VwGH Ro 2017/08/0033

VwGHRo 2017/08/003311.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice St. Pölten in 3100 St. Pölten, Daniel Gran-Straße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. September 2017, W164 2154314-1/13E, betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (mitbeteiligte Partei: G M, R), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §38;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §13 Abs2;
VwGVG 2014 §13 Abs4;
VwGVG 2014 §13 Abs5;
VwGVG 2014 §22 Abs2;
VwGVG 2014 §22 Abs3;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017080033.J00

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahingehend abgeändert, dass die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wird.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 7. September 2017, Ra 2017/08/0065, verwiesen.

2 Mit Bescheid vom 1. März 2017 sprach das revisionswerbende Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass der Mitbeteiligte den Anspruch auf Notstandshilfe vom 8. Februar bis 4. April 2017 gemäß § 38 iVm § 10 AlVG verliere. Eine Nachsicht werde nicht erteilt. Der Mitbeteiligte habe am 19. Jänner 2017 eine Beschäftigung als Büroangestellter zugewiesen bekommen. Er habe den möglichen Arbeitsantritt am 8. Februar 2017 vereitelt.

3 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid eine als Berufung bezeichnete Beschwerde, die er unter anderem damit begründete, dass es eine "sogenannte Zuweisung" (iSd § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG) niemals gegeben habe. Er habe sich nicht geweigert, diese angeblich zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

4 Mit Bescheid vom 12. April 2017 hat das AMS die aufschiebende Wirkung dieser Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen. Der Mitbeteiligte beziehe seit 1. Juli 2013 - unterbrochen durch Krankengeldbezüge - Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Ihm seien fünf Wiedereingliederungsmaßnahmen und Weiterbildungsmöglichkeiten zugewiesen und 41 Arbeitsstellen angeboten worden. Gegen ihn sei gemäß § 10 AlVG rechtskräftig schon eine Ausschlussfrist (vom 14. bis 23. April und vom 24. April bis 25. Mai 2014) verhängt worden.

5 Der Umstand der Langzeitarbeitslosigkeit in Verbindung mit der vorliegenden Ausschlussfrist, den erfolglosen Vermittlungsversuchen und Wiedereingliederungsmaßnahmen und der bereits verhängten Ausschlussfrist lasse eine aufschiebende Wirkung nicht zu. Deren Ausschluss sei auch aus spezialpräventiven Erwägungen notwendig, um die lange Arbeitslosigkeit ehestens zu beenden. Eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde würde das öffentliche Interesse an einer Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung unterlaufen. Es überwöge das öffentliche Interesse gegenüber dem mit der Beschwerde verfolgten Einzelinteresse.

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte eine weitere als Berufung bezeichnete Beschwerde. Die Aussage des potenziellen Arbeitgebers, er habe von ihm keine Bewerbung erhalten, werde bestritten. Die Zuweisung der genannten Wiedereingliederungsmaßnahmen und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie den Erhalt von 41 Stellenangeboten seien in Zweifel zu ziehen.

7 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 1, 2 und 5 VwGVG ersatzlos aufgehoben. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.

8 Über eine Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sei ohne weiteres Verfahren, also ohne Setzung der sonst üblichen Verfahrensschritte (wie Gewährung von Parteiengehör oder Durchführung einer Verhandlung) zu entscheiden. Die Interessen des Beschwerdeführers am Erfolg seines Rechtsmittels und die berührten öffentlichen Interessen sowie allfällige Interessen anderer Parteien seien gegeneinander abzuwägen. In einem ersten Schritt sei zu prüfen, ob die berührten öffentlichen Interessen oder die Interessen anderer Parteien gegenüber den Interessen des Mitbeteiligten überwögen. Sei dies der Fall, so müsse in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob der vorzeitige Vollzug des Ausspruchs über den Verlust der Notstandshilfe wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sei. Gefahr im Verzug bedeute, dass den berührten öffentlichen Interessen oder den Interessen einer anderen Partei als der des Beschwerdeführers ein derart gravierender Nachteil drohe, dass eine vorzeitige Vollstreckung des Bescheides dringend geboten sei. Unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips gehe es nicht an, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs komme der Vorrang zu. Deren Einschränkung sei nur aus sachlich gebotenen triftigen Gründen zulässig. In diesem Zusammenhang sei nicht jegliches öffentliche Interesse relevant. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Gesetze etwa genüge nicht. Es müsse sich um ein besonderes öffentliches Interesse handeln, aus dem wegen der triftigen Gründe des konkreten Falls die vorzeitige Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung sachlich geboten sei. Gegen den seit 2013 arbeitslosen Mitbeteiligten seien bereits in der Vergangenheit rechtskräftig Ausschlussfristen verhängt worden. Das AMS sei zu Recht vom Vorliegen eines erheblichen Interesses der Versichertengemeinschaft an der Verhinderung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und von einer sachlich gebotenen Notwendigkeit einer generalpräventiven Maßnahme ausgegangen. Es gelte, einer für die Allgemeinheit unerwünschten und die Versichertengemeinschaft zu Ungebühr belastenden schleichenden Entwicklung entgegenzuwirken.

9 Der nicht vertretene Mitbeteiligte habe in seiner Beschwerde diesem öffentlichen Interesse nicht ausdrücklich berücksichtigungswürdige Interessen seiner Person gegenüber gestellt. Allerdings lege schon der Umstand, dass er Notstandshilfe beziehe und Beschwerde erhoben habe, nahe, dass er ein relevantes Interesse daran habe, durch den Weiterbezug der Notstandshilfe seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Da das Verfahren gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG ohne die sonst üblichen Verfahrensschritte (wie etwa Erteilung eines Verbesserungsantrages oder Gewährung des Parteiengehörs) zu führen sei, werde davon ausgegangen, dass der Mitbeteiligte ein relevantes Interesse daran habe, durch den Weiterbezug der Notstandshilfe seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dem stehe ein relevantes öffentliches Interesse des revisionswerbenden Arbeitsmarktservice gegenüber.

10 Eine weitere Auseinandersetzung mit der hier vorzunehmenden Gewichtung der Interessen erübrige sich aber. § 13 Abs. 2 VwGVG fordere ausdrücklich und zusätzlich zum Bestehen eines relevanten Interesses im oben dargelegten Sinn das Vorliegen einer Gefahr im Verzug. Es genüge für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels nicht, dass ein relevantes Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen Umsetzung der angefochtenen Entscheidung bestehe. Das genannte Interesse müsse wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sein. Bei Aufschub der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung müsse konkret ein nicht wieder gutzumachender erheblicher Nachteil für die Partei oder ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl drohen. Die Vermeidung dieser Gefahr müsse rasches Handeln erfordern. Dies wäre zB beim Entzug einer Lenkerberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit der Fall. Es treffe zu, dass unberechtigt empfangene Geldleistungen vom Mitbeteiligten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nachträglich nur mit Schwierigkeiten wieder eingebracht werden könnten. Aus dem vorliegenden Sachverhalt sei aber nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall aus dem Bestehen der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit oder die konkrete Gefahr einer unvertretbar hohen finanziellen Belastung der Versichertengemeinschaft abzuleiten wäre. Sollte nach Abschluss des Verfahrens die erbrachte Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht mehr einbringlich sein, so entstünde der Versichertengemeinschaft unmittelbar daraus keine unvertretbar hohe finanzielle Belastung. Gefahr im Verzug im Sinn des § 13 Abs. 2 VwGVG sei daher nicht gegeben. Der vorliegende Fall rechtfertige keine Einschränkung des rechtsstaatlich gebotenen Grundsatzes der faktischen Effizienz eines erhobenen Rechtsmittels.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision.

12 Die mitbeteiligte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Das Verwaltungsgericht hat die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt, weil der Verwaltungsgerichtshof im genannten Vorerkenntnis vom 7. September 2017, Ra 2017/08/0065, (in dem die Frage der Senatszuständigkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behandelt worden ist) zum weiteren, die Versagung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung betreffenden Revisionsvorbringen nicht auf bisher ergangene höchstgerichtliche Judikatur oder auf eine eindeutige Gesetzeslage verwiesen habe. Dies sei ein Hinweis auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage.

14 Das AMS führt zur Zulässigkeit der Revision aus, die bisherige (allerdings uneinheitliche) Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes zur aufschiebenden Wirkung habe sich auf die Frage eines substanziierten Beschwerdevorbringens und auf die Frage der Interessenabwägung, nicht aber auf das Kriterium "Gefahr im Verzug" bezogen.

15 Das Verwaltungsgericht habe sich auf eine Interessenabwägung nicht eingelassen, sondern das Vorliegen des Kriteriums "Gefahr im Verzug" verneint. Da diese bei Ausschlussfristen iSd § 10 AlVG schwer zu argumentieren sei, gehe der Sanktionscharakter dieser Bestimmung (bei einem Aufschub des Vollzugs) verloren.

16 Das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Da der Mitbeteiligte kein substanziiertes Vorbringen hinsichtlich seines unverhältnismäßigen Nachteils erstattet habe, habe er gegen seine Konkretisierungspflicht verstoßen. Das Verwaltungsgericht habe dem Mitbeteiligten (zu Unrecht) ein berücksichtigungswürdiges Interesse unterstellt. In anderen Fällen habe es bei vergleichbarem Sachverhalt die Beschwerde bereits auf Grund des nicht substanziierten Vorbringens als unbegründet abgewiesen. Die Bestreitung des Lebensunterhalts mit den Mitteln der Arbeitslosenversicherung liege grundsätzlich immer vor und könne kein alleiniges Kriterium für die Beurteilung der Gewährung der aufschiebenden Wirkung sein.

17 Das AMS bringt weiters vor, der am 10. Oktober 1973 geborene Mitbeteiligte stehe seit fast vier Jahren im Leistungsbezug. Sämtliche Vermittlungsversuche seien gescheitert. Mit der Langzeitarbeitslosigkeit verbinde sich in Anbetracht des wiederholten Ausschlusses gemäß § 10 AlVG Arbeitsunwilligkeit. Würde in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde nicht ausgeschlossen, ginge der im öffentlichen Interesse liegende Sanktionscharakter verloren. Die Beschwerde des Mitbeteiligten enthalte kein substanziiertes Vorbringen zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung. Das Verwaltungsgericht sei allein auf Grund der Erhebung der Beschwerde davon ausgegangen, dass beim Mitbeteiligten ein relevantes Interesse gegeben sei. Dieses Argument sei nicht geeignet, den im öffentlichen Interesse liegenden Sanktionscharakter zu entkräften.

18 Die Erfahrung zeige, dass langzeitarbeitslose Personen zumeist ihr Konto überzogen hätten. Die weiter gewährte Leistung würde den Leistungsbeziehern sohin gar nicht zukommen. Im Fall einer negativen Entscheidung (der Bestätigung des Verlusts der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung) würden sie Ratenansuchen stellen, um die auf Grund der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gezahlten Beträge zurückzahlen zu können. Es bestehe die Gefahr der verzögerten Einbringlichkeit. Eine Rückforderung werde nicht möglich sein, solange der Arbeitslose keine neue Beschäftigung aufgenommen habe. Die Voraussetzung der Arbeitswilligkeit für den Leistungsbezug würde unterlaufen. Auf Grund der Aktenlage seien die individuellen Anhaltspunkte für einen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausreichend. Dieser sei auch aus spezialpräventiven Erwägungen notwendig, um die lange Arbeitslosigkeit des Mitbeteiligten zu beenden. Das Verwaltungsgericht übersehe, dass bei einer ausschließlich auf den Einzelfall abstellenden Betrachtung eine (in ihrer Gesamtheit) unvertretbar hohe Belastung der Versichertengemeinschaft nie als drohende Gefahr im Verzug berücksichtigt werden dürfte, weil diese Gefahr nicht durch die Weitergewährung einer einzelnen Leistung , sondern dadurch entstehe, dass die aufschiebende Wirkung praktisch nie ausgeschlossen werden könnte. Da die zwingenden öffentlichen Interessen überwögen, müsse die Interessenabwägung zu Gunsten des AMS ausgehen.

19 Die Revision ist aus den vom AMS genannten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

20 In dem die Aufhebung des § 56 Abs. 3 AlVG idF des Verwaltungsgerichtsbarkeits-AnpassungsG - Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, BGBl I Nr. 71/2013, betreffenden Erkenntnis VfGH 2.12.2014, G 74/2014, hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, dass die angefochtene Bestimmung von den in § 13 und § 15 VwGVG getroffenen Regelungen abweiche, die grundsätzlich die aufschiebende Wirkung von Beschwerden vorsehen würden. Vom VwGVG abweichende Regelungen dürften gemäß Art. 136 Abs. 2 B-VG nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes "unerlässlich" seien. Der Verfassungsgerichtshof verkenne nicht, dass im Arbeitslosenversicherungsrecht zweifellos eine besonders große Zahl von Verfahren und Beschwerden von den zuständigen Behörden und dem Bundesverwaltungsgericht zu bewältigen sei. Ebenso sei anzuerkennen, dass mit dem in § 56 Abs. 3 AlVG grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen begegnet werden solle. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung der Bestimmung das Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu gewährleisten, besonders stark gewichtet. Trotz dieser für sich genommen erheblichen Gesichtspunkte entspreche die verfahrensrechtliche Sonderregelung des § 56 Abs. 3 AlVG nicht dem Kriterium der Erforderlichkeit iSd Art. 136 Abs. 2 B-VG, weil sie dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes insoweit widerspreche, als sie dem Interesse des einzelnen Versicherten, nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belastet zu werden, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist, nicht hinreichend Rechnung trage. Insbesondere lasse § 56 Abs. 3 AlVG es nicht zu, die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen von Verfahrensparteien abzuwägen.

21 Nach dem im vorliegenden Fall anzuwendenden § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG (vgl. § 64 Abs. 2 AVG) kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

Gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Beschwerde gegen einen Bescheid, der die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen hat, keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

22 Die Entscheidung über Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028). Die vom Verfassungsgerichtshof im genannten Erkenntnis aufgezeigten Rechtsschutzdefizite bestehen bei der hier anzuwendenden Regelung nicht. § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen zu begegnen und dem Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen.

23 Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmung (der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 13 VwGVG K 12).

24 Um die vom Gesetzgeber außerdem geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können (vgl. zur Interessenabwägung nach § 30 Abs. 2 VwGG VwGH 14.2.2014, Ro 2014/02/0053), hat ein Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat.

25 Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56). Wirkt der Notstandshilfebezieher an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 19 zu § 56). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges wäre allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (vgl. zur Erfolgsprognose VwGH 9.5.2016, Ra 2016/09/0035).

26 Im vorliegenden Fall hat der Mitbeteiligte kein Vorbringen darüber erstattet, dass ihn der Vollzug des Bescheides über den Verlust der Notstandshilfe unverhältnismäßig hart treffen würde. Auch ist prima facie nicht ersichtlich, dass seine Beschwerde gegen die Verhängung der Sperrfrist wahrscheinlich Erfolg haben wird. Eine Abwägung seiner Interessen an der Weiterzahlung der Notstandshilfe mit den beschriebenen öffentlichen Interessen an der Wirksamkeit von Maßnahmen iSd § 10 Abs. 1 AlVG und an der Einbringlichkeit von Rückforderungsansprüchen ergibt ein Überwiegen der öffentlichen Interessen. Angesichts der vom AMS festgestellten Umstände des Einzelfalls ist auch von einem so gravierenden Nachteil für die berührten öffentlichen Interessen auszugehen, dass Gefahr im Verzug vorliegt.

27 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG war in der Sache selbst auszusprechen, dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde auszuschließen ist.

Wien, am 11. April 2018

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