit hatte. Wir mussten auch ständig umziehen. Wir sind aber nicht wegen der Arbeit umgezogen, sondern weil man uns immer wieder verfolgt hat. Es sind Leute gekommen und haben uns befragt und bedroht. Ich war damals noch klein und ich hatte immer Angst deswegen. Das hat mich sehr belastet. Das war ein großer Stress. Meine Eltern haben immer dafür gesorgt, dass wir das Nötigste hatte. Aber reich waren wir nicht.

F: Was haben Ihre Eltern gearbeitet?

A: Mein Vater ist Tischler von Beruf, aber er hatte wie gesagt keine ständige Arbeit. Er hat meistens irgendwo schwarz gearbeitet. Meine Mutter hat nicht gearbeitet. Sie war bei uns zu Hause. Meine Mutter hat sich selbst das Friseurhandwerk beigebracht, aber ich würde das nicht Arbeit nennen.

F: Haben Sie in Ihrem Heimatland derzeit Angehörige, wenn ja, geben Sie eine Erklärung dazu ab, in welchem Verwandtschaftsgrad Sie zu diesen Personen stehen?

A: Ich habe nur mehr meine Großmutter und meinen Onkel, der im Gefängnis sitzt, zu Hause.

F: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z. B. Häuser, Grund?

A: Nein.

F: Unter welchen Umständen lebt Ihre Großmutter, wovon bestreitet sie ihren Lebensunterhalt, wer versorgt sie etc.?

A: Meine Großmutter ist immer bei anderen Verwandten. Sie lebt zeitweise bei diesen. Sie arbeitet nicht.

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland wieder an Ihrer Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen?

A: Nein. Wir besitzen nichts. Wir mussten immer umziehen. Ich glaube nicht dass unsere Verwandten uns aufnehmen würden. Wir sind ja schon erwachsen, wir sollten selber einen Platz zum Wohnen haben.

F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?

A: Ja meine ehemaligen Schulkameraden.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihren Freunden und Bekannten?

A: Nicht mit allen. Eher selten haben wir Kontakt.

F: Waren Sie nur in Ihrem Heimatort oder kennen Sie sich in anderen Teilen Russlands aus und wenn ja, wo haben Sie sich in Russland schon aufgehalten bzw. wohin sind Sie gereist (z.B. Verwandtenbesuche, Schulaufenthalte etc.?)

A: Nein ich war immer nur in Gudermes.

F: Inwieweit beherrschen Sie die Sprache Ihres Heimatlandes - Russland und Tschetschenien?

A:Tschetschenisch ist meine Muttersprache. Russisch kann ich gut, aber ich mache Fehler. Ich kann mich manchmal nicht so gut ausdrücken, aber ich verstehe alles. Das ist sozusagen meine zweite Sprache.

F: Inwieweit sind Ihnen die gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten Ihres Heimatlandes vertraut?

A: Gut.

Angaben zum Fluchtgrund:

F: Ihre Eltern haben bereits im Laufe Ihres ersten Asylverfahrens ausführlich für Sie Ihre Fluchtgründe dargelegt. Wollen Sie selbst zu Ihren Fluchtgründen noch etwas hinzufügen?

A: Ich habe keine Ahnung was passiert, wenn wir in die Heimat zurückkehren. Ich habe Angst um meine Eltern und meine Brüder. Sie tun uns sicher irgendetwas an.

Anmerkung: Der Vater fängt an zu weinen und verlässt den Raum. Der Vertreter holt ihn wieder zurück. Die Einvernahmeleiterin ordnet jedoch eine zehnminütige Pause an, damit sich der Vater beruhigen kann.

Pause für 10 Minuten 15:30 - 15:40

F: Hat sich seit der letzten Entscheidung der erkennenden Behörde im Jahre 2012 etwas geändert?

A: Ich glaube schon. Meine Eltern sagen mir nicht alles. Sie wollen mich nicht unnötig beunruhigen. Wenn sie zB darüber reden, dass die Leute zu uns gekommen sind und uns bedroht haben, sagen sie es mir zB nicht, damit ich mich nicht aufrege.

F: Halten Sie Ihre Fluchtgründe nach wie vor aufrecht?

A: Ja ich halte das aufrecht. Meine Eltern haben bestimmt alles dazu erzählt.

F: Aus welchen konkreten Gründen haben Sie neuerlich einen Asylantrag in Österreich eingebracht?

A: Meine Eltern haben erfahren, dass diese Leute zu meiner Großmutter gekommen sind und nach uns gefragt haben. Meine Eltern sind daraufhin sehr erschrocken und haben beschlossen erneut einen Asylantrag zu stellen.

V: Ihre dargelegten Gründe werden als nicht glaubwürdig erachtet, da Sie keine neuen Fluchtgründe vorbringen konnten und Ihr bisheriges Vorbringen bereits rechtskräftig in zweiter Instanz abgewiesen wurde. Sie haben augenscheinlich nur aufgrund einer bevorstehenden Auslandserbringung einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Was sagen Sie dazu?

A: Es ist so, dass man uns dort bedroht in der Heimat. Meine Eltern haben Angst um uns Kinder und deshalb wollen sie nicht zurück. Deshalb haben sie einen neuen Asylantrag gestellt.

V: Bei Ihrer Befragung vor der Polizei am 13.01.2016 gaben Sie an, dass Sie aus einer österreichischen Zeitung erfahren hätten, dass heimkehrende Flüchtlinge mit Gefängnisstrafe bestraft werden. Wo befindet sich dieser Zeitungsartikel?

A: Das war so, dass ich im Internet Wörter eingegeben habe:

"Demonstration, Tschetschenen, Wien". Ich habe nicht aufgepasst, wie diese Homepage heißt, wo ich das gelesen habe. Es waren viele Einträge zu diesen Wörtern. In diesen Seiten ging es eben um die Demonstration und das Kadyrow gesagt hat, dass Tschetschenen, die nicht in der Heimat sind, Verräter sind. Das mit Kadyrow habe ich von anderen Tschetschenen gehört. Das stand nicht im Internet.

F: Warum haben Sie damals diese Seiten nicht ausgedruckt? Es muss Ihnen doch bewusst sein, dass solche Informationen wichtig für Ihr Asylverfahren sind?

A: Ich kann die Seiten noch einmal suchen. Da wir keinen Drucker hatten und ich auch nicht wusste, dass es so wichtig ist, habe ich es nicht gemacht.

Vermerk: Es wird der Antragstellerin aufgetragen binnen zwei Wochen den Zeitungsartikel der erkennenden Behörde vorzulegen. Die Frist läuft ab Freitag, 1.4.2016, da dort die Einvernahme des Vaters stattfindet.

F: Warum haben Sie bei der Polizei angegeben, dass Sie die Information aus einer österreichischen Zeitung hätten?

A: Es ist auch eine österreichische Zeitung dabei. Ich kann das auch heraussuchen. In der österreichischen Zeitung ist eben über die Demonstration in Wien geschrieben worden und was Kadyrow daraufhin gesagt hat. Es waren mehrere Internetseiten wo ich diese Informationen her habe.

F: Ihre Mutter hat angegeben, dass Sie die Information über Kadyrows Aussagen aus dem Fernsehen bzw. aus einem tschetschenischen Sender im Internet haben. Sie geben an, dass Sie das von anderen Tschetschenen haben und aus dem Internet gelesen haben. Was sagen Sie dazu?

A: Das was in diesem tschetschenischen Kanal gesendet wird, wird danach in den Zeitungen geschrieben. Deswegen hat sie das gesagt.

F: Sie sehen also keinen tschetschenischen Sender im Internet an?

A: Manchmal schon.

F: Ihre Mutter hat angegeben, dass Sie auf einem bestimmten Sender im Internet die Information über Kadyrow Aussage hat. Ich frage Sie daher nochmal, woher Sie Ihre Information darüber haben?

A: Es war so, dass ich zuerst von anderen Tschetschenen davon gehört habe. Das habe ich meinen Eltern gesagt. Meine Mutter hat mir gesagt, dass sie das in diesem Kanal gesehen hätte. Danach bin ich zum Internet gegangen und habe gezielt nach dieser Information gesucht und auf mehreren Internetseiten geschrieben gesehenen.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Nein. Ich selbst werde nicht gesucht, ich werde halt aus den genannten Gründen mit meiner gesamten Familie gesucht.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?

A: Nein.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein.

F: Gab es jemals bis zu den besagten Vorfällen auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Nein, es gab nie Übergriffe auf mich und ich wurde auch selbst nie bedroht.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Ich weiß natürlich nicht genau was passieren würde. Ich habe Angst dass man uns umbringen würde oder etwas Schlimmes passiert. Ich habe ja nur meine Eltern und meine Brüder.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Nein.

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen?

A: Ich selbst war ja noch zu klein. Man hätte dafür Geld gebraucht. Ich alleine hätte ja nicht weglaufen können. Ohne meine Eltern wäre das nicht gegangen.

F: Wissen Sie über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in Ihrer Heimat bescheid?

A: Nur das was im Internet steht. Ich versuche nicht nachzuschauen, weil ich Angst habe, dass ich etwas Schlimmes lese. Dann rege ich mich darüber auf.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die in die vom Bundesamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs schriftlich Stellung zu nehmen. Möchten Sie die Erkenntnisse des BFA Ihr Heimatland betreffend in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen dazu abgeben?

A: Ja.

[...]

Angaben zum Privat- und Familienleben:

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?

A: Im Sommer 2012 glaube ich.

F: Seit wann sind Sie in Österreich aufhältig?

A: Seit meiner Einreise.

F: Hatten Sie in Österreich jemals einen gültigen Aufenthaltstitel zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: Ich lerne in der Schule. Ich wiederhole jetzt die 4. Klasse in der Hauptschule. Ich möchte in den normalen Schulbetrieb umgestellt werden. Ich habe mich an der HLW beworben. Ich wollte eigentlich eine Schneiderlehre machen, aber ich durfte nicht, weil ich keine Dokumente habe. Ich wollte auch arbeiten gehen und ins Abendgymnasium, aber das ging auch nicht, weil ich nicht arbeiten darf.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Ich bin in der Grundversorgung. Mein Vater arbeitet in der Gemeinde gemeinnützig.

F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?

A: Ich lerne Deutsch durch die Schule.

F: Haben Sie einen abgeschlossenen Deutschkurs mit mindestens dem Niveau A2? Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

A: Nein.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

A: Nein.

F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

A:Ich habe viel Kontakt zu meinen Klassenkameraden. Ich bin recht schüchtern und habe nicht viel Sprechpraxis auf Deutsch. Ich verstehe aber alles was gesprochen wird. Ich muss jetzt sowieso schnell und viel besser Deutsch lernen. Ich lese viel, weil ich, wenn ich in die HLW komme, viel besser Deutsch kennen muss, für den Unterricht.

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Ich selbst nicht, aber mein Vater hat einen Cousin der hier lebt in Wien.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO - Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

Der rechtsfreundliche Vertreter greift hier ein und übergibt das Wort dem gesetzlichen Vertreter:

A: Ich möchte das nicht, da ich Angst um meine Mutter habe (Vater fängt an zu weinen).

F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?

A: Nein, ich habe alles gesagt.

F: Hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?

A: Ja, das hatte ich. Ich hatte die Gelegenheit alles vorzubringen, was mir wichtig war.

Frage an den Vertreter: Wollen Sie noch etwas zu Protokoll geben?

Vertr: Ja.

F: Wann ungefähr fand diese Demonstration in Wien statt?

A: Ich glaube die Demonstration war am 28.12.2015. Die Antwort von Kadyrow war glaube ich am 03.01.2016. Ich kann aber noch einmal nachschauen."

3.4. Im Zuge des weiteren Verfahrens legten die Beschwerdeführer Zeitungsartikel über eine Demonstration von Exiltschetschenen in Wien sowie Unterstützungserklärungen und Deutschkursbesuchsbestätigungen vor.

3.5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheiden vom 25.05.2016 die (zweiten) Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. I 51/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013 (im Folgenden: AVG), zurück (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, nicht zu, erließ gegenüber allen Beschwerdeführern im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 70/2015, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.); schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a leg.cit. keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.).

3.5.1. Die Zurückweisung der Anträge der Beschwerdeführer begründete die belangte Behörde damit, dass entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege:

Bereits in den rechtskräftigen Entscheidungen über die ersten Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sei das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers (auf das sich die übrigen Beschwerdeführer gestützt hätten und nunmehr weiter stützten) als unglaubwürdig gewertet worden. Soweit der Erstbeschwerdeführer nunmehr fürchte, in seiner Heimat vom Militär verfolgt zu werden, stütze sich diese Angabe auf das als unglaubwürdig beurteilte Vorbringen des Erstverfahrens und sei somit ebenfalls nicht glaubhaft. Auch hätten er und die Zweitbeschwerdeführerin sich hinsichtlich der Anzahl der Besuche der Polizei bei der Mutter des Erstbeschwerdeführers Ende 2015 bzw. Anfang 2016 widersprochen. Was einen von den Beschwerdeführern ins Treffen geführten Zeitungsartikel betreffe, demzufolge der tschetschenische Präsident angekündigt habe, zurückkehrende Flüchtlinge zu inhaftieren, sei dieser bloß auf Teilnehmer an einer im Dezember 2015 in Wien stattgefundenen Demonstration (sowie deren Angehörige) bezogen. Der Erstbeschwerdeführer habe hingegen angegeben, dass weder er persönlich noch jemand aus seiner Familie oder Bekannte an dieser Demonstration teilgenommen hätten. Zudem sei in den vorgelegten Artikeln mit keinem Wort erwähnt, dass sämtliche sich im Ausland befindlichen Tschetschenen bei einer Rückkehr verfolgt würden oder deren in der Heimat verbliebenen Verwandten Repressionen befürchten müssten. Der Erstbeschwerdeführer habe auch nicht erwähnt, dass seine Mutter deshalb aufgesucht worden oder ihr etwas passiert wäre. Hinsichtlich der Rückkehrbefürchtung wegen behaupteter Verfolgung von in ihre Heimat zurückkehrenden Tschetschenen habe sich auch die Drittbeschwerdeführerin in einen Widerspruch verstrickt. Im Ergebnis habe der Erstbeschwerdeführer ausdrücklich davon gesprochen, seine Fluchtgründe - und damit auch jene der übrigen Beschwerdeführer - des ersten Asylverfahrens weiterhin aufrechtzuerhalten.

Auch hätten sich in der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer keine relevanten Veränderungen ergeben, die eine neuerliche inhaltliche Entscheidung ihrer Anträge auf internationalen Schutz erfordern würden.

Was das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Gesundheitszustand betreffe, sei festzuhalten, dass sie in Österreich mehrmals operativ behandelt worden sei und derzeit unter Bluthochdruck sowie Magen- und Schilddrüsenproblemen leide. Sie habe aber keine lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen Ihres Gesundheitszustands und stehe momentan nicht in fachärztlicher Behandlung. Zwar nehme sie derzeit Medikamente zu sich, um welche es sich dabei jedoch handle, stehe nicht fest. Sie nehme regelmäßig psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Die Zweitbeschwerdeführerin habe selbst angegeben, bei einer Rückkehr in ihr Heimatland keine Probleme bezüglich ihrer Krankheiten zu befürchten. Lediglich wegen ihrer psychologischen Stresssymptome habe sie die unbegründete Sorge, dass diese bei einer Rückkehr schlimmer werden würden. Eine psychotherapeutische Behandlung posttraumatischer Belastungsstörung und anderer psychischen Erkrankungen sei in Tschetschenien möglich. Ebenso sei grundsätzlich eine Behandlungsmöglichkeit für die vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachte Zyste im Kopf der Zweitbeschwerdeführerin gegeben; dass diese kostenintensiver als in Österreich sei, sei im Lichte der maßgeblichen Judikatur unerheblich.

3.5.2. Die Absprüche jeweils in Spruchpunkt II. der Bescheide vom 25.05.2016 begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst damit, dass alle Beschwerdeführer von derselben aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen seien und somit kein Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Familienlebens vorliege. Hinsichtlich des durch die erlassenen Rückkehrentscheidungen erfolgenden Eingriffs in das Privatleben der Beschwerdeführer nahm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Interessenabwägung mit folgenden Erwägungen vor:

Der knapp vierjährige Aufenthalt der Beschwerdeführer sei nach der Judikatur sowohl des Verwaltungsgerichtshofes als auch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte per se nicht geeignet, ein Überwiegen der persönlichen Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich über die öffentlichen Interessen an ihrer Außerlandesbringung im Zuge eines geordneten Fremdenwesens anzunehmen. Im vorliegenden Fall sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführer einen Großteil ihres Aufenthaltes illegal zugebracht hätten; der durch das Betreiben eines Asylverfahrens legalisierte Aufenthalt bemesse sich auf lediglich eineinhalb Jahre. In Hinblick auf den Erstbeschwerdeführer und seine Frau sei der Besuch von Deutschkursen allein ohne Hinzutreten weiterer integrationsverstärkender Momente nicht geeignet, die Abwägung zugunsten dieser Beschwerdeführer ausschlagen zu lassen. Die Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers beim Abwasserverband Kufstein sei als Schwarzarbeit zu werten; auch der von ihm vorgelegten Arbeitsplatzzusage komme unter Verweis auf höchstgerichtliche Judikatur keine wesentliche Bedeutung zu, zumal es ihm bei der in Aussicht gestellten Tätigkeit im Ausmaß von 20 Wochenstunden nicht möglich wäre, seine Familie zu versorgen. Sämtliche Beschwerdeführer seien auf die Grundversorgung angewiesen. Bei den ca. 570 Unterschriften für den Verbleib der Beschwerdeführer im Bundesgebiet handle es sich um "reine Gefälligkeiten" den Beschwerdeführern bekannter Personen, die keinen eindeutigen und aussagekräftigen Hinweis auf einen hohen Integrationsgrad liefere. Der Schulbesuch der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers falle bei der Abwägung zwar ins Gewicht, doch könne er den Verbleib der Familie in Österreich nicht rechtfertigen: Beide seien nämlich in einem anpassungsfähigen Alter und könnten auch in ihrem Herkunftsstaat die Schule besuchen. Auch sie hätten den Großteil ihres Lebens in Tschetschenien verbracht und könnten sich in die dortigen Gesellschaftsstrukturen weidereingliedern. Die Mitgliedschaft des Viertbeschwerdeführers und die dort geknüpften Kontakte seien nicht dergestalt, dass sie eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig scheinen ließen. Außerdem könnte der Kontakt zu Freunden und Schulkollegen fernmündlich bzw. auf elektronischem Wege aufrechterhalten werden.

3.5.3. Spruchpunkt III. der Bescheide begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl damit, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG bei einer Entscheidung nach § 68 AVG keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe. Die Beschwerdeführer seien daher zur unverzüglichen freiwilligen Ausreise verpflichtet.

3.6. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 30.05.2016 wurden den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

4. Gegen die angeführten Bescheide vom 25.05.2016 erhoben die Beschwerdeführer über ihre ausgewiesene Vertretung jeweils das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führten sie aus, dass ihre Einvernahmen am 30.03.2016 und 01.04.2016 nicht von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin der belangten Behörde, sondern einer Praktikantin durchgeführt worden sei. Damit fehle es der entscheidenden Organwalterin an unmittelbaren Eindrücken der Beschwerdeführer, weshalb eine grobe Mangelhaftigkeit des zu den angefochtenen Bescheiden führenden Verfahrens zu konstatieren sei. Das Urteil gegen den Bruder des Erstbeschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Jahren sei zu Unrecht unberücksichtigt geblieben; es ergebe sich für den Erstbeschwerdeführer daraus eine maßgebliche Gefährdung. Auch die von der belangten Behörde ins Treffen geführten Länderfeststellungen untermauerten dies. Die drohenden Äußerungen Ramsan Kadyrows gegenüber Exiltschetschenen, die an Demonstrationen teilgenommen hätten, seien auch im vorliegenden Fall relevant, in dem der Bruder des Erstbeschwerdeführers eine Haftstrafe verbüße. Die Beschwerdeführer wiesen schließlich auf ihre fortgeschrittene Integration hin.

Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.07.2016 (Erst- und Viertbeschwerdeführer sowie Drittbeschwerdeführerin), 22.07.2016 (Fünftbeschwerdeführer) und 25.07.2016 (Zweitbeschwerdeführerin) vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

Die Rechtssache wurde vorerst der Gerichtsabteilung W237 zugeteilt. Nach Unzuständigkeitseinrede erfolgte mit 28.07.2016 die Zuteilung an die nunmehr zuständige Gerichtsabteilung W196.

Am 09.11.2016 langte ein Schreiben des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Viertbeschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei den Eingaben folgende Unterlagen beigeschlossen waren:

* Kursbesuchsbestätigungen eines Deutschkurses A1.2 des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin jeweils vom 17.10.2016

* Bestätigung der Sprachdiplomprüfung A2 der Zweitbeschwerdeführerin vom 20.10.2016

* zwei Zeitungsartikel betreffend die Judoerfolge des Viertbeschwerdeführers

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage sämtlicher Anträge der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der bislang ergangenen Entscheidungen des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts, der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide vom 15.06.2016, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte, das Zentrale Melderegister, das Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zu den bisherigen Verfahren:

Die von den Beschwerdeführern erstmals im Bundesgebiet gestellten Anträge auf internationalen Schutz wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 02.09.2013 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in damals geltenden Fassung als unbegründet ab. Diese Erkenntnisse wurden den Beschwerdeführern am 04.09.2013 zugestellt.

Mit Anträgen vom 29.03.2014 begehrten die Beschwerdeführer die Wiederaufnahme ihrer Asylverfahren. Diese Anträge wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 29.10.2014 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.10.2014 zurück.

Am 13.01.2016 stellten die Beschwerdeführer ihre zweiten - gegen die angefochtenen Bescheide der belangten Behörde vom 25.05.2016 - Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer stützten ihre neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz auf die gleichen Fluchtgründe, die sie bereits im ersten Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz geltend gemacht hatten. Sie haben keine neuen Gründe vorgebracht.

In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über die Anträge inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

1.2. Zu den Beschwerdeführern:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und führen den im Spruch genannten Namen; beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um den Ehegatten der im Herkunftsstaat geehelichten Zweitbeschwerdeführerin, die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder des Ehepaars. Mit Ausnahme des in Österreich geborenen Fünftbeschwerdeführers wuchsen die Dritt- bis Viertbeschwerdeführer in der tschetschenischen Ortschaft Gudermes auf; Anfang Juli 2012 reisten sie aus Tschetschenien aus und gelangten im selben Monat auf illegalem Wege ins Bundesgebiet. Daraufhin stellten sie ihre (ersten) Anträge auf internationalen Schutz.

Der Erstbeschwerdeführer war in Tschetschenien als Tischler, Gelegenheitsarbeiter und selbständiger Monteur tätig. Er lebte mit seiner Frau und seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt mit seiner in Tschetschenien noch aufhältigen Mutter. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers wurde im April 2005 inhaftiert und mit Urteil vom 01.12.2005 zu einer 14-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. In Österreich ist er seit 15.06.2015 beim Abwasserverband Kufstein im Ausmaß von 20 Wochenstunden beschäftigt und besuchte er Deutschkurse (Niveau A1). Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat acht Jahr lang die Schule besucht, arbeitete in Tschetschenien als Verkäuferin und absolvierte eine Ausbildung zur Friseurin und übte diese Tätigkeit ein Jahr beruflich aus. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte Deutschkurse und hat die Sprachdiplomprüfung (Niveau A2) positiv absolviert. Derzeit geht die Zweitbeschwerdeführerin keiner Erwerbstätigkeit nach. Im Herkunftsland lebt die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin befindet sich in medikamentöser, jedoch nicht in fachärztlicher Behandlung. Fest steht, dass die Zweitbeschwerdeführerin unter keinen lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen ihres Gesundheitszustandes leidet. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer besuchen die Neue Mittelschule Kufstein. Der Viertbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Judoclub. Der Fünftbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren und lebt als Kleinkind mit den übrigen Beschwerdeführern im gemeinsamen Haushalt. Beim Erst- sowie den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern bestehen keine lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Krankheiten.

Bis auf den Fünftbeschwerdeführer, welcher am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren ist, haben die Erst- bis Viertbeschwerdeführer den Großteil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht.

Im Herkunftsstaat halten sich Angehörige der Beschwerdeführer auf, zu denen auch Kontakt besteht.

Im gegenständlichen Verfahren ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person der Beschwerdeführer gelegenen Umständen.

Die Beschwerdeführer stützten deren zweiten Asylanträge auf die gleichen Fluchtgründe, die sie bereits im ersten Verfahren über deren Anträge auf internationalen Schutz geltend gemacht hatten. Sie haben keine neuen Gründe vorgebracht.

In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in deren Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration der Beschwerdeführe in Österreich vorliegt. Die Beschwerdeführer leben seit Februar 2012 - sohin seit etwas mehr als viereinhalb Jahren - in Österreich. Die Beschwerdeführer beziehen seit deren Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes und leben in einem Flüchtlingsheim.

Darüber hinaus liegen keine sonstigen Hinweise auf eine besonders ausgeprägte und verfestigte Integration hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer in Österreich vor.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass die Beschwerdeführer - auch unter Berücksichtigung der vorgebrachten Erkrankungen - an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes wurde jedenfalls nicht vorgebracht.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK kamen nicht hervor.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor. Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in ihre Heimat gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.

Aus den vorgehaltenen Länderinformationen zum Herkunftsstaat geht hervor, dass adäquate medizinische Behandlungsmöglichkeiten des Krankheitsbildes der Zweitbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat bestehen.

Sämtliche Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

"Kaukasus-Emirat"

Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtete Anfang Oktober 2015, dass das Kaukasus Emirat einen neuen Anführer haben könnte. Hintergrund für diese Aussage ist ein Video, das im September auf dem Online-Videoportal YouTube gepostet wurde. Darin zu sehen war eine Gruppe von sechs maskierten, schwarz gekleideten Männern, zwei davon mit Handwaffen. Der Sprecher, der sich als Amir Muslim identifizierte, erklärte, dass er und seine Kameraden mit Gottes Hilfe "nach Hause zurückgekehrt" seien (von woher ist nicht klar), um den Jihad weiterzuführen. Er ruft seine "Brüder", die das Vilayat Nokhchiycho (der Name des Kaukasus Emirats für Tschetschenien) auch verlassen haben zur Rückkehr auf. Ebenso ergeht ein Appell an alle Muslime des Kaukasus "aus ihrem Schlummer" zu erwachen und den Kämpfern gegen den gemeinsamen Feind zu helfen. Amir Muslims Gruppe benennt Abu-Khamza Umarov (Kampfname von Akhmed Umarov, dem älteren Bruder von Doku Umarov, welcher 2007 das Emirat ausgerufen hatte und es bis zu seinem Tod 2013 führte) als seinen Anführer. Erwähnt wird im Video auch, dass Akhmed Umarov der Gruppe geholfen haben soll zurückzukehren und Leute zu finden, die sie brauchen um den Jihad zu führen (RFE/RL 7.10.2015).

RFE/RL schreibt weiter, dass Akhmed Umarov hier zum ersten Mal als Anführer des Kaukasus Emirates genannt wird. Jedoch sind an dem Video einige Dinge auffällig: erstens zeigt sich die Gruppe nicht wie normalerweise üblich im Kampfanzug, sondern schwarz gekleidet und mit verhüllten Gesichtern. Zweitens erwähnt Amir Muslim den IS in keiner Weise, weder als potentiellen Verbündeten, noch als Rivale. Und drittens erwähnt er nicht, aus welchem Land er mit seinen Männern nach Hause gekommen ist. Jedoch wird explizit erwähnt, dass es Akhmed Umarov war, der ihnen geholfen habe "nach Hause zu kommen" und "Personen zu finden, die sie brauchen". Dies könnte darauf hindeuten, dass diese "Rückkehrer" mit der Situation in Tschetschenien nicht vertraut sind und keine Kontakte vor Ort haben. RFE/RL mutmaßt hier, dass es sich um Personen handeln könnte, die während der Kriege in den 1990er Jahren Tschetschenien als Kinder verlassen haben und in Europa aufgewachsen sind (RFE/RL 7.10.2015). Denkbar wäre somit auch, dass es sich um junge Männer aus Europa handelt, die schon in Europa geboren sind.

Die Jamestown Foundation berichtete Ende Oktober 2015, dass Abu Khamza eine unerwartete Stellungnahme abgab. Abu Khamza war die letzten Jahre der Amir (Anführer) der Majlis Shura (beratendes Gremium) des Nokhchiycho Velayats außerhalb des Kaukasus Emirats. Diese Majlis Shura befindet sich in Istanbul. In seiner Stellungnahme sagte Abu Khamza, dass er nach einem Treffen der Majlis Shura beschlossen hat, zurückzutreten. Es gab Berichte, dass Abu Khamza das Vertrauen der Majlis Mitglieder verloren habe. Anders als sein Bruder Doku Umarov hatte Abu Khamza einen skandalösen Ruf unter den Tschetschenen und der nordkaukasischen Diaspora in der Türkei. Sein Rücktritt hängt mit dem oben erwähnten Video in Zusammenhang, wo eine Gruppe tschetschenischer Kämpfer ihm persönlich Treue schworen. Viele, die diese Aussage hörten, sahen darin den Versuch Abu Khamzas seinen Status von einem Repräsentanten im Ausland zum Amir des Velayat Nokhchiycho aufzusteigen. Die im Video Beteiligten wollten offensichtlich klarmachen, dass nicht alle Kämpfer vom Emirat zum IS wechselten [vgl. vorige KIs]. Dass die Gruppe im Video erklärte, dass sie auf jegliche Anweisung von Abu Khamza hören würde, war der Streitpunkt, der ihn zum Rücktritt zwang. Bemerkenswert an diesem Vorfall ist jedoch, dass es eine Gruppe Militanter, die unabhängig von Amir Khamzat (er schwor dem IS seine Treue) - auch wenn sie klein und schwach ist - geschafft hat, Tschetschenien zu infiltrieren. Nachdem die verbliebenen tschetschenischen Kämpfer unter Amir Yakub (im Dezember 2014) und Amir Khamzat (im Juni 2015) dem selbsternannten Kalifen des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi ihre Treue schworen, waren sich die meisten Analysten einig, dass alle tschetschenischen Kämpfer sich dem IS angeschlossen hätten. Abu Khamza war offensichtlich mit der Entscheidung der Kämpfer das Emirat zu verlassen nicht glücklich. Seine Initiative, eine Gruppe von Kämpfern nach Tschetschenien zu entsenden sollte wohl nicht nur die Behörden, sondern auch die abtrünnigen Kämpfer herausfordern. Mitglieder des bewaffneten islamistischen Untergrundes der Velayate von Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan und Kabardino und Karatschai betrachteten Abu Khamzas Initiative wohl mit Argwohn und forderten seinen Rücktritt. Sein Rücktritt könnte dem Kaukasus Emirat den letzten Schlag verpasst haben, wenn nicht bald ein neuer Amir in Dagestan eingesetzt wird (Jamestown 30.10.2015).

Quellen:

Kommentar:

Vorerst ist nicht ganz klar, ob das Kaukasus Emirat in der Praxis überhaupt noch existiert und falls ja, ob es einen neuen Anführer hat oder nicht. Dies scheint aber auch nicht das Wichtigste zu sein, da sowohl Kadyrows Kräfte, als auch die russischen Sicherheitsbehörden sowohl Anhänger des Emirates, als auch des IS ins Visier nehmen und sie keinen Unterschied machen, unter welcher Flagge ein Islamist kämpft. Momentan wird jegliche terroristische Aktivität als vom IS gesteuert dargestellt. Russland versucht sich damit wohl als Opfer des IS darzustellen, um seinen Militäreinsatz in Syrien zu rechtfertigen und in der internationalen Gemeinschaft wieder akzeptiert zu werden (bez. Ukraine).

Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov). Gimrinsky war der Nachfolger des im Frühling getöteten Emir des Kaukasus Emirates Aliaschab Kebekow. Bei den anderen getöteten Kommandanten handelt es sich um Said Arakansky (Kamil Saidov), dem Amir des Velayat Dagestan, und Abu Dujan (Abdulla Abdullaev), dem Amir des Gebirgssektors des Velayat Dagestan. Nun sind quasi alle Top-Anführer des Kaukasus Emirates ausgelöscht. Wie es mit dem Emirat weitergehen wird ist unklar. Ob nun ein muslimischer Kleriker oder ein Kämpfer nächster Anführer des Emirates wird ist momentan wohl zu vernachlässigen. Wichtiger erscheint, ob das Emirat als ein Teil des bewaffneten islamischen Widerstandes überhaupt überleben wird. Es könnte durchaus sein, dass das Emirat - acht Jahre nach Entstehung - als Ganzes verschwindet, denn mit dem Tod von Amir Abu Usman Gimrinsky scheint niemand mehr da zu sein, der gegen den Islamischen Staat (IS) auftreten kann. Die übriggebliebenen Mitglieder des Emirates könnten sich nun dem IS anschließen und Amir Rustam Asilderov (vom IS eingesetzter Repräsentant des Vilayat Qavqaz; vgl. vorige Kurzinfo) den Treueeid schwören. Dies wird die russische Position im Nordkaukasus wohl auch nicht verbessern, da weiterhin aufständische Kämpfer bekämpft werden müssen (Jamestown 14.8.2015, vgl. Long War Journal 11.8.2015).

Quellen:

Kommentar:

Wie es mit dem Kaukasus Emirat weitergehen wird bleibt abzuwarten. Einerseits gibt es momentan keine religiöse Figur, die zum Anführer werden könnte. Somit könnte sich auch der Rest des Kaukasus Emirates dem Islamischen Staat anschließen. Andererseits mag es wohl noch zu früh sein, das Emirat gänzlich als aufgelöst anzusehen. Es könnte nur eine Frage der Zeit sein, bis das Emirat erneut in Erscheinung tritt, da besonders junge Menschen offen für den Kampf gegen die Regierungstruppen sind.

Nachdem einige Kommandanten des Kaukasus Emirates (von Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien/Karatschai) dem IS ihren Treueeid schworen, verlautbarte am 23.6.2015 Abu Muhammad al-Adnani - Sprecher des IS - die Schaffung der Provinz Kaukasus (Vilayat Qavqaz). Diese Entwicklung ist keine große Überraschung, da seit Herbst 2014 einige der Kommandanten von Tschetschenien und Dagestan dem IS den Treueeid leisteten. Der IS-Sprecher gratulierte den "Soldaten des Islamischen Staates im Kaukasus" und richtete aus, dass der Kalif den Treueeid annimmt und Sheikh Abu Mohammad al-Qadari (Rustam Asilderov) als "Gouverneur" des Kaukasus ernennt. Dies zeugt wohl davon, dass die Kaukasusgruppe vom IS als wichtige Organisation gesehen wird, da nicht jede Gruppe, die den Treueeid leistet, auch anerkannt wird,. Natürlich ist der Ruf der tschetschenischen bzw. der nordkaukasischen Kämpfer im IS ein sehr guter. Dies dürfte wohl auch ein ausschlaggebender Punkt in der Anerkennung gewesen sein. Obwohl die "übergelaufenen" Kommandanten verlautbarten, dass "alle Mudschahedin des Kaukasus in dieser Entscheidung einig sind" haben jedoch das Vilayat Nogai Steppe und Karatschai-Tscherkessia ihre Position noch nicht öffentlich gemacht. Auch gibt es einige Anführer im Kaukasus Emirat, die sich weigern, dem IS die Treue zu schwören, wie z.B. Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov), der angeblich momentan dem Emirat vorstehen bzw. der Nachfolger von Aliaschab Kebekow (alias Ali Abu Muhammad) sein soll (siehe vorige Kurzinformation) (TOL 1.7.2015).

Bis jetzt hat die Abreise von Kämpfern aus dem Nordkaukasus nach Syrien dazu geführt, dass die Terroraktivitäten in Russland im vergangenen Jahr nachgelassen haben. Nur wenige kehrten bis jetzt zurück - in ganz Russland wurden weniger als 100 Strafverfahren gegen die Rückkehrer eingeleitet. Doch jetzt scheint sich die Lage zu verändern. Die Folgen für Russland könnten sehr ernst sein. Die Kampfmethoden könnten sich verändern (öffentliche Hinrichtungen, auch der Zivilbevölkerung). Der ehemalige Anführer der Islamisten im Kaukasus, Kebekow, sprach sich gegen brutale Aktionen gegen die Zivilbevölkerung aus und wollte sich auf die Anschläge auf russische Sicherheitskräfte konzentrieren. In den nordkaukasischen Republiken waren die Terroristen auch auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen. Doch im April 2015 wurde Kebekow getötet. Sein Nachfolger war offenbar nicht stark genug, um die Verbreitung des IS-Einflusses zu stoppen (Welt.de 25.6.2015).

Quellen:

Kommentar:

Ob dies nun wirklich das Ende des Kaukasus Emirates (geht zurück auf Dokku Umarov) sein wird, muss die Zukunft weisen. Jedenfalls verlor das Emirat seit einigen Jahren an Einfluss und zeigte Schwäche. Natürlich auch dadurch bedingt, dass die russischen Behörden hart gegen die Jamaate vorgingen und einige der Kommandanten töten konnten. Besonders die jungen Männer des (Nord)Kaukasus zeigen sich von der Ideologie des IS beeindruckt.

Der islamistische Rebellenführer Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte getötet worden. Das russische Anti-Terror-Komitee teilte am Montag mit, Kebekow sei bei dem Einsatz in der Teilrepublik Dagestan "neutralisiert" worden. Bei der Operation in Buinasksk seien zudem vier weitere Menschen, darunter zwei regionale Rebellenführer, getötet worden. Die Website Kavkaz Center, die von den Rebellen zur Veröffentlichung ihrer Erklärung verwendet wird, bestätigte den Tod des Kommandeurs der Extremistengruppe Kaukasus Emirat (Zeit Online 20.4.2015, vgl. Kavkaz Center 20.4.2015). Kavkaz Center berichtet weiter, dass der "ungleiche" Kampf in der Siedlung Gerei-Alak im Vorort der Stadt Temir Khan Shura [früherer Name der Stadt Buinaksk] in Dagestan stattfand und dass der Emir des Untsukulsky Distrikts der Provinz Dagestan Shamil Balakhani (aka Shamil Khasanov) ebenso unter den Getöteten sei (Kavkaz Center 20.4.2015).

Quellen:

* Zeit Online (20.4.2015): Islamistischer Rebellenführer Kebekow im Nordkaukasus getötet,

http://www.zeit.de/news/2015-04/20/russland-islamistischer-rebellenfuehrer-kebekow-im-nordkaukasus-getoetet-20222007 , Zugriff 21.4.2015

* Kavkaz Center (20.4.2015): Emir of Caucasus Emirate Sheikh Ali Abu Muhammad martyred, Insha'Allah, http://www.kavkazcenter.com/eng/content/2015/04/20/20064.shtml , Zugriff 21.4.2015

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Quellen:

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

Quellen:

Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig; allerdings haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der russische Ombudsmann als auch russische NGOs wiederholt Missstände im russischen Justizwesen kritisiert: Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen: Lediglich 1,1% der eingeleiteten Strafverfahren enden mit Freispruch des Angeklagten. Das geringe Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz wird durch Umfragen belegt: einer im Juli 2013 veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums zu Folge glauben nur 27% der Bevölkerung an die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Der Europarat empfahl Russland im November 2013 substantielle Reformen zur Beseitigung systemischer Defizite in der Justizverwaltung und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Großes auch internationales Aufsehen erregten zuletzt etwa die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny am 18.7.2013 zu 5 Jahren Haft wegen Unterschlagung (wurde in eine bedingte Strafe umgewandelt). Zudem wurden zahlreiche Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei einer großen regierungskritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6.5.2012 wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International betrachtet die Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene. Während seiner Präsidentschaft hatte der nunmehrige Premierminister Medwedjew versucht, Reformen des Justizwesens zu initiieren, etwa durch die Möglichkeit einer Kaution anstelle von Untersuchungshaft bei Wirtschaftsdelikten oder die Förderung von Geldstrafen und anderen alternativen Strafformen. Diese werden in der Praxis jedoch nach wie vor kaum angewandt. Anfang Juli 2013 wurde auf Initiative des russischen Unternehmens-Ombudsmanns eine Amnestie für Personen verfügt, die wegen bestimmten Wirtschaftsdelikten inhaftiert sind. Die Amnestie soll für jene gelten, die zum ersten Mal wegen Wirtschaftsdelikten verurteilt wurden und entweder den Schaden bereits gut gemacht haben oder dazu bereit sind. Experten gehen davon aus, dass bis zu 13.000 Personen von der Amnestie profitieren könnten (bis zum 28.8.2013 kamen offiziellen Angaben zu Folge effektiv 143 Personen frei). Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Annahme der russischen Verfassung im Jahr 1993, wurde im Dezember 2013 eine umfassendere Amnestie für Straftäter erlassen. Der russischen Strafvollzugsbehörde zu Folge sollen 22.700 von der Amnestie profitiert haben; knapp über 1.000 Personen sollen enthaftet worden sein. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Vorjahr auf Initiative des damaligen Präsidenten Medwedjews gestrichen worden war. Der Strafrahmen wurde von früher umgerechnet 75 auf bis zu 125.000 Euro erhöht. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen. Das in Russland geltende Anti-Extremismusgesetz sollte ursprünglich insbesondere helfen, rassistische Straftaten im Land einzudämmen. Es sind jedoch auch schon mehrere Fälle einer fragwürdigen Anwendung bekannt. Auch gegen religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong wird mit Hilfe des Anti-Extremismusgesetzes vorgegangen (Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, teilweise auch vorübergehende Festnahmen). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates drückte im Februar 2012 in einer Resolution "tiefe Besorgnis" über die missbräuchliche Anwendung des Extremismusgesetzes gegen die Zeugen Jehovas und Falun Gong aus. Verhängte Sanktionen bestehen zumeist in (niedrigen) Geldstrafen, alternativen Strafformen (soziale Arbeit) oder Bewährungsstrafen. Nach der Krim-Annexion im März 2014 ist verstärkt zu beobachten, dass die russischen Behörden unter dem Deckmantel des Extremismus-Gesetzes gegen kritische Vertreter der Krim-Tataren vorgehen. Politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs müssen sich seit einer Novellierung des NGO-Gesetzes als "ausländische Agenten" deklarieren und sind einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Anfang September 2014 waren 13 NGOs beim russischen Justizministerium als "ausländische Agenten" registriert. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (etwa die auf Wahlbeobachtung spezialisierte NGO "Golos"). Im Zuge einer Verschärfung des NGO-Gesetzes im Juni 2014 erhielt das Justizministerium das Recht, NGOs eigenständig in das Register der ausländischen Agenten einzutragen (ÖB Moskau 10.2014, vgl. US DOS 27.2.2014).

Von einer Amnestie im Dezember 2013 konnten mehrere tausend Personen profitieren (u.a. die Aktivistinnen von "Pussy Riot"), zudem begnadigte Staatspräsident Putin den seit fast zehn Jahren inhaftierten Michail Chodorkowskij. Der Druck auf andere Regimekritiker bzw. Teilnehmer von Protestaktionen hingegen nimmt zu, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015a, ÖB Moskau 10.2014).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Klanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a, S. 9).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 10.6.2013).

Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und des Antiterrorismus betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen um die meisten Behördenvertreter welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen (USDOS 27.2.2014).

Die russische Polizei genießt in der Bevölkerung wenig Ansehen und steht im Ruf, oft selbst in Kriminalität und Korruption verwickelt zu sein. Vielfach wird von Misshandlungen von Personen in Polizeigewahrsam berichtet, meist um Geständnisse zu erzwingen, die häufig die Hauptgrundlage für russ. Gerichtsurteile darstellen. Im März 2011 trat ein neues russ. Polizeigesetz in Kraft. Neben der Namensänderung ("Polizei" statt wie bisher "Miliz") sollten damit die Bürgerrechte gestärkt werden. Für die Reform des Innenministeriums hatte die russische Regierung in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 7,9 Mrd. Euro zusätzlich im Budget eingeplant. In dieser Summe sind auch höhere Gehälter enthalten, die Polizisten korruptionsresistenter machen sollen. Im selben Zeitraum sollte die Zahl der Beamten um ca. ein Drittel reduziert werden. Ein großer Teil der beim EGMR eingehenden Beschwerden gegen die Russische Föderation betreffen das Exekutiv- und Strafvollzugssystem (ÖB Moskau 10.2014).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden. Insgesamt ist der sicherheitspolitische Aufwand für Russland im Nordkaukasus gewaltig, und die Verluste sind hoch (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Es gibt jedoch zahlreiche glaubwürdige Berichte, dass Exekutivbeamte in Fälle von Folter, Misshandlung und Gewaltanwendung zum Erzwingen von Geständnissen verwickelt sind, und es gab Vorwürfe, dass die Regierung Beschuldigte nicht konsequent zur Verantwortung zieht. Folter ist nicht gesetzlich definiert, daher können verdächtigte Polizisten von der Staatsanwaltschaft nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt werden. In den Nordkaukasuskonflikt involvierte Regierungsbeamte foltern und misshandeln Berichten zufolge Zivilisten und Konfliktteilnehmer. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Streitkräfte und Polizeieinheiten misshandeln sowohl Rebellen als auch Zivilisten in Anhaltezentren.

Menschenrechtsgruppen weisen darauf hin, dass die körperliche Misshandlung von Frauen in der Region Nordkaukasus zunimmt. Das Niederbrennen von Häusern mutmaßlicher Rebellen wird Berichten zufolge fortgesetzt. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet (USDOS 27.2.2014).

Ein Drittel der beim Ombudsmann für Menschenrechte eingehenden Beschwerden beziehen sich auf polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen. Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015).

2014 gingen weiterhin Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen aus dem ganzen Land ein. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben (AI 25.2.2015).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Nach einer Novellierung des NGO-Gesetzes werden politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs als "ausländische Agenten" deklariert und einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (ÖB Moskau 10.2014).

Auch Zivilgesellschaftlich engagierte Bürgerinnen und Bürger mussten 2014 weiterhin mit Schikanen, öffentlichen Angriffen, Verleumdungen und in einigen Fällen auch mit Strafverfolgung rechnen. Das gesamte Jahr über wurden unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen mit Hilfe des sogenannten Agentengesetzes unter Druck gesetzt. Das 2012 eingeführte Gesetz verpflichtet NGOs, die Gelder aus dem Ausland erhalten und nicht näher definierten "politischen Aktivitäten" nachgehen, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren und ihre Publikationen dementsprechend zu kennzeichnen. 2013 und 2014 mussten Hunderte von NGOs unangekündigte offizielle "Inspektionen" über sich ergehen lassen, Dutzende sahen sich zu langwierigen Gerichtsverfahren gezwungen, um sich gegen die Registrierung zur Wehr zu setzen (AI 25.2.2015). Im Mai 2014 wurde das Gesetz dahingehend geändert, dass das Justizministerium NGOs auch ohne ihre Zustimmung als "ausländische Agenten" registrieren kann (AI 25.2.2015, vgl. Gannuschkina 3.12.2014). Bis Ende 2014 waren 29 NGOs auf diese Weise registriert worden, darunter mehrere führende Menschenrechtsorganisationen. Mindestens fünf NGOs beschlossen aufgrund dieser Schikanen, sich aufzulösen. Mitglieder der NGO Ekovakhta (Umweltwacht Nordkaukasus), die Umweltschäden im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi dokumentierten, wurden im Vorfeld des Sportereignisses unentwegt von Sicherheitsbeamten schikaniert. Die beiden Mitglieder Jewgeni Witischko und Igor Chartschenko wurden wegen haltloser Vorwürfe festgenommen und während der Eröffnung der Spiele in Gewahrsam gehalten. Jewgeni Witischko verlor während seiner Haft ein Berufungsverfahren, bei dem es um unverhältnismäßige Anklagen ging, die ihn und seine NGO zum Schweigen bringen sollten. Er wurde zur Verbüßung einer dreijährigen Freiheitsstrafe umgehend in eine Strafkolonie verbracht. Im März 2014 musste Ekovakhta auf Anweisung eines Gerichts alle Tätigkeiten vorübergehend einstellen. Im November verfügte eine weitere Gerichtsentscheidung die Auflösung der NGO wegen eines geringfügigen formalen Verstoßes. Das Justizministerium beantragte vor Gericht die Schließung der Organisation Memorial Russland, die als Dachorganisation für die russischen Gesellschaften von Memorial fungiert. Beanstandet wurden vermeintlich fehlerhafte Registrierungen. Die Anhörung wurde verschoben, weil sich die NGO um eine Berichtigung der Registrierung bemühte (AI 25.2.2015).

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Art-Gruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Menschenrechtsverteidiger beklagen zum Teil erhebliche Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der gestiegene Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und Opposition. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 11.2014a).

In einigen Bereichen gibt die Menschenrechtslage in Russland weiterhin Anlass zu Kritik. Grundlegende Rechte wie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit werden nicht immer in vollem Umfang gewährt; Journalisten und Menschenrechtsverteidiger haben mit Behinderungen bei ihrer Arbeit zu kämpfen und sind in manchen Fällen sogar Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt. Während es zahlreiche unabhängige Radiosender, Printmedien, Online-Portale und Buchverlage gibt, übt der Staat besonders auf das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen beträchtlichen Einfluss aus. Zudem haben staatliche Stellen in der Vergangenheit wiederholt Gesetze gegen Extremismus, zur Regulierung von NGOs und allgemeine Steuergesetze angewendet, um Druck auf unabhängige Medien auszuüben. In der Folge von teils gewalttätigen Protesten im Mai 2012 wurden eine Reihe legislativer Maßnahmen, durch welche die Tätigkeit der politischen Opposition erschwert wird, angenommen. Anfang Juni 2012 unterzeichnete Präsident Putin eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts. Das neue Gesetz sieht u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für die Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor, enthält ein Vermummungsverbot und andere Einschränkungen (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Bei Operationen von Sicherheitskräften u.a. in Dagestan, Kabardino-Balkarien und Tschetschenien kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrigen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen (AI 25.2.2015, vgl. HRW 29.1.2015). Am 4.12.2014 griffen bewaffnete Kämpfer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny mehrere Regierungsgebäude an und töteten dabei mindestens einen Zivilisten und 14 Polizeibeamte. Am nächsten Tag kündigte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow öffentlich an, man werde die Angehörigen der bewaffneten Männer des Landes verweisen und ihre Häuser zerstören. Mindestens 15 Häuser mit Dutzenden von Bewohnern, darunter kleinen Kindern, wurden niedergebrannt oder zerstört. Als Menschenrechtsverteidiger am 11.12.2014 in einer Pressekonferenz in Moskau dieses Vorgehen verurteilten und eine Untersuchung forderten, wurden sie mit Eiern beworfen. Über soziale Medien warf Ramsan Kadyrow dem Leiter der Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group, Igor Kalyapin vor, er unterstütze Terroristen. Am Abend des 13.12.2014 wurde bei einem mutmaßlich durch Brandstiftung verursachten Feuer das Büro der Organisation in Grosny zerstört. Am Tag danach hielten Polizisten zwei Mitarbeiter ohne Erklärung mehrere Stunden lang fest, führten Leibesvisitationen durch und konfiszierten ihre Mobiltelefone sowie mehrere Fotoapparate und Computer. Den Opfern von Menschenrechtsverletzungen standen nach wie vor praktisch keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung, da die Strafjustiz weiterhin nicht effektiv arbeitete und von höchster politischer Stelle - zumeist heimlich - unter Druck gesetzt wurde. Präsident Kadyrow übte jedoch auch offen Kritik an tschetschenischen Richtern und Geschworenen, wenn sie in Strafverfahren Urteile verhängten, die seiner Ansicht nach zu mild ausfielen. Über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, war weiterhin schwierig und gefährlich. Man geht davon aus, dass viele Vorfälle nie öffentlich gemacht wurden. Menschenrechtsverteidiger, unabhängige Journalisten und Rechtsanwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen befassten, wurden häufig von Polizeikräften oder unbekannten Personen bedroht und schikaniert (AI 25.2.2015).

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Der islamistische Widerstand in Tschetschenien ist in drei Gruppen geteilt. Eine versteckt sich an der Grenze zu Inguschetien, wird vom Emir Khamzat kommandiert und in diesem Gebiet konnte sich der frühere Emir des Kaukasus Emirates Dokku Umarow sieben Jahre lang verstecken. Er soll das Gebiet nie verlassen haben. Die zweite Gruppe versteckt sich im Vedenskiy Distrikt und wurde von den Brüdern Muslim und Hussein Gakajew angeführt, die im Jänner 2013 bei einer Militäroperation getötet wurden. Neuer Kommandant ist Amir Mahran. Momentan gibt es zu dieser Gruppe keine Informationen, außer dass sie existiert. Sie hat in letzter Zeit keine Aktionen ausgeführt. Die dritte Gruppe versteckt sich in den bergigen Wäldern an der Grenze zu Dagestan. Emir Aslanbek ist ihr Kommandant. Er nahm schon am Ersten Tschetschenienkrieg teil und ist ein sehr erfahrener Kämpfer. Diese Gruppe operiert in Dagestan und untersteht dem Emir von Dagestan. Neben diesen drei Gruppen, die das tschetschenische Vilayat bilden, gibt es kleine Gruppen junger Männer, die zwar behaupten, Teil der jihadistischen Struktur zu sein und dem Emir Tschetscheniens zu unterstehen, was aber nicht stimmt. Diese kleinen Gruppierungen und weitere Individuen, deren Motivation die jihadistische Ideologie ist, sind fähig, Schießereien oder kleinere Bomben zu legen. Sie wenden sich - wie auch die jihadistischen Kämpfer des Emirates hauptsächlich gegen Polizisten, Mullahs und Beamte und nicht gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, bei der 14 Polizisten ums Leben kamen, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

Quellen:

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Regierung hat in die Renovierung der oft arg heruntergekommenen Gefängnisse investiert und durch Amnestien die Zahl der Insassen der bislang meist total überfüllten Gefängnisse reduziert (im Juni 2014 befanden sich offiziellen Daten zu Folge in Russland 676.000 Personen in Haft - im Jänner 2011 waren es noch knapp 750.000). Allerdings entsprechen die Haftbedingungen im Hinblick auf Verpflegung und medizinische Versorgung der Häftlinge sowie hygienische Einrichtungen nicht immer allgemein anerkannten Mindeststandards. In Jugendhaftanstalten und in Untersuchungsgefängnissen sind die Haftbedingungen besonders harsch. Weder während noch nach der Haft gibt es Rehabilitierungsprogramme, so dass die Rückfallquote von Straftätern im internationalen Vergleich hoch ist. NGOs kritisieren, dass Besuche internationaler Beobachter nur in ausgewählten Gefängnissen zugelassen werden, die insgesamt nicht repräsentativ seien. Offiziellen Angaben zu Folge kamen 2012 in russischen Gefängnissen insgesamt 4.121 Gefangene ums Leben. Gelegentlich werden Vorfälle bekannt, in denen Häftlinge angesichts schlechter Haftbedingungen revoltieren (im Juni 2013 kam es im Rahmen eines Protestes zur kollektiven Selbstverletzung von ca. 40 Häftlingen in einer Strafkolonie in Irkutsk; im März 2014 schnitten sich 30 Häftlinge in einem Gefängnis im Gebiet Bryansk die Pulsadern auf) (ÖB Moskau 10.2014).

Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Eine unabhängige Kontrollkommission dokumentierte wiederholt Hinweise auf Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen in der auch als Untersuchungsgefängnis dienenden Gefängniskolonie IK-5 in der Region Swerdlowsk. Im Juli 2014 forderten Kommissionsmitglieder die Behörden auf, Foltervorwürfen nachzugehen, die der Untersuchungshäftling E. G. erhoben hatte, und legten als Beweismittel Fotos seiner Verletzungen vor. In einer schriftlichen Antwort teilte die Staatsanwaltschaft mit, eine Befragung des Personals von IK-5 und eine Durchsicht der Verwaltungsunterlagen habe ergeben, dass in der Gefängniskolonie keine Gewalt gegen E. G. angewendet worden sei und die Verletzungen aus der Zeit vor seiner dortigen Inhaftierung stammten. Weitere Ermittlungen wurden nicht eingeleitet (AI 25.2.2015).

Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnissen der Beschuldigten aufbauen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015, CPT 24.1.2013). Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Religion in Tschetschenien

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2014). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

Im Jänner 2014 berichtete Caucasian Knot, dass durch Sicherheitskräfte in Tschetschenien junge Menschen auf der Straße angehalten und einvernommen wurden. Die Sicherheitskräfte sollen hier auf Männer mit Bärten und Frauen in Hidschab abgezielt haben, da diese als dem radikalen Islam zugehörig angesehen werden. Die Sicherheitskräfte sagten, dass dies als präventive Maßnahme zu sehen sei. Nicht nur in Grosny, auch in anderen Städten Tschetscheniens unternahmen Sicherheitskräfte "Anti-Wahabismus Razzien" und kontrollierten Handys von jungen Männern und Frauen. Menschenrechtsorganisationen haben keine Beschwerden über gesetzwidrige Handlungen in diesem Zusammenhang erhalten (Caucasian Knot 16.1.2014, vgl. DIS 1.2015, ACCORD 1.7.2014).

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

Quellen:

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung sind gesetzlich gewährleistet und gelten für alle Staatsbürger der Russischen Föderation einschließlich, Tschetschenen, Dagestaner, Inguschen etc. Alle erwachsenen Staatsbürger müssen bei Inlandsreisen behördlich ausgestellte "Inlandspässe" mit sich führen und müssen sich nach ihrer Ankunft bei den lokalen Behörden registrieren. Personen ohne Inlandspass oder ohne ordentliche Registrierung werden von Behörden oft staatliche Dienste verwehrt. Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein. Personen mit dunklerer Hautfarbe aus dem Kaukasus oder afrikanischer oder asiatischer Herkunft werden oft zur Überprüfung ihrer Dokumente herausgegriffen. Es gab glaubhafte Berichte, dass die Polizei nicht registrierte Personen willkürlich und über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus strafte oder Bestechungsgelder verlangte (US DOS 27.2.2014, vgl. AA Bericht 10.6.2013, FH 28.1.2015).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 10.6.2013).

Quellen:

Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12.2011, vgl. AA 10.6.2013).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Volgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Volgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Volgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Volgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Volgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Volgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. SOVA gab an, dass die Haltung gegenüber Personen aus dem Nordkaukasus negativer wird. Russen haben verschiedene Gründe, warum ihnen Personen aus dem Nordkaukasus unbehaglich seien:

Diese werden als anders oder als gewalttätig betrachtet, oder man hat Angst vor terroristischen Aktivitäten. In großen Städten werden sie zudem als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Gemäß SOVA gab es seit 2008 einen Rückgang rassistisch motivierter Übergriffe. 2008 fielen 116 Personen rassistisch motivierten Morden zum Opfer, 2011 waren es 23. 2007 hatte es 623 Berichte über rassistisch motivierte Übergriffe gegeben, 2011 waren es 183. Die meisten Opfer stammten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus lagen bei den Opferzahlen an zweiter Stelle. Wenngleich die Berichterstattung über solche Verbrechen lückenhaft ist, kann dennoch aufgrund der von der Organisation gesammelten Information von einem tatsächlichen Rückgang von Hassverbrechen ausgegangen werden. Der Rückgang der Zahlen liegt gemäß SOVA daran, dass der Druck der Behörden auf Neonazi-Gruppen erhöht wurde und dass diese Gruppen nunmehr eher auf politischer Ebene partizipieren. 2011 wurden 189 Personen für gewalttätige Hassverbrechen verurteilt (2010: 297, 2009: 130). Gemäß der Chechen Social and Cultural Association ist die negative Stimmung nicht nur gegen Tschetschenen, sondern gegen Personen aus dem Kaukasus insgesamt gerichtet. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner. Mehrere Quellen gaben an, dass Tschetschenen heutzutage weniger oft für Personenkontrollen herausgegriffen werden, als etwa Zentralasiaten. Zumindest gelegentlich kommt es nach Aussage mehrerer Quellen vor, dass Tschetschenen Drogen oder Waffen untergeschoben werden, um einen Strafrechtsfall zu fabrizieren. Jedoch kommen solche Fälle falscher Anschuldigungen weniger oft vor als vor einigen Jahren und sind nicht systematisch; betroffen von solchen Praktiken sind nicht nur Tschetschenen. Mehreren Quellen zufolge finden nur sehr wenige Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst und bei der Polizei (DIS 8.2012).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

Quellen:

Gefälschte Dokumente

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Der Anteil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung entsprach zuletzt 75,7 Millionen Menschen bzw. etwa 53% der Gesamtbevölkerung des Landes. Der vorwiegende Teil der arbeitenden Bevölkerung ist in großen und mittelständischen Unternehmen beschäftigt, die nicht dem Kleinunternehmertum zugerechnet werden. Das höchste monatliche Durchschnittseinkommen wird in Moskau (RUB 58.400 / USD 1702) und in den erdöl-und erdgasfördernden autonomen Gebieten registriert: in Nenetz und Jamalo-Nenetz (RUB 64.600 / USD 1884), Autonomes Gebiet Chanty-Mansijskij (RUB 55.400 / USD 1615), die Republik Sacha (Jakutien) (RUB 45600 / USD 1330), die autonome Region der Tschuktschen (RUB 50.800 / USD 1481, Sankt Petersburg (40.500 RUB / USD 1180) und die Region Moskau (35.700 RUB / 1040 USD). Die niedrigsten Durchschnittseinkommen werden in den südlichen Bundes-Distrikten (einschließlich Adygea, Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karachaevo-Tscherkessien, Nord-Ossetien-Alania, Tschetschenien und Stavropol Krai etc.) verzeichnet (17.900 / USD 522) (IOM 6.2014).

Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 62 in 2015. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum 2014. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an (GIZ 2.2015b).

Quellen:

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80 % von Moskau finanziert (GIZ 3.2015a).

Mit der Schaffung des "Nord-Kaukasus Distrikts", der Annahme eines umfangreichen Programmes für die sozioökonomische Entwicklung und der Betrauung von Wirtschaftsfachleuten mit hohen politischen Funktionen in der Region verfolgt Moskau seit Anfang 2010 einen umfassenderen Ansatz zur Stabilisierung der nordkaukasischen Republiken. Anstatt den Fokus auf Sicherheitsaspekte im engeren Sinn zu legen und die nordkaukasischen Republiken durch Transferzahlungen in finanzieller Abhängigkeit zu halten, gehen die geplanten Maßnahmen in Richtung einer strukturellen und nachhaltigeren Konsolidierung. Der damalige PM Putin hat am 6.9.2010 eine Strategie zur Entwicklung des Nordkaukasus bis 2025 signiert. Die Strategie kombiniert föderale Programme und private Geschäftsprojekte und soll bis zu 400.000 Arbeitsplätze schaffen. Im Wirtschaftsbereich sollen vor allem die Bau-, die Energie-, die Agrar- und die Tourismusbranche gefördert werden. Insgesamt wurden Projekte mit dem Gesamtwert von 600 Mrd. Rubel (ca. 15 Mrd. Euro) gebilligt. Als Teil dieses Programmes wurden im Rahmen einer Sitzung der Kommission für sozio-ökonomische Entwicklung im Nordkaukasus Anfang Mai 2011 von der russ. Regierung 30 vorrangige Investitionsprojekte für die Region ausgewählt. Für diese sollen 145 Mrd. Rubel (3,5 Mrd. Euro) zur Verfügung gestellt werden. Am 12.5.2014 wurde der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk, Alexander Chloponin, durch den bisherigen Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikow, ersetzt. Experten werteten diese Personalrochade als Stärkung der Sicherheitsstrukturen in den Beziehungen zur Region. Darüber hinaus wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen. Dieses wird vom früheren Gouverneur der Region Krasnojarsk Lew Kuznetsow geführt und soll sich v.a. mit wirtschaftlichen Fragen und der Verteilung von Budgetmitteln befassen. Die Situation im Nordkaukasus bleibt in bestimmten Gebieten angespannt. Dies ist auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen: niedriger Grad wirtschaftlicher Entwicklung, verlorenes Vertrauen in die Politik Moskaus sowie ethnische Rivalitäten. Hinzu kommen noch regional spezifische Strukturen und Probleme. Im Nordkaukasus herrscht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht zwischen russischen Truppen, kremltreuen lokalen Einheiten, islamistischen Rebellen und kriminellen Banden. Russische Menschenrechtler beklagen, dass die Staatsmacht im Nordkaukasus schwach ist und alle möglichen Gruppierungen in dieses Vakuum vorstoßen (ÖB Moskau 10.2014).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen:

dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau. Renten- und Krankenversicherungsbeiträge wurden 2011 angehoben (GIZ 2.2015c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

Renten

In der Russischen Föderation leben 37,8 Millionen Rentner (28% der Gesamtbevölkerung). Ihr hauptsächliches Einkommen besteht in einer Altersrente. Alle russischen Staatsbürger, die in Besitz einer Rentenversicherung sind, haben einen staatlich garantierten Anspruch auf den Erhalt einer Rente. Es gibt verschiedene Rentenformen:

Die derzeitige Rente besteht aus einem Basisanteil von 3.910,34 RUB/Monat (ca. 115 USD). Für Rentner, die älter als 80 Jahre sind, in den nördlichen Regionen Russlands gearbeitet haben und einige andere Kategorien gibt es einen etwas erhöhten Basisanteil. Zusätzlich gibt es auch einen Versicherungsanteil und einen Akkumulationsanteil. In manchen Regionen, die über ausreichende Finanzmittel verfügen, gibt es zusätzliche Unterstützung, so z.B. in Moskau. Manche Regionen bieten in Form von Dienstleistungen zusätzliche Hilfe an (z.B. kostenfreie Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs am Wohnort, Steuervergünstigungen, Vergünstigungen auf Medikamente sowie medizinische und orthopädische Dienstleistungen und anderes). Im Regelfall entrichten die Arbeitgeber den Beitrag an die Rentenversicherung für den jeweiligen Arbeitnehmer. Die Höhe des o. g. Basisanteils und des Versicherungsanteils wird staatlich festgelegt; der Akkumulationsanteil obliegt der Kontrolle durch den Rentenversicherten. Der Akkumulationsanteil wurde im Jahr 2002 eingeführt und spielt lediglich für Staatsbürger eine Rolle, die 1967 oder später geboren wurden. Am 1. April 2014 betrug die durchschnittliche Altersrente 11.600 RUB (ca. 388 USD) in ganz Russland. Eine Altersrente kann gewährt werden, wenn die betreffende Person mindestens 5 Jahre durchgehend versicherungspflichtig gearbeitet hat (IOM 6.2014).

Wohnungswesen

Die Wohnsituation in der Russischen Föderation ist im Allgemeinen als schwierig zu bezeichnen. Die durchschnittliche Wohnfläche in einem Haus oder einer Wohnung liegt bei 19-20 m² pro Person (2-3mal weniger als in entwickelten europäischen Ländern). Diese Art der Unterkunft steht Statistiken zufolge jedoch weniger als 50% der Bevölkerung zur Verfügung. 2,5 Millionen Familien warten gegenwärtig auf eine staatliche Unterbringung in neuen größeren Unterkünften. Es wird darauf hingewiesen, dass die Wartezeiten bis zum Erhalt einer Unterkunft im Rahmen eines Sozialprogramms bei 15-20 Jahren liegen können. Anspruchsberechtigt sind Personen mit bestimmten Erkrankungen, Personen, die auf weniger als 10m² leben (die Größe kann von Region zu Region variieren), Familien mit 4 und mehr Kindern etc. (IOM 6.2014).

In der Russischen Föderation wird die Idee des Sozialwohnungswesens verfolgt:

Aufgrund schnell steigender Wohnraumpreise hat die breite Öffentlichkeit Schwierigkeiten, die Kosten mit dem durchschnittlichen Einkommen zu decken. Je nach Region variieren die Wohnraumpreise erheblich. Die teuerste Region ist die Stadt Moskau, gefolgt von St. Petersburg, Jekaterinburg, Sotschi und weiteren Städten mit gutem Wirtschaftsklima und guten Arbeitsmöglichkeiten (IOM 6.2014).

Arbeitslosigkeit

Jeder Arbeitslose (außer Schülern, Studenten und Rentnern) kann einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellen. Um die Arbeitslosenhilfe zu erhalten, müssen russische Staatsbürger bei den Beschäftigungszentren des Bundesarbeits- und Beschäftigtendienstes ("Rostrud") an ihrem Wohnort (entsprechend dem Meldestempel im Pass) gemeldet sein. Die Arbeitsagentur wird dem Arbeitsuchenden innerhalb von 10 Tagen nach der Übermittlung seiner Dokumente entsprechende Stellen anbieten. Nimmt der Arbeitsuchende keine der angebotenen Stellen an, erhält er den Arbeitslosen-Status und die Arbeitslosenhilfe wird für ihn berechnet. Die Beihilfe wird auf Basis des Durchschnitts-Einkommens berechnet, das die Person während der letzten Beschäftigung bezogen hat; die Beihilfe ist jedoch begrenzt durch ein Minimum und ein Maximum, das durch die Russische Gesetzgebung festgelegt wurde. Seit 2009 liegt die minimale Beihilfe bei RUB 850 (25 USD) im Monat und das Maximum bei RUB 4.900 (143 USD). Die Beihilfe wird monatlich gezahlt, vom ersten Tag der offiziellen Anerkennung der Arbeitslosigkeit (IOM 6.2014).

Quellen:

Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Die kostenlose Versorgung soll folgende Bereiche abdecken:

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 2.2015c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In die Modernisierung des Gesundheitswesens werden erhebliche Geldmittel investiert. Ziel ist es, die staatliche Gesundheitsversorgung technisch und verwaltungsmäßig so effizient zu machen, dass sie ab 2015 weitgehend durch die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden kann (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 1.4.2015b).

Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2014).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit 7 föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und 12 Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 2.2015c).

Quellen:

Tschetschenien

Angaben liegen nur für die tschetschenische Hauptstadt vor: Im Rahmen der Durchführung des vorrangigen nationalen Projekts "Gesundheitswesen" finden in fast allen medizinischen Einrichtungen der im Krieg zerstörten Stadt Grosny Wiederaufbauarbeiten statt. Bereits 27 medizinische Einrichtungen sind wieder an die Wasserversorgung angeschlossen. Renovierungs- und Bauarbeiten werden in den städtischen Krankenhäusern Nr.1 und Nr.5, in dem Kinderheim Nr.1, in dem Kinderkrankenhaus Nr.2, im Geburtskrankenhaus Nr.2 und den Kinderpolykliniken Nr.1 und Nr. 5 durchgeführt. Aus Mitteln des republikanischen Haushalts werden die Wiederaufbaumaßnahmen im Klinischen Krankenhaus Nr.3 und in den Polykliniken Nr.1, 3, 4 und 5 finanziert (IOM 6.2014).

Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch, aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012). Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Natürlich ist die Gesundheitsversorgung noch nicht auf europäischem Niveau, aber es wird intensiv daran gearbeitet, zumindest die Standards der Russischen Föderation zu erreichen. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.6 Medikamente). Auf die faktische Zuzahlung durch die Patienten muss hingewiesen werden (AA 11.2014a).

Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen und folgende Quellen: AA Bericht 10.6.2013, US DOS 27.2.2014, FH 28.1.2015). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten PTBS

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (International SOS 7.11.2014). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (International SOS 11.3.2015) und Dagestan z.B. im Republican Psychiatric Dispancery, Shota Rustaveli Str. 57B, Machatschkala (International SOS 12.1.2012).

In der Republik Inguschetien gibt es keine psychiatrischen Kliniken (mit Betten). Es gibt aber eine psychoneurologische Poliklinik in Nazran, wo die Registrierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen begrenzt ist. In der Regel gibt es an den örtlichen Polikliniken nur wenige Psychologen / Psychiater. Die Qualität der Dienstleistungen wird als zweifelhaft beschrieben. Junge qualifizierte Ärzte wollen in der Psychiatrie aufgrund der niedrigen Löhne nicht praktizieren und wählen deshalb besser bezahlte Arbeitsplätze. Aufgrund dessen werden die Patienten von älteren Ärzten mit veraltetem, bzw. überholtem Wissen behandelt (Landinfo 26.6.2012).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

HIV/AIDS und Hepatitis C sind in der Russischen Föderation behandelbar, beispielsweise im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment, 179, Naberezhnaya Obvodnogo kanala/12, Bumazhnaya str. in St. Petersburg (International SOS 27.5.2014). In Moskau ist HIV/AIDS z.B. im Infectious Hospital # 2, 15, 8th Street of Sokolinoy Gori behandelbar (International SOS 11.2.2014). Multiresistente Tuberkulose ist beispielsweise im Central Research Institute of Tuberculosis, 2 Yauzskaya Alleya in Moskau behandelbar (International SOS 11.2.2014).

Quellen:

Medikamente

Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt:

a) In ambulanten Kliniken, städtischen und Gebietskrankenhäusern sowie im Falle einer Behandlung zu Hause, auf Kosten des Patienten; ausgenommen sind Personen, die einer der Kategorien angehören, die einen Anspruch auf staatlich finanzierte Medikamente haben.

b) In 24-Stunden-Krankenhäusern und Tageskliniken werden die Ausgaben von der staatlichen Krankenversicherung (OMS) und den lokalen Budgets gedeckt. Dies bedeutet, dass Medikamente kostenlos an entsprechend pflichtversicherte Patienten herausgegeben werden.

c) im Rahmen einer Notfallversorgung sind die benötigten Medikamente kostenlos; nicht nur innerhalb einer Klinik, sondern auch außerhalb (IOM 6.2014).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter 3 Jahren, Kinder unter 6 Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung (IOM 6.2014). Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt. Die Preise für Aspirin-Tabletten in Moskauer Apotheken liegen beispielsweise zwischen 40 (ca. 1,28 USD) und 180 RUB (ca. 5,80 USD) (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Die Abschiebung von russischen Staatsangehörigen aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Abschiebung geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rückübernahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Personen von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Gemäß Rückübernahmeabkommen muss die Rückstellung 10 Tage vor Ankunft in der Russischen Föderation den russischen Behörden mitgeteilt werden. Wenn die rück zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation wird den Abgeschobenen von einem Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdiensts der Russischen Föderation ein Fragebogen ausgehändigt. Das Ausfüllen dieses Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. Darin werden u.a. Fragen zum beabsichtigten Wohnsitz in Russland gestellt, zum Grund des Verlusts des Reisedokuments und ob man in dem Land, aus dem man abgeschoben wurden, ordentlich behandelt wurde. Dieser Fragebogen dient laut Auskunft der russischen Seite dazu, die lokalen Stellen des Föderalen Migrationsdienstes am Ort des beabsichtigten Wohnsitzes zu informieren, dass eine Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Rückübernahme stattgefunden hat und somit nicht nochmals erforderlich ist. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Abschiebung informiert wird und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Informationen zur weiteren Situation von Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation liegen der Botschaft nicht vor. Im November 2012 wurde ein per Sammelflug aus Österreich abgeschobener Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug abgeschobener, Tschetschene in Grosny inhaftiert. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern (freiwilligen Rückkehrern und Abgeschobenen) wird darauf hingewiesen, dass die der Botschaft vorliegenden Informationen sich in erster Linie auf Rückkehrer nach Tschetschenien beziehen. Laut einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung sind "in Tschetschenien alle gefährdet, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren". Von anderer Seite wurde berichtet, dass Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein können. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit (laut offiziellen Quellen lag diese im Mai 2014 bei 22,8%), die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal würden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien könne nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt. Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei". Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen (ÖB Moskau 10.2014). Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden (AA 10.6.2013).

Quellen:

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person, zum Leben, zur Schulbildung zur vorhandenen Existenzgrundlage im Herkunftsstaat, zur Herkunft, zu den Familienangehörigen sowie zu den Aufenthaltsorten der Angehörigen (Eltern, Geschwister, Cousin) und zum bestehenden Kontakt der Beschwerdeführer zur Familie sowie zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit sowie zu ihren Leben in Österreich ergeben sich aus dem bezüglich dieser Feststellungen widerspruchsfreien und daher glaubwürdigen Vorbringen der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesamt. Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zu illegalen Einreise nach Österreich und zur Antragstellung zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der Beschwerdeführer ergeben sich ebenso dem Akteninhalt, insbesondere aus den Bescheiden des Bundesasylamtes vom 25.02.2013, vom 02.05.2013, den Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.09.2013 sowie aus den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.10.2014.

Dass die Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren bezüglich ihrer Anträge auf internationalen Schutz keine neuen Gründe geltend machten, sondern sich hierbei nur auf jene bereits im Erstverfahren geltend gemachten Gründen gestützt haben, ergibt sich sowohl aus ihren Vorbringen bei den Einvernahmen zum zweiten Asylantrag als auch aus ihren Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Zuge des ersten Asylantrages.

Die Feststellungen zur nicht allzu ausgeprägten Integration der Beschwerdeführer in Österreich ergeben sich ebenso aus dem Akteninhalt sowie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Die Feststellungen zum sozialen Leben in Österreich bzw. zu ihrem Privatleben sowie zu den Sprachkenntnissen der Beschwerdeführer gründen sich auf ihren eigenen Angaben sowie den vorgelegten Bestätigungen. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass sich die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer sowie zu sonstigen im Hinblick auf eine Ausweisung relevanten Aspekten aus dem Akteninhalt ergeben.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen auch nicht folgern.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A)

Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet.

Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid (für das Vorerkenntnis) maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid (Vorerkenntnis) als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100, mwN).

Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs 2 VwGVG ist nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen hat.

Die Rechtsmittelbehörde darf nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung (wegen entschiedener Sache) durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist und hat dementsprechend entweder - im Falle des Vorliegens entschiedener Sache - das Rechtsmittel abzuweisen oder - im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung - den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (VwSlg. 2066A/1951, VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2, 1433 mwH).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 08.09.1977, 2609/76). Die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft aufgrund geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht werden (VwGH 23.05.1995, 94/04/0081).

Da die Beschwerdeführer die zweiten Anträge auf internationalen Schutz auf jene Gründe, die sie bereits im Erstverfahren geltend machten, stützen, liegt entschiedene Sache vor. Indem der Erstbeschwerdeführer vorbringt, dass seine Fluchtgründe des ersten Asylverfahrens nach wie vor aufrecht seien und er nichts hinzuzufügen habe (vgl. dazu AS 1458 des gegenständlichen Verwaltungsaktes), bezieht er sich damit nämlich auf die im Zuge der ersten Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtgründe und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken" (vgl VwGH vom 20.03.2003, Zl 99/20/0480) verwiesen. Demnach liegt, sofern die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten wird und sich der Asylwerber auf diese bezieht, ein nicht wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern wird der Sachverhalt bekräftigt. Vor einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz kann im Falle der Beschwerdeführer auch unter Berücksichtigung des Vorbringens, wonach die Situation seit dem ersten eingebrachten Asylantrag im Jahr 2012 noch schlimmer geworden sei, nicht gesprochen werden.

Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und sind daher auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).

Auch im Hinblick auf Art 3 EMRK ist jedoch im Falle der Beschwerdeführer nicht erkennbar, dass ihre Rückführung in die Russische Föderation zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und sie bei ihrer Rückkehr in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Art 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihnen jedwede Lebensgrundlage fehlen würde.

Es ergeben sich aus den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation auch keine Gründe, um davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art 2 und 3 EMRK auszugehen ist. Aufgrund der Länderberichte ergibt sich, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung der ersten Asylverfahren nicht wesentlich geändert hat.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich somit der Auffassung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an, wonach die Angaben der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet sind, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken und somit kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden kann.

Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der Beschwerdeführer gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte. Die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.

Zu Spruchpunkt II.

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

§ 57 AsylG 2005 lautet:

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Abs 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

§ 58 AsylG 2005 lautet:

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen."

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idF BGBl I 68/2013 lauten:

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind."

"§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr 210/1958, oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

"§ 52 (1) [...]

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

[...]

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei."

"§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. [...]"

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben der Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürgerinnen oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in Folge "EGMR") als auch jener des Verfassungsgerichtshofes muss der Eingriff hinsichtlich des verfolgten legitimen Ziels verhältnismäßig sein.

Ob eine Verletzung des Rechtes auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des bzw. der Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (EGMR, Maslov/Österreich, 23.06.2008, 1638/03, RN 63). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration der Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Der Begriff des "Familienlebens" besteht unabhängig vom nationalen Recht (EGMR, Marckx/Belgien, 13. Juni 1979, Serie A Nr 31 , §§ 31 und 69). Folglich gilt, dass die Frage, ob ein "Familienleben" besteht, im Wesentlichen eine Frage der Tatsachen ist und von den tatsächlich bestehenden engen familiären Bindungen abhängt (K./Vereinigtes Königreich, Nr 11468/85, Kommissionsentscheidung vom 15. Oktober 1986, DR 50). Der Begriff "Familie" in Artikel 8 bezieht sich nicht allein auf eheliche Verbindungen, sondern kann auch andere de facto "Familienbande" mitumfassen, wenn die Parteien außerhalb einer Ehe zusammenleben (EGMR, Johnston und andere/Irland, 18. Dezember 1986, Serie A Nr 112, § 56).

Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423, vgl. auch VwGH vom 8.6.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder VwGH vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, wo der VwGH im letztgenannten Erkenntnis feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sowie der in § 9 Abs. 2 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist im gegenständlichen Fall Folgendes auszuführen:

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über keine relevanten familiären Beziehungen zu einer zum dauernden Aufenthalt berechtigten Person.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweibeschwerdeführerin sind die Eltern der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Das im Herkunftsstaat bestandene Familienleben wurde im Bundesgebiet fortgeführt. Es war daher ein Familienleben iSd. Art 8 EMRK zwischen den Beschwerdeführern zu bejahen. Die Beschwerdeführer sind jedoch allesamt im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, weswegen im Falle einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat diesbezüglich kein Eingriff in das Familienleben vorliegt.

Ist im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben iSd. Art. 8 EMRK zu verneinen, bleibt noch zu prüfen, ob mit der Rückkehrentscheidung in das Privatleben der Beschwerdeführer eingriffen wird und ob ein derartiger Eingriff gerechtfertigt ist.

Wie festgestellt reisten die Erst- bis Zweitbeschwerdeführer gemeinsam mit ihren zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Kindern, den Dritt- bis Viertbeschwerdeführern illegal nach Österreich ein und stellten 22.07.2012 Anträge auf internationalen Schutz. Für den Fünftbeschwerdeführer, welcher im österreichischen Bundesgebiet geboren ist, wurde am 02.05.2013 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Seither hielten sich die Beschwerdeführer lediglich aufgrund ihrer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber im Bundesgebiet auf, wobei sich diese zugrundeliegenden Anträge letztlich als unbegründet erwiesen haben, sodass zu keinem Zeitpunkt ein gesicherter Aufenthaltsstatus vorlag.

Eine fortgeschrittene und entscheidungserhebliche Integration der Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet kann seitens der erkennenden Einzelrichterin nicht festgestellt werden.

Dies aus folgenden Gründen:

Die Beschwerdeführer leben seit Februar 2012 - sohin seit etwas mehr als viereinhalb Jahren - in Österreich. Die Beschwerdeführer beziehen seit deren Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes und leben in einem Flüchtlingsheim. Der Erstbeschwerdeführer ist zwar seit 15.06.2015 20 Stunden beim Abwasserverband Kufstein tätig was jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Integration am Arbeitsmarkt im Sinne einer legalen Beschäftigung zu werten ist, sodass festzustellen ist, dass es weder dem Erstbeschwerdeführer noch der Zweitbeschwerdeführerin - welche keine Erwerbstätigkeit ausübt - möglich ist die Familie selbst zu erhalten, zumal sie nicht über eigene, für ihren Lebensunterhalt ausreichende Mittel verfügen.

Wenngleich der Erstbeschwerdeführer Deutschkurse (Niveau A1) besuchte und die Zweitbeschwerdeführerin eine Sprachdiplomprüfung auf dem Niveau A2 absolvierte, konnte eine darüber hinausgehende weitere Aus- oder Fortbildungen nicht vorgewiesen werden.

Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die - hier bei weitem nicht vorhandenen - Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 06.11.2009, Zl. 2008/18/0720 sowie vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029).

Es wird von Seiten der zuständigen Einzelrichterin nicht verkannt, dass die Beschwerdeführer mittlerweile in Österreich Freundschaften geschlossen bzw. Bekanntschaften geknüpft haben, der Viertbeschwerdeführer Mitglied eines Judoclubs ist und diesbezügliche Erfolge vorweisen kann und zudem Empfehlungsschreiben in Vorlage gebracht wurden. Dennoch kann dies nicht als ausreichend ausgeprägte Integration in die österreichische Gesellschaft gewertet werden. Zu den vorgelegten Empfehlungsschreiben ist festzuhalten, dass diese aus dem unmittelbaren Lebensumfeld der Beschwerdeführer stammen, wodurch zwar eine gewisse soziale Vernetzung, aber keine relevante außergewöhnliche Integration der Beschwerdeführer herauszulesen ist, zumal die Zweitbeschwerdeführerin betreffend die Unterschriftenliste von 570 Personen selbst angab, dass es sich insbesondere um Mitschüler, Lehrer und deren Familien handle und sie diese Personen nicht persönlich kenne.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt zudem die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl Thym, EuGRZ 2006, 541).

Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte".

Die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer in Österreich beträgt seit Stellung ihres zweiten Antrages auf internationalen Schutz im Bundesgebiet zehn Monate. Zuvor hielten sich die Beschwerdeführer etwa dreieinhalb Jahre aufgrund ihrer ersten unberechtigten Anträge auf internationalen Schutz in Österreich auf. Die gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 25.02.2013 erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.09.2013 als unbegründet abgewiesen.

Die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer ist demnach als kurz zu bezeichnen. Es sind zudem keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche, fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer hervorgekommen, aufgrund derer eine die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation anzunehmen wäre. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführer illegal nach Österreich eingereist sind und nach rechtskräftigem negativem Abschluss des Erstverfahrens im September 2012 unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben und ihren Ausreiseverpflichtungen nicht nachgekommen sind.

Die Dauer der beiden Verfahren übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechenden Asylverfahrens angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht hätten, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

Die Zeitspanne des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet kann hinsichtlich einer Aufenthaltsverfestigung nicht zu ihren Gunsten ausschlagen.

Hinzu kommt, dass nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0126, mit weiterem Nachweis).

Den Beschwerdeführern hätte im Hinblick auf deren unberechtigten Anträge auf internationalen Schutz bewusst sein müssen, dass sie etwaige eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht aufrechterhalten können werden. Insgesamt betrachtet überwiegt daher insbesondere im Hinblick auf die noch relativ kurze Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen dem privaten Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet (vgl. VwGH vom 25.02.2010, Zl. 2009/21/0142).

Der durch die Ausweisung der Beschwerdeführer allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privatleben ist jedenfalls insofern im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt, als das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung ihr Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich überwiegt.

Auch wenn nicht verkannt wird, dass sich die Beschwerdeführer in die Gemeinschaft eingefügt haben verfügen die Beschwerdeführer dennoch über stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat. Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer haben dort den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht, wurde in der Russischen Föderation sozialisiert, sprechen die Landessprache und haben dort die Schule besucht. Im Gegensatz dazu sind die Beschwerdeführer in Österreich schwächer integriert.

Zudem wird der Vollständigkeit halber darauf verwiesen, dass sich der dreieinhalbjährige Fünftbeschwerdeführer noch in einem Alter befindet, in dem der primäre private und familiäre Anknüpfungspunkt die Kernfamilie ist, weshalb davon auszugehen ist, dass er über seine Eltern gewisse Teile der tschetschenischen/russischen Kultur und Sprache vermittelt bekam. Jedenfalls befindet sich der Fünftbeschwerdeführer aufgrund seines Lebensalters nicht in einem derartig fortgeschrittenen Ausbildungsstadium, dass ihm ein Umsteigen auf das tschetschenisch/russische Ausbildungs- und Erziehungssystem nicht möglich wäre (vgl. AsylGH vom 27.09.2010, E10 304172-1/2008).

Die Beschwerdeführer sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht selbsterhaltungsfähig. Eine darüber hinausgehende tatsächliche Integration ist nicht hervorgekommen; bereits die relativ kurze Aufenthaltsdauer und die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit sprechen gegen eine verfestigte Eingliederung der Beschwerdeführer.

Dass die Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten sind, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Den privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen somit die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutzes verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich.

Betreffend den gesundheitlichen Zustand der Zweitbeschwerdeführerin ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.01.2012, 2011/23/0151 zu verweisen:

"Der Beschwerde ist zwar einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme komme auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land (sollte ein solches als Zielort in Betracht kommen) außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen an einem (unter Umständen auch nur vorübergehenden) Verbleib in Österreich darstellen." Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang aber auch die Rechtsprechung des EGMR einbezogen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0015, mwN).

Diese ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat zuletzt auch im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.01.2016 Ra 2015/19/0304 ihren Niederschlag gefunden, wo ausdrücklich auf das soeben zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.01.2012, 2011/23/0151, hingewiesen wurde.

Nicht entscheidend ins Gewicht fällt, dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. das bereits genannte Erkenntnis Zl. 2009/21/0015).

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Beschwerdeführer an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung leiden, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde. Betreffend den gesundheitlichen Zustand der Zweitbeschwerdeführerin wird festgehalten, dass eine Weiterbehandlung ihrer Krankheitsbilder in Tschetschenien möglich ist.

Es ist daher trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere jener der Zweitbeschwerdeführerin, nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde das Interesse der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzt als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts der Beschwerdeführer. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Auffassung der belangten Behörde, die Ausweisung der Beschwerdeführer sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen und auch die Ermessensübung sei nicht zu seinen Gunsten vorzunehmen, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.

Zudem zielt das Asylrecht nicht darauf ab, einen Daueraufenthalt für die Durchführung einer medizinischen Behandlung zu gewähren, die auch im Herkunftsstaat verfügbar ist.

Hier wird am Rande bemerkt, dass die Zweitbeschwerdeführerin bereits umfassende medizinische Leistungen in Österreich erhalten hat.

Abgesehen davon, dass die vorgetragenen Erkrankungen keine schwerwiegenden bzw. lebensbedrohlichen darstellen, wird in den vorgehaltenen Länderinformationen eine ausreichend medizinische Versorgung in Tschetschenien gewährleistet.

Darüber hinaus besteht aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land- wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen.

Ein Abschiebehindernis aufgrund gesundheitlicher Probleme liegt demnach nicht vor. Im Übrigen ist zu bemerken, dass gemäß den Länderberichten und dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes in der Russischen Föderation und insbesondere auch in Tschetschenien eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist und im Übrigen fast alle Erkrankungen - wie in Westeuropa - behandelt werden können.

Eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat wurde nicht vorgebracht und ist eine solche aufgrund adäquater Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat überhaupt nicht fassbar.

Den Beschwerdeführern ist es nicht gelungen, darzulegen, dass sie im Falle einer Abschiebung nach Tschetschenien in eine "unmenschliche Lage" versetzt würden. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung nicht gegen Art. 2, Art. 3 EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Art. 15 lit. c StatusRL.

Eine andere generelle Sichtweise würde im Übrigen den exzeptionellen Ausnahmecharakter des Zuspruchs subsidiären Schutzes bei nichtstaatlicher Verfolgung in nicht vertretbarer Weise relativieren, als diesfalls wohl Personen, die an behandelbaren Erkrankungen ohne akuten oder lebensbedrohlichen Verlauf leiden oder schwanger sind, wenn Sie in die Europäische Union einreisen, ein Schutzstatus zu gewähren wäre.

Zudem stellt sich die wirtschaftliche für die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr als ausreichend gesichert dar, zumal die Zeitbeschwerdeführerin im Zuge der Erstbefragung vom 13.01.2016 selbst angegeben hat, dass sie als Frisörin gearbeitet habe und man als solche gut verdiene. Zudem gab sie an im Heimatland gut gelebt zu haben. Zudem hat der Erstbeschwerdeführer im Herkunftsstaat als Tischler, Gelegenheitsarbeiter und Monteur gearbeitet.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnten, zumal ihnen zugemutet werden kann, nach ihrer Rückkehr eine Beschäftigung aufzunehmen und das für sich und ihre Familie zum Überleben Notwendige durch eigene Arbeit zu bestreiten. Für die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes haben sich unter diesen Aspekten keine Hinweise ergeben, dass die Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzbedrohende Situation geraten würden. Den Beschwerdeführern wird es demnach offensichtlich zumutbar sein nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien - wie vor der Ausreise - eine Beschäftigung aufzunehmen und den lebensnotwendigen Unterhalt zu erwirtschaften. Sie werden ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit bestreiten können. Zumal sich Familienangehörige der Beschwerdeführer unverändert im Herkunftsstaat aufhalten, ist evident, dass dieses bestehende soziale Umfeld im Falle der Rückkehr unterstützend zur Seite stehen wird. Im Falle einer Rückkehr ist daher nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer in eine Notlage geraten würden.

Zudem herrscht im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer traditionsbedingt ein starker familiärer Zusammenhalt und ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer in den Kreis ihres Familienclans, der im Herkunftsstaat finanziell abgesichert lebt, zurückkehren zu können, wobei ihnen wie in der Vergangenheit die Aufnahme einer Beschäftigung zumutbar ist.

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet den persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen wurden, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 zu erlassen (vgl hierzu VwGH 19.11.2015, Zl Ra 2015/20/0082).

Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

§ 52 Abs 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Da die Anträge der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 zurückgewiesen wurden, liegt weder ein Fall des § 8 Abs 3a noch des § 9 Abs 2 AsylG 2005 vor. Sie gaben nicht an, über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen.

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg cit in einen bestimmten Staat zulässig ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw.13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs 1 AsylG 2005.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005.

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

Umstände, die das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung begründen würden, kamen nicht hervor. Ebenso ergibt sich aus den Ausführungen zu Spruchpunkt I., dass keine Umstände vorliegen, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen.

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 55 Abs 1a FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, was den gesetzlichen Grundlagen entspricht.

Entfall der mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verwaltungsgerichtshof (Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl Ra 2014/20/0017 und 0018) hielt in diesem Zusammenhang fest, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz insoweit übertragen lässt, als sich die diesbezüglichen Vorschriften weder geändert haben noch aus systematischen Gründen sich eine geänderte Betrachtungsweise als geboten darstellt.

Die in § 24 Abs 4 VwGVG getroffene Anordnung kann nach dessen Wortlaut nur zur Anwendung gelangen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist. Schon deswegen kann - entgegen den Materialien - nicht davon ausgegangen werden, diese Bestimmung entspräche (zur Gänze) der Vorgängerbestimmung des § 67d Abs 4 AVG. Zudem war letztgenannte Norm nur auf jene Fälle anwendbar, in denen ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu erlassen war. Eine derartige Einschränkung enthält § 24 Abs 4 VwGVG nicht (mehr).

Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren enthält § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 eigene Regelungen, wann - auch trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Lediglich "im Übrigen" sollen die Regelungen des § 24 VwGVG anwendbar bleiben. Somit ist bei der Beurteilung, ob in vom BFA-VG erfassten Verfahren von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann, neben § 24 Abs 1 bis 3 und 5 VwGVG in seinem Anwendungsbereich allein die Bestimmung des § 21 Abs 7 BFA-VG 2014, nicht aber die bloß als subsidiär anwendbar ausgestaltete Norm des § 24 Abs 4 VwGVG, als maßgeblich heranzuziehen.

Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schaffung des § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 vom bisherigen Verständnis gleichlautender Vorläuferbestimmungen ausgegangen ist, sich aber die Rechtsprechung auch bereits damit auseinandergesetzt hat, dass sich jener Rechtsrahmen, in dessen Kontext die hier fragliche Vorschrift eingebettet ist, gegenüber jenem, als sie ursprünglich geschaffen wurde, in maßgeblicher Weise verändert hat, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" nunmehr folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhobenworden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen, die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen, in der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Der Sachverhalt ist zusammengefasst, wie dargestellt, aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerden als geklärt anzusehen (entspricht der bisherigen Judikatur zum § 67d AVG, wobei darauf hinzuweisen ist, dass § 24 VwGVG dem aufgehobenen § 67d AVG entspricht).

Es ergab sich sohin auch kein Hinweis auf die Notwendigkeit, den maßgeblichen Sachverhalt mit den Beschwerdeführern zu erörtern (vgl VwGH 23.01.2003, 2002/20/0533, VwGH 01.04.2004, 2001/20/0291).

Zumal zu Spruchpunkt I. keine Sachentscheidung erfolgte, finden sich hinsichtlich des weiteren Vorbringens in der Beschwerde, insbesondere zu integrativen Aspekten, keine weiteren Anhaltspunkte oder ein Tatsachenvorbringen, welches nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu einem anderen Verfahrensausgang führen könnte. Es hat sich daher aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine Notwendigkeit ergeben, den als geklärt erscheinenden Sachverhalt mit den Beschwerdeführern näher zu erörtern.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art 133 Abs 4 erster Satz B-VG idF BGBl I Nr 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl die oben angeführte Judikatur, welche nach Ansicht des erkennenden Gerichts, soweit sie zu früheren Rechtlagen ergangen ist, auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar ist). Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenso wenig liegen sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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