VfGH E2821/2020

VfGHE2821/20207.10.2020

Entzug des gesetzlichen Richters durch Verneinung der Parteistellung des in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbers im Verfahren zur Verleihung einer Leitungsfunktion als Abteilungsvorstand einer HTL

Normen

B-VG Art83 Abs2
BDG 1979 §248d Abs4
VertragsbedienstetenG 1948 §90a
DVG §3
AVG §8
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:E2821.2020

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer bewarb sich – neben anderen Personen – auf eine vom Bundesministerium für Bildung am 3. November 2016 im Amtsblatt zur Wiener Zeitung ausgeschriebene Leitungsfunktion eines Abteilungsvorstandes für den Bereich Mechatronik an der Höheren Technischen Lehranstalt Saalfelden. In den vom Kollegium des Landesschulrates am 30. November 2017 beschlossenen und dem Bundesministerium vorgelegten Dreiervorschlag wurde auch der Beschwerdeführer aufgenommen.

2. Mit Bescheid des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung vom 27. Jänner 2020 wurde der Mitbeteiligte für die ausgeschriebene Leitungsfunktion ausgewählt. Dieser Bescheid wurde auch dem Beschwerdeführer zugestellt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. Juli 2020 mangels Parteistellung des Beschwerdeführers zurück.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der mit näherer Begründung die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B‑VG; Art2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B‑VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, dass die Verwaltungs- und Gerichtsakten im Zusammenhang mit einer außerordentlichen Revision gegen den angefochtenen Beschluss dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden, und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat ebenfalls von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Rechtslage

1. §248d des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1979 über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 – BDG 1979), BGBl 333/1979 idF BGBl I 24/2020, lautet auszugsweise wie folgt:

"Übergangsbestimmung zur Novelle BGBl I Nr 138/2017

§248d. […]

(4) Bei der Besetzung von Planstellen für leitende Funktionen (5. Unterabschnitt des 7. Abschnittes des Besonderen Teiles) und für die Schul- und Fachinspektion (8. Abschnitt des Besonderen Teiles), für die die Kollegien der Landesschulräte oder des Stadtschulrates für Wien bis spätestens 31. Dezember 2018 Besetzungsvorschläge beschlossen haben, sind die §§207f, 207g und 225 jeweils in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. §207g ist auf Verfahren gemäß §225 anzuwenden.

[…]"

2. §90a des Bundesgesetzes vom 17. März 1948 über das Dienst- und Besoldungsrecht der Vertragsbediensteten des Bundes (Vertragsbedienstetengesetz 1948 – VBG), BGBl 86/1948 idF BGBl I 24/2020, lautet wie folgt:

"Ausschreibung und Besetzung freier Planstellen für Vertragslehrer

§90a. (1) Der Besetzung einer freien Planstelle (einschließlich Leiterstellen) eines Vertragslehrers des Entlohnungsschemas I L oder II L hat ein Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren voranzugehen. Auf dieses Verfahren sind die §§203 bis 203f, 203h und die §§207 bis 207q BDG 1979 nach Maßgabe der folgenden Absätze sinngemäß anzuwenden.

(2) Ist eine Planstelle unvorhergesehen frei geworden und ist sie so rasch zu besetzen, daß zuvor ein Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren nicht mehr durchführbar ist, kann sie bis zum Ende des laufenden Unterrichtsjahres auch ohne Durchführung eines solchen Verfahrens mit einem Vertragslehrer besetzt werden. Dabei sind Personen nach sinngemäßer Anwendung der Kriterien der §203h BDG 1979 heranzuziehen.

(3) Nach Abs2 aufgenommene Vertragslehrer dürfen jedoch über das Ende des laufenden Unterrichtsjahres hinaus nur auf Grund des Ergebnisses eines Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahrens gemäß Abs1 verwendet werden.

(4) Bewerben sich um eine ausgeschriebene Planstelle ausschließlich Personen, die die vorgeschriebenen Einreihungsvoraussetzungen nicht aufweisen, dürfen auch solche Personen als Vertragslehrer aufgenommen werden, wenn sie die Erfordernisse des ArtX des Bundesgesetzes BGBl Nr 350/1982 erfüllen. Unter mehreren solcher Personen sind zur Aufnahme heranzuziehen:

1. zunächst jene mit einer mindestens zweijährigen erfolgreichen Verwendung als Lehrer,

2. sodann jene, die die höchst- und bestmögliche einschlägige Qualifikation für die vorgesehene Verwendung besitzen.

(5) Abs1 bis 4 ist auf Vertragslehrer an Pädagogischen Hochschulen und auf Vertragslehrer im Bereich der Justizanstalten nicht anzuwenden.

(6) Kann die Verpflichtung zur Absolvierung des Schulmanagementkurses – Berufsbegleitender Weiterbildungslehrgang gemäß Abs1 in Verbindung mit §207h Abs2 BDG 1979 aufgrund von Maßnahmen zu COVID‑19 nicht rechtzeitig erfüllt werden, hat die Zentralstelle auf Antrag der Inhaberin oder des Inhabers der Leitungsfunktion die für die Absolvierung vorgesehene Frist um ein Jahr zu erstrecken. Diese Erstreckung bewirkt eine Verlängerung der Funktionsdauer im Sinne des §207h Abs1 BDG 1979 um ein Jahr."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betreffend Verfahren zur Verleihung einer Schulleiterstelle (vgl zB VfSlg 12.782/1991, 15.926/2000, 19.061/2010; VfGH 6.6.2014, E 230/2014; 12.6.2015, E 458/2015; 9.6.2017, E 1476/2017; 11.6.2018, E 1295/2018; 23.9.2019, E 3143/2019), ausgesprochen hat, kommt Bewerbern in diesen Verfahren – ungeachtet der Rechtsnatur ihres Dienstverhältnisses (vgl VfSlg 19.670/2012; VfGH 9.6.2017, E1476/2017) – Parteistellung iSd §3 DVG bzw §8 AVG zu, wenn sie in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden. Die in einen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber bilden eine Verwaltungsverfahrensgemeinschaft; sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag konkretisierten Verwaltungsverfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann die Verwaltungsbehörde nicht als befugt angesehen werden, durch einen der Rechtskontrolle nicht unterworfenen Verleihungsakt unter den in den gesetzlich vorgesehenen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen (vgl zB VfSlg 12.782/1991).

3.2. Nach §90a VBG 1948 sind bei der Besetzung der Leiterstelle eines Vertragslehrers die §§207 bis 207q BDG 1979 anzuwenden. Im vorliegenden Fall ist somit auch §207f BDG 1979 anzuwenden. Für Verfahren zur Besetzung von Planstellen für leitende Funktionen sowie für Schul- und Fachinspektionen nach dem BDG 1979, für die die Kollegien der Landesschulräte bis spätestens 31. Dezember 2018 Besetzungsvorschläge beschlossen haben, sieht die Übergangsbestimmung des §248d Abs4 BDG 1979 vor, dass "die §§207f, 207g und 225 jeweils in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden" sind. Zu dieser Bestimmung hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2020, E40/2020 (siehe auch VfGH 26.2.2020, E109/2020 und 26.2.2020, E127/2020), Folgendes ausgesprochen:

"Das Verfahren konnte somit noch nach den bis zu diesem Zeitpunkt vorgesehenen Bestimmungen abgeschlossen werden (vgl IA 16/A BlgNR 26. GP , 47). Dem steht auch das Außerkrafttreten des Art81b B‑VG mit Ablauf des 31. Dezember 2018 (BGBl I 138/2017) nicht entgegen. Das in dieser Bestimmung vorgesehene verfassungsgesetzliche Gebot verbindlicher Dreiervorschläge wurde damit zwar ab dem 1. Jänner 2019 abgeschafft, allerdings wurde damit mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Regelung jedenfalls kein Verbot der Verbindlichkeit von bereits vor diesem Zeitpunkt beschlossenen Dreiervorschlägen bewirkt. Schon vor diesem Hintergrund und angesichts der ausdrücklichen Übergangsbestimmung des §248d Abs4 BDG 1979 ist nicht ersichtlich, dass sich an der für die Parteistellung maßgeblichen Verbindlichkeit von Dreiervorschlägen, die vor dem 31. Dezember 2018 erstattet wurden, für Verfahren, die nach diesem Zeitpunkt noch anhängig sind, etwas geändert haben sollte."

Diese Überlegungen sind auch auf Verfahren nach §90a VBG 1948 zu übertragen. Der in dieser Bestimmung enthaltene Verweis auf die Regelungen des BDG 1979 zum Ausschreibungsverfahren für Bundeslehrer wurde mit BGBl 345/1989 (damals in §37 Abs4 VBG 1948) eingeführt. Aus den Erläuterungen ist ersichtlich, dass Ausschreibungsverfahren für Bundeslehrer sowohl betreffend Beamte als auch Vertragsbedienstete seit jeher nach denselben Bestimmungen durchgeführt wurden, nämlich nach jenen des BDG 1948 (vgl ErlRV BlgNR 967, 17. GP, 4). Schon vor diesem Hintergrund kann nicht erkannt werden, dass die Übergangsbestimmung des §248d Abs4 BDG 1979, die den Anwendungsbereich jener Bestimmungen regelt, auf die auch §90a VBG 1948 verweist, auf Verfahren nach §90a VBG 1948 nicht zur Anwendung kommen sollte.

Dies gebietet schließlich auch eine verfassungskonforme Interpretation: Wie dargestellt hat der Gesetzgeber Ausschreibungsverfahren für Bundeslehrer betreffend Beamte und Vertragsbedienstete gleichgestellt. Eine Anwendung des §248d Abs4 BDG 1979 ausschließlich auf Verfahren nach dem BDG würde dazu führen, dass Verfahren, in denen bereits vor Ablauf des 31. Dezember 2018 Besetzungsvorschläge erstattet wurden, nur bezüglich Beamtenstellen nach der alten Rechtslage fortgeführt werden können. Hingegen wären Verfahren zu Vertragsbedienstetenstellen nach der geänderten Rechtslage fortzuführen, womit auch die Parteistellung jener Bewerber, die in bereits erfolgte Besetzungsvorschläge aufgenommen wurden, wieder untergehen würde. Ein sachlicher Grund für eine derart unterschiedliche Rechtsüberleitung ist angesichts der mit §90a VBG 1948 erfolgten grundsätzlichen Gleichschaltung mit den entsprechenden Verfahren nach dem BDG 1979 nicht ersichtlich.

3.3. An der für die Parteistellung maßgeblichen Verbindlichkeit von Dreiervorschlägen, die vor dem 31. Dezember 2018 erstattet wurden, hat sich somit auch bei Verfahren nach §90a VBG 1948, die nach diesem Zeitpunkt noch anhängig sind, nichts geändert. Somit kommt dem Beschwerdeführer, der in den verbindlichen Besetzungsvorschlag des Kollegiums des Landesschulrates vom 30. November 2017 (und somit vor dem 31. Dezember 2018) aufgenommen wurde, im vorliegenden Verfahren betreffend die Leitungsfunktion eines Abteilungsvorstandes Parteistellung zu.

Da das Bundesverwaltungsgericht mit der bekämpften Entscheidung die Parteistellung verneinte und die Beschwerde als unzulässig zurückwies, verweigerte es dem Beschwerdeführer gegenüber zu Unrecht eine Sachentscheidung.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Beschluss ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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