VwGH Ro 2017/21/0007

VwGHRo 2017/21/00075.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 4. Jänner 2017 mündlich verkündete und am 10. Jänner 2017 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W112 2143593-1/20E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: D E, zuletzt in W, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art28;
AVG §57 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
BFA-VG 2014 §22a Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs1a;
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
BFA-VG 2014 §22a;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs4;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §82;
FrPolG 2005 §83;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs6;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste spätestens im Oktober 2015 nach Österreich ein und stellte hier - nachdem er bereits 2014 einen derartigen Antrag in Italien gestellt hatte - einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 23. August 2016 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück, weil Italien für dessen Prüfung zuständig sei. Außerdem ordnete es gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten (nach Italien) an.

2 Der genannte Bescheid wurde dem Mitbeteiligten, der sich nach Entlassung aus einer Freiheitsstrafe nicht mehr in das ihm ursprünglich zugewiesene Grundversorgungsquartier begeben hatte, mit 3. September 2016 durch Hinterlegung zum Akt zugestellt. Außerdem erging dann ein Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG.

3 Am 28. Dezember 2016 begab sich der Mitbeteiligte zur Erstaufnahmestelle Ost und stellte dort neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung gab er u.a. an, sich vom Juli bis Dezember 2016 erneut in Italien befunden zu haben. Bei einer nachfolgenden Einvernahme durch das BFA zum Thema "Schubhaft" erklärte er dann zweimal, "morgen selbst nach Italien" zurückfahren zu wollen.

4 Noch am 28. Dezember 2016 verhängte das BFA in der Folge über den Mitbeteiligten gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO sowie § 76 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 FPG statt; es behob den Schubhaftbescheid vom 28. Dezember 2016 und erklärte die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 28. Dezember 2016 bis 4. Jänner 2017 für rechtswidrig (Spruchpunkt A I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stellte das BVwG allerdings fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A II.). Schließlich sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt B).

5 Zur Beschwerdestattgebung führte das BVwG im Ergebnis aus, dass der Schubhaftbescheid vom 28. Dezember 2016 nicht ausreichend begründet worden sei.

6 Gegen diese Beschwerdestattgebung (Spruchpunkt A I. des Erkenntnisses des BVwG) richtet sich die gegenständliche Revision des BFA, zu der der (nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene) Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete. Diese Revision erweist sich entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG, an den der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG nicht gebunden ist, unter dem Blickwinkel des Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.

7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Das BVwG hat die Revision zugelassen, weil es an einer Rechtsprechung (des Verwaltungsgerichtshofes) zu § 76 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 3 FPG und Art. 28 Dublin III-VO mangle. Abgesehen davon, dass damit noch nicht dargelegt wird, welche - konkret auf die vorliegende Sache bezogene - grundsätzliche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof (erstmals) zu lösen hätte, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach mit Art. 28 Dublin III-VO beschäftigt (vgl. etwa nur das grundlegende Erkenntnis vom 19. Februar 2015, Ro 2014/21/0075). Was aber das Verhältnis dieser Verordnungsbestimmung zum weiter angesprochenen § 76 FPG (insbesondere zu dessen Abs. 2 Z 2 und Abs. 3) anlangt, so wurden bereits im Erkenntnis vom 11. Mai 2017, Ro 2016/21/0021 (insbesondere Rz 22 ff.), auch für den vorliegenden Fall wesentliche grundsätzliche Klarstellungen getroffen. Insoweit liegt daher keine - erkennbare - Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (mehr) vor (siehe etwa den hg. Beschluss vom 28. August 2014, Ro 2014/21/0068).

9 Das BFA kommt auf die vom BVwG - wie erwähnt nur in abstrakter Weise - angesprochene Frage nicht zurück. Es vermeint allerdings, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere zu der Frage, ob das Vorliegen von Begründungsmängeln im Schubhaftbescheid dessen Rechtswidrigerklärung rechtfertigen könne.

10 Das trifft nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass unzureichend begründete Schubhaftbescheide rechtswidrig und - demzufolge - nach Maßgabe der erhobenen Schubhaftbeschwerde für rechtswidrig zu erklären sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. August 2007, 2006/21/0107, vom 7. Februar 2008, 2007/21/0446, und vom 17. Juli 2008, 2008/21/0407; vgl. auch den, eine Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich betreffenden Ablehnungsbeschluss vom 28. Mai 2008, 2007/21/0340). Diese, zu den §§ 82f. FPG ergangene Rechtsprechung ist auf die aktuelle Rechtslage ohne weiteres übertragbar.

11 Wenn das BFA der Sache nach dagegen einwendet, die Verwaltungsgerichte seien (wie zuvor die unabhängigen Verwaltungssenate) volle Tatsacheninstanz und sie hätten auf Basis der vorhandenen Ermittlungsergebnisse und allfälliger Ergänzungen in der Sache selbst zu entscheiden, so ist dies zwar zutreffend. Es übersieht aber, dass die Entscheidung in der Sache selbst bei Schubhaftbeschwerden im Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG zu erblicken ist, wobei Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen sind (vgl. nur das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015, G 151/2014 u.a., VfSlg. 19.970/2015, Rz 60). In Gestalt dieses Fortsetzungsausspruches schafft das BVwG - wenn er "positiv" auszufallen hat - einen neuen Schubhafttitel (siehe dazu auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2017/21/0161, 0162, Rz 10). Von daher besteht auch kein Erfordernis, den vorangegangenen Schubhaftbescheid, wie es das BFA meint, zu "sanieren". In Bezug auf die Überprüfung des Schubhaftbescheides ist das BVwG daher, zumal dem Gesetz keine Verpflichtung zu einer zweiten "Entscheidung in der Sache" zu entnehmen ist, auf eine reine Kontrolltätigkeit beschränkt, was letztlich darin seinen Ausdruck findet, dass durch § 22a Abs. 1a BFA-VG für Schubhaftbeschwerden das für Maßnahmenbeschwerden geltende Verfahrensrecht für anwendbar erklärt wird. Im Maßnahmenbeschwerdeverfahren stellt sich die Frage einer Sanierung des zu beurteilenden Aktes nämlich regelmäßig nicht (vgl. auch § 28 Abs. 6 VwGVG).

12 Vor diesem Hintergrund geht auch die weitere vom BFA in seiner Revision erhobene Überlegung fehl, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ersetze die Rechtsmittelentscheidung des Verwaltungsgerichtes auch hinsichtlich der Begründung den behördlichen Bescheid, wodurch allfällige Begründungsmängel oder Verfahrensmängel saniert werden würden. Die dazu ins Treffen geführte Judikatur, soweit sie überhaupt einschlägig ist, erging im Übrigen nicht zum Schubhaftbeschwerdeverfahren. Für dieses hat der Verwaltungsgerichtshof demgegenüber mehrfach ausgesprochen, dass ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid nicht nachträglich konvalidieren könne (siehe etwa die in der Revision ohnehin erwähnten Erkenntnisse vom 28. August 2012, 2010/21/0388, vom 19. März 2013, 2011/21/0250, und vom 11. Juni 2013, 2012/21/0114). Die vom BFA angesprochene Sanierung eines - rechtswidrigen - Schubhaftbescheides käme einer derartigen Konvalidierung im Ergebnis aber gleich und steht somit auch insoweit zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Widerspruch.

13 Dem BFA ist nur darin zu folgen, dass nicht jeder Begründungsmangel Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides bewirkt, sondern nur ein wesentlicher Mangel. Das ist ein solcher, der zur Folge hat, dass die behördliche Entscheidung in ihrer konkreten Gestalt die konkret verhängte Schubhaft nicht zu tragen vermag. Dass nur derartige Fehler von Relevanz sind, trägt auch dem vom BFA weiter ins Treffen geführten Umstand Rechnung, dass Schubhaftbescheide nach § 76 Abs. 4 FPG häufig in Form eines Mandatsbescheides zu erlassen sind (auch derartige Bescheide bedürfen allerdings nach herrschender Ansicht einer Begründung; vgl. nur Hengstschläger/Leeb, AVG § 57 Rz 11). In diesem Sinn sind auch Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zu verstehen, wonach Begründungsmängeln des Schubhaftbescheides die Relevanz fehle (so etwa das Erkenntnis vom 24. Februar 1995, 95/02/0119; das in der Revision angeführte Erkenntnis vom 7. April 1995, 94/02/0369, beschäftigt sich mit Begründungsmängeln des Schubhaftbescheide hingegen überhaupt nicht).

14 Ob ein im Sinn des Gesagten wesentlicher Begründungsmangel vorliegt, ist stets eine Frage des Einzelfalls, daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das ist hier der Fall, weil das BFA ein beträchtliches Risiko des Untertauchens des Mitbeteiligten entgegen der Aktenlage u.a. damit begründete, dass er zahlreiche Länder bereist und sich in diesen auch illegal aufgehalten habe, und weil dann weiter - aktenwidrig - damit argumentiert wurde, er habe sich "seit dem 15.02.2016 ohne Meldung im Bundesgebiet aufgehalten" und angegeben, dass er nicht nach Schweden wolle (der Mitbeteiligte befand sich tatsächlich, wenn auch mit kurzfristigen Unterbrechungen, bis zu seiner strafgerichtlichen Inhaftierung am 8. Juli 2016 in Betreuungsstellen des Bundes und war dort auch gemeldet; einen Bezug zu Schweden gibt es überhaupt nicht, im Übrigen hatte der Mitbeteiligte vor seiner Schubhaftnahme - siehe oben Rz 3 - deponiert, nach Italien zurückkehren zu wollen).

15 Zusammenfassend ist damit auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des BFA nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage zu beurteilen wäre, der im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzlicher Bedeutung zukäme. Die erhobene Revision war daher in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Wien, am 5. Oktober 2017

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