VwGH Ro 2018/03/0015

VwGHRo 2018/03/001529.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Lehofer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, in der Revisionssache des Magistrats der Stadt Wien gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. November 2017, VGW-101/056/6962/2017-3, VGW- 101/V/056/12584/2017, betreffend Eisenbahnkreuzung

i. A. Anschlussbahn "Liesing - Waldmühle" ohne Eigenbetrieb mit beschränkt-öffentlichem Verkehr (mitbeteiligte Parteien:

1. Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz W, 2. P GmbH in P), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018030015.J00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird, soweit er den Spruchteil II. des Bescheides des Magistrats der Stadt Wien vom 19. April 2017, MA 64-65044/2015, mitumfasst, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien aufgehoben.

Begründung

1 I. Gegenstand

2 A. Mit dem mit Revision bekämpften Beschluss hob das Verwaltungsgericht nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG den Bescheid der amtsrevisionswerbenden Behörde vom 19. April 2017 auf und verwies das Verfahren an diese Behörde zurück (Spruchpunkt I.). Ferner wurde die Erhebung einer Revision gegen diese Entscheidung als zulässig qualifiziert (Spruchpunkt II.).

3 Der Bescheid der revisionswerbenden Behörde vom 19. April 2017 enthält folgenden Spruch:

"I. Gemäß § 49 Abs. 2 Eisenbahngesetz 1957 - EisbG, BGBl. Nr. 60/1957 in der geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 4 Abs. 1 Z. 5 und 39 Abs. 1 Z. 1 Eisenbahnkreuzungsverordnung 2012 - EisbKrV, BGBl. Nr. 216/2012 i.d.g.F. wird aus Anlass der Überprüfung gemäß § 102 Abs. 1 EisbKrV angeordnet, dass die Eisenbahnkreuzung auf der Anschlussbahnstrecke ‚Liesing - Waldmühle' in Wien 23., Höhe Willergasse 59 in Bahnkilometer 3,043 durch Bewachung mit dem bestehenden Schranken als Hilfseinrichtung bis zum Ende seiner technischen Lebensdauer zu sichern ist und danach durch Bewachung mit einem Bewachungsorgan.

II. Gemäß § 48 Abs. 1 Z. 1 EisbG wird von Amts wegen angeordnet, dass die Eisenbahnkreuzung in Wien 23., Höhe Willergasse 59 in Bahnkilometer 3,043 der Strecke ‚Liesing - Waldmühle' binnen 2 Jahren ab Rechtskraft dieses Spruchpunktes von der P GmbH so umzugestalten ist, dass sie im linksseitigen Fahr- und Gehbereich (Blickrichtung Perchtoldsdorf/Seite des Hauses Wien 23., Willergasse 59) für FußgängerInnen und RadfahrerInnen durch eine Gleisabdeckung barrierefrei und frei von Unebenheiten ist, sodass eine Stolper- und Sturzgefahr ausgeschlossen ist. Auf Grund des bestehenden Gefälles ist diese Gleisabdeckung so auszugestalten, dass Wasser abfließen kann."

4 Dagegen richtete die erstmitbeteiligte Partei ihre Beschwerde vom 2. Mai 2017, in welcher der Spruchteil II. des verwaltungsbehördlichen Bescheides betreffend die Umgestaltung der dort genannten Eisenbahnkreuzung ausdrücklich unangefochten gelassen wurde.

5 B. Vom Verwaltungsgericht wurde begründend nach der Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und einschlägiger Rechtsvorschriften (§§ 17b, 36, 49 EisbG, §§ 2, 7 der Eisenbahn-Kreuzungsverordnung 1961 in der Fassung vor BGBl. II Nr. 216/2012, und §§ 4, 5, 36, 37, 38, 39 und 102 der Eisenbahnkreuzungsverordnung 2012, BGBl. 2016/2012 (EisbKrV)) insbesondere Folgendes festgehalten: Bei einer amtswegigen Überprüfung nach der EisbKrV sei festzustellen, ob die bestehenden Sicherungseinrichtungen als Lichtzeichen gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 leg. cit. oder als Lichtzeichen mit Schranken gemäß § 4 Abs. 1 Z 4 leg. cit., jeweils in Verbindung mit § 102 Abs. 3 bis 5 EisbKrV, bestehen bleiben könnten oder ob diese abzuändern seien. Die vorliegende Eisenbahnkreuzung sei unstrittig eine nach § 49 Abs. 2 EisbG iVm § 2 Abs. 2 lit. c der Eisenbahnkreuzungsverordnung 1961 gesicherte Eisenbahnkreuzung. Es handelt sich um eine nicht-fahrtbewirkte Vollschrankenanlage mit Läutwerk. Unstrittig sei ferner, dass diese Sicherungsart nach der EisbKrV nicht mehr vorgesehen sei. Die zulässigen Sicherungsarten seien nunmehr in § 4 Abs. 1 EisbKrV angeführt. Welche der in § 4 leg. cit. angeführten Sicherungsarten zu wählen sei, hänge von Kriterien ab, die in § 5 EisbKrV geregelt seien und die auf den Grundsätzen des § 49 EisbG fußten. Diese Kriterien seien konkret die örtlichen Verhältnisse, das Verkehrserfordernis sowie die vorgegebenen Rahmen an zulässigen Sicherungsarten nach §§ 35 bis 39 EisbKrV. Aus §§ 35 bis 39 EisbKrV gehe hervor, in welchen Fällen eine Sicherungsart festgesetzt werden könne. Aus der Übergangsbestimmung des § 102 Abs. 1 EisbKrV ergebe sich, dass zunächst zu prüfen sei, ob nach technischen Adaptierungen eine bestehende Sicherungseinrichtung beibehalten werden könne. In einem zweiten Schritt sei zu prüfen und festzusetzen, wie die Sicherung - sollte eine technische Adaptierung nicht möglich sein -

auszusehen habe. Für Schrankenanlagen wie die gegenständlichen normiere § 102 Abs. 3 zweiter Satz EisbKrV, dass die Schrankenanlagen längstens 17 Jahre ab Inkrafttreten der EisbKrV beibehalten werden dürfe, sofern diese Schranken an die Bestimmungen der EisbKrV anpassbar seien. Die damit jedenfalls gegebene zeitliche Begrenzung der Verwendbarkeit der gegenständlichen Schrankenanlagen ändere nichts daran, dass in diesen Fällen die Frage einer Adaptierung geklärt werden müsse. Zur Frage der Beibehaltung durch technische Adaptierung der bestehenden Sicherungsanlage sei aktenkundig im vorliegenden Fall von der Verwaltungsbehörde nichts erhoben worden. Dazu wären entsprechende Ermittlungen und (sachverständige) Feststellungen zur Adaptierbarkeit relevant gewesen. Erst bei mangelnder Adaptierbarkeit stelle sich die Frage der Festsetzung einer Sicherungsart, welche der EisbKrV auf Grundlage der Kriterien des § 5 leg. cit. entspreche (unter Setzung entsprechender angemessener Ausführungsfristen). Aus dem Verhandlungsprotokoll des Verwaltungsverfahrens gehe aus den sachverständigen Ausführungen nur hervor, dass die Möglichkeit einer Sicherung durch Bewachung bestehe, was zwar nach § 39 EisbKrV als "kann-Bestimmung" vorgesehen sei, jedoch seien auch die § 35 (Sicherung durch Gewährleistung des erforderlichen Sichtraums) und § 37 (Sicherung durch Lichtzeichen) der EisbKrV derartige Bestimmungen. Es fehlten sachverständige Ausführungen, welche der nunmehr vorgesehenen Sicherungsarten aus welchem Grund gewählt werden könne bzw. festzusetzen sei, sollte eine Adaptierung nicht möglich sein. Sachverständige Ausführungen fehlten auch für den Fall einer Bewachung, gegebenenfalls auch welche Hilfseinrichtungen auf Basis der vorliegenden Umstände zu wählen seien. Da "Schranken" nicht "Hilfseinrichtungen" im Sinn der EisbKrV seien, sei eine spruchgemäß vorgesehene "Hilfseinrichtung Schranken" "nicht möglich". Aus dem Verhandlungsprotokoll vom 28. September 2016 selbst gehe hervor, dass der Schranken außer Betrieb genommen würde. Ferner sei in jedem Fall eine angemessene Frist zur Erfüllung der behördlichen Vorgaben zu setzen.

6 Mit der Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung und der unmittelbaren Beweisaufnahme vor dem Verwaltungsgericht wäre vor dem Hintergrund des gegenständlich neu zu ermittelnden Sachverhalts, zumal bisher keine Ermittlungen dahingehend getätigt worden seien, keine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden, handle es sich doch um neue Ermittlungen. Von der Verwaltungsbehörde werde zur Klärung dieser Fragen jedenfalls eine entsprechende Verhandlung durchzuführen sein, wobei es zielführend sei, wenn sämtliche Parteien daran teilnehmen würden.

7 Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung sei zulässig, weil eine Rechtsprechung konkret zu § 102 EisbKrV fehle. Zur Auslegung des § 28 Abs. 3 VwGVG bestehe bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

8 C. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Revision, in der die Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Umfang des Spruchpunktes II. des verwaltungsbehördlichen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

9 Die Zulässigkeit ihrer Revision begründet die rechtsmittelwerbende Verwaltungsbehörde damit, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen sei, wonach die äußerste Befugnis der Verwaltungsgerichte die bekämpfte Sache selbst sei und das Verwaltungsgericht überschießend auch den ausdrücklich unangefochten gebliebenen und selbständigen Spruchteil II. des in Rede stehenden Bescheides ohne weitere Begründung aufgehoben habe.

10 Die erstmitbeteiligte Partei gab mit Schreiben vom 9. Februar 2018 eine Stellungnahme zur vorliegenden Revision ab.

11 II. Erwägungen

12 A. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

13 B. Ausgehend davon erweist sich die Revision als zulässig und auch als berechtigt, weil das Verwaltungsgericht die Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht hinreichend beachtet hat.

14 Der vor dem Verwaltungsgericht in Beschwerde gezogene Bescheid umfasst mit seinen Spruchteilen I. und II. - zumal diese unabhängig voneinander Bestand haben können - trennbare Spruchpunkte, die dann mittels Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht gesondert bekämpfbar sind (vgl. dazu etwa VwGH 24.2.2016, Ra 2015/09/0138; 15.5.2012, 2012/18/0029, VwSlg. 18.406 A).

15 Im vorliegenden Fall hat die zweitmitbeteiligte Partei diesen Bescheid lediglich im Umfang des Spruchteiles I. angefochten. Das Verwaltungsgericht war daher nur dazu zuständig, den vor ihm bekämpften Spruchteil zu prüfen. "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht war lediglich der von der zweitmitbeteiligten Partei bekämpfte Spruchteil I. des verwaltungsbehördlichen Bescheides (vgl. dazu etwa VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0032, VwSlg. 19.189 A).

16 Indem das Verwaltungsgericht auch den von der zweitmitbeteiligten Partei nicht bekämpften Spruchpunkt II. des verwaltungsbehördlichen Bescheides mit der in Revision gezogenen Entscheidung aufhob, beanspruchte es eine Zuständigkeit, die ihm nach dem Gesagten nicht zukam.

17 C. Angesichts der Ausführungen der Revision zu ihrer Zulässigkeit, der damit inhaltlich korrespondierenden Anfechtungserklärung iSd § 28 Abs. 2 VwGG und den darauf ebenso abgestimmten Revisionsgründen samt Aufhebungsbegehren (§ 28 Abs. 1 Z 5 und 6 VwGG) kommt im vorliegenden Fall eine weitere Prüfung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (etwa mit Blick auf dessen Zulassungsbegründung zu § 102 EisbKrV) nicht in Betracht.

18 Zur Handhabung des § 28 Abs. 3 VwGG wird das Verwaltungsgericht allerdings der Vollständigkeit halber auf die Rechtslage hingewiesen, wie sie in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2018, Ra 2018/03/0005, aufgezeigt wird.

19 III. Ergebnis

20 Der angefochtene Beschluss war daher insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben, als er auch den Spruchteil II. des verwaltungsbehördlichen Bescheides vom 19. April 2017 erfasst.

Wien, am 29. Mai 2018

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