BVwG W211 2010206-1

BVwGW211 2010206-14.8.2014

AsylG 2005 §5 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61
AsylG 2005 §5 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:W211.2010206.1.00

 

Spruch:

W211 2010206-1/4E IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geboren am XXXX alias XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als

unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang, wesentlicher Sachverhalt und Beschwerdegründe

1. Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte am 28.04.2014 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

2. Eine EURODAC-Anfrage ergab einen Treffer in Ungarn vom 24.04.2014 (HU1...).

3. Bei der Erstbefragung am 30.04.2014 gab die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen an, ledig zu sein, Dari zu sprechen und in Österreich oder anderen Ländern der Europäischen Union keine Familienangehörigen zu haben.

Sie sei vor ca. viereinhalb Jahren schlepperunterstützt aus Afghanistan mit dem PKW in den Iran gereist, wo sie ungefähr zwei Jahre gelebt habe. In Teheran habe sie einen Schlepper gefunden, der sie nach Europa bringen sollte. Daraufhin sei die beschwerdeführende Partei zu Fuß über die iranisch-türkische Grenze gegangen, um mit dem Autobus nach Istanbul zu fahren. Mit dem Boot sei es weiter nach Griechenland gegangen, wo sie freiwillig zur Polizei gegangen sei, und man ihr die Fingerabdrücke abgenommen habe. Dann habe sie einen Landesverweis bekommen und sei weiter nach Athen gefahren, wo sie ca. neun Monate geblieben sei. Nachdem sie mit einem Zug nach Patras gefahren sei, sei sie aufgegriffen worden und habe 18 Monate in einem geschlossenen Lager verbracht. Sie habe da einen weiteren Landesverweis bekommen. Am 04.04.2014 sei sie schlepperunterstützt Richtung Grenze gefahren und nach ein paar Tagen im Wald nach Ungarn eingereist. In Ungarn sei die beschwerdeführende Partei von der Polizei aufgegriffen worden und habe um Asyl ansuchen müssen, da ihr sonst die Abschiebung gedroht hätte. Sie habe einen Tag bei der Polizei verbracht. Danach sei sie selbständig mit dem Zug nach Budapest gefahren, habe dort den Schlepper getroffen, der sie mit dem PKW nach Österreich gebracht habe.

In Griechenland habe die beschwerdeführende Partei eine schwierige Zeit gehabt und sei von Faschisten geschlagen worden. Über Ungarn könne sie nicht viel sagen, da sie nur einen Tag dort gewesen sei. Sie wolle weder nach Griechenland noch nach Ungarn zurück.

Als Grund für das Verlassen ihrer Heimat gab die beschwerdeführende Partei an, dass sie vor ca. sechs Jahren von den Taliban entführt worden sei. Sie sei gefoltert worden. Nach einer Lösegeldzahlung sei sie freigelassen worden. Ein Jahr später haben die Taliban erneut versucht, die beschwerdeführende Partei zu entführen; ihr sei aber die Flucht gelungen. Im Iran habe sie illegal gelebt und nicht arbeiten oder in die Schule gehen dürfen. Die iranische Polizei habe die beschwerdeführende Partei sehr schlecht behandelt und sie sei aus Angst vor einer Abschiebung von dort nach Afghanistan Richtung Europa geflüchtet.

4. Die belangte Behörde stellte am 05.05.2014 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 an Ungarn. Mit einem am 14.05.2014 eingelangten Schreiben stimmte Ungarn der Wiederaufnahme der beschwerdeführenden Partei gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ausdrücklich zu. Die österreichischen Behörden wurden weiter darüber informiert, dass die beschwerdeführende Partei am 20.04.2014 einen Asylantrag in Ungarn gestellt habe, bald danach aber untergetaucht sei, weshalb das Verfahren am 10.05.2014 eingestellt worden sei.

5. Am 02.06.2014 gab die beschwerdeführende Partei die Vollmachtserteilung an eine gewillkürte Vertretung bekannt.

6. Bei der Einvernahme der beschwerdeführenden Partei durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 05.06.2014 gab diese an, die Dolmetscherin für Dari zu verstehen und psychisch und physisch in der Lage zu sein, der Einvernahme zu folgen.

Sie wolle nicht nach Ungarn zurück. Sie habe eine Nacht in einem Lager verbracht, in dem extreme Missstände geherrscht haben, weshalb sie die drei oder vier weiteren Tage woanders verbracht habe. Sie habe fünf Tage in einer Bahnstation geschlafen.

Sie wolle nicht nach Ungarn zurück, da das Leben dort kein Leben sei. Die Situation dort sei schlecht und man bekäme dort Krankheiten, zum Beispiel Wanzen. Sie selbst habe Wanzen gehabt und sei dort sehr unglücklich gewesen. In Ungarn habe die beschwerdeführende Partei keine medizinische Hilfe bekommen; in Österreich eine Salbe. Zu den Länderinformationen meinte die beschwerdeführende Partei, dass sich darin vermutlich keine Informationen über das Leben in Ungarn finden würden; es sei kein Ort zum Leben. Das Lager sei nicht wie andere europäische Lager. Es sei dort, als würden Drogensüchtige und alle Arten von Menschen miteinander leben. Es gebe zwei Gruppen: die Afghanen und die Somalier; diese würden sich gegenseitig schlagen. Sie selbst sei am Rücken geschlagen worden und deshalb gleich am ersten Tag weggegangen. Die Polizei sei im Lager gewesen und habe nichts unternommen. Nach dem Streit habe die Polizei nur gesagt, dass jeder in seine Zelle solle, bzw. in sein Zimmer. Diese Zimmer seien aber schmutzig gewesen.

7. Eine Auskunft betreffend die medizinischen Daten der beschwerdeführenden Partei vom 12.06.2014 zeigte auf, dass diese bei der Erstuntersuchung keine Beschwerden angegeben habe. Die beschwerdeführende Partei sei Anfang Mai vorstellig geworden, um die ärztliche Zustimmung zur Mithilfe in der Küche zu bekommen, wogegen nichts gesprochen habe. Anfang Juni sei sie nochmals vorstellig geworden wegen einer Lumboischialgie, wogegen ihre Neurofenac und Sirdalud gegeben worden sei. Wegen einer zerbrochenen Brille habe sie eine Überweisung zum Augenarzt erhalten.

8. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 16.06.2014 brachte der Beschwerdeführervertreter vor, dass die belangte Behörde die tatsächlichen Verhältnisse in Ungarn verkennen würde. Die Länderfeststellungen würden keine Informationen über die Anwendung der Asylrechtsnovelle in der Praxis beinhalten. Der neue UNHCR Bericht aus Dezember 2012 enthielte keine Feststellungen zu Ungarn, habe jedoch darauf verwiesen, dass eine Evaluierung der neuen Situation notwendig sei.

Eine Novelle im Juli 2013 habe eine flächendeckende Asylhaft für Asylwerber_innen und Dublin Rückkehrer_innen eingeführt. Nach der Stellungnahme würden die Länderfeststellungen darüber keine Informationen beinhalten. Es gebe darin auch keine Information über die soziale Lage von Flüchtlingen in Ungarn. Die Stellungnahme verwies auf Berichte über eine drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen dort.

Am 09.07.2014 wurde ein Arztbrief eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vorgelegt, nach welchem die beschwerdeführende Partei an einer Depression mit Angst, Schlafstörung, Konzentrationsstörung sowie an Tendenzen zur Psychosomatose leide. Die Diagnose sei eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Psychosomatose. Als Medikation wurde Ciraplex, Quetialan und Bromazepam bei Bedarf verschrieben.

9. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. die Außerlandesbringung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und ausgesprochen, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Ungarn zulässig ist.

Nach einer Zusammenfassung des Verfahrensganges und der Einvernahmen stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass im Falle der beschwerdeführenden Partei keine schweren oder ansteckenden Krankheiten bestehen würden. Es sei bei der beschwerdeführenden Partei eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Psychosomatose diagnostiziert worden. Der "Dublin Tatbestand" ergebe sich aus den Angaben der beschwerdeführenden Partei, dem EURODAC Treffer und der Zustimmungserklärung der ungarischen Behörden. Die beschwerdeführende Partei verfüge in Österreich über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Es könne außerdem nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei in Ungarn systemischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese zu erwarten hätte. Darüber hinaus traf die belangte Behörde die folgenden Länderfeststellungen zu Ungarn:

" ...

Das Büro für Immigration und Nationalität (Office of Immigration and Nationality, OIN; ungarisch: Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal, BAH) hat die Verantwortung für Entscheidungen in Asylverfahren und das Management der Unterbringungszentren. Es untersteht dem ungarischen Innenministerium. (EMN 4.2011 / Asylgesetz 2007 24.12.2010, Art. 45)

Asylverfahren

Während der Preliminary Assessment Procedure (Vorverfahren) wird innerhalb von 30 Tagen ein persönliches Interview geführt und eine Entscheidung getroffen, ob ein anderer Dublin-Staat zuständig ist, ob der Asylwerber (AW) abgelehnt (zB wegen Unzulässigkeit oder weil offensichtlich unbegründet), oder in die Detailed Assessment Procedure (ordentliches Verfahren) übergeführt wird. Gegen eine Entscheidung im Vorverfahren kann innerhalb von drei Tagen Beschwerde vor dem regional zuständigen Gericht eingelegt werden. Innerhalb von acht Tagen hat es eine richterliche Entscheidung darüber zu geben. Der Richter kann die Entscheidung der ersten Instanz bestätigen (Ablehnung), das Verfahren beenden, die Entscheidung kassieren (wonach ein neues Verfahren beginnen muss) oder korrigieren (worauf der Antrag direkt in das ordentliche Verfahren übergeht). (Info Stdok 5.2012)

Gegen die Entscheidung des Gerichts ist kein Rechtsmittel mehr möglich. (Asylgesetz 2007 24.12.2010, Art. 47-49)

In der Detailed Assessment Procedure (ordentliches Verfahren) wird das inhaltliche Verfahren geführt. Es gibt erneut ein detailliertes Interview und binnen 60 Tagen (einmal verlängerbar um 30 Tage) muss es eine Entscheidung geben, die lauten kann: Anerkennung als Flüchtling; subsidiärer Schutz; Ablehnung mit Duldung wegen Refoulement-Gründen, Ablehnung oder Abbruch des Verfahrens. In der detaillierten Phase ist die Heranziehung von Herkunftslandinformation verpflichtend (im Vorverfahren nicht obligatorisch). Der Zugang zu Rechtsberatung, zu UNHCR und zu NGOs welche Sozialarbeit, psychologische Hilfe etc. anbieten, ist gewährleistet. Medizinische Hilfe wird ebenso bereitgestellt. Das Asylverfahren wird intern und extern überwacht. (Info Stdok 5.2012)

Beschwerdemöglichkeiten

Seit 1.1.2014 ist gegen eine zurückweisende erstinstanzliche Entscheidung des BAH binnen 8 Tagen eine Beschwerde bei der Behörde möglich. Diese leitet die Causa an das zuständige Gericht weiter, das binnen 60 Tagen zu entscheiden hat. Ist der AW Gegenstand einer Zwangsmaßnahme, Sanktion oder Bestrafung, welche die persönliche Freiheit einschränkt, ist ein beschleunigtes Verfahren zu führen.

In Ungarn gibt es für AW gegen negative erstinstanzliche Verwaltungsentscheidungen nur eine gerichtliche Beschwerdemöglichkeit. (UNHCR 12.4.2013)

Wenn ein AW seinen Antrag am Flughafen vor Betreten ungarischen Territoriums einbringt, wird er im Transitbereich des Flughafens untergebracht. Das Vorverfahren verkürzt sich auf 8 Tage. Sind diese verstrichen oder wird der Antrag zugelassen, wird dem AW das Betreten ungarischen Territoriums erlaubt. Ist der AW vulnerabel, gelten die Bestimmungen für das Flughafenverfahren nicht (auch nicht für Familienmitglieder). (Asylgesetz 2007 24.12.2010, Art. 72 / Regierungserlass 290/2010, Art. 97)

Folgeanträge

Mit 1.1.2014 wurde kurzfristig, aufgrund eines eingeleiteten EU-Vertragsverletzungsverfahrens, das ungarische Asylgesetz in Bezug auf Folgeanträge, konkret §54 des ungarischen Asylgesetzes, geändert.

Und zwar dahingehend, dass auch ein Folgeantrag den Aufenthalt im Land ermöglicht bzw. eine Abschiebung verhindert. Erreicht wird dieser Effekt, indem die Entscheidung des BAH nicht angefochten, sondern stattdessen ein weiterer Antrag gestellt wird. Verbunden ist dies jedoch trotzdem mit einem Verlust der ungarischen Grundversorgung. (VB 24.1.2014)

Fremdenpolizeiliche Haft

Für fremdenpolizeiliche Maßnahmen (Aufgriff und Verhaftung illegaler Migranten, Rückführungen) ist in Ungarn die Aliens Policing Unit der ungarischen Polizei zuständig. Die Polizei kann einen Ausländer für bis zu 72 Stunden inhaftieren, danach kann ein Gericht die Haftdauer um jeweils 30 Tage bis zu insgesamt einem Jahr verlängern. Ein Ausländer muss aus der Haft entlassen werden, wenn die Rückführung auch so gesichert ist; wenn es offensichtlich wird, dass die Rückführung nicht durchgeführt werden kann (dann ist er in einer festgelegten offenen oder privaten Unterkunft unterzubringen); bzw. wenn die maximale Haftdauer von 12 Monaten erreicht ist. Minderjährige können nicht inhaftiert werden. Familien mit minderjährigen Kindern dürfen als letztes Mittel für maximal 30 Tage (in der bewachten Unterkunft für Vulnerable in Békéscsaba) inhaftiert werden. (Info Stdok 5.2012)

Asylrechtliche Haft

Mitte 2013 entschied sich die ungarische Regierung das Asylrecht anzupassen und neben der fremdenpolizeilichen auch eine asylrechtliche Haft zu schaffen. Die Änderungen des ungarischen Asylgesetzes ab dem 1.7.2013 betreffen die Neuregelung der Inhaftierung von AW in folgenden Fällen:

a) bei ungeklärter Identität und Nationalität

b) wenn ein AW sich versteckt oder das Verfahren sonst wie behindert hat

c) wenn die begründete Annahme besteht, dass der AW das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird

d) wenn die Haft notwendig ist zum Schutz der nat. Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung (weil der AW in ernster Weise oder mehrfach die Hausordnung des festgelegten Ortes des verpflichtenden Aufenthalts verletzt hat)

e) bei einem Antrag am Flughafen

f) wenn der AW das Dublin-Verfahren behindert, weil er nicht zu Ladungen erschienen ist.

Die Haft kann zuerst für 72 Stunden verhängt werden. Binnen der ersten 24 Stunden kann BAH die Verlängerung beim zuständigen Bezirksgericht beantragen. Das Gericht kann augrund dessen die Haft jeweils um max. 60 Tage verlängern, bis zu einer Maximaldauer von 6 Monaten. BAH muss die Verlängerungsanträge begründen. Eine persönliche Anhörung des Inhaftierten hat bei der ersten Verlängerung zwingend zu erfolgen, bei allen weiteren Verlängerungen kann diese auf Antrag des AW erfolgen.

Haft von unbegleiteten Minderjährigen darf nicht angeordnet werden. Die asylrechtliche Haft für Familien mit Kindern (als letztes Mittel unter Bedachtnahme auf das beste Interesse des Kindes) darf 30 Tage nicht überschreiten.

Nach Ende der Haft soll die Behörde einen Ort des verpflichtenden Aufenthalts festlegen.

AW können keine Einstellung des Verfahrens zur Anordnung asylrechtlicher Haft beantragen. Gegen die Anordnung der asylrechtlichen Haft gibt es kein Rechtsmittel.

Betroffene können dann Beschwerde gegen die Anordnung der asylrechtlichen Haft einlegen, wenn BAH gewisse Pflichten verletzt hat (Information über Rechte/Pflichten in verständlicher Sprache;

Unterbringung für abhängige Angehörige des zu Inhaftierenden;

Einhaltung d. Haftbedingungen usw.).

Über diese Beschwerde hat das zuständige Wohnsitzgericht binnen 8 Tagen zu entscheiden. (UNHCR 12.4.2013)

Ziel der neuen Regelung ist es, die missbräuchliche Asylantragsstellung in Ungarn zu verhindern, das sind jene Fälle, in denen Personen gezielt Anträge stellen, um im Rahmen des vorübergehenden Aufenthaltsrechtes in die eigentlichen Zielländer weiterzureisen. Begründete Anträge sollten auch entsprechend nicht zur Verhängung einer asylrechtlichen Freiheitsbeschränkung führen, stattdessen sollten andere Möglichkeiten die Beteiligung am Verfahren gewährleisten, darunter Kautionsstellung, die Anmeldung einer ordentlichen Meldeadresse im Land etc. Zur Beurteilung der Sachlage sollten neben diesen Möglichkeiten auch andere Faktoren wie die Existenz familiärer Anbindung in Ungarn herangezogen werden, aber auch negative Faktoren (z.B. Mehrfachantragsstellung; das Herkunftsland ist erfahrungsgemäß kein Herkunftsland von Flüchtlingen [z.B. Kosovo] etc.). Dezidiertes Ziel ist es keinesfalls, jeden Antragsteller einer Freiheitsbeschränkung zu unterziehen. (VB 28.6.2013)

Um die praktischen Auswirkungen der og. Gesetzesänderungen auf Personen einschätzen zu können, die im Rahmen der Dublin-VO aus Österreich nach Ungarn zurückkehren, wurde mit den ungarischen Behörden ein Monitoring von 15 Fällen vereinbart. Von Interesse waren bei diesem Monitoring insbesondere die Punkte: Art der Unterbringung nach Überstellung (offene Unterbringung oder Haft); Zugang zum Asylverfahren; im Falle von Haft, deren Gründe und Zugang zu Rechtsschutz.

Im Zeitraum zwischen 1. und 29. Juli 2013 wurden 15 ausgewählte Fälle (betreffend 16 Personen) von Österreich nach Ungarn überstellt. Es handelte es sich bei den überstellten Personen um 12 erwachsene Männer, zwei erwachsene Frauen und einen Vater mit minderjährigem Sohn.

Zugang zum Asylverfahren/Zugang zu Rechtsschutz war nach Angaben des BAH für alle gesichert.

Über 3 der Rückkehrer wurde die neu geschaffene asylrechtliche Haft verhängt. Mit Stand 19.9.2013 war noch 1 Person mit anhängigem Asylverfahren in asylrechtlicher Haft. Die anderen hatten ihren Antrag zurückgezogen und wurden nach Serbien abgeschoben.

In offener Unterbringung befanden sich noch 3 von ursprünglich 8 Personen. Von diesen dreien hatte eine ein noch nicht rechtskräftig eingestelltes Verfahren, eine weitere eine anhängige Beschwerde und die dritte Person (die Frau) ein anhängiges fremdenpolizeiliches Verfahren. Die anderen 5 Personen waren unbekannten Aufenthalts. Sie hatten das Zentrum Debrecen verlassen, weswegen 4 dieser Verfahren eingestellt wurden, ein Verfahren befand sich im Stadium einer anhängigen Beschwerde.

Insgesamt wurden 5 Personen nach Serbien abgeschoben, 3 wegen zurückgezogener Anträge, 2 aus der fremdenpolizeilichen Haft heraus. Eine Person wurde wegen zurückgezogenen Antrags in den Kosovo abgeschoben. Eine Person ist freiwillig ausgereist.

Vater und Sohn zählen zu jenen mit unbekanntem Aufenthalt, ihre Verfahren wurden eingestellt. (BAA 19.9.2013)

Die Unterbringungssituation ist derzeit unproblematisch. Seit Abbau der letzten Zelte im Spätsommer 2013 war es nicht mehr notwendig, Notquartiere zu errichten. Békéscsaba ist, nach einer Brandstiftung durch Asylwerber im November 2013, wieder vollständig in Betrieb. Auch vor dem Hintergrund der schwierigen Lage in Bulgarien sieht Ungarn keine Gefahr einer Verschärfung der Unterbringungssituation. Erfahrungsgemäß ist der Aufenthalt von Migranten in Ungarn stets nur temporär und es wird versucht, das Land möglichst rasch wieder zu verlassen. Da die asylrechtliche Haft nur bei Antragstellern angewandt wird, die nicht aus anerkannt risikoreichen Herkunftsländern kommen (Kosovo, Pakistan etc.), ist auch in weiterer Zukunft nicht damit zu rechnen, dass sich diese Situation wesentlich ändern wird. Das heißt, eine Ausweitung der Anwendung des Instruments Asylhaft ist nicht zu erwarten. (VB 24.1.2014)

Laut Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Würzburg sind keine systemischen Mängel der Asylpraxis Ungarns festzustellen. Aus der im Juli 2013 in Kraft getretenen Gesetzesänderung, wonach die Inhaftierung von Asylbewerbern für bis zu sechs Monate möglich ist, folgen keine systemischen Mängel. Die Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Art. 8 III RL 2013/33/EU . (BAMF 16.1.2014)

Mit Urteil vom 20. September 2011 entschied der EGMR im Fall Lokpo und Touré gegen Ungarn (Appl. Nr. 10816/10), dass die Dauer der Anhaltung der Beschwerdeführer unverhältnismäßig lange war und diese daher als willkürlich anzusehen ist. Der Grund für die Anhaltung lag vor allem allein daran, dass die Asylbehörde untätig geblieben ist, worin der EGMR Willkür sieht. Darüber hinaus war die Dauer der Maßnahme unverhältnismäßig im Hinblick auf den verfolgten Zweck. Die 6-monatige Anhaltung war daher nicht gesetzmäßig und Ungarn hat somit Art 5 EMRK verletzt.

Das Urteil trifft jedoch keinerlei Aussagen dazu, ob diese Vorgehensweise systematisch angewandt wird, noch äußert es sich zum ungarischen Asylsystem bzw. der Situation von Asylwerbern allgemein. Außerdem fand der Anlassfall im Jahr 2009 statt. 2010 wurde die Haft von Drittstaatsangehörigen im Act II of 2007 neu geregelt und regelmäßige Überprüfungen der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung in 30 Tagesschritten eingeführt. (EGMR 20.9.2011)

In den Fällen Hendrin Ali Said und Aras Ali Said gegen Ungarn (Appl. Nr. 13457/11) und Al Tayyar Abdelhakim gegen Ungarn (Appl. Nr. 13058/11) entschied der EGMR am 23. Oktober 2012 erneut gegen Ungarn. Der EGMR verweist auf die Vergleichbarkeit beider Sachverhalte mit dem Fall Lokpo und Touré gegen Ungarn vom 20.9.2011, indem bereits HU wegen der Verletzung von Art 5 Abs 1 EMRK verurteilt wurde.

Aus beiden Urteilen kann aber keinerlei Bewertung des ungarischen Asylsystems durch den EGMR herausgelesen werden. Auch die von ECRE und der Asylkoordination geäußerte Kritik an Dublin-Überstellungen nach Ungarn findet keinen Eingang in die Überlegungen des EGMR. Es werden in diesem Zusammenhang auch keine generellen systematischen Mängel des Asylsystems erwähnt. Folglich sind die Feststellungen, welche der EGMR in beiden Fällen trifft, als Folgeentscheidungen zu werten, die sich aufgrund der ähnlichen Sachverhaltskonstellationen aus dem Fall Lopko and Touré gegen Ungarn ergeben.

Des Weiteren ist zu beachten, dass die entscheidungsbegründenden Sachverhalte beider Fälle vor der relevanten Gesetzesänderung, welche im 24. Dezember 2010 in Kraft getreten ist, stattfanden. Somit wurde die Haft von Drittstaatsangehörigen im Act II of 2007 bereits vor Erlass der beiden Urteile und auch vor dem Anlassfall Lokpo und Toure gegen Ungarn neu geregelt. Mitte 2012 kam es außerdem zu einer erneuten Änderung im fremdenpolizeilichen Verfahren. (EGMR 23.10.2012a / EGMR 23.10.2012b)

Quellen:

Asylgesetz 2007 (24.12.2010): Act LXXX of 2007 on Asylum

BAA Monitoringbericht (19.9.2013): Dublin-Rückkehrer in Ungarn und Anwendung der neugeschaffenen asylrechtlichen Haft 1.-29.7.2013

BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (8.10.2012):

Arbeitsgespräch mit BAH

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (16.1.2014):

Entscheiderbrief 1/2014,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Entscheiderbrief/2014/entscheiderbrief-01-2014.pdf?__blob=publicationFile , Zugriff 13.2.2014

EGMR - Europäischer Gerichtshof der Menschenrechte (20.9.2011):

Lokpo und Touré gegen Ungarn (Appl. Nr. 10816/10), Urteil

EGMR - Europäischer Gerichtshof der Menschenrechte (23.10.2012a):

Hendrin Ali Said und Aras Ali Said gegen Ungarn (Appl. Nr. 13457/11), Urteil

EGMR -Europäischer Gerichtshof der Menschenrechte (23.10.2012b): Al Tayyar Abdelhakim gegen Ungarn (Appl. Nr. 13058/11), Urteil

EMN (4.2011): European Migration Network: ANNUAL POLICY REPORT 2010. Developments in Hungarian Migration and Asylum Policy 1 January 2010 - 31 December 2010,

http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/networks/european_migration_network/reports/docs/annual-policy/2010/12._hungary_annual_policy_report_2010_final_version_april_2011_en.pdf , Zugriff 13.2.2014

Eurostat (22.3.2013): Pressemitteilung 48/2013, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-22032013-BP/DE/3-22032013-BP-DE.PDF , Zugriff 13.2.2014

Eurostat (18.6.2013): Pressemitteilung 96/2013, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-18062013-AP/DE/3-18062013-AP-DE.PDF , Zugriff 13.2.2014

Eurostat (2.8.2013): Data in focus 09/2013, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-QA-13-009/EN/KS-QA-13-009-EN.PDF , Zugriff 13.2.2014

Eurostat (8.10.2013): Data in focus 12/2013, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-QA-13-012/EN/KS-QA-13-012-EN.PDF , Zugriff 13.2.2014

Eurostat (20.12.2013): Data in focus 16/2013, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-QA-13-016/EN/KS-QA-13-016-EN.PDF , Zugriff 13.2.2014

Info der Staatendokumentation (5.2012): Ungarn: Ergebnisse der Konferenz über das ungarische Asyl- und Fremdenpolizeiwesen, 28.2.-2.3.2012

Regierungserlass 290/2010 (XII.21.) zu Gesetz XXXV/2010

UNHCR (12.4.2013): UNHCR COMMENTS AND RECOMMENDATIONS ON THE DRAFT

MODIFICATION OF CERTAIN MIGRATION-RELATED LEGISLATIVE ACTS FOR THE

PURPOSE OF LEGAL HARMONISATION,

http://www.unhcr-centraleurope.org/pdf/where-we-work/hungary/unhcr-comments-and-recommendations-on-the-draft-modification-of-migration-related-acts-april-2013.html , Zugriff 13.2.2014

VB des BM.I in Ungarn (28.6.2013): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I in Ungarn (24.1.2014): Auskunft des VB, per E-Mail

Dublin-Rückkehrer

Die ungarische Asylgesetzgebung garantiert jedem Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit der Stellung eines neuen Asylantrags, unabhängig davon, ob bereits vorher ein Asylverfahren betrieben wurde oder nicht. Sollte nach Rückkehr ein Folgeantrag gestellt werden, so gilt es zu unterscheiden, ob das zuvor betriebene Erstverfahren durch eine (negative) Entscheidung in der Sache selbst oder aber durch Verfahrenseinstellung beendet wurde. Ein Folgeantrag ist unzulässig, wenn zuvor eine endgültige Ablehnung eines Asylantrags erfolgte und er keine neuen Elemente enthält bzw. keine Sachlagenänderung eingetreten ist. Bei durch Verfahrenseinstellung (z. B. wegen Untertauchens) ohne Entscheidung in der Sache beendetem Verfahren greift diese Vorschrift nicht. Hier gelten dann bzgl. der Voraussetzungen zum Eintritt in das ordentliche Verfahren die gleichen Regelungen wie für das Erstverfahren. (VB 13.9.2012)

Mit 1.1.2014 wurde kurzfristig, aufgrund eines eingeleiteten EU-Vertragsverletzungsverfahrens, das ungarische Asylgesetz in Bezug auf Folgeanträge, konkret § 54 des ungarischen Asylgesetzes, geändert. Und zwar dahingehend, dass auch ein Folgeantrag den Aufenthalt im Land ermöglicht bzw. eine Abschiebung verhindert. Erreicht wird dieser Effekt, indem die Entscheidung des BAH nicht angefochten, sondern stattdessen ein weiterer Antrag gestellt wird. Verbunden ist dies jedoch trotzdem mit einem Verlust der ungarischen Grundversorgung. (VB 24.1.2014)

Der Zugang zum Asylverfahren für Dublin-Rückkehrer, deren Vorbringen in Ungarn zuvor nicht inhaltlich untersucht und entschieden worden sind, hat sich verbessert. Diese haben bei Rückkehr Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung ihrer Vorbringen, sofern sie die (Wieder‑)Aufnahme ihres vorherigen Asylantrags formal beantragen. Sie werden dann nicht inhaftiert und dürfen das Ergebnis ihres Verfahrens in Ungarn abwarten. (UNHCR 12.2012)

Im Fall einer Dublin-Rücküberstellung aus Österreich wird der Fremde, auch nach den seit 1.7.2013 geltenden Bestimmungen zur asylrechtlichen Haft in Ungarn, automatisch als Asylantragsteller angesehen, selbst wenn das Alt-Verfahren bereits abgeschlossen ist oder wenn zuvor kein Asylantrag in Ungarn gestellt wurde. Es kommt in diesem Sinne auch zu einer eigenen Entscheidung über die asylrechtliche Freiheitsbeschränkung, die somit nicht automatisch bzw. zwangsläufig erfolgen muss. (VB 28.6.2013)

In einem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Fall Mohammed v Austria) kommt diese zu dem Schluss, dass eine Zwangsrückführung im Rahmen von Dublin II nach Ungarn keine Verletzung des Artikels 3 EMRK darstellt. (EGMR 6.6.2013)

Drittstaatsicherheit Serbiens

Gegen Fremde, die von Ungarn aufgrund des Rückübernahmeabkommens nach Serbien zurückgeschoben werden und die keine Asylwerber sind, wird seitens der serbischen Gebietspolizeiverwaltung ein Verwaltungsstrafverfahren wegen illegaler Einreise eingeleitet. Nach Beendigung des Verfahrens können die fremden Staatsbürger in der Aufnahmestelle für Fremde untergebracht werden, wo ihnen Verpflegung und Hygienemittel, jedoch kein Geld zur Verfügung gestellt werden. Sie haben aber die Möglichkeit, Verwandte zwecks Beschaffung von finanziellen Mitteln zu kontaktieren.

Die Fremden bleiben in der Aufnahmestelle, bis ihnen persönliche Reisedokumente zwecks Rückkehr ins Herkunftsland ausgehändigt werden können. Diese werden in der jeweiligen diplomatisch-konsularischen Vertretungen in Belgrad ausgestellt. Geld für Flugtickets beschaffen die fremden Staatsbürger meist mit Hilfe ihrer Familien im Herkunftsland. (VB 31.10.2013)

UNHCR bestätigt, dass Ungarn Asylwerbern, die über Serbien oder die Ukraine eingereist sind, ein inhaltliches Verfahren nicht mehr verwehrt. Diese werden nicht mehr nach Serbien (oder in die UKR) zurückgeschickt. (UNHCR 12.2012)

Am 10. Dezember 2012 veröffentlichte die Kuria (ungarisches Höchstgericht) ein offizielles Gutachten (Opinion), um eine harmonisierte Praxis ungarischer Gerichte betreffend die Anwendung des Konzepts der Drittstaatssicherheit in Asylfällen voranzutreiben. Der Grund für einen derartigen Leitfaden waren die unterschiedlichen Zugänge, die verschiedene ungarischen Regionalgerichte in den letzten Jahren bei der Prüfung von Verwaltungsentscheidungen verfolgten, in denen Asylwerbern die Zulassung zum inhaltlichen Verfahren in Ungarn, aufgrund von Drittstaatssicherheit verweigert worden war. Damit verbunden war auch eine divergierende Bewertung der Asylsituation in Serbien, dem häufigsten Drittstaat in Ungarn.

Die Kuria kam zu folgenden Schlüssen:

I. Wenn Verwaltungsentscheidungen betreffend das Konzept der Drittstaatssicherheit überprüft werden, soll das Gericht ex officio ihm zur Verfügung stehende präzise und glaubwürdige Länderinformationen bei der Entscheidung berücksichtigen. Infos des UNHCR sollen dabei immer berücksichtigt werden. Im Zweifelsfall kann das Gericht Informationen bei der COI-Einheit des BAH anfordern oder aus anderen zuverlässigen Quellen beziehen. Die Kuria hält fest, dass - obwohl es die Aufgabe des Gerichts ist die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung zum Zeitpunkt ihres Zustandekommens zu bewerten - kann das Gericht aufgrund des absoluten Charakters des Refoulement-Verbots, ihm zur Kenntnis gelangte, neuere Informationen nicht außer Acht lassen. Wenn ein UNHCR-Report nicht verfügbar oder veraltet ist, sollen Verwaltungsbehörde und Gericht das im Detail festhalten. Das Gericht soll alle ihm zur Verfügung stehende Quellen, nicht nur von der Verwaltungsbehörde oder dem AW vorgelegte, einzeln und in ihrer Gesamtheit bewerten.

II. Das Faktum, dass das Asylsystem eines Landes überlastet ist, kann dazu führen, dass dieses Land unfähig ist die Rechte von Asylwerbern zu respektieren. Ein solches Land soll nicht als sicherer Drittstaat betrachtet werden. Die Ratifizierung der relevanten Abkommen ist dabei irrelevant; der effektive Zugang zu Schutz ist wichtig (Zugang zum Asylverfahren ohne unmöglich zu erfüllende Vorbedingungen, Gewährleistung eines inhaltlichen Verfahrens, ausreichende Rechtsmittel, etc.).

III. Das reine Faktum, dass ein AW im Drittland keinen Asylantrag gestellt hat, darf nicht per se zum Schluss führen, dass das Land sicherer Drittstaat ist. Bei angenommenen sicheren Drittstaaten muss der Antragsteller glaubhaft machen (nicht beweisen), dass er keinen Zugang zu effektivem Schutz hatte (individuelle Umstände, etwa Minderjährigkeit, etc.). Die verpflichtende Verwendung von Länderinformation und die Notwendigkeit der Individualisierung werden von EU-RL verlangt und sind daher in allen Phasen des Asylverfahrens anzuwenden, auch in beschleunigten und Sonderverfahren. Beim Risiko der Kettenabschiebung kann vom AW nicht erwartet werden ein individuelles Risiko zu beweisen. (HHC 4.1.2013)

Quellen:

EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (6.6.2013): Press Release ECHR 168 (2013): Sudanese asylum-seeker did not have an effective legal protection against forced transfer from Austria to Hungary (application no. 2283/12), http://hudoc.echr.coe.int/webservices/content/pdf/003-4388586-5268955 , Zugriff 13.2.2014

HHC - Hungarian Helsinki Committee (4.1.2013): Zusammenfassung der OPINION NO. 2/2012 (XII.10) KMK. OF THE SUPREME COURT OF HUNGARY (KÚRIA) ON CERTAIN QUESTIONS RELATED TO THE APPLICATION OF THE SAFE THIRD COUNTRY CONCEPT vom 10. Dezember 2012;

http://helsinki.hu/en/supreme-courts-opinion-on-the-application-of-the-safe-third-country-concept , Zugriff 13.2.2014

UNHCR (12.2012): Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia - update;

http://www.refworld.org/docid/50d1d13e2.html , Zugriff 13.2.2014

VB des BM.I in Ungarn (13.9.2012): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I in Ungarn (28.6.2013): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I in Ungarn (24.1.2014): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I in Serbien (31.10.2013): Auskunft der serbischen Grenzpolizei, per E-Mail

Non-Refoulement

Ungarn gewährte in der Praxis Schutz vor Ausweisung bzw. Rückkehr von Flüchtlingen in Länder, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre. (USDOS 19.4.2013)

Gemäß dem Gesetz (Act II of 2007) kann eine Rückführung in Länder, die nicht als sichere Herkunfts- bzw. Drittländer (in Übereinstimmung mit dem Non-Refoulement-Prinzip) gelten, weder angeordnet noch durchgeführt werden. Die Übereinstimmung mit diesem Prinzip und der Zugang zum Asylverfahren werden regelmäßig vom ungarischen Helsinki Komitee überwacht. Dies geschieht aufgrund einer sog. "Drei-Parteien-Grenzüberwachungs-Vereinbarung" zwischen der ungarischen Polizei, der UNHCR Regionalrepräsentation in Mitteleuropa und dem Helsinki Komitee. (UN 14.9.2011)

Eine Ausweisungsverfügung bzw. Abschiebemaßnahmen können gem. § 51 Abs. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 des ungarischen Ausländergesetzes (Act II of 2007) nur unter Beachtung des Non-Refoulement-Gebotes erlassen werden. Insoweit ist durch die ungarische Fremdenpolizei eine vorherige Stellungnahme der Asylbehörde einzuholen, ob im konkreten Einzelfall im Falle einer Abschiebung das Non-Refoulement-Gebot verletzt sein könnte. (VB 13.9.2012)

Quellen:

UN - United Nations General Assembly, Human Rights Council, 18th session (14.9.2011): Report of the Working Group on the Universal Periodic Review, Hungary, Addendum, Views on conclusions and/or recommendations, voluntary commitments and replies presented by the State under review;

http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/18session/A-HRC-18-17-Add1.pdf , Zugriff 13.2.2014

USDOS - US Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices 2012 - Hungary;

http://www.ecoi.net/local_link/245185/368632_de.html , Zugriff 13.2.2014

VB des BM.I in Ungarn (13.9.2012): Auskunft des VB, per E-Mail

Versorgung

Unterbringung

Es gibt in Ungarn mehrere Unterbringungseinrichtungen für Asylwerber und zwei Heime für unbegleitete Minderjährige. Diese sind namentlich:

Debrecen, das größte offene Zentrum mit 1.170 Plätzen. In Debrecen gibt es einen eigenen Flügel für alleinstehende Frauen und Traumatisierte. Wer an der Grenze oder am Flughafen Asyl beantragt, kommt in der Regel nach Debrecen.

Balassagyarmat, die offene Gemeinschaftsunterkunft für Folgeantragsteller und tolerierte Aufenthalte mit 105 Plätzen.

Békéscsaba, das geschlossene Zentrum für Familien und Vulnerable mit 135 Plätzen. (Aida 5.9.2013)

Darüber hinaus werden Asylwerber, die sich in Schubhaft oder in fremdenpolizeilicher Haft befinden, in sogenannten bewachten Unterkünften (Detention Centres) in Györ, Budapest Airport, Nyírbátor und Kishkunhalas untergebracht. Diese sind geschlossene Zentren. (vgl. VB 18.10.2011 / Info Stdok 5.2012 / Pro Asyl 25.4.2012 ) In Nyírbátor werden seit Mitte 2012 nur noch folgende Personengruppen inhaftiert: Nicht-Antragsteller und Fremde mit Asyl(folge)anträgen aus der fremdenpolizeilichen Haft heraus. (BAH 8.10.2012)

Für die asylrechtliche Haft stehen die Zentren Nyírbátor bzw. Békéscsaba zur Verfügung. (BAA 19.9.2013) Nyírbátor wird seit Frühjahr 2013 nicht mehr von der ungarischen Polizei betrieben, sondern von BAH. (BAMF 29.7.2013)

Asylwerber können auf Anfrage auch außerhalb eines Zentrums privat wohnen, erhalten dann aber den Großteil der materiellen Unterstützung nicht, den es im Zentrum gibt. (Aida 5.9.2013). Unbegleitete Minderjährige werden im Kinderheim in Fót untergebracht, dessen Kapazität von 18 Plätzen angeblich in Erweiterung um 32 Plätze begriffen ist, bzw. in Hódmezovásárhely, wo eine katholische Wohltätigkeitsorganisation eine Unterkunft mit 18 Plätzen betreibt. (Aida 5.9.2013)

Die Unterbringungssituation ist derzeit unproblematisch. Seit Abbau der letzten Zelte im Spätsommer 2013 war es nicht mehr notwendig, Notquartiere zu errichten. Békéscsaba ist, nach einer Brandstiftung durch Asylwerber im November 2013, wieder vollständig in Betrieb. Auch vor dem Hintergrund der schwierigen Lage in Bulgarien sieht Ungarn keine Gefahr einer Verschärfung der Unterbringungssituation. Erfahrungsgemäß ist der Aufenthalt von Migranten in Ungarn stets nur temporär und es wird versucht, das Land möglichst rasch wieder zu verlassen. (VB 24.1.2014)

Aufgabe der Cordelia Foundation ist es traumatisierte Asylwerber und Flüchtlinge bei der psycho-sozialen Rehabilitation zu unterstützen. Sie übernimmt dabei staatliche Aufgaben und erhält dafür Förderungen durch den European Refugee Fund und das ungarische Justizministerium. (Cordelia 31.5.2010) Cordelia ist spezialisiert auf die Behandlung von Folteropfern bzw. traumatisierten Flüchtlingen und ausschließlich in Bicske, Debrecen und Békéscaba tätig. (Pro Asyl 10.2013)

Es existieren verschiedene NGOs, die AW, subsidiär Schutzberechtigen und Flüchtlingen unterschiedliche Leistungen anbieten. Die größten und aktivsten sind:

• Menedék - Association for Migrants: Unterstützt alle Fremden bei der Integration in Ungarn; unterhält verschiedene Hilfsprogramme und vertritt die Interessen und Rechte von Migranten gegenüber Politik, Verwaltung und Medien.

• The Artemisszió Foundation: Unterstützt soziale Integration; interkulturelle Trainingskurse; Verteilung von Unterrichtsmaterial usw.

• The Hungarian Helsinki Committee (HHC): Überwacht die Beachtung der Menschenrechte in der Behandlung von AW; stellt Rechtsbeistände für Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Staatsorgane; Infokampagnen für die Öffentlichkeit; besondere Konzentration auf Haftbedingungen und das Recht auf Verteidigung und Gleichheit vor dem Gesetz. HHC ist Umsetzungspartner des UNHCR und hat seit 1997 ein Abkommen mit den ungarischen Behörden, das es ihm erlaubt die Hafteinrichtungen des Landes zu überprüfen. Seit 1998 bietet HHC Asylwerbern Rechtshilfe. Vertragsanwälte des HHC besuchen regelmäßig Einrichtungen, in denen Fremde festgehalten werden.

• The Hungarian Interchurch Aid: Unterstützung für Bedürftige; unterhält als eine der größten ungar. NGOs soziale Einrichtungen und Entwicklungsprogramme; bietet humanitäre Hilfe und unterstützt Flüchtlinge; unterhält ein Heim für UMA. (EMN 4.2011 / EMN 2009)

Quellen:

Aida - Asylum Information Database (5.9.2013): National Country Report Hungary,

http://www.asylumineurope.org/files/report-download/aida_report_hungary_05092013.pdf , Zugriff 13.2.2014

BAA Monitoringbericht (19.9.2013): Dublin-Rückkehrer in Ungarn und Anwendung der neugeschaffenen asylrechtlichen Haft 1.-29.7.2013

BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (8.10.2012):

Arbeitsgespräch mit BAH

Cordelia Foundation for the Rehabilitation of Torture Victims (31.5.2010): Report on Public Interest, 1 January 2009 - 31 December 2009,

http://www.cordelia.hu/documents/PUBLIC INTEREST REPORT_CORDELIA_2009.pdf , Zugriff 13.2.2014

EMN (4.2011): European Migration Network: ANNUAL POLICY REPORT 2010. Developments in Hungarian Migration and Asylum Policy 1 January 2010 - 31 December 2010,

http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/networks/european_migration_network/reports/docs/annual-policy/2010/12._hungary_annual_policy_report_2010_final_version_april_2011_en.pdf , Zugriff 13.2.2014

EMN (2009): THE ORGANISATION OF ASYLUM AND MIGRATION POLICIES IN HUNGARY, HU EMN NCP Study

Info der Staatendokumentation (5.2012): Ungarn: Ergebnisse der Konferenz über das ungarische Asyl- und Fremdenpolizeiwesen, 28.2.-2.3.2012

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (29.7.2013):

Information des Liaisonbeamten des BAMF beim ung. BAH, per E-Mail

Pro Asyl (25.4.2012): Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit;

http://www.proasyl.de/de/themen/eu-politik/detail/news/ungarn_fluechtlinge_zwischen_haft_und_obdachlosigkeit/ , Zugriff 13.2.2014

Pro Asyl (10.2013): Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit. Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012,

http://bordermonitoring.eu/files/2013/10/Ungarn_Update_Oktober_2013.pdf , Zugriff 13.2.2014

VB des BM.I in Ungarn (18.10.2011): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I in Ungarn (24.1.2014): Auskunft des VB, per E-Mail

Medizinische Versorgung

In seinem Bericht Hungary as a Country of Asylum sagte UNHCR, dass in Debrecen und Balassagyarmat fachärztliche Betreuung, etwa durch Dermatologen, nicht erhältlich, sowie Zahnbehandlung sehr teuer sei. In Balassagyarmat war im Rahmen eines Besuches ein Aushang zu sehen, auf dem sich Asylwerber für den nächsten Zahnarzttermin eintragen konnten. Hinweise zu etwaigen Kosten der Behandlung konnten nicht wahrgenommen werden. (Info Stdok 5.2012 / UNHCR 24.4.2012)

Die kostenlose Gesundheitsversorgung beinhaltet bei Krankheit zunächst die Versorgung durch einen Allgemeinmediziner und, wenn dieser eine entsprechende Überweisung ausstellt, auch die Versorgung in Polikliniken oder Krankenhäusern. Hierbei handelt es sich um Ausnahmefälle, in denen eine adäquate Versorgung innerhalb der Aufnahmeeinrichtung nicht sichergestellt werden kann. In Notfällen werden Patienten auch direkt in Kliniken aufgenommen. Notwendige Medikamente erhält ein Patient ebenfalls kostenfrei. Zahnarztbehandlungen werden in Notfällen gewährt. (BT 2.3.2012)

Im Sinne der geltenden Rechtsnormen ist in den festgelegten Unterkünften entsprechende Gesundheitsversorgung für die Antragsteller zur Verfügung zu stellen. Vertragsmäßige medizinische Versorgung steht rund um die Uhr zur Verfügung. Die Institutionen werden von einer auf Rehabilitation von Gefolterten spezialisierten NGO wöchentlich besucht. (VB 18.10.2011)

Eine wichtige Rolle bei der Versorgung psychisch kranker Asylwerber spielt die ungarische Nichtregierungsorganisation Cordelia Foundation. Diese stellte im Jahr 2009 850 gefolterten und/oder traumatisierten Asylwerbern psychiatrische und psychosoziale Hilfe zur Verfügung.

Die Cordelia Foundation verfügt über mehrere Psychiater (inkl. einen Kinderpsychiater), Psychologen, Sozialarbeiter, Übersetzer usw., die in einem "rehabilitation team" von 11 Personen mit den Traumatisierten in den Flüchtlingszentren Békéscsaba, Bicske und Debrecen des BAH arbeiten. (Cordelia 31.5.2010 / vgl. Pro Asyl 10.2013)

Auf Grund von altersbedingten Besonderheiten steht für Minderjährige medizinische/psychologische Versorgung im Institut für Kinderschutz zur Verfügung. (VB 18.10.2011)

Quellen:

Cordelia Foundation for the Rehabilitation of Torture Victims (31.5.2010): Report on Public Interest, 1 January 2009 - 31 December 2009,

http://www.cordelia.hu/documents/PUBLIC INTEREST REPORT_CORDELIA_2009.pdf , Zugriff 13.2.2014

BT - Deutscher Bundestag (2.3.2012): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE; Drucksache 17/8653; Überstellung von Asylsuchenden im Dublin-Verfahren nach Ungarn trotz drohender Inhaftierung und Abschiebung vor Ende des Asylverfahrens

Info der Staatendokumentation (5.2012): Ungarn: Ergebnisse der Konferenz über das ungarische Asyl- und Fremdenpolizeiwesen, 28.2.-2.3.2012

Pro Asyl (10.2013): Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit. Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012,

http://bordermonitoring.eu/files/2013/10/Ungarn_Update_Oktober_2013.pdf , Zugriff 13.2.2014

UNHCR (24.4.2012): Hungary as a country of asylum. Observations on the situation of asylum-seekers and refugees in Hungary; http://www.refworld.org/docid/4f9167db2.html , Zugriff 13.2.2014

VB des BM.I in Ungarn (18.10.2011): Auskunft des VB, per E-Mail

Integrationsvertrag

Mit 1.1.2014 traten Änderungen des ungarischen Asylgesetzes in Kraft, welche 2013 zusammen mit der Schaffung der asylrechtlichen Haft beschlossen wurden, aber im Gegensatz zu jener nicht bereits mit 1.7.2013 wirksam wurden. So wurde mit 1.1.2014 mittels Schaffung des Instruments des Integrationsvertrags die Integration von anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten neu geregelt.

Ab 1.1.2014 wird die soziale Integration von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten auf ein dezentrales System umgestellt und durch die Flüchtlingsbehörde in Kooperation mit dem zuständigen Familienunterstützungszentrum in der Wohnsitzgemeinde des Betreffenden, ermöglicht. In die Umsetzung können NGOs eingebunden werden.

Zwischen dem bedürftigen Flüchtling/subsidiär Schutzberechtigten und der Behörde kann auf Antrag des Schutzberechtigten ein Integrationsvertrag abgeschlossen werden. Der Antrag ist nur binnen 4 Monaten ab Zuerkennung des Schutzstatus möglich. Der Integrationsvertrag gilt für zwei Jahre. Mit Abschluss des Integrationsvertrags verpflichtet sich der Schutzberechtigte zur Kooperation und das zuständige Familienunterstützungszentrum benennt einen Sozialarbeiter, der binnen 30 Tagen einen Betreuungsplan ausarbeitet. Das Familienunterstützungszentrum kann bei der Wohnungssuche und beim Kontakt mit Arbeitsämtern, anderen Behörden, bei der Arbeitssuche, bei Sprachkursen usw. helfen. Die Asylbehörde legt die Höhe der Beihilfen per Beschluss fest und zahlt diese monatlich aus. Die Leitungen des Integrationsvertrages werden durch das Familienunterstützungszentrum bereitgestellt. Die neue Gesetzeslage überträgt den Schutzberechtigten mehr Verantwortung, da sie einen größeren Betrag materieller Unterstützung aus dem Integrationsvertrag eigenständig für verschiedene Zwecke einsetzen müssen, wie etwa Unterkunft, Sprachkurse, etc. Gleichzeitig werden die Familienunterstützungszentren durch ihre Hilfeleistung essentiell für die Integration der Schutzberechtigten sein.

Der Besuch von Sprachkursen wird nicht verpflichtend sein, aber die Schutzberechtigten können sich diese aus den Mitteln der Integrationshilfe selbst finanzieren.

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, die privat untergebracht sind, haben ein Recht auf:

Gesundheitsversorgung (Schutzberechtigte welche nicht unter das Sozialversicherungssystem fallen, haben für ein Jahr ab Statuszuerkennung das Recht auf kostenlose Krankenversorgung);

eine Ausreisebeihilfe, wenn sie das Land endgültig verlassen;

Wohnunterstützung (in Form eines unverzinslichen Darlehens);

Integrationsunterstützung (gestaffelt nach Familiensituation und Vertragsdauer bis zu 215.000 HUF monatlich); (VB 18.1.2014)

Nach Ablauf der zwei Jahre besteht Zugang zu Sozialhilfe nach den Vorgaben für ungarische Staatsbürger. (VB 24.1.2014)

Der Integrationsvertrag muss binnen vier Monaten ab Schutzerteilung vom Schutzberechtigten beantragt werden und ist bis zu zwei Jahren gültig. Beantragt ein Berechtigter nicht binnen vier Monaten diesen Vertrag oder verzieht er aus dem zuständigen Bezirk aus einem anderen Grund als Arbeitsaufnahme, Zuweisung einer Unterkunft, Familienzusammenführung oder gesundheitlicher Behandlung, verliert er das Recht auf den Integrationsvertrag.

Die Auszahlung von Unterstützung oder Bereitstellung von Leistungen im Rahmen des Integrationsvertrags kann ausgesetzt werden, wenn der Schutzberechtigte durch eigene Schuld an 30 aufeinanderfolgenden Tagen die Bedingungen des Vertrags nicht erfüllt; wenn er falsche Angaben über Vermögen bzw. Einkommen macht; mehr als 30 Tage stationär behandelt werden muss; oder er einer Straftat angeklagt und gegen ihn deswegen ermittelt wird.

Die Auszahlung von Unterstützung oder Bereitstellung von Leistungen im Rahmen des Integrationsvertrags kann ganz beendet werden, wenn aus einem der o.g. Gründe die Suspendierung der Leistungen erneut nötig werden sollte (also im Wiederholungsfall), oder bei Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat.

Außerdem werden ab 1.1.2014 bedürftige Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte ab endgültiger Zuerkennung des Schutzstatus für weitere 60 Tage Anspruch auf volle Nutzung der materiellen Hilfe haben, die auch Asylwerbern im Rahmen der Aufnahme zusteht. (UNHCR 12.4.2013 / BAH 14.10.2013)

Quellen:

BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (14.10.2013): Anfragebeantwortung, per E-Mail

UNHCR (12.4.2013): UNHCR COMMENTS AND RECOMMENDATIONS ON THE DRAFT

MODIFICATION OF CERTAIN MIGRATION-RELATED LEGISLATIVE ACTS FOR THE

PURPOSE OF LEGAL HARMONISATION,

http://www.unhcr-centraleurope.org/pdf/where-we-work/hungary/unhcr-comments-and-recommendations-on-the-draft-modification-of-migration-related-acts-april-2013.html , Zugriff 13.2.2014

VB des BM.I in Ungarn (18.1.2014): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I in Ungarn (24.1.2014): Auskunft des VB, per E-Mail"

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde, soweit wesentlich, aus, dass bei einer Rücksprache mit der Ärztestation der Betreuungsstelle keine Wanzen bei der beschwerdeführenden Partei festgestellt worden seien. Nach dem 05.06.2014 sei die beschwerdeführende Partei auch nicht mehr bei der Ärztestation vorstellig geworden, woraus geschlossen werden könne, dass diese nicht an einer exzeptionellen oder lebensbedrohlichen Krankheit leiden würde. Zum psychischen Zustand sei zu sagen, dass der beschwerdeführenden Partei in Ungarn Zugang zu einer psychologischen Betreuung offen stehe.

Hinsichtlich der Angaben der beschwerdeführenden Partei, dass im ungarischen Lager nur Drogensüchtige leben würden, und Afghanen und Somalier aufeinander losgingen, und auch sie selbst einmal geschlagen worden sei, führte die belangte Behörde an, dass daraus keine Gefahr einer konkreten Verfolgung abzulesen sei. Selbst bei Vorliegen der behaupteten Umstände könne man daraus nicht auf eine mangelnde Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit der ungarischen Behörden schließen. Das Vorbringen einer mangelnden Gesundheitsversorgung werde nicht geglaubt, da die beschwerdeführende Partei offenbar gar keine Wanzen gehabt habe. In Hinblick auf die Länderfeststellungen gehe die Behörde davon aus, dass der beschwerdeführenden Partei eine ausreichende medizinische Versorgung in Ungarn offen stehe.

10. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher zusammengefasst vorgebracht wird, dass die beschwerdeführende Partei vulnerabel sei. Sie habe ein deutliches Vorbringen dahingehend erstattet, dass die Verhältnisse in den ungarischen Lagern schlecht und menschenunwürdig seien. Die belangte Behörde sei auf die Angaben zur mangelnden Hygiene, zum Ungezieferbefall, zur medizinischen Nichtversorgung, zur Unsicherheit im Flüchtlingslager etc. nicht ausreichend eingegangen.

Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien unschlüssig und könnten die persönliche Furcht vor Verfolgung nicht entkräften. In weiterer Folge wiederholt die Beschwerde das Vorbringen aus der Stellungnahme vom 16.06.2014, und zwar, dass es keine Informationen über die Anwendung von Bestimmungen einer Novelle in der Praxis gebe, dass es keine Informationen über die nächste bevorstehende Novelle mit geplantem Inkrafttreten im Juli 2013 gebe, und dass auf die soziale Lage von Flüchtlingen in Ungarn nicht eingegangen worden sei - insbesondere betreffend die Gefahr von Obdachlosigkeit.

Die Behörde habe sich auch nicht vergewissert, dass die beschwerdeführende Partei in Ungarn mit Unterkunft und ausreichenden Mitteln versorgt werden würde.

Und schließlich gebe es für die Zurückweisung des Antrags keine gesetzliche Grundlage: aus der Legaldefinition der "Dublin Verordnung" in § 2 Abs. 1 Z 8 AsylG gehe hervor, dass damit die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 gemeint sei. Im gegenständlichen Fall habe man aber im Spruch festgehalten, dass Ungarns Zuständigkeit auf der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 begründet sei. § 5 AsylG sei daher auf den gegenständlichen Fall nicht anwendbar, und gehe aus dem Spruch nicht hervor, welche Gesetzesbestimmung denn nun anwendbar sein soll, was jedoch nach § 59 AVG vorgesehen sei. Auch dem BFA-VG oder anderen Bestimmungen sei nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde überhaupt für die Erlassung des bekämpften Bescheids zuständig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die beschwerdeführende Partei verließ Afghanistan vor ca. viereinhalb Jahren und verbrachte ca. zwei Jahre im Iran. Danach überquerte sie die iranisch-türkische Grenze zu Fuß, fuhr mit dem Bus nach Istanbul und reiste mit einem Boot weiter nach Griechenland, wo sie ungefähr neun Monate blieb. Am 04.04.2014 verließ sie Griechenland mit Unterstützung eines Schleppers, verbrachte einige Tage in einem Wald an der Grenze und reiste schließlich schlepperunterstützt mit einem PKW nach Ungarn, wo sie einen Asylantrag stellte. In Ungarn verbrachte die beschwerdeführende Partei einen Tag in einem Lager, dann ein paar weitere Tage an einem unbekannten Ort, bevor sie wieder schlepperunterstützt mit einem PKW nach Österreich fuhr und dort am 28.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte am 05.05.2014 ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn. Am 14.05.2014 langte ein Schreiben der ungarischen Behörden ein, mit welchem diese der Wiederaufnahme der beschwerdeführenden Partei gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ausdrücklich zustimmten.

3. Besondere, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Ungarn sprechen, liegen nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat an.

4. Die beschwerdeführende Partei leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer Psychosomatose.

Darüber hinaus leidet die beschwerdeführende Partei an keinen schweren Krankheiten.

5. Die beschwerdeführende Partei hat in Österreich keine besonderen privaten oder familiären Bindungen.

2. Beweiswürdigung:

1. Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere den Niederschriften, und wurden von der beschwerdeführenden Partei insbesondere hinsichtlich der Lage im Mitgliedstaat bestritten.

2. Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, die auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen.

Wenn die beschwerdeführende Partei auf eine schlechte Versorgungslage in den Lagern hinweist, auf mangelnde Hygiene, Ungezieferbefall, medizinische Nichtversorgung und Unsicherheit im Flüchtlingslager, so verweist das Bundesverwaltungsgericht insoferne auf die von der Behörde festgestellten Länderinformationen, aus denen zumindest eine ausreichende medizinische Versorgung hervorgeht. Betreffend die Sicherheit im Lager ist die beschwerdeführende Partei an die ungarischen Sicherheitsbehörden zu verweisen, da tatsächlich aus dem Vorbringen nicht hervorgeht, dass diese weder willig noch fähig seien, diese vor eventuellen Übergriffen zu schützen. Ein Wanzenbefall der beschwerdeführenden Partei konnte nicht festgestellt werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass die beschwerdeführende Partei in Ungarn einen ausreichenden Zugang zu (medizinischer) Versorgung und Unterbringung haben wird.

Betreffend die in der schriftlichen Stellungnahme und in der Beschwerde monierten Mängel der Länderfeststellungen weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass sich diese im Detail mit der neu eingeführten Asylhaft, dem neu in Kraft getretenen Integrationsvertrag, der sich mit der Situation von Flüchtlingen in Ungarn auseinandersetzt, sowie auch teilweise mit den Auswirkungen der Maßnahmen in der Praxis beschäftigen. Die Länderinformationen sind daher ausreichend aktuell und gehen auch auf häufig kritisch hervorgehobene Probleme im ungarischen Asylwesen ausreichend ein.

Aus diesen geht schließlich auch in ausreichendem Ausmaß hervor, dass es in Ungarn Unterbringung für Asylwerber_innen gibt, und die Unterbringungssituation derzeit unproblematisch ist. Auf Basis dieser Informationen ist der belangten Behörde kein Vorwurf zu machen, dass sie keine darüberhinaus gehenden Ermittlungen zur Unterbringung der beschwerdeführenden Partei im Falle einer Überstellung angestellt hat.

3. Hinweise auf eine über die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Psychosomatose hinausgehende physische oder psychische Erkrankung haben sich im Verfahren nicht ergeben. In diesem Zusammenhang verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Länderfeststellungen, aus denen hervorgeht, dass die Cordelia Foundation, die in Bicske, in Debrecen und in Békéscaba tätig ist, traumatisierte Asylwerber_innen bei psychologischer Rehabilitation unterstützt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Den Erwägungen werden die folgenden allgemeinen Ausführungen zu Grunde gelegt:

1. Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 144/2013 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

Gemäß § 2 Abs. 1 Ziff. 8 AsylG ist "Dublin-Verordnung" die Verordnung 2003/34 3/EG zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem ‚Drittstangehörigen gestellten Asylantrags in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L vom 25..02.2003, S. 1 (Dublin II-VO).

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde. ...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."

2. § 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

3. § 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 87/2012 lautet:

"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

4. Im vorliegenden Fall ist gemäß ihres Art. 49 (Inkrafttreten und Anwendbarkeit) die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (in Folge Dublin Verordnung) anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates lauten: ...

"KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

...

Artikel 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununter-brochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

...

Artikel 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde. Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen. Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen. Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 18 Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab. Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

...

Artikel 35 Zuständige Behörden und Mittelausstattung

(1) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich die speziell für die Durchführung dieser Verordnung zuständigen Behörden sowie alle späteren sie betreffenden Änderungen mit. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass diese Behörden über die nötigen Mittel verfügen, um ihre Aufgabe zu erfüllen und insbesondere die Informationsersuchen sowie die Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern innerhalb der vorgegebenen Fristen zu beantworten."

5. Neue Verfahrens-RL:

Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, welche bereits seit dem 19.07.2013 in Kraft getreten und jedenfalls bis zum 20.07.2015 umzusetzen ist, gilt gemäß Art. 3 Abs. 1 für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestellt werden, einschließlich der Verfahren gemäß der Dublin Verordnung.

Art. 4 Abs. 1 enthält die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für alle Verfahren eine Asylbehörde, die für eine angemessene Prüfung der Anträge gemäß dieser Richtlinie zuständig ist und über kompetentes Personal in ausreichender Zahl verfügt, zu benennen.

6. Zur Frage einer Grundrechtsverletzung im Falle einer Überstellung nach Ungarn und der damit zusammenhängenden Möglichkeit einer Verpflichtung Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin Verordnung Gebrauch zu machen, wird allgemein ausgeführt:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; alle zum Selbsteintrittsrecht in der Vorgängerverordnung (EG) Nr. 343/2003) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären, etwa durch eine Kettenabschiebung.

Der Gerichtshof der Europäischen Union sprach in seinem Urteil vom 10.12.2013, C-394/12 , Shamso Abdullahi/Österreich, aus, Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 sei dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in Folge "GRC") ausgesetzt zu werden.

Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 auszuüben ist, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10 , N.S./Vereinigtes Königreich, befasst und, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Urteil vom 21.01.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat (Rn. 82 bis 85), sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten (Rn. 86):

"84. Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

85. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

86. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. ...

88. Bei einem Sachverhalt, der denen der Ausgangsverfahren gleicht, nämlich einer Überstellung eines Asylbewerbers an Griechenland, den im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat, im Juni 2009, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte u. a. entschieden, dass das Königreich Belgien gegen Art. 3 EMRK verstoßen habe, indem es den Beschwerdeführer zum einen den sich aus den Mängeln des Asylverfahrens in Griechenland ergebenden Risiken ausgesetzt habe, da die belgischen Behörden gewusst hätten oder hätten wissen müssen, dass eine gewissenhafte Prüfung seines Asylantrags durch die griechischen Behörden in keiner Weise gewährleistet gewesen sei, und indem es ihn zum anderen wissentlich Haft- und Existenzbedingungen ausgesetzt habe, die eine erniedrigende Behandlung darstellten (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, §§ 358, 360 und 367).

89. Das in jenem Urteil beschriebene Ausmaß der Beeinträchtigung der Grundrechte zeugt von einer systemischen Unzulänglichkeit des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland zur Zeit der Überstellung des Beschwerdeführers M.S.S.

90. Für den Befund, dass die Risiken für den Beschwerdeführer hinreichend erwiesen seien, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, in denen auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in Griechenland hingewiesen wurden, die an den zuständigen belgischen Minister gesandten Schreiben des UN-Flüchtlingshochkommissariats, aber auch die Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und die Vorschläge zur Überarbeitung der Verordnung Nr. 343/2003 zwecks der Steigerung der Wirksamkeit dieses Systems und der Stärkung des tatsächlichen Grundrechtsschutzes (Urteil M.S.S./Belgien und Griechenland, §§ 347 bis 350) berücksichtigt. ...

105. In Anbetracht dessen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass das Unionsrecht der Geltung einer unwiderlegbaren Vermutung entgegensteht, dass der im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständig bestimmte Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachtet.

106. Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.

107. Ist die Überstellung eines Antragstellers an einen anderen Mitgliedstaat der Union, wenn dieser Staat nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt worden ist, nicht möglich, so hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne des Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.

108. Der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, hat jedoch darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 selbst prüfen."

7. Zur Überstellung von Kranken ist folgendes vorab auszuführen:

nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken habe im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (siehe EGMR 02.05.1997, 30240/96, D./Vereinigtes Königreich). Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst, bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (siehe dazu EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff;

EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia/Schweden; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312;

23.09.2009, 2007/01/0515).

8. Gemäß Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Und schließlich garantieren Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

3.2. Diese allgemeinen Ausführungen finden auf die Beschwerde Anwendung wie folgt:

1. Betreffend die angeführten Rechtsgrundlagen und die Zuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl für Zulässigkeitsverfahren nach der Dublin Verordnung:

Wenn sich die beschwerdeführende Partei in Bezug auf § 2 Abs. 1 Z. 8 AsylG darüber beschwert, dass darin nur auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 Bezug genommen werde und daher eine Anwendbarkeit von § 5 AsylG auf den gegenständlichen Fall, der unter die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 - und damit unter die Nachfolgerverordnung - fällt, so muss dieser Einwand ins Leere gehen.

Da die Dublin Verordnung (die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ) gemäß Art. 288 Satz 2 AEU-V unmittelbare und dem nationalen Recht vorrangige Geltung entfaltet, konnte sich die Behörde richtigerweise in Spruchpunkt I. auf diese Rechtsgrundlage stützen.

Was nun die Zuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betrifft, verpflichtet Art. 35 Abs. 1 Dublin Verordnung die Mitgliedstaaten unverzüglich mit Anwendbarkeit der Verordnung (also ab 01.01.2014) eine entsprechend ausgerüstete Behörde für deren Durchführung zur Verfügung zu stellen. Dies hat Österreich mit der Einrichtung und Zuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl entsprechend der dem nationalen AsylG vorrangig anzuwendenden Dublin Verordnung getan.

Ergänzend mag auch darauf hingewiesen werden, dass die neue Verfahrens-RL, welche zwar erst ab 15.07.2015 umzusetzen ist, aber bereits seit dem 19.07.2013 in Kraft getreten ist, gemäß Art. 3 Abs. 1 nun auch die Verfahren nach der Dublin Verordnung anzuwenden ist und in Art. 4 Abs. 1 ebenfalls eine Verpflichtung zu Einrichtung und Nennung einer dafür zuständigen Behörde enthält. Nach seit dem Urteil des EUGH in der Rechtssache C-129/96 , (Inter-Environnement Wallonie) ständiger Judikatur müssen die Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten und während der Umsetzungsfrist den Erlass von Vorschriften unterlassen, die geeignet sind, das in dieser Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen. Auch daraus ergibt sich, dass mit Inkrafttreten der Dublin Verordnung am 01.01.2014 keine Rechtsschutzlücke in Bezug auf das Fehlen einer zuständigen Behörde entstehen konnte und der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Ziff. 8 AsylG daher keine Grundlage für die Einrede der Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl für die Durchführung der Dublin Verordnung bilden kann.

2. Zu einer möglichen Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK:

2.1. Vorausgeschickt wird, dass das Bundesverwaltungsgericht zum heutigen Datum auch in Kenntnis der aktuellen Berichtslage (weiterhin) nicht davon ausgeht, dass Überstellungen nach Ungarn allgemein die EMRK oder GRC verletzen (siehe dazu auch das Urteil des EGMR vom 03.07.2014, Rs 71932/12, Mohammadi/Österreich, sowie vom 06.06.2013, Rs 2293/12, Mohammed/Österreich;

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.08.2013, 12 S 675/13; Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Entscheid vom 09.10.2013, E-2093/2012 sowie BVwG 09.07.2014, W185 2006248).

Auch rezentere Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte geht davon aus, dass Mängel im ungarischen Asyl- und Aufnahmewesen keine systemischen sind; siehe hierzu VG München, Beschluss vom 11.02.2014, AZ M 24 S 13.31330; VG Augsburg, Beschluss vom 03.03.2014, AZ Au 7 S 14.30137; und VG Würzburg, Beschluss vom 21.03.2014, AZ W 1 S 14.30147. Das VG Regensburg (Urteil vom 29.04.2014, AZ RO 4 K 14.50022) geht schließlich auch im inhaltlichen Prüfverfahren nicht von systemischen Mängeln in Ungarn aus.

2.2. Das kürzlich ergangene Urteil des EGMR in der Sache Mohammadi/Österreich (vom 03.07.2014, Rs 71932/12) untersucht insbesondere auch die mit der Gesetzesnovelle vom Juli 2013 eingeführte Asylhaft und kommt zum Ergebnis, dass eine Überstellung des dortigen Beschwerdeführers keine Verletzung von Art. 3 EMRK nach sich ziehen würde. Der EGMR verweist darin insbesondere auf die Obergrenze der Haftdauer von 6 Monaten und Verbesserungen bei den Haftbedingungen. Außerdem habe das UNHCR keine Empfehlung ausgesprochen, von Überstellungen nach Ungarn Abstand zu nehmen.

Dennoch verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass nach der aktuellen Berichtslage das ungarische Asylwesen, und insbesondere die Asylhaft, Mängel aufweisen. Trotzdem ist es der Ansicht, dass ein Vergleich mit den systemischen Mängeln, wie sie in Griechenland bestanden haben und bestehen, nicht gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang wird insbesondere darauf verwiesen, dass der angefochtene Bescheid ausführliche und aktuelle Feststellungen zum ungarischen Asylwesen sowie zu den Aufnahmebedingungen für Asylwerber_innen in Ungarn getroffen hat. Die belangte Behörde hat auch aktuelle Länderberichte zur Gesetzesänderung in Ungarn ab dem 01.07.2013 angeführt und die entsprechende Note des UNHCR vom April 2013 zitiert.

2.3. Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung zur Überstellung Kranker (siehe dazu oben Absatz 7) stellt das Bundesverwaltungsgericht außerdem fest, dass sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht ergibt, dass die psychischen Beeinträchtigungen der beschwerdeführenden Partei die notwendige Schelle der Schwere der Erkrankungen, um als außergewöhnlich qualifiziert zu werden, erreichen.

2.4. Es finden sich darüber hinaus keine Hinweise auf besondere, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Ungarn sprechen.

Es ergibt sich daher aus dem beschwerdegegenständlichen Vorbringen weder eine systemische noch eine individuell drohende Behandlung der beschwerdeführenden Partei in Ungarn, die Art. 4 GRC bzw. Art 3 EMRK entgegen stehen würde, weshalb die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zur Anwendung kommt, wonach ein_e Asylwerber_in im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung findet.

Jedenfalls hat die beschwerdeführende Partei die Möglichkeit, etwaige konkret drohende oder eingetretene Verletzungen in ihren Rechten, etwa durch eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK, bei den zuständigen Behörden in Ungarn und letztlich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, insbesondere auch durch Beantragung einer vorläufigen Maßnahme gemäß Art. 39 EGMR-VerfO, geltend zu machen.

3. Zu einer möglichen Verletzung von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK:

Im vorliegenden Fall wurde ein schützenswertes Familienleben der beschwerdeführenden Partei in Österreich nicht dargelegt.

Hinsichtlich eines Privatlebens der beschwerdeführenden Partei in Österreich wird mit Verweis auf ihre tatsächlich kurze, nur knapp mehr als drei Monate betragende, Aufenthaltsdauer in Österreich davon ausgegangen werden müssen, dass private Anknüpfungspunkte mit der notwendigen Intensität noch nicht bestehen. Selbst bei Annahme eines schützenswerten Privatlebens führt eine Abwägung der Interessen der beschwerdeführenden Partei an der Achtung ihres Privatlebens in Österreich mit dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wegen des hohen Stellenwerts des letzteren (siehe unter anderen VwGH 19.09.2012, 2012/22/0117) dazu, dass ein Eingriff in das Privatleben der beschwerdeführenden Partei in Österreich gerechtfertigt sein muss.

4. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass im Falle der Überstellung der beschwerdeführenden Partei in Vollziehung der Dublin Verordnung nach Ungarn keine Verletzung von Bestimmungen der GRC oder der EMRK zu befürchten ist. Daher bestand auch keine Veranlassung, von dem in Art. 17 Abs. 1 Dublin Verordnung vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz vorzunehmen.

5. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG lagen nicht vor. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung, im konkreten Fall des Verwaltungsgerichtshofs, des Verfassungsgerichtshofs, des Gerichtshofs der europäischen Union und des EGMR, wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten wiedergegeben.

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