Antrag auf Bescheidaufhebung - Rückzahlung des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2012/17/0146 eingebracht. Mit Erk. v. 20.6.2012 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Berufungswerbers, Wohnort, Straße, vertreten durch Mag. Daniel Ludwig, Rechtsanwalt, 6130 Schwaz, Burggasse 12, vom 22. Juni 2011 gegen den Bescheid des Finanzamtes FA vom 25. Mai 2011 betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung des Bescheides über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 gemäß § 299 BAO entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der Spruch des angefochtenen Bescheides wird abgeändert und lautet: Der an [Name], ergangene Bescheid über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 vom 4. Juni 2010 wird auf Grund des Antrages vom 23. Mai 2011 gemäß § 299 BAO aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom 4. Juni 2010 schrieb das Finanzamt nach § 18 Abs 1 Z 1 KBGG dem Kindesvater eine Rückzahlung von ausbezahlten Zuschüssen zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 vor. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Mit Eingabe vom 24. Mai 2011 beantragte der Kindesvater durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 4.3.2011, G184/10) die Aufhebung des Bescheides vom 4. Juni 2010 nach § 299 BAO.
Dieser Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom 25. Mai 2011 abgewiesen, da der Verfassungsgerichtshof zwar die Bestimmung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG als verfassungswidrig aufgehoben habe, dabei aber ausgesprochen hätte, "dass diese Bestimmung in der Stammfassung mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung" stehe. "Hätte der VfGH eine gänzliche Rückwirkung gewollt, hätte er dies auch im Erkenntnis so ausgesprochen."
In der Berufung gegen diesen Bescheid vertrat der Kindesvater durch den von ihm beauftragten Rechtsanwalt die Ansicht, die "belangte Behörde" unterliege einem Rechtsirrtum, wenn sie davon ausgehe, dass die Aufhebung der in Rede stehenden Bestimmung des KBGG nicht rückwirkend erfolgt sei. Der Verfassungsgerichtshof habe nämlich von der Ermächtigung des Art 140 Abs 7 2. Satz B-VG Gebrauch gemacht und ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei. Dieser Ausspruch entfalte nach der ständigen Judikatur eine generelle Rückwirkung.
Das Finanzamt legte die Berufung dem unabhängigen Finanzsenat ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vor.
Am 19. März 2012 erstattete der rechtsfreundliche Vertreter des Berufungswerbers noch ein ergänzendes Berufungsvorbringen, wies neuerlich auf die Rückwirkung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes und die Literatur zu § 299 BAO hin und wiederholte das Berufungsbegehren.
Über die Berufung wurde erwogen:
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob in der Folge des die Bestimmung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG wegen Verfassungswidrigkeit aufhebenden - oben bereits angeführten - Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes einem Antrag auf Aufhebung eines vor Bekanntgabe des Erkenntnisses ergangenen, unbekämpft gebliebenen und daher rechtskräftig gewordenen Bescheides nach § 299 BAO zu entsprechen ist.
Nach § 299 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Aufhebungen nach § 299 BAO sind gemäß § 302 Abs 1 BAO bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides und darüber hinaus nach Abs 2 lit b der angeführten Gesetzesbestimmung auch dann zulässig, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der genannten Jahresfrist eingebracht wurde.
Der gegenständliche Antrag auf Bescheidaufhebung wurde vom Berufungswerber unstrittig innerhalb der Jahresfrist und somit rechtzeitig eingebracht.
Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt, ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs 1 BAO nicht entscheidend und ist die Bestimmung auch für "dynamische" und somit erst später erweisliche Unrichtigkeiten anwendbar. Für die Aufhebung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufhebung maßgebend (vgl Ritz4, BAO, § 299 Tz 10ff).
Daraus folgt, dass bei der Prüfung, ob - wie gegenständlich - einem Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO zu entsprechen ist, die Abgabenbehörde im Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen hat, ob der Spruch des Bescheides nach der bestehenden Gesetzeslage richtig ist oder nicht. Insoweit ist diese Aufgabe durchaus vergleichbar mit den Anforderungen, die - im Falle der rechtzeitigen Einbringung einer Berufung - auch an eine Berufungserledigung gestellt werden.
Nun steht im vorliegenden Fall fest, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG, BGBl I 103/2001, in seiner Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben hat (vgl Punkt I. des Erkenntnisses VfGH 4.3.2011, G184/10 ua). In Spruchpunkt II führte der Gerichtshof aus, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Nach Spruchpunkt III. treten frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft.
Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden, so sind nach Art 140 Abs 7 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist das Gesetz jedoch weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nichts anderes ausspricht. Indem der Verfassungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis im Spruchpunkt II. ausgeführt hat, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, hat der Gerichtshof von der ihm durch Art 140 Abs 7 B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht (vgl Pkt IV Z 3 des Erkenntnisses). Dadurch hat die Aufhebung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG Auswirkungen nicht nur für Tatbestände, die ab dem Zeitpunkt der Aufhebung verwirklicht werden und den Anlassfall (die Anlassfälle), sondern entfaltet die Aufhebung Wirksamkeit für alle Gerichte und Verwaltungsbehörden, welche bei ihren rechtlichen Prüfungen die aufgehobene Gesetzesbestimmung nunmehr ausnahmslos in allen Fällen nicht mehr anzuwenden haben (vgl VfGH 14.12.2005, B1025/04 ua, Pkt II Z 2, und speziell zum Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld VfGH 9.6.2011, B291/11, und VfGH 9.6.2011, B327/11).
Dementsprechend haben der VfGH (vgl die oben angeführten Erkenntnisse vom 9.6.2011), der VwGH (vgl VwGH 28.6.2011, 2011/17/0042) und der UFS (vgl zB UFS 31.3.2011, RV/0791-G/09) Bescheide über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld aufgehoben. Dies weil es den bekämpften Bescheiden (rückwirkend) an der Rechtsgrundlage für die Vorschreibung mangelte. Die Aufhebungen erfolgten, obwohl die bekämpften Bescheide im Zeitpunkt ihrer Erlassung den (damals) geltenden Rechtsvorschriften entsprochen haben bzw Beschwerden beim Höchstgericht erst nach Ergehen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 4. März 2011 erhoben wurden (Erkenntnis des VfGH vom 9.6.2011, B377/11, Einbringung der Beschwerde am 15. März 2011).
Der Bescheid, dessen Aufhebung nach § 299 BAO im gegenständlichen Fall beantragt wird, war - nach der Aktenlage - im Zeitpunkt seiner Erlassung gesetzeskonform. In der Literatur wird nunmehr aber klar die Ansicht vertreten (vgl Ritz, BAO4, § 299 Tz 39), dass es für die Anwendbarkeit des § 299 Abs 1 BAO nicht entscheidend ist, ob der aufzuhebende Bescheid (bereits) im Zeitpunkt seiner Erlassung inhaltlich rechtswidrig war. Vielmehr ist für die Anwendung des § 299 BAO die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufhebungsantrag maßgebend.
Unbestreitbar ist, dass ein Bescheid über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 zu einem Zeitpunkt nach Ergehen des bezughabenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes basierend auf § 18 Abs 1 Z 1 KBGG nicht mehr hätte ergehen dürfen. Damit hätte - unter Beachtung des oben Gesagten - das Finanzamt den gegenständlichen Aufhebungsantrag vom 23. Mai 2001 unter Berücksichtigung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 4. März 2011, mit welchem der Gerichtshof ausdrücklich angeordnet hat, dass § 18 Abs 1 Z 1 KBGG (ausnahmslos und in allen Fällen) nicht mehr anzuwenden ist, prüfen und dabei zum Ergebnis kommen müssen, dass es dem Bescheid vom 4. Juni 2010 (rückwirkend) an der Rechtsgrundlage für die Vorschreibung mangelt. Fehlt es (rückwirkend) an einer entsprechenden Rechtsgrundlage für die Vorschreibung der Rückzahlung, erweist sich der Spruch des Bescheides, mit dem die Rückzahlung festgesetzt wurde, nach der im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufhebungsantrag geltenden Rechtslage als nicht (mehr) richtig.
Dieser Rechtsansicht steht auch nicht entgegen, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen die Entscheidung UFS 1.9.2011, RV/2250-W/11, mit welcher einer Berufung gegen die Abweisung eines Antrages auf Bescheidaufhebung keine Folge gegeben wurde, abgelehnt hat. Der Gerichtshof führt im Beschluss vom 3.12.2011, B1184/11, nämlich (die Ablehnung) begründend nur aus, dass zur Beantwortung der einzig strittigen Frage, nämlich wie sich die Aufhebung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG durch den Verfassungsgerichtshof auf Anträge gemäß § 299 BAO auswirkt, spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht anzustellen sind und diese Sache auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist.
Die Aufhebung eines Bescheides nach § 299 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde und ist nach den Grundsätzen von Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 24.10.2000, 95/14/0085, zu § 299 BAO idF vor dem BGBl I 97/2002) kommt im Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zu und hat der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Bedeutung (vgl Ritz, BAO4, § 299 Tz 54). Insoweit ist die Aufhebung des Bescheides vom 4. Juni 2010 jedenfalls gerechtfertigt, zumal auch der Rückzahlungsbetrag nicht nur geringfügig ist. Billigkeitsgründe stehen einer zu Gunsten des Abgabepflichtigen erfolgten Aufhebung niemals entgegen.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
Innsbruck, am 11. April 2012
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG, Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I Nr. 103/2001 |
Verweise: | VfGH 04.03.2011, G184/10 |