Bescheidaufhebung Ermessen Zweckmäßigkeit Billigkeit Verwaltungsökonomie Geringfügigkeit
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Dr. A.Z., Adresse, vom 30. März 2005 gegen den Bescheid des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr, vom 16. März 2005 betreffend Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO zum Einkommensteuerbescheid 2003 vom 22. März 2004 und Einkommensteuerbescheid 2003 vom 16. März 2006 entschieden:
1. Der Berufung betreffend den Aufhebungsbescheid vom 16. März 2005, mit welchem der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 22. März 2004 aufgehoben wurde, wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben. Der Einkommensteuerbescheid vom 22. März 2004 für das Jahr 2003, mit welchem eine Gutschrift an Einkommensteuer in Höhe von 4.342,28 € festgesetzt wurde, tritt somit wieder in den Rechtsbestand ein.
2. Die Berufung betreffend Einkommensteuerbescheid 2003 vom 16. März 2004 wird als unzulässig zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Im berufungsgegenständlichen Jahr bezog der Bw. aus seiner Tätigkeit beim LÖ Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit.
Mit Bescheid vom 22. März 2004 wurde auf Antrag des Bw. die Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2003 durchgeführt. Am 16. März 2005 hob die Abgabenbehörde erster Instanz gemäß § 299 Abs. 1 BAO den Einkommensteuerbescheid 2003 auf. Ebenfalls mit Datum 16. März 2005 wurde mittels neuerlichem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 die Einkommensteuer in Höhe von -4.140,43 € (bisher war vorgeschrieben -4.342,28 €) festgesetzt. Begründend führte das Finanzamt aus, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Prüfung, ob ein Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit darstelle, nur aus der Sicht der Einkunftsquelle vorzunehmen sei, für die das Arbeitszimmer notwendig wäre.
Mit Schriftsatz vom 30. März 2005 erhob der Bw. gegen den Bescheid für 2003 vom 16. März 2005 das Rechtsmittel der Berufung. Begründend führte er aus, dass beim Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 vom 22. März 2004 unter Werbungskosten auch die AfA für ein Arbeitszimmer in Höhe von 403,70 € berücksichtigt worden sei. Aufgrund seiner Arbeitsnehmerveranlagung vom 19. Jänner 2005 für das Jahr 2004 habe ihn das Finanzamt mit Schreiben vom 07. März 2005 aufgefordert, bis zum 14. April 2005 die beantragten Werbungskosten nachzuweisen. Dieser Aufforderung sei er bereits am 15. März 2005 durch persönliche Vorsprache nachgekommen. Dabei sei ihm erläutert worden, dass aufgrund einer eingetretenen Gesetzesänderung, welche die Umstellung seiner ausgeübten Nebentätigkeit von der Einkommens- auf die Lohnsteuerpflicht bewirkt habe, nunmehr keine steuerliche Absetzbarkeit des Arbeitszimmers mehr möglich sei. Er habe daher zur Kenntnis genommen, dass im Einkommensteuerbescheid für 2004 keine AfA für das Arbeitszimmer mehr berücksichtigt werden könne und er erhebe gegen diesen Bescheid auch keine Berufung. Nunmehr sei ihm jedoch mit dem oben genannten Bescheid nachträglich auch noch der Einkommensteuerbescheid für 2003 aufgehoben worden und die AfA für das Arbeitszimmer abgezogen worden. Dieser Bescheid auf Grundlage des § 299 BAO wäre jedoch nach der Verjährungsfrist des § 302 Abs. 1 BAO (in diesem Fall bis 22. März 2005) gar nicht mehr möglich gewesen, wenn der Bw. die vom Finanzamt gesetzte Frist bis 14. April 2005 ausgeschöpft hätte. Dadurch, dass er seine Steuererklärung für 2004 bereits am 19. Jänner 2005 eingereicht und der Beantwortungsfrist zum Nachweis der Werbungskosten bis zum 14. April 2005 bereits am 15. März 2005 nachgekommen sei, sei ihm insoweit ein Nachteil erwachsen und es habe überhaupt noch die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2003 erfolgen können. Nach § 299 BAO sei eine Ermessensentscheidung zu treffen, welche die Behörde verpflichtet, bei ihren Billigkeitserwägungen auch die Interessen des Abgabepflichtigen entsprechend zu berücksichtigen. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Die Begründung des Bescheides erschöpfe sich ausschließlich im Zitat der Bestimmung des § 299 Abs. 1 BAO. Die für ihn sprechenden Interessen und vor allem der Umstand, dass die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2003 nur deshalb habe erfolgen können, da er seine Termine gewissenhaft umgehend wahrgenommen hätte, seien überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden. Nach Ansicht des Bw. habe die Behörde in diesem Fall somit ihr Ermessen unrichtig und nicht im Sinne des Gesetzes ausgeübt. Er beantrage daher die Aufhebung des Bescheides vom 16. März 2005 bzw. die letztmalige Berücksichtigung der AfA in Höhe von 403,70 € als Werbungskosten für das Jahr 2003.
Am 18. Mai 2005 erließ die Abgabenbehörde erster Instanz eine abweisliche Berufungsvorentscheidung betreffend den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003. Der Bescheid wurde wie folgt begründet: Der Inhalt eines Bescheides sei rechtswidrig, wenn der Spruch eines Bescheides nicht dem Gesetz entspreche. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt, ist für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 299 BAO nicht ausschlaggebend. Die Rechtswidrigkeit müsse auch nicht offensichtlich sein. Die Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO setze weder ein Verschulden der Abgabenbehörde noch ein Verschulden bzw. Nichtverschulden des Abgabepflichtigen voraus. Für die Aufhebung sei nur die Gewissheit der Rechtswidrigkeit von Bedeutung, diese müsse aber nicht offensichtlich sein. Bei der Ermessensübung komme dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Bedeutung zu. Eine Aufhebung werde dann zu unterlassen sein, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist bzw. wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich zöge (VwGH vom 19. Juni 1965, Z 24/64; 14. Dezember 2000, Z 95/15/0113). Die Bescheidaufhebung für das Kalenderjahr 2003 sei somit korrekt, weshalb der Einspruch als unbegründet abzuweisen wäre.
Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2005 stellte der Bw. einen Antrag auf Entscheidung über Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Als Begründung führte er an, dass es die Abgabenbehörde erster Instanz unterlassen hätte, seine in der Berufung vorgebrachten Argumente zu berücksichtigen bzw. diese zu entkräften.
Mit Berufungsvorlage vom 13. Juni 2005 legte das zuständige FA die Berufung betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2003 und die Berufung betreffend Einkommensteuerbescheid 2003 an die Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.
Über die Berufung wurde erwogen:
Seit dem Inkrafttreten des Abgaben-Rechtsmittel-ReformGesetzes (AbgRmRefG, BGBl I 2002/97) lautet der § 299 BAO wie folgt: Abs 1: Die Abgabenbehörde erster Instanz kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.
Abs 2: Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden.
Abs 3: Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat.
Gemäß § 302 Abs. 1 BAO sind Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist, Aufhebungen gemäß § 299 jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides zulässig.
§ 20 BAO definiert den Begriff des Ermessens wie folgt: Entscheidungen, die die Abgabenbehörde nach ihrem Ermessen zu treffen habe (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Gemäß § 273 Abs 1 BAO hat die Abgabenbehörde eine Berufung durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung a) nicht zulässig ist oder b) nicht fristgerecht eingebracht wurde.
1. Berufung betreffend Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO: Im berufungsgegenständlichen Fall hat sich der maßgebende Einkommensteuerbescheid 2003 unbestritten als nicht richtig erwiesen.
Da jedoch eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO eine Ermessensentscheidung ("Die Abgabenbehörde erster Instanz KANN....") darstellt, hat das Finanzamt - wie der Bw. in der Berufungsschrift richtig ausgeführt hat - auch eine Ermessensprüfung durchzuführen. Dabei hat die Behörde innerhalb der vom Gesetz auferlegten Grenzen ihre Ermessensentscheidung nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu fällen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist unter Billigkeit (zB VwGH 3.7.2003, 2000/15/0043; 17.5.2004, 2003/17/0132) "die Angemessenheit in bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das "öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben" zu verstehen. Unter den Begriff der Billigkeit ist etwa die Berücksichtigung von Treu und Glauben, weiters das steuerliche Verhalten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu beachten. Während die Berücksichtigung der Verwaltungsökonomie zur Zweckmäßigkeit im Sinne des § 20 BAO gehört. Allerdings spielt bei der Ermessensübung auch der Zweck der Norm eine wesentliche Rolle (VwGH 21.12.1990, 90/17/0344-0381). Die Behörde hat sich also weiters an der Intention des Gesetzgebers zu orientieren (VwGH 31.3.1998, 93/13/0130). Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausführt, kommt im Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zu. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Aufhebung letztlich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirkt.
Bei Überprüfung der gegenständlichen Berufung unter Berücksichtigung der obenstehend gemachten Ausführungen kommt die Abgabenbehörde zweiter Instanz zu folgendem Ergebnis:
- Die Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben unter dem Blickwinkel der Billigkeit spricht gegenständlich gegen eine Bescheidaufhebung. Ebenso die Beurteilung des steuerlichen Verhaltens des Bw. Wie der Bw. in der Berufung ausführt, hat er ihm gesetzen Fristen, sei es zur Abgabe von Steuererklärungen, sei es zur Beantwortung von Vorhalten, nicht nur eingehalten, sondern sogar wesentlich unterschritten.
- Die Zweckmäßigkeit scheint für eine Bescheidaufhebung zu sprechen, einerseits weil dadurch ein Ausfall von Staatseinnahmen verhindert wird und andererseits weil auch das öffentliche Interesse - gemeint ist das Interesse der Gesamtheit der Bürger - an der materiell rechtsrichtigen Besteuerung jedes einzelnen erfüllt wird.Auch würde durch eine Bescheidaufhebung - entsprechend der Judikatur des VwGH - dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit der Durchbruch verschafft.Auf der anderen Seite spricht die Verwaltungsökonomie - unter dem Blickwinkel der Zweckmäßigkeit betrachtet - gegen eine Bescheidaufhebung. Wäre der ursprüngliche Sachbescheid unangetastet geblieben, wäre der durch den Aufhebungsbescheid und durch den neuen Sachbescheid verursachte Verwaltungsaufwand - aufwändiges Rechtsmittelverfahren - nicht entstanden.
Da gegenständlich im Rahmen der Ermessensübung sowohl Argumente für als auch gegen eine Bescheidaufhebung sprechen, ist der Unabhängige Finanzsenat entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes - bei der Ermessensübung ist auch das, ua aus Art 126b B-VG ableitbare (zB VfGH 10.12.1966, G 22/66, Slg 5421) Gebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung zu beachten - , zu der Entscheidung gelangt, dass keine Bescheidaufhebung zu erfolgen hat. Dies insbesondere deshalb, weil die Auswirkungen der Herstellung des materiell rechtsrichtigen Zustandes geringfügig sind:
Durch den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Einkommensteuerbescheid würden sich steuerliche Mehreinnahmen in Höhe von 201,85 € ergeben. Setzt man diese Mehreinnahmen ins Verhältnis zur Gesamtbelastung an Einkommensteuer in Höhe von 21.070,85 €, ergibt dies einen Prozentsatz von aufgerundet 0,96%. Der Unabhängige Finanzsenat ist daher im Rahmen der Ermessensübung zu der Auffassung gelangt, dass gegenständlich aufgrund der Geringfügigkeit der Auswirkung keine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO durchzuführen gewesen wäre. Der Berufung gegen den Aufhebungsbescheid bezüglich Einkommensteuer für das Jahr 2003 ist daher stattzugeben.
2. Berufung betreffend Einkommensteuerbescheid 2003 vom 16. März 2005: Da der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 16. März 2005 gemäß § 299 Abs 2 BAO zwingend mit dem Aufhebungsbescheid verbunden ist, scheidet der Sachbescheid mit der Aufhebung des aufhebenden Bescheides aus dem Rechtsbestand aus. Das Verfahren tritt in die Lage zurück, in der es sich vor der Bescheidaufhebung befunden hat; dh, der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 vom 22. März 2004 lebt wieder auf. Die gegen den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 16. März 2005 gerichtete Berufung ist somit gemäß § 273 Abs 1 lit a BAO zurückzuweisen.
Aus den vorstehend angeführten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Linz, am 8. August 2006
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Ermessensübung im Rahmen des § 299 BAO bei Geringfügigkeit der Auswirkungen |