VfGH V587/2020

VfGHV587/20208.6.2021

Gesetzwidrigkeit der COVID-19-Lockerungsverordnung betreffend die Verpflichtung zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes beim Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten mangels Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z1
COVID-19-MaßnahmenG §1, §2
COVID-19-LockerungsV BGBl II 197/2020 §2 Abs1 Z2
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V587.2020

 

Spruch:

I. 1. §2 Abs1 Z2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden, BGBl II Nr 197/2020, war gesetzwidrig.

2. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

II. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass §2 Abs1 Z2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden, BGBl II 197/2020, gesetzwidrig war.

II. Rechtslage

1. §§1 und 3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz – im Folgenden: COVID‑19‑MG), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 (§1) und BGBl I 12/2020 (§3) lauteten auszugsweise:

"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und

Dienstleistungen sowie Arbeitsorte

§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.

[…]

Strafbestimmungen

§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

[…]"

2. §2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden (COVID‑19-Lockerungsverordnung – im Folgenden: COVID‑19‑LV), BGBl II 197/2020, idF BGBl II 207/2020 (die angefochtene Regelung in Abs1 idF BGBl II 197/2020 ist hervorgehoben) lautete:

"Kundenbereiche

§2. (1) Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

1. Gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ist ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.

2. Kunden haben eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen.

3. Der Betreiber hat sicherzustellen, dass er und seine Mitarbeiter bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.

4. Der Betreiber hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 10 m2 zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 10 m2, so darf jeweils nur ein Kunde die Betriebsstätte betreten. Bei Betriebsstätten ohne Personal ist auf geeignete Weise auf diese Voraussetzung hinzuweisen.

5. Für baulich verbundene Betriebsstätten (z. B. Einkaufszentren, Markthallen) gilt Z4 mit der Maßgabe, dass die Flächen der Kundenbereiche der Betriebsstätten und des Verbindungsbauwerks zusammenzuzählen sind und dass sich sowohl auf der so ermittelten Fläche als auch im Kundenbereich der jeweiligen Betriebsstätten maximal so viele Kunden gleichzeitig aufhalten dürfen, dass pro Kunde 10 m² der so ermittelten Fläche bzw des Kundenbereichs der Betriebsstätte zur Verfügung stehen.

(2) Kann auf Grund der Eigenart der Dienstleistung

1. der Mindestabstand von einem Meter zwischen Kunden und Dienstleister und/oder

2. vom Kunden das Tragen von einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung nicht eingehalten werden

ist diese nur zulässig, wenn durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

(3) Abs1 Z1 bis 3 ist sinngemäß auf geschlossene Räume von Einrichtungen zur Religionsausübung anzuwenden.

(4) Abs1 Z1 bis 3 ist sinngemäß auf Märkte im Freien anzuwenden.

(5) Beim Betreten von Pflegeheimen, Krankenanstalten und Kuranstalten sowie beim Betreten von Orten, an denen Gesundheits- und Pflegedienstleistungen erbracht werden, hat der Betreiber bzw Dienstleistungserbringer durch geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko zu minimieren."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters von Wiener Neustadt vom 27. Juli 2020 wurde der Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: antragstellendes Gericht) zur Last gelegt, sie habe am 22. Mai 2020 um 18:35 Uhr den Kundenbereich der Betriebsstätte eines näher genannten Unternehmens betreten, ohne eine den Mund‑ und Nasenbereich gut abdeckende mechanische Schutzvorrichtung als Barriere gegen Tröpfcheninfektion getragen zu haben, obwohl das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten gemäß der COVID‑19‑LV in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis 30. Juni 2020 nur unter der Voraussetzung erlaubt gewesen sei, dass Kunden eine den Mund‑ und Nasenbereich abdeckende Schutzvorrichtung tragen. Über die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht wurde daher eine Geldstrafe verhängt.

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.

2. Das antragstellende Gericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, zusammengefasst wie folgt dar:

2.1. Zur Zulässigkeit des Antrages weist das antragstellende Gericht darauf hin, dass es auf Grund der rechtzeitigen Beschwerde gemäß §50 VwGVG zu entscheiden habe. Nach dem im Straferkenntnis gemäß §44a Z1 VStG erhobenen Tatvorwurf sei zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV in der Stammfassung BGBl II 197/2020 übertreten habe. Es sei in diesem Zusammenhang nicht von Relevanz, dass im Straferkenntnis – anders als noch in der Strafverfügung – als verletzte Verwaltungsvorschrift (offenbar auf Grund eines Versehens) "§1 Abs2 Ziffer BGBl II Nr 197/2020 (COVID‑19-Lockerungsverordnung)" angegeben worden sei, zumal eine Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung (Angabe der verletzten Verwaltungsbestimmung und der angewendeten Strafnorm) zulässig bzw verpflichtend sei, wenn es dadurch nicht zu einem Austausch der Tat durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zugrunde gelegten Sachverhalts komme (VwGH 25.3.2020, Ra 2020/02/0033). Würde die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung festgestellt, wäre das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das zugrunde liegende Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

2.2. In der Sache führt das antragstellende Gericht aus, mit [im Antrag in Auszügen wiedergegebenem] Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, G271/2020, V463/2020 ua, sei zu Recht erkannt worden, dass die Wortfolge "und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen" in §1 Abs2 COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, gesetzwidrig gewesen sei. Wesentlicher Grund der Feststellung der Gesetzwidrigkeit der [dort] geprüften Verordnungsbestimmung sei demnach die fehlende aktenmäßige Dokumentation der für die Verordnungserlassung maßgeblichen Grundlagen im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung gewesen. Dies scheine aber die gesamte Verordnung und somit auch die im vorliegenden Fall vom antragstellenden Gericht anzuwendende Bestimmung des §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV zu betreffen. Daher hege das antragstellende Gericht Zweifel an deren Gesetzmäßigkeit.

3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat eine Äußerung erstattet, in der er vorbringt, er erachte es vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §1 Abs2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 (VfGH 1.10.2020, G271/2020, V463/2020 ua) für aussichtslos, im vorliegenden Fall ein inhaltliches Vorbringen zu erstatten. Dadurch solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 inhaltlich als gesetz‑ bzw verfassungswidrig angesehen werde. Hinsichtlich der auf die angefochtene Verordnung bezughabenden Akten verweist der BMSGPK auf die entsprechenden Beilagen zum Verfahren V350‑354/2020.

4. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt und ergänzend zusammengefasst ausführt, dass es zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung keine ausreichende Dokumentation der Gefährlichkeit von COVID‑19 gegeben habe und das Tragen einer mechanischen Schutzmaske unverhältnismäßig gewesen sei.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001, 16.927/2003).

1.2. Dem antragstellenden Gericht ist nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 im Anlassverfahren anzuwenden hat.

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber mit §1 COVID‑19‑MG [idF BGBl I 23/2020] dem Verordnungsgeber (BMSGPK) einen Einschätzungs- und Prognosespielraum, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, überträgt, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID‑19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geeignete (der Zielerreichung dienliche) erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.

2.3.1. Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des §1 COVID‑19‑MG vorgesehen und auch gefordert ist.

2.3.2. Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet §1 COVID‑19‑MG vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.

2.4. All dies hat der Verfassungsgerichtshof bei seiner Prüfung, ob der BMSGPK den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Bestimmung des §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 entsprochen hat, zu berücksichtigen. Dass es damit dafür, ob die angefochtene Verordnungsbestimmung mit den Zielsetzungen des §1 COVID‑19‑MG im Einklang steht, auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung ankommt, ist kein Selbstzweck. Auch in Situationen, die deswegen krisenhaft sind, weil für ihre Bewältigung entsprechende Routinen fehlen, und in denen der Verwaltung zur Abwehr der Gefahr gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu (vgl auch VfGH 1.10.2020, G272/2020 ua; 1.10.2020, V405/2020; 1.10.2020, V429/2020).

2.5. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V429/2020, ausgesprochen, dass §6 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 gesetzwidrig war. Mit Erkenntnis vom selben Tag, G271/2020, V463/2020 ua, hat der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit der Wortfolge "und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen" in §1 Abs2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 festgestellt. Diese Bestimmungen verstießen gegen §1 COVID‑19‑MG bzw §2 COVID‑19‑MG, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit diesen Regelungen getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.

2.6. Auch im Hinblick auf die angefochtene Bestimmung des §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 enthält der Verordnungsakt, der der Erlassung der Stammfassung der COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, zugrunde liegt, keine Entscheidungsgrundlagen, Unterlagen oder Hinweise, die die Umstände der zu erlassenden Regelungen betreffen. Es ist aus den vorgelegten Verordnungsakten nicht ersichtlich, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID‑19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung, Kunden beim Betreten des Kundenbereiches von Betriebsstätten zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung zu verpflichten, geleitet haben.

2.7. §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 verstößt somit gegen §1 COVID‑19‑MG. Da diese Bestimmung bereits außer Kraft getreten ist (vgl Z1 der Verordnung BGBl II 246/2020), genügt es festzustellen, dass die Bestimmung gesetzwidrig war.

V. Ergebnis

1. §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 ist durch die Verordnung BGBl II 246/2020 geändert worden (diese Änderung ist mit 30. Mai 2020 in Kraft getreten, siehe §13 Abs6 COVID‑19‑LV idF BGBl II 246/2020). Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass §2 Abs1 Z2 COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, gesetzwidrig war.

2. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG.

3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B‑VG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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