Normen
B-VG Art139 Abs1 Z1
B-VG Art18 Abs2
COVID-19-MaßnahmenG §1
COVID-19-LockerungsV BGBl II 197/2020 idF BGBl II 398/2020 §2 Abs1a
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V35.2021
Spruch:
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, der Verfassungsgerichtshof möge erkennen, dass §2 Abs1a erster Satz der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden (COVID‑19-Lockerungsverordnung – COVID‑19-LV) idF der 10. COVID‑19‑LV-Novelle BGBl II 398/2020 gesetzwidrig war.
II. Rechtslage
1. §§1 und 3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz – im Folgenden: COVID‑19‑MG), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 (§1) und BGBl I 12/2020 (§3) lauteten auszugsweise:
"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte
§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.
[…]
Strafbestimmungen
§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
[…]"
2. §2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden (COVID‑19-Lockerungsverordnung – im Folgenden: COVID‑19‑LV), BGBl II 197/2020, idF BGBl II 398/2020 (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben) lautete:
"Kundenbereiche
§2. (1) Beim Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten ist gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.
(1a) Beim Betreten des Kundenbereichs in geschlossenen Räumen von Betriebsstätten ist eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Die Betreiber sowie deren Mitarbeiter haben bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.
(1b) Abs1a gilt auch in Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten bei Parteienverkehr.
(2) Kann auf Grund der Eigenart der Dienstleistung der Mindestabstand von einem Meter zwischen Kunden und Dienstleister nicht eingehalten werden, ist dies nur zulässig, wenn durch geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.
(3) Abs1 ist sinngemäß auf geschlossene Räume von Einrichtungen zur Religionsausübung anzuwenden.
(4) Abs1 ist sinngemäß auf Märkte im Freien anzuwenden.
(5) Beim Betreten von Pflegeheimen, Krankenanstalten und Kuranstalten sowie beim Betreten von Orten, an denen Gesundheits- und Pflegedienstleistungen erbracht werden, hat der Betreiber bzw Dienstleistungserbringer durch geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko zu minimieren.
(6) Abweichend von Abs1 gilt beim Betreten von Veranstaltungsorten in Betriebsstätten §10 Abs6 bis 9 sinngemäß."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender wesentlicher Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 30. November 2020 wurde der Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: antragstellendes Gericht) zur Last gelegt, sie habe am 15. September 2020 um 09:15 Uhr den Kundenbereich einer näher bezeichneten Betriebsstätte des Lebensmitteleinzelhandels betreten und dabei keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung getragen, obwohl im Tatzeitpunkt für Kunden eine solche Verpflichtung bestanden habe. Über sie wurde daher eine Geldstrafe gemäß dem COVID‑19‑MG verhängt.
1.2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.
1.3. Mit Schreiben vom 4. Jänner 2021 ersuchte das antragstellende Gericht den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu V463/2020 ua, die Dokumentation über die Beweggründe zu dieser Regelung zur Verfügung zu stellen. Von der ersuchten Behörde langte keine Reaktion ein.
2. Das antragstellende Gericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, zusammengefasst wie folgt dar:
2.1. Zur Zulässigkeit seines Antrages weist das antragstellende Gericht darauf hin, dass es auf Grund der rechtzeitigen Beschwerde gemäß §50 VwGVG zu entscheiden habe. Nach dem im Straferkenntnis gemäß §44a Z1 VStG erhobenen Tatvorwurf sei zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020 übertreten habe. Würde die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung festgestellt, wäre das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das zugrunde liegende Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
2.2. In der Sache verweist das antragstellende Gericht auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, G271/2020, V463‑467/2020, mit dem zu Recht erkannt worden sei, dass die Wortfolge "und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen" in §1 Abs2 COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, gesetzwidrig gewesen sei. Nach einer auszugsweisen Wiedergabe der zitierten Entscheidung führt das antragstellende Gericht aus, wesentlicher Grund der Feststellung der Gesetzwidrigkeit der [dort] geprüften Verordnungsbestimmung sei demnach die fehlende aktenmäßige Dokumentation der für die Verordnungserlassung maßgeblichen Grundlagen im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung gewesen. Dies scheine aber die gesamte Verordnung und ihre Novellen, somit auch die im vorliegenden Fall vom antragstellenden Gericht anzuwendende Bestimmung des §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV zu betreffen, wobei die Bedenken auch dadurch erhärtet würden, dass der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz auf das Ersuchen des antragstellenden Gerichtes um Zurverfügungstellung der Dokumentation über die Beweggründe zur angefochtenen Bestimmung nicht reagiert habe. Daher hege das antragstellende Gericht dahingehend Zweifel an deren Gesetzmäßigkeit, dass die angefochtene Bestimmung betreffend [eine] aktenmäßige Dokumentation der für die Verordnungserlassung maßgeblichen Grundlagen im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung gefehlt habe.
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden auch: BMSGPK) hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnungsbestimmung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er die Abweisung des Antrages beantragt und den Bedenken des antragstellenden Gerichtes wie folgt entgegentritt:
3.1. Wie sich aus dem vorgelegten Verordnungsakt ergebe, habe der BMSGPK mit der Erweiterung der Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung durch BGBl II 398/2020 auf ein erhöhtes Infektionsgeschehen reagiert und sei damit der entsprechenden Empfehlung der Corona-Kommission vom 10. September 2020 gefolgt. Die im Verordnungsakt dokumentierte epidemiologische Situation habe keine Zweifel an der schlüssigen Empfehlung der Corona-Kommission aufkommen lassen, sodass dieser auch gefolgt worden sei.
3.2. Nach Ansicht des BMSGPK seien die Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt hinreichend dokumentiert. Dass es sich bei der verordneten Maßnahme um eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende zentrale Säule zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 handle, sei auch im Verordnungsakt zur Vorgängerbestimmung des §2 Abs1a COVID‑19‑LV idF BGBl II 332/2020 dokumentiert, der dem Verfassungsgerichtshof ebenfalls vorgelegt werde. Die behauptete Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung liege daher nach Ansicht des BMSGPK nicht vor.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001, 16.927/2003).
1.2. Dem antragstellenden Gericht ist nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020 im Anlassverfahren anzuwenden hat.
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist nicht begründet.
2.3. Das antragstellende Gericht macht als Bedenken im Wesentlichen geltend, der angefochtenen Verordnungsbestimmung scheine die aktenmäßige Dokumentation der für die Verordnungserlassung maßgeblichen Grundlagen im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung gefehlt zu haben.
2.4. Die Bestimmung des §2 Abs1a COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020, in Kraft vom 14. September 2020 bis einschließlich 20. September 2020, hatte ihre gesetzliche Grundlage in §1 COVID‑19‑MG. Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber mit §1 COVID‑19‑MG [idF BGBl I 23/2020] dem Verordnungsgeber (BMSGPK) einen Einschätzungs- und Prognosespielraum, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, überträgt, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID‑19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geeignete (der Zielerreichung dienliche) erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.
2.4.1. Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des §1 COVID‑19‑MG vorgesehen und auch gefordert ist.
2.4.2. Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet §1 COVID‑19‑MG vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu (vgl zu alldem auch VfGH 1.10.2020, G272/2020 ua; 1.10.2020, V405/2020).
2.4.3. Für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes sind deshalb der Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen und die zu diesem Zeitpunkt zugrunde liegenden aktenmäßigen Dokumentationen maßgeblich. Zur Beantwortung der Frage, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen mit der jeweiligen gesetzlichen Grundlage im Einklang stehen, kommt es auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung an, sie ist aber kein Selbstzweck. Wenn für die Bewältigung von Situationen, in denen Maßnahmen anhand von Prognosen getroffen werden müssen, der Verwaltung zur Abwehr von möglichen Gefahren gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu (vgl VfGH 10.12.2020, V436/2020; 10.3.2021, V574/2020 ua).
2.4.4. Der Verfassungsgerichtshof hat weiters darauf hingewiesen, dass den Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verordnungserlassungsverfahren (siehe hiezu insbesondere VfGH 14.7.2020, V 363/2020; 14.7.2020, V 411/2020) nicht durch die bloße Sammlung und Übermittlung von jeglichen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten und Studien zu den Auswirkungen und zur Verbreitung von COVID‑19 entsprochen wird. Vielmehr müssen jene Entscheidungsgrundlagen nachvollziehbar dokumentiert werden, die für die Willensbildung des Verordnungsgebers zum Zeitpunkt der Erlassung tatsächlich ausschlaggebend waren. Bei Vorlage umfangreicher Verordnungsakten kann dem auch durch eine zusammenfassende nachvollziehbare Darstellung der zentralen, für den Verordnungsgeber besonders relevanten Umstände, insbesondere der Grundlagen für die Interessenabwägung beziehungsweise der Verhältnismäßigkeitsprüfung, unter Verweis auf die maßgeblichen Unterlagen entsprochen werden; dies ist notwendig, um die Gesetzmäßigkeit der Verordnung überprüfen zu können. Material, bei dem nicht nachvollziehbar ist, inwiefern es Grundlage für die Willensbildung war, vermag die Dokumentationspflicht nicht zu erfüllen (vgl VfGH 10.3.2021, V573/2020; 10.3.2021, V574/2020 ua).
2.5. Gemäß §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020 ist beim Betreten des Kundenbereichs in geschlossenen Räumen von Betriebsstätten eine den Mund‑ und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung beim Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten war bereits in der mit 1. Mai 2020 in Kraft getretenen Stammfassung der COVID‑19‑LV in vergleichbarer Weise geregelt (siehe §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020). In der Folge wurde die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung beim Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten zunächst schrittweise gelockert (mit der am 30. Mai 2020 in Kraft getretenen Verordnung BGBl II 246/2020 wurde §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV insoweit geändert, als die Trageverpflichtung nicht im Freien galt; mit der Verordnung BGBl II 266/2020 wurde in §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV, in Kraft getreten mit Ablauf des 14. Juni 2020, die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung auf das Betreten des Kundenbereichs von Apotheken beschränkt; die Verordnung BGBl II 287/2020 legte fest, dass diese Verpflichtung nur für "öffentliche Apotheken" galt). Mit der Verordnung BGBl II 332/2020 wurde die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung wieder erweitert: Gemäß §2 Abs1a COVID‑19‑LV idF BGBl II 332/2020, in Kraft getreten mit Ablauf des 23. Juli 2020, war eine solche Schutzvorrichtung beim Betreten des Kundenbereichs in geschlossenen Räumen von öffentlichen Apotheken, aber auch ua von Betriebsstätten des Lebensmitteleinzelhandels, von Banken oder der Post (erneut) zu tragen. Mit dem angefochtenen §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020 wurde die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung mit Wirkung vom 14. September 2020 auf das Betreten des Kundenbereichs in geschlossenen Räumen von "Betriebsstätten" erstreckt.
2.6. Als Grundlagen für die Erlassung (ua) der angefochtenen Bestimmung in §2 Abs1a COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020 finden sich in den vom BMSGPK vorgelegten Verordnungsakten – soweit für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes relevant – folgende Unterlagen und Angaben:
2.6.1. Dem vom BMSGPK vorgelegten Verordnungsakt, der der Erlassung der Verordnung BGBl II 332/2020 vom 22. Juli 2020 (8. COVID‑19‑LV-Novelle) zugrunde liegt, ist Folgendes zu entnehmen:
2.6.1.1. Unter der Rubrik "Sachverhalt" wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Wiedereinführung des verpflichtenden Mund-Nasen-Schutzes in spezifisch systemrelevanten Bereichen (neben den Apotheken der Lebensmitteleinzelhandel, Banken, Post und Postpartner) nach der aktuellen epidemiologischen Lage aus epidemiologischer Sicht erforderlich sei. Diese Bereiche seien bewusst ausgewählt worden, um Risikogruppen zu schützen und jene Bereiche zu erfassen, auf die auch Risikogruppen für den Bedarf des täglichen Lebens angewiesen seien. Der Mund-Nasen-Schutz sei nicht für die tragenden Personen, sondern für alle anderen Personen ein Schutz.
2.6.1.2. Im Verordnungsakt finden sich weiters mehrere Lagedarstellungen zur SARS‑CoV2-Infektion der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) einschließlich Prognosen und Kapazitätsvorschauen für den Zeitraum vom 15. Juli 2020 bis 21. Juli 2020. Zudem liegt dem Verordnungsakt ein Fachgutachten eines Facharztes für Hygiene und Mikrobiologie vom 28. Juli 2020 zur Verpflichtung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes ein, in dem (ua) darauf hingewiesen wird, dass dem Mund-Nasen-Schutz neben der physischen Distanzierung in der Prävention der Übertragung von SARS-CoV2 eine entscheidende Bedeutung zukomme. Der Mund-Nasen-Schutz diene in erster Linie dazu, nicht-infizierte, gesunde Personen vor einer Infektion durch virusausscheidende Personen, sei es mit oder ohne klinische Symptome, zu schützen. Nachgewiesenermaßen reduziere der Mund-Nasen-Schutz Tröpfchenausscheidung und Aerosolbildung beim Ausatmen und damit die Zahl der infektiösen Partikel, die weitergegeben werden könnten.
2.6.2. Dem vom BMSGPK vorgelegten Verordnungsakt, der der Änderung der COVID-19-LV mit der Verordnung BGBl II 398/2020 vom 12. September 2020 (10. COVID‑19‑LV-Novelle) zugrunde liegt, ist – soweit für die Beurteilung relevant – Folgendes zu entnehmen:
2.6.2.1. Unter der Rubrik "Sachverhalt" wird auszugsweise ausgeführt:
"Auf Grund der Ergebnisse der gestrigen Sitzung der Corona-Kommission […] und der insgesamt mittlerweile bedenklichen epidemiologischen Lage in ganz Österreich wurde vorgeschlagen, zu prüfen, die Maßnahmen in ganz Österreich – insbesondere hinsichtlich MNS‑Tragepflicht – zu verschärfen. Die Verschärfung für das ganze Bundesgebiet ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass die konsequente Umsetzung von Maßnahmen gegen die Infektion mit SARS‑CoV‑2 auch gegen die In[f]ektion mit Influenza vorbeugt, wodurch das Gesundheitssystem – intra- und extramural – entsprechend geschont wird (siehe inliegender Nationaler Pandemieplan Teil II des Robert-Kocht-Instituts unter 'Nicht-pharmakologische Maßnahmen'). […]"
2.6.3. Die erwähnten Ergebnisse der Corona-Kommission liegen in Form einer "Empfehlung der Corona-Kommission" vom 10. September 2020 im Verordnungsakt ein. Auf Basis des Datenstandes vom 8. September 2020, 24:00 Uhr, empfiehlt die Corona-Kommission darin auf Grund des erhöhten Infektionsgeschehens in Österreich (ua), über die Empfehlungen für einzelne Regionen hinausgehend, generell das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für Innenräume im Handel, in der Gastronomie bis zum Sitzplatz, im Parteienverkehr bei Behörden, für alle Formen des Kundenkontakts, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, sowie in der Schule außerhalb des Klassenverbandes für das gesamte Bundesgebiet, unabhängig von der regionalen Risikoeinschätzung zu implementieren. Weiters enthält der Bericht der Corona-Kommission die Festlegung der jeweiligen Risikostufe ("Ampelfarbe") und die Darstellung der epidemiologischen Lage (Entwicklung der kumulativen 7‑Tagesinzidenz, Auslastung der Normal- und Intensivbetten, Angaben zur Aufklärung von Infektionsquellen, Ausmaß der Testaktivität usw) für das gesamte Bundesgebiet, für die Länder und für einzelne Bezirke mit Stand 8. September 2020, 24:00 Uhr.
2.6.4. Im Verordnungsakt finden sich weitere wissenschaftliche Unterlagen, wie etwa der von der AGES erstellte tägliche Lagebericht zur SARS‑CoV2-Infektion vom 11. September 2020, in dem für das Bundesgebiet bzw die einzelnen Regionen (ua) die kumulative Anzahl der Fälle von bestätigter SARS‑CoV2-Infektion, die kumulative Inzidenz und der zeitliche Verlauf im Hinblick auf neu identifizierte Fälle einer bestätigten SARS‑CoV2-Infektion abgebildet sind und der auch eine Clusteranalyse enthält.
2.7. Der BMSGPK weist in seiner Äußerung darauf hin, dass er mit der Erweiterung der Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung durch die Verordnung BGBl II 398/2020 auf ein erhöhtes Infektionsgeschehen reagiert habe und damit der entsprechenden Empfehlung der Corona-Kommission vom 10. September 2020 gefolgt sei. Die im Verordnungsakt dokumentierte epidemiologische Situation habe keine Zweifel an der schlüssigen Empfehlung der Corona-Kommission aufkommen lassen, sodass dieser gefolgt worden sei. Auch sei zur Vorgängerbestimmung im Verordnungsakt zu BGBl II 332/2020 dokumentiert, dass es sich bei der verordneten Maßnahme um eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende zentrale Säule zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 handle.
2.8. Der BMSGPK hat damit hinreichend dargelegt, auf welcher Informationsbasis bzw auf welchen Grundlagen die Entscheidung über die Anordnung in §2 Abs1a COVID‑19‑LV idF BGBl II 398/2020 zum Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung beim Betreten des Kundenbereichs in geschlossenen Räumen von Betriebsstätten getroffen wurde. Dem BMSGPK ist auch nicht entgegenzutreten, wenn er auf Basis der in den vorgelegten Verordnungsakten dokumentierten Entscheidungsgrundlagen (vgl insbesondere die Empfehlung der Corona-Kommission vom 10. September 2020 sowie das Gutachten zur Verpflichtung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes vom 28. Juli 2020) diese – nicht sehr eingriffsintensive – Maßnahme für den hier zu beurteilenden Zeitraum vom 14. September 2020 bis einschließlich 20. September 2020 für geeignet und erforderlich hielt, um die Verbreitung von COVID‑19 zu verhindern.
2.9. Der Antrag ist daher abzuweisen.
V. Ergebnis
1. Die ob der Gesetzmäßigkeit des §2 Abs1a erster Satz COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, idF BGBl II 398/2020 erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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