VfGH B311/2014

VfGHB311/20141.12.2014

Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist infolge Zustellung des Bescheides an einer nicht mehr aktuellen Meldeadresse; im Übrigen Ablehnung der Beschwerde

Normen

VfGG §33
ZPO §146
VfGG §33
ZPO §146

 

Spruch:

I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

III. Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung

1.1. Der Antrag des Wiedereinsetzungswerbers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wurde – nach Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens gemäß §69 Abs1 Z1 iVm Abs3 AVG – abgewiesen. Mangels Behebung des Abweisungsbescheides an einer nicht mehr aktuellen Anschrift des Wiedereinsetzungswerbers in Kairo (Ägypten) wurde der Bescheid am 17. Februar 2012 einer Abwesenheitskuratorin zugestellt und damit rechtskräftig. Die sechswöchige Frist für die Einbringung einer auf Art144 B‑VG (in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung) gestützten Beschwerde endete somit am 30. März 2012.

Mit am 22. April 2014 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Antragsteller – unter Berufung auf §71 AVG, gemeint wohl §33 VfGG und §35 VfGG iVm §§146 ff. ZPO – die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gemäß Art144 B‑VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung und holt unter einem die versäumte Prozesshandlung nach.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führt der Wiedereinsetzungswerber im Wesentlichen aus, dass er sowohl der österreichischen Botschaft in Kairo als auch den Behörden in Wien das Bestehen seiner seit September 2007 aufrechten Hauptwohnsitzmeldung in Frankfurt/Main zeitnah mitgeteilt habe; zudem sei den Behörden die Anschrift des Hauptwohnsitzes in Deutschland auf Grund mehrerer schriftlicher Korrespondenzen im Staatsbürgerschaftsverfahren bekannt gewesen. Die Behörde habe jedoch verfahrensrelevante Schriftstücke an eine nicht mehr aktuelle Anschrift in Kairo übermittelt, sodass der Wiedereinsetzungswerber erst Ende 2013 Kenntnis von der Mitteilung über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §69 Abs1 Z1 iVm Abs3 AVG und erst am 8. April 2014 Kenntnis vom Inhalt des Abweisungsbescheides erlangt habe. Die Zustellung stelle damit ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis dar, weshalb dem Wiedereinsetzungswerber die Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung beim Verfassungsgerichtshof nicht zugerechnet werden könne.

1.2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist begründet.

1.2.1. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B‑VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

1.2.2. Ausweislich der vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Unterlagen fiel das Hindernis für die rechtzeitige Beschwerdeeinbringung im vorliegenden Fall mit dem Empfang des anzufechtenden Bescheides durch den Rechtsvertreter des Wiedereinsetzungswerbers am 8. April 2014 weg. Mit dem am 22. April 2014 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher die vierzehntägige Frist des §148 Abs2 ZPO gewahrt.

Nach dem glaubhaften Vorbringen des Antragstellers kann nicht angenommen werden, dass ihn oder seinen Bevollmächtigten ein leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft. Insbesondere musste angesichts der aufrechten und der Staatsbürgerschaftsbehörde bekannten Meldeadresse in Deutschland nicht mit dem Versuch der Zustellung des anzufechtenden Bescheides an einer nicht mehr aktuellen, früheren Meldeadresse in Ägypten bzw. mit der Bestellung einer Abwesenheitskuratorin bei Erfolglosigkeit dieses Zustellversuchs gerechnet werden.

1.2.3. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher – gemäß §33 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung – zu bewilligen.

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B‑VG) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob im vorliegenden Fall §69 Abs1 Z1 (iVm Abs3) AVG zu Recht angewendet wurde, nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als sie die Verfassungswidrigkeit einer den angefochtenen Bescheid vermeintlich mittragenden Rechtsvorschrift (§20 Abs2 StbG 1985, BGBl 311 idF BGBl I 37/2006) behauptet, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Beschwerde richtet sich nämlich insofern gegen eine von der Wiener Landesregierung gar nicht angewendete und auch nicht anzuwendende Rechtsvorschrift (siehe die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Präjudizialität von Rechtsvorschriften, zB VfSlg 11.401/1987, 11.979/1989, 14.078/1995, 15.634/1999 und 15.673/1999), die im Übrigen selbst bei Annahme ihrer Anwendung im konkreten Fall keine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Rechtsverletzung bewirkt hätte (siehe die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Anlassfallwirkung von in Normenprüfungsverfahren ergangenen, aufhebenden Erkenntnissen, vgl. zB VfSlg 10.616/1985, 17.020/2003, 17.263/2004, 17.687/2005 und 18.602/2008: Der Verfassungsgerichtshof hob §20 Abs2 StbG 1985, BGBl 311 idF BGBl I 37/2006, mit Erkenntnis vom 29. September 2011, G154/10, als verfassungswidrig auf; da die Aufhebung erst mit Ablauf des 31. Oktober 2012 in Kraft trat und die zitierte Rechtsvorschrift nur auf alle am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anwendbar war, hätte die Wiener Landesregierung im Zeitpunkt der Bescheiderlassung mit Blick auf die Umstände des Falles – Bescheidzustellung an Abwesenheitskuratorin am 17. Februar 2012 einerseits, Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof am 22. April 2014 andererseits – von der Geltung der besagten Vorschrift auszugehen gehabt).

2. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

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