UFS RV/0797-W/10

UFSRV/0797-W/107.5.2010

Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach Schätzung

 

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen der Bw,

1.) vom 15. Dezember 2009 gegen den Bescheid des Finanzamtes X vom 2. Dezember 2009 über die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkünftefeststellung für das Jahr 2008 sowie über die Berufung vom 25. Jänner 2010 gegen die diesbezügliche Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010,

2.) vom 6. April 2010 gegen den Bescheid des Finanzamtes X vom 15. März 2010 über die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkünftefeststellung für das Jahr 2008,

entschieden:

1.) Die Berufung vom 15. Dezember 2009 gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2009 über die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkünftefeststellung für das Jahr 2008 wird als unzulässig zurückgewiesen. Die Berufung vom 25. Jänner 2010 gegen die diesbezügliche Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 wird als unzulässig zurückgewiesen.

2.) Aufgrund der Berufung vom 6. April 2010 wird der angefochtene Bescheid vom 15. März 2010 abgeändert; sein Ausspruch über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkünftefeststellung für das Jahr 2008 wird gemäß § 289 Abs 2 BAO von "abgewiesen" auf "zurückgewiesen" geändert.

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt erließ einen mit 7. Oktober 2009 datierten Bescheid über die Einkünftefeststellung gemäß § 188 BAO für das Jahr 2008 an die berufungswerbende Miteigentümergemeinschaft (Berufungswerberin, Bw), mit welchem die im Jahr 2008 erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Schätzungswege mit 5.000 € festgestellt und je zur Hälfte den beiden Beteiligten zugewiesen wurden, weil bis dahin keine Steuererklärung (Erklärung der Einkünfte von Personengemeinschaften) für 2008 beim Finanzamt eingereicht worden war. Dieser Bescheid und die Schriftstücke des Finanzamtes vom 2. Dezember 2009 (erstangefochtener Bescheid) und vom 4. Jänner 2010 (diesbezügliche Berufungsvorentscheidung) wurden zu Handen des als Vertreter der Bw gemäß § 81 Abs 2 BAO auf dem Anmeldungsformular dem Finanzamt bekanntgegebenen Beteiligter1 - einem der beiden Beteiligten an der Bw - zugestellt.

Mit dem Schreiben vom 25. November 2009 - so wie auch die nachfolgenden Rechtsmittel der Bw unterschrieben von beiden Mitgliedern (Beteiligten) der Bw, d.h. auch vom Vertreter gemäß § 81 Abs 2 BAO - stellte die Bw einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 303 - 307 BAO für die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für 2008. Beigelegt waren die von beiden Beteiligten unterschriebene Steuererklärung mit der Angabe von Mag. C als Zustellungsvertreterin und der Jahresabschluss (Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben) für 2008. Die Verzögerung der Abgabe der Steuererklärung wurde durch den Steuerberater-Wechsel und einen plötzlichen Todesfall in der Familie der neuen Steuerberaterin begründet. Der Schlusssatz lautete: Es wird der Antrag gestellt den Bescheid über die Feststellung von Einkünften gem 188 BAO 2008 vom 7.10.2009 aufzuheben und neuerlich mit den eingereichten Unterlagen zu veranlagen.

Bereits am 18. November 2009 hatte die vorerwähnte Zustellungsbevollmächtigte die Zustellungsbevollmächtigung über FinanzOnline geltend gemacht.

Mit dem Bescheid (genaugenommen: als Bescheidausfertigung intendiertes Schreiben) vom 2. Dezember 2009, dessen Nichtigkeit sich mittlerweile herausgestellt hat (siehe unten), wies das Finanzamt den Antrag vom 25. November 2009 auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung der Einkünfte 2008 ab. Begründet wurde dies mit der laut Rückschein bereits abgelaufenen Berufungsfrist, was durch einen Wiederaufnahmeantrag nicht umgangen werden könne sowie damit, dass im Antrag neue Tatsachen oder Beweismittel nicht angeführt worden seien.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2009 wurde Berufung gegen den Bescheid über die Abweisung der Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkünftefeststellung gemäß § 188 BAO für 2008 erhoben.

Das Finanzamt wies diese Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 als unbegründet ab, weil die Nichtabgabe der Steuererklärung auffallend sorglos gewesen sei und somit die Voraussetzung des § 303 Abs 1 lit b BAO, wonach kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden der Partei vorliegen dürfe, nicht erfüllt sei.

Mit dem Schreiben vom 25. Jänner 2010 wurde Berufung gegen die Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 erhoben.

Das Finanzamt fragte mit Schreiben vom 5. Februar 2010 Frau Mag. C, ob ihr der Bescheid vom 2. Dezember 2009 tatsächlich zugekommen sei, was diese mit Schreiben vom 1. März 2010 damit beantwortete, dass ihr der Bescheid am 7. Dezember 2009 von Herrn Beteiligter1 gefaxt wurde.

Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erkannte das Finanzamt, dass die Übermittlung per Fax kein tatsächliches Zukommen der originalen Bescheidausfertigung vom 2. Dezember 2009 darstellte, und erließ einen mit 15. März 2010 datierten Bescheid an die Bw zu Handen der Zustellungsbevollmächtigten Mag. C, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung der Einkünfte vom 25. November 2009 abgewiesen wurde. Als Begründung wurde wie in der Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 die auffallende Sorglosigkeit angeführt.

Weiters legte das Finanzamt die Berufung mit Vorlagebericht vom 15. März 2010 dem Unabhängigen Finanzsenat vor.

Am 13. April 2010 langte beim Unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Wien, eine an diesen direkt adressierte, mit 6. April 2010 datierte Berufung der Bw ein. Es wurde ha. schließlich entschieden, diese als Berufung gegen den Bescheid vom 15. März 2010 zu werten.

Über die Berufungen wurde erwogen:

Das Schreiben des Finanzamtes vom 2. Dezember 2009 an die Bw wäre - selbst wenn der damit beabsichtigte Bescheid (durch Heilung des Zustellmangels) wirksam geworden wäre, nicht identisch mit dem Bescheid vom 15. März 2010 gewesen. Dies ergibt sich schon daraus, dass jeweils eine andere Begründung angeführt wird. Daher ist die Berufung vom 15. Dezember 2009 als gegen den vermeintlichen Bescheid vom 2. Dezember 2009 gerichtet anzusehen, und ist die Berufung vom 6. April 2010 als gegen den Bescheid vom 15. März 2010 gerichtet anzusehen. Aus diesen Gründen kann die Berufung vom 15. Dezember 2009 nicht als gegen den Bescheid vom 15. März 2010 angesehen werden. Und damit stellt sich hier die Frage der (Un)Schädlichkeit der Einbringung dieser Berufung vor dem Beginn der Berufungsfrist gemäß § 273 Abs 2 BAO gar nicht.

§ 9 Abs 3 Zustellgesetz idF BGBl I 2008/5 bestimmt: "Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist."

In dem als Bescheidausfertigung intendierten Schreiben des Finanzamtes vom 2. Dezember 2009 wurde trotz aufrechter Zustellvollmacht die Zustellbevollmächtigte nicht als Empfängerin (="zu Handen" bzw "z.H.") bezeichnet. Der erste Satz von § 9 Abs 3 Zustellgesetz wurde daher nicht eingehalten. Die Heilung dieses Mangels, welche durch das Zukommen des Originales der Ausfertigung vom 2. Dezember 2009 an die Zustellungsbevollmächtigte bewirkt hätte werden können, ist nach den Ermittlungen des Finanzamtes nicht eingetreten. Vielmehr erfolgte die Übermittlung an die Zustellungsbevollmächtigte per Fax, was kein tatsächliches Zukommen (der Originalausfertigung) darstellt. Der (vermeintliche) Bescheid vom 2. Dezember 2009 ist daher nicht wirksam erlassen worden. Er ist nichtig und gehört nicht dem Rechtsbestand an.

Die gegen diesen Nicht-Bescheid gerichtete Berufung vom 15. Dezember 2010 ist daher gemäß § 243 iVm § 273 Abs 1 lit a BAO als unzulässig zurückzuweisen.

Der (wirksame) Bescheid vom 15. März 2010 kann nicht im Sinne des § 274 BAO an die Stelle des (sogenannten) Nicht-Bescheides - d.h. nichtigen Bescheides und genaugenommen eines rechtlichen Nichts - vom 2. Dezember 2009 getreten sein. § 274 BAO ist hier daher nicht anzuwenden.

Die Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 weist die Berufung vom 15. Dezember 2009 als unbegründet ab und bezieht sich daher auf den vermeintlichen Bescheid vom 2. Dezember 2009. Eine abweisende Entscheidung über eine Berufung ist so zu werten, als ob damit ein mit dem angefochtenen Bescheid im Spruch übereinstimmender Bescheid erlassen wird. Der Verwaltungsgerichtshof führte im Erkenntnis VwGH vom 17.12.2002, 2002/17/0273, aus: "Im Beschwerdefall allerdings ist der mit Berufung angefochtene Bescheid erster Instanz ins Leere gegangen und nicht wirksam geworden. In einem solchen Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Spruchinhalt des ins Leere gegangenen Bescheides zum Spruchinhalt des Berufungsbescheides wird und dieser an die Stelle des angefochtenen Bescheides erster Instanz tritt, weil ein solcher nicht ergangen ist." In diesem Sinne wird hier davon ausgegangen, dass die abweisende Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 jedenfalls ins Leere geht, weil kein mit der Abweisung bestätigbarer Spruch des angefochtenen Nicht-Bescheides vom 2. Dezember 2009 existiert (aA Ritz, BAO3, § 289 Tz 49). Die Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 stellt somit ebenfalls einen sogenannten Nicht-Bescheid dar, ohne dass die allfällige Heilung des diesbezüglichen Mangels gemäß § 9 Abs 3 Zustellgesetz zu thematisieren wäre. Somit ist die gegen die Berufungsvorentscheidung vom 4. Jänner 2010 gerichtete Berufung vom 25. Jänner 2010, die im übrigen hier auch nicht als Vorlageantrag zur (unzulässigen) Berufung vom 15. Dezember 2009 gegen den Nicht-Bescheid vom 2. Dezember 2009 aufgefasst werden kann, ebenfalls gemäß § 243 iVm § 273 Abs 1 lit a BAO als unzulässig zurückzuweisen.

Die Bewilligung der Verfahrenswiederaufnahme hätte gemäß § 307 Abs 1 BAO auch die Aufhebung des früheren Bescheides (hier: des Einkünftefeststellungsbescheides für 2008 vom 7. Oktober 2009) bewirkt. Der mit Berufung vom 6. April 2010 angefochtene Bescheid vom 15. März 2010 spricht über den Antrag der Bw auf Wiederaufnahme des Einkünftefeststellungsverfahrens 2008 ab. Der bereits wörtlich zitierte Schlusssatz dieses Antrages ist iSd § 307 Abs 1 BAO als Teil des Wiederaufnahmeantrages aufzufassen und kann somit jedenfalls nicht als (zusätzlicher) Antrag gemäß § 299 BAO auf Aufhebung des Einkünftefeststellungsbescheides vom 7. Oktober 2009, für welchen die im vorliegenden Verfahren thematisierte Verschuldensfrage und die schlussendlich entscheidende Drei-Monats-Frist ab Kenntniserlangung nicht maßgebend wären (sondern vielmehr eine Ein-Jahres-Frist ab Bescheiderlassung), aufgefasst werden.

Mit dem Wiederaufnahmeantrag vom 25. November 2009 hat die Bw durch die nachgereichte Einkünftefeststellungserklärung 2008 samt Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben für das Geschäftsjahr 2008 - die Höhe der Mieteinnahmen des Jahres 2008 sowie - die Höhe diverser Ausgabenkategorien des Jahres 2008 bekanntgegeben. Damit hat die Bw der Behörde die Kenntnis über Tatsachen verschafft, die der Behörde zuvor nicht bekannt waren und daher für die Behörde neu hervorgekommen sind. Somit hat die Bw Umstände gemäß § 303a lit b iVm § 303 Abs 1 lit b BAO bezeichnet, auf welche sie ihren Wiederaufnahmsantrag stützt.

Die geltend gemachten Umstände (Einnahmen und Ausgaben diverser Kategorien) des Jahres 2008 sind solche, die der Bw selbst während des Jahres 2008 zur Kenntnis gelangt sein müssen. Damit fehlen auch nicht die Angaben, die gemäß § 303a lit c BAO zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrages notwendig sind. Das Finanzamt hat daher zu Recht kein Mängelbehebungsverfahren gemäß § 85 Abs 2 iVm § 303a BAO idF BGBl I 20/2009 durchgeführt. Da die als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Umstände der Bw während des Jahres 2008 zur Kenntnis gelangt sind, endete die Drei-Monats-Frist gemäß § 303 Abs 2 BAO spätestens Ende März 2009. Somit ist der gegenständliche Wiederaufnahmsantrag vom 25. November 2009 jedenfalls als gemäß § 303 Abs 2 BAO verspätet zu beurteilen. Der Wiederaufnahmsantrag ist daher zurückzuweisen.

Infolge der Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages stellt sich die Frage nicht, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO ohne grobes Verschulden der Bw in dem mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 abgeschlossenen Verfahren zur Feststellung der Einkünfte des Jahres 2008 nicht geltend gemacht worden ist. Auf das diesbezügliche Vorbringen wird daher nicht näher eingegangen.

Da der angefochtene Bescheid vom 15. März 2010 die Abweisung des Wiederaufnahmsantrages ausspricht, wogegen nach Ansicht der Berufungsbehörde eine Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages zu erfolgen hat, wird der angefochtene Bescheid vom 15. März 2010 mit Spruchpunkt 2 der vorliegenden Berufungsentscheidung dahingehend gemäß § 289 Abs 2 BAO abgeändert. Eine solche Abänderung erfolgt im Rahmen der "Sache" des angefochtenen Bescheides und ist daher vorzunehmen (vgl Ritz, BAO3, § 289 Tz 42).

Ergeht auch an Finanzamt X zu St.Nr. Y

Wien, am 7. Mai 2010

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 289 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 273 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 273 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 276 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 274 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Abgabe der Steuererklärungen nach Rechtskraft der Schätzung

Verweise:

VwGH 21.10.1999, 98/15/0195
VwGH 17.12.2002, 2002/17/0273

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