Nachwirkungen eines schweren Unfalles eines Gesellschafters der den Berufungswerber vertretenden Wirtschaftstreuhandgesellschaft als Wiedereinsetzungsgrund?
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2007/15/0122 eingebracht. Mit Erk. v. 21.6.2007 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Stb.ges., vom 29. September 2003 gegen den Bescheid des Finanzamtes E vom 3. September 2003 betreffend die Abweisung der mit Schreiben vom 2. April 2003 beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO hinsichtlich der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages gegen die den Berufungswerber betreffende Berufungsvorentscheidung vom 17. Jänner 2003, nach der am 15. März 2007 durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Mit Schreiben vom 31. März 1998 war für den Berufungswerber (Bw) Berufung gegen die Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1989 bis 1994 sowie gegen den Gewerbesteuerbescheid für das Jahr 1990, vom 13. Jänner 1998, zugestellt am 15. Jänner 1998, erhoben worden (Bfg-Akt (=Akt mit Aufschrift "Berufungen" betreffend den Bw), Bl 1ff). Weiters war mit Schreiben vom 30. November 2001 für den Bw Berufung gegen die Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 und 1997 erhoben worden (Bfg-Akt Bl 110f).
Das - bis zum Inkrafttreten der Wirtschaftsraum-Finanzämter-Verordnung, BGBl II 2003/224, mit 1. Jänner 2004 zuständige - Finanzamt E erließ zu diesen Berufungen eine abweisende, mit 17. Jänner 2003 datierte Berufungsvorentscheidung (Bfg-Akt Bl 144ff), die am 27. Jänner 2003 zugestellt wurde.
Hier - unter der ha. GZ. RV/0008-W/06 - verfahrensgegenständlich ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO betreffend den Bw, welcher in einem mit 2. April 2003 datierten Schriftsatz - gemeinsam mit einem Antrag betreffend die Ehegattin des Bw - gestellt wurde (Bfg-Akt Bl 148f) und sich auf die versäumte Frist zur Stellung eines Vorlageantrages gegen die o.a. Berufungsvorentscheidung vom 17. Jänner 2003 bezieht (vgl auch Ritz, BAO3, § 309a Tz 5, wonach die Bezeichnung der Frist so zu erfolgen hat, dass die Behörde die gemeinte Frist erkennen kann, ohne dass es auf die Terminologie ankommt.). Zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag wurde im letzten Absatz des diesbezüglichen Schriftsatzes der Vorlageantrag gegen die o.a. Berufungsvorentscheidung gestellt und damit im Sinne des letzten Satzes von § 308 Abs 3 BAO die versäumte Handlung nachgeholt.
Im Wiedereinsetzungsantrag wurden zwar keine ausdrücklich auf seine Rechtzeitigkeit bezogenen Angaben gemacht. Die Rechtzeitigkeit ist aber am 2. April 2003 jedenfalls gegeben gewesen (vgl auch Begründung zur Berufungsvorentscheidung vom 14. November 2005): Das Ende der Vorlagefrist mit Ablauf des 27. Februar 2003 zuzüglich drei Monate gemäß § 308 Abs 3 BAO ergibt den 27. Mai 2003. Der - nicht ausdrücklich angegebene - Zeitpunkt des Wegfallen des Hindernisses ist daher unerheblich. Für unerhebliche Bestandteile eines Anbringens (vgl Ritz, BAO3, § 250 Tz 10 zu Berufungen beispielsweise gegen Wiederaufnahmsbescheide) ist kein Mängelbehebungsauftrag zu erteilen; zum selben Ergebnis führt folgende Begründung. Die Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist genaugenommen schon aufgrund des Datums des gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrages möglich, sodass nichts fehlt, was im Sinne des § 309a Abs 1 lit d BAO "notwendig" ist.
Das Finanzamt E erließ - in einer mit 3. September 2003 datierten Ausfertigung mit einem Bescheid an die Ehegattin des Bw zusammengefasst - den im vorliegenden Verfahren zu GZ. RV/0008-W/06 berufungsverfangenen Bescheid an den Bw, mit dem der Antrag des Bw vom 2. April 2003 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde (Bfg-Akt Bl 174f; die Gründe für das Finanzamt zur Abweisung werden - ebenso wie der vom Bw vorgebrachte Wiedereinsetzungsgrund - weiter unten dargestellt).
Gegen diesen Bescheid wurde mit Schreiben der steuerlichen Vertretung vom 29. September 2003 - zusammengefasst mit einer Berufung betreffend die Ehegattin des Bw - Berufung erhoben unter Anfechtung der Abweisung der Wiedereinsetzung und unter Beantragung der Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrages und unter Vorbringung weiterer Details zum Ablauf des Geschehens (Bfg-Akt Bl 176f).
Hierzu erging eine abweisende, mit 14. November 2005 datierte und am 22. November 2005 zugestellte Berufungsvorentscheidung (Bfg-Akt Bl 179ff), wogegen mit Schreiben der steuerlichen Vertretung vom 5. Dezember 2005 - zusammengefasst mit einem Vorlageantrag betreffend die Ehegattin des Bw - der Vorlageantrag (Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz) gestellt wurde (Bfg-Akt Bl 185ff).
Als Begründung für den Anspruch auf die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird in den Schriftsätzen vom 2. April 2003 (mit Beilagen der AUVA/UKH), 29. September 2003 und 5. Dezember 2005 folgender, hier zusammengefasst dargestellter Ablauf vorgebracht, der zur Fristversäumnis geführt habe:
Am 7. November 2002 schwerer Verkehrsunfall von HerrA, des für die Bearbeitung zuständigen Gesellschafters der den Bw vertretenden Wirtschaftstreuhandgesellschaft (damalige Rechtsform laut Firmenbuch: OHG mit zwei natürlichen Personen als Gesellschaftern): Im Autowrack eingeklemmt, Bergung durch Feuerwehr, Erstversorgung durch Notarzt, Leber- und Milzverletzungen, Schienbeinkopfzertrümmerung, vier Tage im künstlichen Tiefschlaf, Erhalt von zwölf Blutkonserven, Morphine gegen Schmerzen, keine Erinnerung an den Unfall und an diverse Behandlungen danach. Stationärer Krankenhausaufenthalt zunächst bis 29. November 2002 und dann für Nachbehandlungen vom 13. bis 17. Jänner 2003 und vom 4. bis 7. Februar 2003.
HerrA versuchte in den ersten drei Monaten des Jahres 2003, fast täglich in der Kanzlei anwesend zu sein. Je nach physischer Verfassung waren es häufig nur zwei bis drei Stunden. Er war nicht völlig geistesabwesend, sondern durch Schmerzen im linken Bein und verminderte Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt. Seine verminderte Aufmerksamkeit für die zu erledigenden Tätigkeiten war ihm kaum bewusst und weder er noch sein Mitarbeiter konnten die Vergesslichkeit erkennen, die zur Fristversäumnis geführt hat.
HerrA wollte die Berufungsvorentscheidung in der Woche vom 10. bis 14. Februar 2003 (7. Kalenderwoche) bearbeiten. Die Vorlage des Aktes an ihn durch das Sekretariat führte dazu, dass dieses die Evidenthaltung der Frist beendete, weil dann von einer fristgerechten Bearbeitung ausgegangen wurde. HerrA kam wegen Schmerzen und Schwächeanfällen in dieser Woche jedoch nicht mehr ins Büro, sondern beauftragte einen Mitarbeiter mit der Erledigung, behielt sich jedoch die Erledigung zur Kontrolle für die 9. Kalenderwoche (24. bis 28. Februar 2003; Klarstellung siehe mündliche Berufungsverhandlung) vor. Dieser Mitarbeiter war von 17. bis 28. Februar in C und 3. bis 13. März 2003 in D wegen einer Jahresabschlussprüfung auswärts und erfuhr daher nicht, dass HerrA auch in der 9. Kalenderwoche aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, seinen Obliegenheiten - Kontrolle und Unterschrift der Erledigung - nachzukommen.
Die Kanzleiorganisation sei seit 20 Jahren bewährt, und es sei in diesem Zeitraum zu keinem anderen Fristversäumnis gekommen.
Das Finanzamt (Amtspartei) stützt die Ablehnung der Wiedereinsetzung im Bescheid vom 3. September 2003 bzw in der Berufungsvorentscheidung vom 14. November 2005 darauf,
- dass keine Erkrankung vorgelegen sei, die eine Dispositionsunfähigkeit hervorgerufen hätte;
- dass eine Übertragung der Kontrolle und Unterschriftsleistung an den anderen Gesellschafter jederzeit möglich gewesen wäre;
- dass keine ärztliche Bestätigung über eine Erkrankung des HerrA in der 9. Kalenderwoche vorgelegt worden sei;
- dass keine unfallbedingte Dispositionsunfähigkeit in der 9. Kalenderwoche dargetan worden sei. Die grundsätzliche Dispositionsfähigkeit von HerrA trotz der Unfallfolgen zeige sich schon darin, dass er die Erledigung - vorbehaltlich der Endunterfertigung - an einen Mitarbeiter delegiert habe. Damit sei nicht glaubhauft gemacht worden, dass in der 9. Kalenderwoche ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eingetreten wäre.
In der mündlichen Berufungsverhandlung am 15. März 2007 wurde zum Ablauf der Ereignisse seitens der Vertretung des Bw zusätzlich vorgebracht:
- Unter Bearbeitung in der 9. Kalenderwoche 2003 sei eine Bearbeitung bis spätestens 27. Februar 2003 (dem Ende der Vorlagefrist) gemeint.
- Da jeder der beiden Partner einen getrennten Klientenstock habe und sich in die Angelegenheiten der Klienten des anderen Partners einarbeiten müsste, werde bei vorhersehbarer Abwesenheit eines Partners bei Ablauf der Frist während der Abwesenheit von diesem Partner schon vor seiner Abwesenheit die Bearbeitung vorgenommen. Nur wenn beim Ablauf der Frist eine unvorhergesehene Abwesenheit auftrete, werde der Akt dem anderen Partner vorgelegt.
- Auf die Frage des Vertreters des Finanzamtes nach einer Endkontrolle: Als einer der Partner stelle HerrA selbst die Endkontrolle dar.
Zur rechtlichen Beurteilung wurde seitens des Bw verwiesen auf VwGH 3.8.1994, 94/16/0164; VwGH 10.10.1996, 95/20/0659 und VwGH 25.1.1995, 94/13/0236. Man müsse zwischen großen Prüfungskanzleien und der gegenständlichen Zwei-Mann-Kanzlei unterscheiden.
Zur rechtlichen Beurteilung wurde seitens des Finanzamtes verwiesen auf UFS 17.2.2006, RV/0872-L/05, wonach ein Fristvermerk erst dann gestrichen werden dürfe, wenn das Schriftstück unterfertigt und abgefertigt sei. Andernfalls liege kein minderer Grad des Versehens mehr vor.
Der Referent hielt vor: Wenn man davon ausgehe, dass leichte Fahrlässigkeit (minderer Grad des Versehens) üblicherweise damit beschrieben werde, dass eine solche auch einem sorgfältigen Menschen passieren könne, so könnte man daraus schließen, dass gerade ein sorgfältiger Mensch wegen seines Pflichtbewusstseins auch halb krank ins Büro gehe.
Der Vertreter des Finanzamtes brachte hierzu vor, dass man dann einen höheren Level der Aufmerksamkeit vom pflichtbewussten, sorgfältigen Menschen verlangen könne. Aus einer zwei- bis dreistündigen Einsatzfähigkeit pro Tag sei die reduzierte Arbeitsfähigkeit zu erkennen.
HerrA entgegnete darauf, dass seine Arbeitsfähigkeit körperlich bedingt reduziert gewesen sei und nicht geistig. Geistig intakt bedeute, dass er die ihm vorgelegten Akten verarbeiten habe können. Davon zu unterscheiden sei eine Vergesslichkeit bei nicht alltäglichen Angelegenheiten. Unvorhergesehen sei die Konstellation gewesen, dass er sich zuerst den Akt geben habe lassen in der Meinung, ihn erledigen zu können, und dann in der betreffenden Woche nicht ins Büro gekommen sei und sich an den Termin zu Hause nicht habe erinnern können. Unvermeidbarkeit sei aus subjektiven Gründen gegeben gewesen, aus Schwächeanfällen.
Über die Berufung wurde erwogen:
Die Berufungsvorentscheidung vom 17. Jänner 2003 (Bfg-Akt Bl 144ff) erging nur an den Bw als (materiellen) Bescheidadressaten, zu Handen seiner steuerlichen Vertretung als zustellrechtlicher (formeller) Empfängerin.
Auch wenn der gegenständliche Wiedereinsetzungsantrag von der steuerlichen Vertretung in einem einzigen Schriftsatz vom 2. April 2003 (Bfg-Akt Bl 148f) für den Bw - kombiniert mit einem Antrag betreffend die Ehegattin des Bw - gestellt wurde, so handelt es sich um zwei Anträge, von denen nur einer den Bw als Partei betrifft und nur dieser hier unter GZ. RV/0008-W/06 gegenständlich ist.
Auch wenn der angefochtene Bescheid vom 3. September 2003 (Bfg-Akt Bl 174f) in einer einzigen Ausfertigung kombiniert mit einem an die Ehegattin des Bw gerichteten Bescheid und unter Anführung des Bw und seiner Ehegattin als (materielle) Bescheidadressaten zu Handen der steuerlichen Vertretung als zustellrechtlicher (formeller) Empfängerin erlassen wurde, so handelt es sich um zwei Bescheide, von denen nur einer den Bw als Partei betrifft und nur dieser hier unter GZ. RV/0008-W/06 gegenständlich ist. Aufgrund der zugrundeliegenden, getrennt den Bw einerseits und die Ehegattin des Bw andererseits betreffenden Wiedereinsetzungsanträge erschiene es als widersinnig, von einem einzigen, an eine aus dem Bw und seiner Ehegattin bestehende Personengemeinschaft gerichteten Bescheid auszugehen.
Auch wenn die gegenständliche Berufung von der steuerlichen Vertretung in einem einzigen Schriftsatz vom 29. September 2003 (Bfg-Akt Bl 176f) für den Bw - kombiniert mit einer Berufung betreffend die Ehegattin des Bw - gestellt wurde, so handelt es sich um zwei Berufungen, von denen nur eine den Bw als Partei betrifft und nur diese hier unter GZ. RV/0008-W/06 gegenständlich ist.
Auch wenn der gegenständliche Vorlageantrag von der steuerlichen Vertretung in einem einzigen Schriftsatz vom 5. Dezember 2005 (Bfg-Akt Bl 185ff) für den Bw - kombiniert mit einem Vorlageantrag betreffend die Ehegattin des Bw - gestellt wurde, so handelt es sich um zwei Vorlageanträge, von denen nur einer den Bw als Partei betrifft und nur dieser hier unter GZ. RV/0008-W/06 gegenständlich ist.
Bei den genannten jeweils zwei Anbringen (Anträgen/Berufungen/Vorlageanträgen) handelt es sich somit nicht um jeweils ein gemeinsames Anbringen des Bw und seiner Ehegattin (vgl auch Ritz, BAO3, § 9 ZustG Tz 31).
Der oben dargestellte Ablauf der Ereignisse laut Schriftsätzen und dessen weitere Detaillierung in der mündlichen Berufungsverhandlung sind nach Ansicht der Berufungsbehörde glaubhaft gemacht. Ein Nachweis hierfür - etwa eine aussagekräftige und damit schon damals ausgestellte ärztliche Krankenstandsbestätigung für die 9. Kalenderwoche 2003, für deren damalige Erlangung HerrA als Selbständiger keinen Anlass hatte - wird von § 308 Abs 1 BAO nicht gefordert. Die Lücken in der Erinnerung an den Unfall und an diverse Behandlungen danach sind vor der 7. Kalenderwoche 2003 gelegen, sind deshalb für das Vorliegen einer Dispositionsunfähigkeit im entscheidenden Zeitraum (10. bis 27. Februar 2003), die im Übrigen - in ihrem engen Wortsinne - gar nicht behauptet wird, kein Kriterium und es erübrigt sich ein ärztliches Gutachten hierfür. Der unbestimmte Begriff der Dispositionsunfähigkeit kann freilich auch sehr weit interpretiert werden, wie das seitens des Bw vorgebrachte Erkenntnis VwGH 10.10.1996, 95/20/0659 zeigt: Darin wurde dem bevollmächtigten Vertreter, der am letzten Tag der Berufungsfrist die Postaufgabe einer Berufung unterließ, aber durch die Postaufgabe anderer Schriftstücke sehr wohl handelte und damit eine gewisse Dispositionsfähigkeit zeigte, im Ergebnis hinsichtlich der einen, vergessenen Postaufgabe eine Dispositionsunfähigkeit aufgrund eines akuten Schmerz- und Schwindelanfalles in Verbindung mit Sehstörungen zugebilligt. Im Übrigen verwendet das Gesetz den Begriff der Dispositionsunfähigkeit nicht; und seine Heranziehung im engen Wortsinne könnte den Sinn des § 308 Abs 1 BAO, des Institutes der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wie er in dem seitens des Bw vorgebrachten Erkenntnis VwGH 25.1.1995, 94/13/0236 dargestellt ist, vereiteln.
Weiters wird vom vorgebrachten, bisherigen Nichtvorkommen von Fristversäumnissen in der Kanzlei der OHG ausgegangen.
Es deutet auch nichts darauf hin, dass HerrA - wenn er von 24. bis 27. Februar 2003 gesund in seinem Büro gewesen wäre - das Stellen des gegenständlichen Vorlageantrages ebenfalls vergessen hätte.
§ 308 Abs 1 BAO lautet: "Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."
Das Verhalten (inklusive Unterlassen, Verschulden) der den Bw vor der Abgabenbehörde vertretenden OHG ist dem Bw direkt zuzurechnen. Aus der - sich insbesondere auf natürliche Personen als Parteienvertreter beziehenden - Literatur und Rechtsprechung ist nicht unmittelbar erkennbar, dass jedes Verhalten (inklusive Unterlassen) eines geschäftsführenden und die Personengesellschaft nach außen vertretenden Gesellschafters der Personengesellschaft direkt zuzurechnen wäre, und damit in weiterer Folge dem von der Personengesellschaft Vertretenen. Eine derartige Zurechnung ist jedoch daraus zu schließen, dass in der Begründung des VwGH-Erk 8.10.1990, 90/15/0134 (zitiert bei Ritz, BAO3, § 308 Tz 17) die direkte Zurechnung des Verhaltens (Verschuldens) der Organe einer juristischen Person bejaht wird.
Weiters ist davon auszugehen, dass diese Verantwortlichkeit jedes vertretungsbefugten Gesellschafters die Personengesellschaft nicht von ihrer eigenen Verantwortlichkeit befreit.
"Ereignis" iSd § 308 Abs 1 BAO ist jedes Geschehen - nicht nur ein Vorgang in der Außenwelt, sondern auch ein (inner)psychischer Vorgang wie Vergessen oder Sich-Irren (Ritz, BAO3, § 308 Tz 8, Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 308 Anm 8).
"Unvorhergesehen" iSd § 308 Abs 1 BAO ist ein von der Partei nicht einberechnetes Ereignis, dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, aaO; Ritz, aaO Tz 9).
"Unabwendbar" iSd § 308 Abs 1 BAO ist ein Ereignis, wenn es mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindert werden kann. (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, aaO) Laut Ritz, aaO, Tz 10: "auch wenn die Partei das Ereignis vorhersah". Zur Erfüllung des § 308 Abs 1 Satz 1 BAO reicht es aus, wenn das Ereignis unvorhergesehen oder unabwendbar war, wobei auch das Vorliegen beider Eigenschaften bei einem Ereignis kein Hindernis wäre.
Der zweite Satz des § 308 Abs 1 BAO kann im Zusammenhang so verstanden werden, dass er das Erfordernis der Verhinderung durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis insofern abmildert, als an der Unvorhergesehenheit oder Unabwendbarkeit der Partei (bzw ihrem Vertreter) ein höchstens ´minderer Grad des Versehens´ unterlaufen sein darf. Auch ein Verschulden durch Risikoschaffung bzw -erhöhung oder durch unterlassene Risikominderung läßt sich darin integrieren, weil die Risikoschaffung bzw -erhöhung bzw die unterlassene Risikominderung schlussendlich zu einem größeren Ausmaß an Unabwendbarkeit oder Unvorhersehbarkeit führt als es ursprünglich bestanden hat. Von einem größeren oder kleineren Ausmaß von Unabwendbarkeit bzw Unvorhersehbarkeit auszugehen, erscheint deshalb zulässig, weil diese Begriffe in der realen Welt nichts Absolutes (bzw nichts als absolut Erkennbares) darstellen: Die (Un)Vorhersehbarkeit hängt von den prognostischen Fähigkeiten ab; die (Un)Abwendbarkeit hängt von den Fähigkeiten zur Abwendung ab. Diese Sichtweise des zweiten Satzes von § 308 Abs 1 BAO ist für den Wiedereinsetzungswerber günstiger, weil sie eine Kausalität des mehr als minderen Versehens für die verminderte Vorhersehbarkeit (=erhöhte Unvorhersehbarkeit) bzw verminderte Abwendbarkeit (=erhöhte Unabwendbarkeit) voraussetzt, um die Wiedereinsetzung auszuschließen. Wenn dagegen der zweite Satz von § 308 Abs 1 BAO so verstanden würde, dass irgendein Versehen von mehr als minderem Grad die Wiedereinsetzung verhinderte, könnte dies (zumindest theoretisch) zusätzliche Ausschlüsse von der Wiedereinsetzung bewirken.
Ein "minderer Grad des Versehens" iSd § 308 Abs 1 BAO, was auch mit leichter Fahrlässigkeit gleichgesetzt werden kann (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, aaO Anm 9), liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht; bei rechtskundigen Parteienvertretern ist ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl aber unten zur Frage der Anwendung dieser Regel auf ein Versehen infolge einer gesundheitlichen Beeinträchtigung); jedoch ist stets eine Beurteilung nach den Umständen des Einzelfalles nötig und die aus der Judikatur entnommenen Aussagen sind daher nicht als starre Regeln anzusehen (Ritz aaO Tz 13-16). Dieselben Anforderungen wie an rechtskundige Parteienvertreter werden nach der Rechtsprechung (VwGH 8.10.1990, 90/15/0134; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, § 308 E 34f) auch an Steuerberater, Wirtschaftstreuhänder (und berufsbefugte Gesellschaften) als berufsmäßige Parteienvertreter gestellt.
Kausal für die Nichtabfertigung des Vorlageantrages (gegen die mit 17. Jänner 2003 datierte Berufungsvorentscheidung) spätestens am 27. Februar 2003, als die Postaufgabe des Vorlageantrages noch rechtzeitig gewesen wäre, waren schließlich
- das Vergessen der Notwendigkeit der rechtzeitigen Abfertigung durch HerrA - andernfalls hätte er den anderen Gesellschafter anrufen können, damit dieser zumindest einen Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist stelle; Ursache hierfür und damit hinsichtlich der Kausalität gleichbedeutend war, dass HerrA nicht von 24. bis 27. Februar 2003 (gesund) im Büro anwesend war.
- die Herausnahme der Vorlagefrist aus der Terminkontrolle durch das Sekretariat bei der Ausgabe des Aktes an HerrA in der 7. Kalenderwoche (bevor er nicht mehr ins Büro kam) - andernfalls hätte der andere Gesellschafter, HerrF, vom Sekretariat auf das Ablaufen der Vorlagefrist aufmerksam gemacht werden können und zumindest - was keine aufwendige Einarbeitung erfordert - rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist stellen können.
Da sowohl das Verhalten (Unterlassen, Verschulden) der den Bw vertretenden OHG als auch von HerrA dem Bw zuzurechnen sind, sind die Voraussetzungen des § 308 Abs 1 BAO im Hinblick auf beide zu untersuchen:
"In der Regel" wird die Eignung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung als Wiedereinsetzungsgrund von der Rechtsprechung anhand ihres Ausschlusses der Dispositionsfähigkeit beurteilt (vgl VwGH 10.10.1996, 95/20/0659). Aus diesem Erkenntnis geht auch hervor, dass das Vergessen der Postaufgabe eines Briefes durch einen ansonsten sehr wohl Handelnden, der nämlich andere Poststücke auf die Post gebracht hatte, aufgrund eines akuten Schmerz- und Schwindelanfalles in Verbindung mit Sehstörungen einen Wiedereinsetzungsgrund darstellt. Die Rechtsprechung erfordert daher entweder nicht zwingend eine Dispositionsunfähigkeit im engen Wortsinne (sofern dies etwas Absolutes wäre, wovon nicht auszugehen ist) oder es ist - was für den ggstdl Fall zum selben Ergebnis führt - Dispositionsunfähigkeit im (als maßgebend betrachteten) weiten Wortsinne bereits bei den für HerrA glaubhaft gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen gegeben. Denn die für Februar 2003 vorgebrachten und durch die im Unfallkrankenhaus gestellten Diagnosen vom November 2002 (Bfg-Akt Bl 150) glaubhaft gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen von HerrA sind mit denen im vorzitierten VwGH-Erkenntnis vergleichbar.
Das Vergessen des Vorlageantrages war aus Sicht von HerrA - im Sinne von § 308 Abs 1 Satz 2 BAO ohne Überschreiten eines minderen Grades des Versehens - unabwendbar und unvorhersehbar:
- Es war zwar kausal, dass er vor der vollständigen Genesung bereits zu arbeiten begonnen hat. Diese Verursachung der schlussendlichen Unabwendbarkeit stellt aber nur einen minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) dar, weil ein solches Verhalten auch und gerade sorgfältigen Menschen naheliegt (vgl Vorhalt in der mündlichen Verhandlung). Dem Finanzamt, das dann einen erhöhten Level der Aufmerksamkeit fordert, ist zu entgegnen, dass die (damalige, erhöhte) Vergesslichkeit nicht auffiel, als die Vorlagefrist noch offen war. (Davon zu unterscheiden ist das allgemeine Wissen, dass bei jedem Menschen ein Vergessen nicht völlig ausgeschlossen werden kann.)
- Das schließlich entscheidende Vergessen wurde durch gesundheitliche Beeinträchtigungen gefördert. Das Nichtvorhersehen des Vergessens, obwohl durch die gesundheitliche Beeinträchtigungen das Risiko der Vergesslichkeit größer wurde, ist aber - ebenfalls aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen - nur ein minderer Grad des Versehens. (Davon zu unterscheiden ist das Gebot, bei der Kanzleiorganisation menschliche Fehlleistungen wie Vergessen abzusichern; dies wird aber erst bei der Betrachtung der OHG abzuhandeln sein.)
Es handelt sich zwar hier um den Angehörigen eines berufsmäßig parteienvertretenden Berufsstandes. Das Anlegen eines strengeren Maßstab an diesen als an andere Menschen, wenn es um ein Versehen aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen geht, wäre nicht sachgerecht. Eine derartige pauschale Anhebung des Maßstabes wird daher hier bei der gebotenen Beurteilung nach den Umständen des Einzelfalles (vgl Ritz, aaO Tz 16) nicht vorgenommen. Im Hinblick auf HerrA (persönlich) liegt daher keine Überschreitung des minderen Grades des Versehens vor.
Hinsichtlich der berufsmäßig parteienvertretenden OHG, die den Bw vor der Abgabenbehörde vertritt: Die Rechtsprechung (VwGH 24.5.1991, 90/16/0197; VwGH 21.10.1993, 92/15/0100; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, § 308 E 42f, E 50; UFS 17.2.2006, RV/0872-L/05) fordert vom berufsmäßigen Parteienvertreter - auch wenn es sich um eine Parteienvertreterin in der Rechtsform einer Gesellschaft handelt (s oben) -, dass durch geeignete Kontrollen in der Kanzleiorganisation vorgesorgt wird, damit im Kanzleibetrieb Unzulänglichkeiten - wie Fristversäumnisse - durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach ausgeschlossen werden. Hierzu wird ein Fristenkalender als unabdingbar notwendig erachtet, in welchem die Fristeintragung erst dann gestrichen wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist. Andernfalls wird nicht von einem minderen Grad des Versehens ausgegangen. In dem seitens des Bw vorgebrachten Erkenntnis VwGH 10.10.1996, 95/20/0659, betreffend einen Flüchtlingsberater als Vertreter, stand hingegen der Fristenkalender nicht zur Debatte. Ein solcher wäre auch nicht kausal für das Fristversäumnis gewesen, weil der plötzlich erkrankte Flüchtlingsberater am letzten Tag der Berufungsfrist als Letzter das Büro verließ und dabei die Berufungsschrift vergaß anstatt sie zum Postamt mitzunehmen. Für die seitens des Bw vorgebrachte Differenzierung der Anforderungen an die Kanzleiorganisation in Abhängigkeit von der Kanzleigröße wurden in Literatur und Rechtsprechung keine Anhaltspunkte aufgefunden.
Auch bei näherer Betrachtung des vorliegenden Einzelfalles war es nicht unvorhersehbar, dass von den für die OHG tätigen Personen, auch den Gesellschaftern, einmal etwas vergessen werden könnte, denn theoretisch kann jeder Mensch - auch der Gesellschafter - etwas vergessen und die Möglichkeit des Vergessens ist allgemein bekannt. Dies nicht vorherzusehen, war ein mehr als minderer Grad des Versehens.
Das mögliche Vergessen durch die Gesellschafter wurde nicht abgesichert, weil bei Ausgabe eines Aktes an einen Gesellschafter der diesbezügliche Termin in der Fristenliste gestrichen und der alleinigen persönlichen Verantwortung des Gesellschafters überantwortet wurde. Das Unterlassen dieser Absicherung stellte bei der OHG nach der zitierten und verfestigten Rechtsprechung ein mehr als minderes Versehen dar. Durch dieses Versehen wurde das andernfalls - insbesondere mittels Erhebung eines Fristverlängerungsantrages durch den anderen Gesellschafter - abwendbare Versäumen der Frist erst zu einem unabwendbaren Ereignis.
Da dem Bw der mehr als mindere Grad des Versehens der ihn vertretenden OHG zuzurechnen ist, liegen nicht alle notwendigen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, sodass die Berufung abzuweisen ist.
Ergeht auch an Finanzamt X zu nunmehriger St.Nr. Y
Wien, am 2. April 2007
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 308 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Fristenkalender, Mängelbehebung |