BVwG W191 2106225-1

BVwGW191 2106225-110.6.2015

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W191.2106225.1.00

 

Spruch:

W191 2106225-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2015, Zahl 1000658304-14038849, beschlossen:

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am 20.01.2014 illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage vom 24.01.2014 ergab keine Übereinstimmung bezüglich der er-kennungsdienstlichen Daten des BF.

1.2. In seiner Erstbefragung am 20.01.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Traiskirchen, Erstaufnahmestelle (EAST), gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er heiße XXXX, sei afghanischer Staatsangehöriger und am XXXX in XXXX, Distrikt Jaghori, Provinz Ghazni, Afghanistan, geboren.

Er hätte bereits im Jahre 1995 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern Afghanistan verlassen und wäre bis 2007 in XXXX, Quetta, Sistan und Beluchestan, Pakistan, aufhältig gewesen. Seine Eltern wären 2012 in Quetta bei einer Explosion ums Leben gekommen. Er habe noch vier Brüder und zwei Schwestern, die alle in Quetta wohnhaft seien.

Im Jahre 2007 hätte er Pakistan verlassen und wäre über den Iran und die Türkei nach Griechenland gereist, wo er sich bis zum 18.01.2014 aufgehalten hätte. Dann wäre er schlepperunterstützt und versteckt auf der Ladefläche eines LKW über ihm unbekannte Länder nach Österreich gelangt.

Als Fluchtgrund gab er an, dass er bereits mit elf Jahren Afghanistan verlassen hätte. Sein Vater hätte damals Probleme aufgrund eines Grundstückstreits gehabt. Als ältester Sohn hätte der BF früh arbeiten gehen und so die Familie ernähren müssen. Später wäre er deshalb auch nach Griechenland gereist, um dort zu arbeiten und den Eltern Geld zu senden.

Der BF wurde unter Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG zum Asylverfahren zugelassen.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 11.03.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Steiermark, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler korrigiert):

"F [Frage]: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?

A [Antwort]: Ja.

F: Wurden diese so wie Sie es gesagt haben, korrekt protokolliert und rückübersetzt?

A: Nicht ganz. Meine Eltern sind noch am Leben und leben beide in Pakistan.

F: Haben Sie irgendwelche Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie im bisherigen Verfahren noch nicht vorgelegt haben?

A: Ich habe einen Arztbrief, ich hatte Nierensteine, und eine Bestätigung über den Besuch des Deutschkurses bei mir.

F: Gibt es noch irgendwelche Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie noch vorlegen können?

A: Nein.

Anmerkung: Kopien der Unterlagen werden zum Akt gelegt.

F: Schildern Sie bitte Ihre Lebensumstände in Afghanistan.

A: Ich war ein armer Mensch, finanziell gesehen.

F: Wo genau kommen Sie her?

A: Aus der Provinz Ghazni, Jaghori, Dorf XXXX.

F: Haben Sie zurzeit Kontakt mit irgendjemandem zu Hause?

A: Ich habe niemanden in Afghanistan. Ich telefoniere mit meiner Familie, die lebt in Pakistan. Die genaue Adresse in Pakistan lautet Quetta, Belutschistan, XXXX oder XXXX. Sie erzählen nichts Gutes.

F: Wovon bestreiten Ihre Angehörigen den Lebensunterhalt?

A: Solange ich in Griechenland war, habe ich Geld an meine Familie geschickt. Ich habe genug geschickt, damit sie noch immer auskommen. Meine Eltern sind schon alt. Meine Geschwister sind noch jung und besuchen die Schule.

F: Welche Ausbildung haben Sie absolviert?

A: Ich hatte nur zwei Schuljahre in Afghanistan. In Pakistan habe ich nur Englisch gelernt.

F: Womit haben Sie in Ihrem Heimatland bisher Ihren Lebensunterhalt bestritten?

A: Mein Vater war einfacher Hilfsarbeiter. Wir hatten Grundstücke, aber da gibt es ja die Feindschaften wegen der Grundstücke, und deshalb können wir ja nicht ins Heimatland zurückkehren.

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß [...]

A: Als ich ein Kind war, haben XXXX und XXXX, der Vater von XXXX, uns unsere Grundstücke weggenommen. Dann haben sie einen Verwandten namens Kommandant XXXX. Dieser hat noch immer die Macht. Mein Problem war, dass sie uns unsere Grundstücke weggenommen und uns mit dem Tod bedroht haben. Ich bin im Jahr 1998 mit meiner ganzen Familie, das war Vater, Mutter, vier Brüder und zwei Schwestern, nach Pakistan gegangen. Ich habe es so mitbekommen, dass mein Vater nach Hause kam und blutig war. Zuerst war ich noch sehr jung und konnte damit nichts anfangen. Als ich älter war, habe ich meinen Vater darauf angesprochen, und mein Vater hat mir alles geschildert.

F: Warum haben Sie gerade im Jahr 1998 Ihre Heimat verlassen?

A: Wir haben alles liegen und stehen lassen. Weil wir bedroht wurden, hatten wir keinen anderen Ausweg. Es gab die Drohungen durch diese Familie, und weiters waren die Taliban auch in unserer Gegend an der Macht.

F: Haben Sie jemals persönlich eine Drohung gegen Ihre Familie mitbekommen?

A: Ich war zum damaligen Zeitpunkt noch klein. Alles andere hat mir mein Vater erzählt. Mein Vater könnte Ihnen die Vorfälle erzählen.

F: Können Sie mir die Telefonnummer Ihrer Familie geben?

A: Ja, die Telefonnummer meines Bruders lautet +92 [...] (unter XXXX gespeichert).

Anmerkung: Nachdem der Antragsteller sein Handy hervorholt, werden die im Telefon gespeicherten Telefonnummern durchgesehen (freiwillige Herausgabe des Handys). Darunter sind verschiedene Telefonnummern aus Montenegro, Schweden, Italien, Pakistan und Österreich. Der Antragsteller selbst hat sich unter dem Namen XXXX abgespeichert.

F: Wieso sind Sie mit dem Namen XXXX in Ihrem Handy gespeichert?

A: Das war mein Name in Griechenland. Mein richtiger Name lautet aber XXXX.

F: Sind Sie damit einverstanden, dass wir Ihren Bruder anrufen?

A: Ich habe damit kein Problem. Es könnte sein, dass er in der Schule ist.

Von ca. 09:20 Uhr bis 09:28 Uhr wird ein Telefongespräch mit dem Bruder des Antragstellers, XXXX XXXX geführt. Der Bruder des Antragstellers gibt sinngemäß Folgendes an:

Ich bin 18 Jahre alt und der Bruder von XXXX. Unsere ganzen Angehörigen, Eltern, Brüder und zwei Schwestern leben in Pakistan. Wir sind aus Jaghori. Es ist schon viele Jahre her, dass wir Afghanistan verlassen haben. Der Grund dafür waren Grundstücksstreitigkeiten, die unser Vater hatte. Wie die Familie geheißen hat, mit der unser Vater die Probleme hatte, weiß ich nicht. Wir leben alle in Quetta. Ich gehe in die Schule und arbeite, wenn ein Lehrling gebraucht wird. Unser jüngerer Bruder geht auch in die Schule und hilft auch ganz selten mit. Wir haben keine Angehörigen in Afghanistan, und wir waren auch nie mehr in Afghanistan, auch unser Vater nicht, wegen der Probleme, die er hatte.

F: Was sagen Sie zu den Angaben Ihres Bruders, insbesondere zu den Namensangaben?

A: Mein wahrer Name ist XXXX. Ich sage die Wahrheit. Mein Bruder ist noch jung und hat Angst. Ich habe ihm mehrmals gesagt, dass ich in Griechenland diesen Namen angegeben habe. Vielleicht hat er deswegen diesen Namen angegeben.

F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

A: Ja.

F: Wie kommt es zu den Widersprüchen in Bezug auf Ihre Erstbefragung (Ausreise 1995, Eltern verstorben)?

A: Das war, weil ich damals gerade angekommen bin. Ich sagte zum Dolmetscher, dass er etwas langsamer sprechen soll. Ich war nervös, und deswegen kam es zu diesen Missverständnissen mit den Zahlen und Fakten. Da habe ich mich vertan.

Mit dem AW [Asylwerber] werden die Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sein Heimatland betreffend erörtert.

F: Möchten Sie etwas dazu anmerken?

A: Über die Feststellungen bin ich informiert. Wir Hazara haben es in Afghanistan und auch in Pakistan sehr schwer.

F: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat?

A: Ich habe Angst um mein Leben. Diese Familie könnte mich umbringen.

F: Könnten Sie sich in Kabul oder einer anderen Stadt in Afghanistan niederlassen?

A: Ich habe in Kabul niemanden, es könnte mir alles passieren. Hier habe ich die Behörden, wenn ich Probleme habe, in Afghanistan ist das nicht so.

F: Haben Sie familiäre Beziehungen in Österreich?

A: Nein.

F: Wie bestreiten Sie nun in Österreich Ihren Lebensunterhalt? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Ich bin in Grundversorgung.

F: Haben Sie Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich?

A: Die Tochter meines Onkels väterlicherseits ist in Österreich. Manchmal besuche ich sie. Sie hat die österreichische Staatsbürgerschaft.

[...]

F: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

A: Ich versuche Deutsch zu lernen.

F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

A: Ich bin hier Asylwerber wegen meiner Familie. Ich bin 30 Jahre und habe mich bis heute für meine Familie geopfert. Ich bitte Sie, mir zu helfen. Wenn ich die Sprache kann, kann ich anfangen zu arbeiten."

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 07.04.2015 [Anmerkung: offenbar irrtümlicherweise mit 07.04.2014 datiert], Zahl 1000658304-14038849, den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 20.01.2014 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung (in Spruchpunkt III.) gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 oder 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubwürdig. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

* Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen und es komme daher auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

In den Länderfeststellungen wurde zur Herkunftsprovinz des BF Ghazni Folgendes angeführt (Auszug aus dem Bescheid):

"Ghazni ist eine der wichtigsten zentralen Provinzen in Afghanistan und laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) die mit der zweithöchsten Bevölkerung. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan liegen im Norden, während die Provinzen Paktia, Paktyka und Logar im Osten niegen. Zabul liegt zwar südlich, grenzt aber gemeinsam mit Uruzgan an den Westen der Provinz. Die Provinz ist in achtzehn Distrikte unterteilt: der Hauptstadt Ghazni, Andar, Muqur, Qara Bagh, Gilan, Waghiz, Giro, Deh Yak, Nawar, Jaghori, Malistan, Rashidan, Ab Band, Khugiani, Nawa, Jaghato, Zankhan, Ajeristan and Khwaja Omari (Pajhwok o.D.a).

Ghazni zählt zu den volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Aktionen durchführen (Khaama Press 14.9.2014; vgl. Khaama Press 3.9.2014). Die regierungsfeindlichen Aufständischen zielen normalerweise auf Regierungsbeamte und -mitarbeiterInnen ab, die auf der Kabul-Kandahar Hauptautobahn unterwegs sind (Khaama Press 3.9.2014). In der Provinz werden Antiterror-Operationen durchgeführt, um gewisse Gegenden von Terroristen zu befreien (Khaama Press 28.10.2014; vgl. Khaama Press 20.10.2014; Peninsula 16.10.2014; Paninsula 30.9.2014).

Um die Sicherheit am Wahltag zu gewährleisten, lag in der südöstlichen Provinz Ghazni die Zahl der eingesetzten Sicherheitsleute bei rund 9.000. Es wurde mitgeteilt, dass die Wahlbeteiligung hoch war und dass bei manchen Wahllokalen 80% der Wähler Frauen waren (Tolo News 6.4.2014).

Im Jahresvergleich 2011 und 2013, ist die relativ hohe Zahl der regierungsfeindlichen Angriffe um 1% gestiegen. Im Jahr 2013 wurden

1.701 Vorfälle registriert (Vertrauliche Quelle 1.2014).

Zum Fluchtvorbringen wurde Folgendes ausgeführt (Auszug aus dem Bescheid, Schreibfehler im Original):

"Zum Fluchtgrund befragt, gaben Sie im Wesentlichen an, dass Sie Afghanistan bereits im Kindesalter mit ihren Eltern verlassen haben, weil ihr Vater Grundstücksstreitigkeiten hatte. Der Sachverhalt wurde vage geschildert und beschränkte sich auf Gemeinplätze. Sie waren nicht in der Lage konkrete und detaillierte Angaben über etwaige Erlebnisse zu machen, was Sie auf ihr damaliges Alter zurückführen.

Ein Indiz für ihre persönliche Unglaubwürdigkeit zeigt der Umstand, dass es zwischen ihrer Erstbefragung und ihrer Einvernahme in Graz zu Widersprüchen gekommen ist. So haben Sie bei ihrer Erstbefragung angegeben, dass Sie bereits 1995 Afghanistan verlassen hätten und dass ihre Eltern im Jahr 2012 verstorben wären. In Graz haben Sie vorgebracht, dass Sie mit ihrer Familie im Jahr 1998 Afghanistan verlassen hätten und ihre Eltern wären noch am Leben. Sie konnten diese Widersprüche nicht plausibel darlegen.

Soweit ihr Bruder im Telefongespräch vom 11.03.2015 ihr Fluchtvorbringen bestätigt, Sie aber als XXXX anspricht, geht das BFA davon aus, dass es sich hiebei um eine Gefälligkeitsaussage handelt und sie ihre Angaben nicht im Detail abgesprochen haben.

Aufgrund ihrer Angaben, speziell in Traiskirchen (Seiten 4, 5 und 6), geht das BFA davon aus, dass Sie wegen rein wirtschaftlicher Gründe ihre Heimat verlassen haben und nach Europa ausgewandert sind. Dafür sprechen auch die auf ihrem Handy abgespeicherten Telefonnummern (siehe Beilage) aus verschiedenen europäischen Ländern und untermauern auch, dass Sie sehr gut in Europa vernetzt sind.

Aufgrund ihrer Angaben und der aufliegenden Länderinformationsblätter kann festgestellt werden, dass die Lage in Afghanistan brisant, sich jedoch keinesfalls so darstellen lässt, dass ein halbwegs normales Leben überall in Afghanistan nicht möglich wäre.

Sofern Ihnen eine ungehinderte Rückkehr nach Ghazni nicht möglich sein sollte, steht es ihnen frei sich in Kabul oder einer anderen größeren Stadt niederzulassen."

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da keine individuellen Umstände vorliegen würden, die dafür sprechen würden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in eine derart extreme Notlage gelange, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 2 oder 3 EMRK darstellen könnte.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich das durch den gewillkürten Vertreter mit Schreiben vom 14.04.2015 fristgerecht eingebrachte Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid vollinhaltlich angefochten wurde.

Der BF beantragte sinngemäß:

den Bescheid zu beheben und ihm Asyl zu gewähren,

* in eventu den Bescheid aufzuheben und an das BFA zurückzuverweisen,

* in eventu ihm allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren,

* in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei,

eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

In der Beschwerdebegründung wiederholte der BF im Wesentlichen das Fluchtvorbringen und kritisierte unter Anführung verschiedener Berichte die Länderfeststellungen des BFA betreffend die Sicherheitslage in Afghanistan und seiner Heimatprovinz Ghazni.

Ferner versuchte der BF, im Bescheid aufgezeigte Unplausibilitäten aufzuklären. So hätte das BFA argumentiert, dass sein Vorbringen vage und allgemein sei, allerdings wäre er zum Zeitpunkt der Flucht aus Afghanistan erst elf Jahre alt gewesen und hätte die Probleme nur vom Hörensagen erfahren. Dass es sich bei den Aussagen des Bruders um Gefälligkeitsangaben handle, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar, da der Bruder ja nicht wissen hätte können, dass er an dem fraglichen Tag einen Anruf bekommen würde. Auch lasse sich aus dem Umstand, dass der BF Telefonnummern aus verschiedenen europäischen Ländern auf seinem Handy habe, nicht ableiten, dass er aus wirtschaftlichen Gründen geflohen sei. Er hätte in Griechenland viele andere Flüchtlinge kennengelernt, die später in verschiedene europäische Länder weitergereist seien und zu denen er den Kontakt aufrechterhalte. Abschließend verwies der BF auf sein mangelndes soziales Netz in Afghanistan.

1.6. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 17.04.2015 beim BVwG ein.

2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:

2.1. Anzuwendendes Recht:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBL I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28 VwGVG lautet:

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 1 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

2.2. Rechtlich folgt daraus:

2.2.1. Die gegenständliche Beschwerde wurde am 15.04.2015 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 17.04.2015 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

Zu Spruchteil A):

2.2.2. Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht (VwG) den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Zur Anwendung der Vorgängerbestimmung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat - an dessen Stelle als Rechtsmittelinstanz in Asylsachen mit 01.07.2008 der Asylgerichtshof (AsylGH) und mit 01.01.2014 das BVwG getreten ist - hat der Verwaltungsgerichtshof (in der Folge VwGH) mit Erkenntnis vom 21.11.2002, 2002/20/0315, ausgeführt:

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23.07.1998, 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f.).

Mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss eines VwG aufgehoben, weil das VwG in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. In der Begründung dieser Entscheidung führte der VwGH unter anderem aus, dass die Aufhebung eines Bescheides durch ein VwG nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hätte, damit diese dann durch das VwG vorgenommen werden.

2.2.3. Im vorliegenden Fall war es die Aufgabe der belangten Behörde zu klären, ob der BF zum einen eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte, und zum anderen, ob darüber hinaus menschen- bzw. asylrechtliche Gründe einer Rücküberstellung bzw. Ausweisung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden und ihm der Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren wäre.

Mag auch die belangte Behörde bezüglich der Frage der asylrelevanten Verfolgung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) zutreffenderweise ausgeführt haben, dass der BF sein Fluchtvorbringen teilweise unstimmig angegeben hat - so kam es zu Abweichungen bezüglich der Familienverhältnisse und der Ausreise aus Afghanistan zwischen Erstbefragung und Einvernahme -, so ist aber doch festzustellen, dass die vom BFA aufgezeigten Widersprüche und Unplausibilitäten für sich alleine nicht hinreichen, seinem Vorbringen die Glaubhaftigkeit ohne Zweifel abzusprechen.

So wird im Bescheid ausgeführt, dass der BF sein Vorbringen nur vage geschildert hätte und sich dabei auf Allgemeinplätze beschränkt hätte. Allerdings hätte hier das BFA bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des BF berücksichtigen müssen, dass dieser beim Verlassen seiner Heimat erst ca. elf Jahre alt gewesen ist, weshalb es nachvollziehbar erscheint, dass er aufgrund seines damaligen jungen Alters und aufgrund des Umstandes, dass er vieles erst später von seinem Vater und somit vom Hörensagen erfahren haben will, nicht umfassendere und detailliertere Aussagen über etwaige Ereignisse tätigen kann.

Nicht ausreichend für die Annahme der Unglaubwürdigkeit des BF ist auch die Argumentation der Erstbehörde, dass es sich bei den Angaben des Bruders im Zuge eines Telefonats um reine Gefälligkeitsaussagen handeln würde und sich der BF mit seinem Angehörigen abgesprochen habe, zumal es sich hierbei um einen unangekündigten Anruf gehandelt hat und der Bruder somit keine Kenntnis davon hatte, an diesem Tag über den BF befragt zu werden.

Weiters kann die Folgerung des BFA, dass die angeblich gute Vernetzung des BF hier in Europa - so wurden auf seinem Handy Telefonnummern aus verschiedenen europäischen Ländern gefunden - ein Indiz für seine Ausreise aus rein wirtschaftlichen Gründen sei, nur wenig nachvollzogen werden. Hier erscheint die Rechtfertigung des BF in der Beschwerde, aufgrund seiner langen Aufenthaltszeit in Griechenland viele andere Flüchtlinge kennengelernt zu haben, die sich nunmehr in diversen europäischen Staaten aufhalten würden und zu denen er noch immer Kontakt unterhalte, durchaus plausibel und glaubwürdig.

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass das BFA detaillierter und genauer erörtern hätte müssen, ob dem Vorbringen des BF, aufgrund eines Grundstücksstreites Afghanistan verlassen zu haben, asylrelevante Merkmale zu entnehmen sind, insbesondere in Zusammenhang mit der Frage, ob der Fluchtgrund aus Afghanistan an einem in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung, anknüpft.

Somit ist festzustellen, dass es bezüglich Spruchpunkt I. im Zuge des Verfahrens zu keiner ausreichenden Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des BF gekommen ist und mehrere Punkte ungeklärt geblieben sind.

Bezüglich der Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) ist nach der anzuwendenden Rechtslage und der dazu ergangenen Judikatur (sowohl des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, des Asylgerichtshofes, des BVwG und der - zwar nicht immer einheitlichen, aber in der Linie jedenfalls übereinstimmenden - Judikatur der entsprechenden deutschen Gerichte) zusätzlich zu objektiven Kriterien (Lage im Land) das Vorliegen von subjektiven bzw. individuellen Kriterien (Situation des Antragstellers) für die Erlangung des Status als subsidiär Schutzberechtigter zu prüfen.

Bezüglich des BF war daher neben seinen persönlichen Umständen in Prüfung seiner Lebensumstände zu klären, woher er stammt, wo sich seine Familie nun aufhält, ob der BF daher über ein soziales Netzwerk in seinem Herkunftsland verfügt und wie die Lage in diesen Regionen aktuell ist, bzw. über seine diesbezüglichen Angaben hinreichend beweiswürdigend abzusprechen.

Im gegenständlichen Fall führte das BFA aus, dass für den BF ein halbwegs normales Leben überall in Afghanistan möglich sei und es ihm - sollte eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni nicht möglich sein - frei stehe, sich in Kabul oder einer anderen größeren Stadt niederzulassen. Allerdings ist weder aus den Länderfeststellungen ersichtlich, inwieweit es für alleinstehende Rückkehrer in Kabul oder anderen afghanischen Großstädten Möglichkeiten gäbe, sich dort ohne jeglichen familiären Anschluss eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen, noch tätigte das BFA nähere Ausführungen dazu, auf welche Weise der BF, der bereits im Alter von ca. elf Jahren Afghanistan verlassen hat und seither nicht mehr zurückgekehrt ist, dort ohne Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten und ohne wirtschaftliche und soziale Unterstützung durch den Familienverband ein Auskommen finden sollte (wobei die vom BFA erwähnte mögliche Hilfestellung durch die Familie von Pakistan aus als nicht ausreichend gesichert angesehen werden kann).

Weiters wird in den Länderfeststellungen zur Provinz Ghazni - wo sich nach Angaben des BF zuletzt seine Familie aufgehalten hat - ausgeführt, dass Ghazni zu den volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans zählt, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Aktionen durchführen. Ferner ist im Jahresvergleich 2011 und 2013 die relativ hohe Zahl der regierungsfeindlichen Angriffe um 1% gestiegen, und es wurden im Jahr 2013 1.701 Vorfälle registriert.

Es erscheint somit nicht nachvollziehbar, wie das BFA, ausgehend von diesen Feststellungen, zum Ergebnis gelangt wäre, dass der BF unter diesen Umständen sicher nach Ghazni zurückkehren und dort leben könnte.

Die Ausführungen des BFA entsprechen nicht der vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) geforderten Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz, zumal diese (wie der Asylgerichtshof festgestellt habe) von Provinz zu Provinz variiere (siehe Erkenntnisse des VfGH 21.09.2012, U 883/12-15, VfGH 11.10.2012, U 677/12-17). Dieses Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt führe dazu, dass der BF im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt werde.

Der Vollständigkeit halber wird auch angemerkt, dass in den Länderfeststellungen umfangreiche Ausführungen zur Sicherheitslage in allen Provinzen Afghanistans getätigt werden, was angesichts des Umstandes, dass für den BF nicht diese, sondern die Situation in seiner Heimatprovinz Ghazni von Bedeutung ist, als wenig zielführend angesehen werden muss.

2.2.4. Zusammengefasst ist festzustellen, dass das BFA in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage sowohl bezüglich des Fluchtvorbringens als auch bezüglich der Frage des Refoulementschutzes nicht mit der ihr gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen ist und die Sachlage nicht ausreichend erhoben bzw. sich (in der Bescheidbegründung) nur mangelhaft mit den Angaben des BF und den Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat.

Der VwGH verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389). Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens hat die belangte Behörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da die belangte Behörde dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

Aus Sicht des BVwG verstößt das Prozedere der belangten Behörde gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG normierten Ermittlungspflichten. Die Asylbehörden haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amtswegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der belangten Behörde mit den oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Die Vornahme der angeführten Feststellungen und Erhebungen durch das BVwG selbst verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten, zumal diese grundsätzlich vom BFA durchzuführen sind.

2.2.5. Das BFA wird sich daher mit den Fluchtgründen des BF genauer auseinanderzusetzen und zu prüfen haben, ob im Falle einer Rückverbringung eine ernsthafte Bedrohung des Lebens des BF aufgrund seiner individuellen Situation ausgeschlossen werden kann.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

In der rechtlichen Beurteilung (Punkt 2.) wurde unter Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3 2. Satz inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht, sodass die Judikatur des VwGH betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen heranzuziehen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare Regelung (im Sinne der Entscheidung des OGH vom 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte