VwGH Ro 2015/01/0002

VwGHRo 2015/01/000215.12.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des T A in F, vertreten durch Mag. Muna Duzdar, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Florianigasse 1/6, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, vom 15. Februar 2012, Zl. MA 35/IV - A 183/2007, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
StbG 1985 §11a Abs1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RO2015010002.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Revisionswerber beantragte am 17. März 2005 bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Er war zu diesem Zeitpunkt ägyptischer Staatsangehöriger und seit 14. Mai 2002 mit der österreichischen Staatsbürgerin S verheiratet.

Mit am 23. Dezember 2005 ausgefolgtem Bescheid der belangten Behörde wurde dem Revisionswerber gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass er binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem ägyptischen Staatsverband erbringt. Im Zuge der dabei aufgenommenen Niederschrift gab der Revisionswerber (u.a.) an, seine Ehe mit S sei nicht aufgelöst und er lebe mit ihr im gemeinsamen Haushalt.

Der Revisionswerber legte in weiterer Folge eine Bestätigung des Konsulats der Arabischen Republik Ägypten in Wien vom 25. Jänner 2006 vor, wonach das ägyptische Innenministerium sein Ansuchen um Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft genehmigt habe und er mit der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft die ägyptische Staatsangehörigkeit verliere.

Bei einer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangte Behörde am 9. Februar 2006 gab der Revisionswerber (u.a.) nochmals an, er sei noch immer mit S verheiratet und lebe mit ihr im gemeinsamen Haushalt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Februar 2006 wurde dem Revisionswerber mit Wirkung vom selben Tag gemäß § 11a StbG die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Am 17. Februar 2006 brachten der Revisionswerber und S beim Bezirksgericht D den Antrag auf einervernehmliche Ehescheidung ein. Die Ehe des Revisionswerbers mit S wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes D vom 6. April 2006 im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz geschieden.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 2012 wurde das mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Februar 2006 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG zum Zeitpunkt vor Zusicherung der Verleihung, sohin vor dem 23. Dezember 2005, wieder aufgenommen (I) und das Ansuchen des Revisionswerbers vom 17. März 2005 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß "§ 10 ff StbG" abgewiesen (II).

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe zum Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 9. Februar 2006 und zum Zeitpunkt der Zusicherung am 23. Dezember 2005 keinen gemeinsamen Haushalt und keine integrationsverstärkende eheliche Gemeinschaft mit der österreichischen Ehegattin geführt. Die (gegenteiligen) Angaben des Revisionswerbers bei seiner niederschriftlichen Einvernahmen am 22. April 2007 seien nicht glaubwürdig, zumal er auf Befragen selbst angegeben habe, bereits mehrere Monate vor dem Scheidungsantrag in einer anderen Wohnung gewesen und nur mehr zu Besuch in die Ehewohnung gekommen zu sein. Der Revisionswerber habe die Tatsache, dass er während des Einbürgerungsverfahrens und im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht mit seiner österreichischen Ehegattin im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, der Behörde bewusst verschwiegen und sogar angegeben habe, nach wie vor mit dieser im gemeinsamen Haushalt zu leben. Er habe hiedurch die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erschlichen.

Beweiswürdigend stützte sich die belangte Behörde im Wesentlichen auf Aussagen der ehemaligen Ehegattin S des Revisionswerbers. Diese habe bei ihrer Einvernahme am 3. April 2007 angegeben, dass der Revisionswerber bereits spätestens zwei Monate nach Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft (Ende März 2005) aus der ehelichen Wohnung ausgezogen gewesen sei und ab diesem Zeitpunkt kein gemeinsamer Haushalt mehr bestanden habe.

Die belangte Behörde begründete im Weiteren unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union im Urteil vom 2. März 2010 in der Rechtssache C-135/08 , Rottmann, ihre Ermessensübung nach § 69 Abs. 3 AVG.

Der Antrag des Revisionswerbers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei gleichzeitig abzuweisen gewesen, weil der Revisionswerber nach der Aktenlage seit 6. April 2006 keine Meldung und keinen Aufenthalt mehr in Österreich aufweise. Da der Revisionswerber laut eigenen Angaben erst ab 8. Juli 2002 seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt habe, sei die Frist des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG schon deshalb nicht erfüllt. Andere Einbürgerungstatbestände lägen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber am 22. April 2014 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) und beantragte die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2014, B 311/2014-9, gab der VfGH dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt, lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Revisionswerber ergänzte über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes die - als Revision zu betrachtende - Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass in sinngemäßer Anwendung des § 4 VwGbk-ÜG vorzugehen ist, wenn der VfGH - wie im vorliegenden Fall - eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG nach Ablauf des 31. Dezember 2013 an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, sodass die Beschwerde als Revision gilt und für deren Behandlung nach § 4 Abs. 5 fünfter Satz VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß gelten (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 25. April 2014, Zl. Ro 2014/10/0029, und vom 29. Oktober 2014, Zl. Ro 2014/01/0032).

2. Die Bestimmung des § 11a Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311/1985 in der (im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren beendenden Bescheides maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG), lautete:

"Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn

1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt,

2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,

3. er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist und

4. a) die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder

b) die Ehe seit mindestens fünf Jahren aufrecht und sein Ehegatte seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen österreichischer Staatsbürger ist oder

c) der Ehegatte die Staatsbürgerschaft durch Verleihung gemäß § 10 Abs. 4 Z 2 oder durch Erklärung gemäß § 58c erworben hat und der Fremde seinen Hauptwohnsitz vor dem 9. Mai 1945 im Bundesgebiet hatte und sich damals gemeinsam mit seinem späteren Ehegatten ins Ausland begeben hat."

§ 10 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, lautet auszugsweise:

"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;

..."

3. Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG kann ein mit Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseren Wissens gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2013, Zl. 2013/01/0138, mwN, betreffend Täuschung der Behörde über das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft und eines gemeinsamen Haushaltes mit einer österreichischen Ehegattin).

Die Revision tritt den Feststellungen der belangten Behörde zum Nichtvorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft und eines gemeinsamen Haushaltes des Revisionswerbers mit seiner österreichischen Ehefrau nicht konkret entgegen. Sie bestreitet auch nicht, dass der Revisionswerber die Behörde über das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes sowohl im Zeitpunkt der Zusicherung als auch der Verleihung der Staatsbürgerschaft getäuscht habe.

4.1. Sie bringt aber - unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH "Rottmann" vor - dass aufgrund des "mangelhaft geführten Ermittlungsverfahrens" nicht beurteilt werden könne, ob die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise unverhältnismäßig gewesen sei. Der Revisionswerber sei im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits sechs Jahre österreichischer Staatsbürger gewesen. Die belangte Behörde habe es unterlassen zu prüfen, welche nachteiligen Folgen dieser Eingriff "in das erworbene Recht" für den Revisionswerber habe. Das Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers in Österreich und der Europäischen Union wäre gefährdet; es würde ihm die Ausweisung drohen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-135/08 , Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59).

Der Verwaltungsgerichtshof geht - dem EuGH folgend - in Fällen, in denen die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen wurde, von der Erwägung aus, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 Z 1 (iVm Abs. 3) AVG grundsätzlich zulässig ist. Die Staatsbürgerschaftsbehörde hat in derartigen Fällen jedoch zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist; bei dieser Prüfung ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wobei es Sache des Verleihungswerbers ist, konkret darzulegen, dass die Behörde diesen Beurteilungsspielraum überschritten hat (vgl. Fasching, Staatsbürgerschaftsrecht im Wandel (2014) 26 f, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Dass die belangte Behörde von der ihr in § 69 Abs. 3 AVG eingeräumten Befugnis nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hätte, wird durch das Revisionsvorbringen nicht aufgezeigt. Inwieweit fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Entziehung der (vom Revisionsführer erschlichenen) Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist, wurde nicht konkret dargelegt. Insbesondere führt die Revision nicht näher aus, worin die angedeuteten "nachteiligen Folgen" für den Revisionswerber zu erblicken sind; durch den bloßen Hinweis auf die Gefährdung des Aufenthaltsrechts in Österreich bzw. sonstigen Mitgliedsstaaten der EU werden konkrete Nachteile für den Revisionswerber nicht aufgezeigt, zumal die Revision der Annahme der belangten Behörde, dass der Revisionswerber nach Ägypten zurückgekehrt sei, nicht entgegen tritt.

Entgegen der Revisionsauffassung begründet auch der Zeitraum von sechs Jahren zwischen dem Verleihungszeitpunkt und der Erlassung des angefochtenen Bescheides für sich nicht die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme (vgl. die bei Fasching aaO, 27, wiedergegebene Rechtsprechung und das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2013, Zl. 2013/01/0138, dieses zu einem Zeitraum von mehr als sieben Jahren).

4.2. Soweit die Revision unter Bezugnahme auf § 24 StbG vorbringt, die belangte Behörde habe unterlassen zu prüfen, ob der Revisionswerber infolge des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft staatenlos würde, ist dieses Vorbringen - abgesehen davon dass die Revision den Eintritt der Staatenlosigkeit des Revisionswerbers nicht behauptet - schon deshalb nicht zielführend, weil die belangte Behörde die Wiederaufnahme des Verfahrens auf die Z 1 des § 69 Abs. 1 AVG gestützt hat und § 24 StbG zufolge eine Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens nach dieser Bestimmung auch zulässig ist, wenn der Betroffene dadurch staatenlos wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 2011, Zl. 2008/01/0611, mwN).

4.3. Soweit die Revision die Verletzung des Parteiengehörs behauptet, führt dieses Vorbringen die Revision mangels Relevanzdarlegung nicht zum Erfolg.

5. Die Revision tritt weder der Annahme der belangten Behörde, die Voraussetzungen einer Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z 1 StbG sei im Revisionsfall nicht erfüllt, entgegen, noch behauptet sie, dass eine Verleihung im wiederaufgenommenen Verfahren nach einem anderen Tatbestand des StbG möglich gewesen wäre.

6. Die Revision erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 15. Dezember 2015

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