VwGH Ro 2014/16/0067

VwGHRo 2014/16/006722.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger, sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 17. März 2014, Zl. RV/7100223/2014, ergänzt mit Beschluss vom 26. Mai 2014, betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: E T in S), zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §2 Abs1
FamLAG 1967 §2 Abs3 lita
FamLAG 1967 §2 Abs8
FamLAG 1967 §3 Abs1
FamLAG 1967 §3 Abs2
FamLAG 1967 §5 Abs3
FamLAG 1967 §53 Abs1
12003T/TXT Beitrittsvertrag Europäische Union Anh10
12003T/TXT Beitrittsvertrag Europäische Union Anh12
12003T/TXT Beitrittsvertrag Europäische Union Anh14
31971R1408 WanderarbeitnehmerV
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 liti
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art2 Abs1
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RO2014160067.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird - soweit es den Zeitraum vom 1. Jänner bis 30. Juni 2011 betrifft - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte, eine ungarische Staatsangehörige, stellte am 7. Februar 2012 einen Antrag auf Gewährung einer Differenzzahlung für ihren am 30. Oktober 1998 geborenen Sohn betreffend den Zeitraum vom 1. Jänner 2007 bis 31. Dezember 2011.

2 Mit Bescheid vom 28. Februar 2012 wies das Finanzamt den Antrag mit der Begründung ab, Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe grundsätzlich nur für die Dauer einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit im Inland oder bei Bezug einer Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit; kein Anspruch bestehe jedoch, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstoße.

3 In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Mitbeteiligte vor, dass sie in Ungarn wohne und arbeite. Der leibliche Vater wohne ebenfalls in Ungarn und arbeite in Österreich, leiste jedoch seit 2004 keinen angemessenen Unterhalt. Deshalb stünde der Mitbeteiligten laut "VO (EG) Nr. 883/2004, Artikel 67-68" ein Anspruch auf Differenzzahlung zu.

4 Mit Berufungsvorentscheidung vom 24. Mai 2012 wies das Finanzamt die Berufung ab. Die Mitbeteiligte habe trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht schriftlich nachgewiesen, dass der Kindesvater keinen Unterhalt bezahle, weshalb die Differenzzahlung nicht gewährt werden könne.

5 Den Schriftsatz der Mitbeteiligten vom 4. Juni 2012 wertete das Finanzamt als Vorlageantrag. Darin brachte die Mitbeteiligte vor, die verlangten Unterlagen bereits zweimal übermittelt zu haben, und schloss ein Protokoll über einen gerichtlichen Vergleich an, aus dem sich ergebe, welche Alimente sie vom leiblichen Vater für das Kind monatlich zu bekommen habe.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der als Beschwerde behandelten Berufung Folge und hob den Bescheid des Finanzamts vom 28. Februar 2012 auf. Als Sachverhalt legte es seiner Entscheidung zugrunde, dass sich der leibliche Vater mit Vergleich verpflichtet habe, ab 1. Juli 2001 für den Sohn der Mitbeteiligten jeden Monat 25.000 Forint (ca. 90 EUR) als Alimente an die Mitbeteiligte zu zahlen. Er sei in dem vom Antrag erfassten Zeitraum mit Ausnahme einer Unterbrechung von wenigen Tagen im Jahr 2007 durchgehend in Österreich beschäftigt gewesen. Der Sohn der Mitbeteiligten habe gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Stiefvater, den die Mitbeteiligte im Jahr 2010 geheiratet habe, im gemeinsamen Haushalt in Ungarn gelebt und dort Schulen besucht. Die Mitbeteiligte und der Stiefvater hätten in Ungarn gearbeitet. Der leibliche Vater des Sohnes der Mitbeteiligten habe ebenfalls in Ungarn gelebt, sei jedoch in Österreich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Dieser habe zwar Unterhaltszahlungen für seinen Sohn geleistet, "jedoch in so geringer Höhe, dass das Finanzamt nicht davon ausging, dass diese für den Kindesvater einen Anspruch auf Familienbeihilfe begründen."

Rechtlich folgerte das Bundesfinanzgericht daraus, dass der leibliche Vater auch dann als Angehöriger des Kindes anzusehen sei, wenn er seiner Unterhaltspflicht nur unzureichend nachgekommen sei. Da er nicht die überwiegenden Kosten des Unterhalts für seinen Sohn getragen habe, stehe ihm kein Eigenanspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe zu. Auf Grund seiner Erwerbstätigkeit in Österreich "fällt er unter die jeweils geltende Unionsverordnung zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer." Demnach müsse die Familienbeihilfe nach unionsrechtlichen Bestimmungen einem anderen Anspruchsberechtigten gewährt werden, im gegenständlichen Fall der im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind lebenden Mutter, welche im Fall eines Sachverhaltes mit ausschließlichem Inlandsbezug ebenfalls die Familienbeihilfe erhalten hätte. Der Bezug der ungarischen Familienbeihilfe mindere lediglich den Anspruch, weil dieser insoweit ruhe.

Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Es fehle an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Rechtsfrage, ob durch die Zugehörigkeit eines Kindes zu einer aus seiner Mutter und seinem Stiefvater bestehenden Familie der unterhaltsverpflichtete leibliche Vater des Kindes, welcher zwar in Österreich arbeite, aber nicht überwiegend für dessen Unterhalt sorge, als dessen Familienangehöriger verdrängt werde.

7 In der dagegen erhobenen Revision führt das Finanzamt als Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2 VwGG) aus, es erachte sich dadurch "beschwert, dass das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge gegeben hat und für den vollständig beantragten Zeitraum 1. Jänner 2007 bis 31. Dezember 2011 die Differenzzahlung gewährt hat, anstelle für den Zeitraum 1. Jänner 2007 bis 31. Dezember 2010 sowie für den Zeitraum 1. Juli 2011 bis 31. Dezember 2011." In Revision gezogen ist sohin lediglich der Zeitraum vom 1. Jänner bis 30. Juni 2011.

8 Das Bundesfinanzgericht legte die Revision unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor, eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetze

s - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder

ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

§ 2 Abs. 2 FLAG 1967 bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist.

Nach § 2 Abs. 3 lit. a FLAG zählen zu den Kindern einer Person deren Nachkommen.

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Nach § 3 Abs. 1 und 2 FLAG haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten, und für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann, wenn sich diese nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

11 Nach Art. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABlEU Nr. L 166 vom 30. April 2004, in der Fassung der Berichtigung ABlEU Nr. L 200 vom 7. Juni 2004, (in der Folge: Verordnung Nr. 883/2004 ) bezeichnet für Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.

Art. 1 lit. i der Verordnung Nr. 883/2004 lautet:

"Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

...

i) ‚Familienangehöriger':

1. i) jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;

ii) in Bezug auf Sachleistungen nach Titel III Kapitel 1 über Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft jede Person, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt wird oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;

2. unterscheiden die gemäß Nummer 1 anzuwendenden

Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind, so werden der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder als Familienangehörige angesehen;

3. wird nach den gemäß Nummern 1 und 2 anzuwendenden

Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten oder dem Rentner in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten oder dem Rentner bestritten wird;

..."

Nach Art. 1 lit j der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.

Als Familienleistungen werden in Art. 1 lit. z leg. cit. alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I definiert.

Den persönlichen Geltungsbereich regelt Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 dahingehend, dass diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen gilt.

Zum sachlichen Geltungsbereich ordnet Art. 3 Abs. 1 lit. j der Verordnung Nr. 883/2004 an, dass diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften gilt, die Familienleistungen als Zweig der sozialen Sicherheit betreffen.

Gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 haben - sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist - Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Sofern in der Verordnung Nr. 883/2004 nichts anderes bestimmt ist, dürfen gemäß ihrem Art. 7 Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht auf Grund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt oder wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a der Verordnung 883/2004

lautet samt Überschrift:

"TITEL II

BESTIMMUNG DES ANWENDBAREN RECHTS

Artikel 11

Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

...

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine

Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

..."

Art. 67 der Verordnung 883/2004 lautet samt Überschrift:

"KAPITEL 8

Familienleistungen

Artikel 67

Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats."

Art. 68 der Verordnung 883/2004 enthält Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind.

12 Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABlEU Nr. L 284 vom 30. Oktober 2009, (in der Folge: Durchführungsverordnung Nr. 987/2009) lautet:

"Verfahren bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung

(1) Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

(2) ..."

13 Zur Anwendbarkeit der mit § 53 Abs. 1 FLAG angesprochenen gemeinschaftsrechtlichen (nunmehr unionsrechtlichen) Bestimmungen erkannte der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABlEG Nr. L 149 vom 5. Juli 1971, (in der Folge: Verordnung Nr. 1408/71 ), dass diese von den Übergangsbestimmungen der Beitrittsakte für polnische und slowakische Staatsangehörige nicht erfasst ist und somit die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 durch die Übergangsbestimmungen der Beitrittsakte nicht eingeschränkt worden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Februar 2012, 2011/16/0236, sowie vom 19. Juni 2013, 2011/16/0040, auf deren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGG mit der Maßgabe verwiesen wird, dass den dort erwähnten Anhängen XII und XIV der Beitrittsakte, ABlEU Nr. L 236 vom 23. September 2003 im vorliegenden Revisionsfall für ungarische Staatsangehörige der Anhang X der Beitrittsakte entspricht). Ebenso wenig kann die erst danach ergangene Verordnung Nr. 883/2004 von den in der Beitrittsakte für Staatsangehörige von Ungarn bis 30. April 2011 geltenden Übergangsbestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit erfasst sein.

14 Sowohl die Mitbeteiligte als auch deren Sohn und dessen leiblicher Vater hatten im Streitzeitraum nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis ihren Wohnort in Ungarn und sie sind nach dem Revisionsvorbringen sowie dem Akteninhalt ungarische Staatsangehörige, sodass für sie die Verordnung Nr. 883/2004 gemäß deren Art. 2 Abs. 1 gilt.

15 Daher finden die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG, welche den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt, des § 2 Abs. 8 FLAG, welche auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt, und des § 5 Abs. 3 FLAG, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, zufolge des Art. 7 der Verordnung Nr. 883/2004 und dessen Anwendungsvorrangs insoweit keine Anwendung. Zufolge des in Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, keine Anwendung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2012, 2012/16/0066).

16 Strittig ist im Revisionsfall, ob der in Österreich erwerbstätige leibliche Vater des Sohnes der Mitbeteiligten als Familienangehöriger einen Anspruch auf Familienbeihilfe für das Kind begründen kann oder ob auf ihn wegen des im gemeinsamen Haushalt mit der Mitbeteiligten und dem Kind lebenden Stiefvaters nicht Bedacht zu nehmen ist.

17 Die Verordnung Nr. 883/2004 stellt zum Begriff des Familienangehörigen auf das die betreffende Leistung gewährende innerstaatliche Recht ab (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2012, 2012/16/0054).

18 Auch wenn das FLAG keine Legaldefinition des Begriffes "Familienangehöriger" enthält, kann in diesem Zusammenhang § 2 Abs. 3 FLAG herangezogen werden (vgl. das vorhin zitierte hg. Erkenntnis vom 27. September 2012, 2012/16/0054). Der leibliche Vater des Kindes ist sohin nach § 2 Abs. 3 lit. a leg. cit.Familienangehöriger. Es ist nicht ersichtlich, warum sich an dieser Stellung durch die Existenz eines Stiefvaters etwas ändern soll, weil im FLAG eine dahingehende Einschränkung der Definition der Kinder einer Person fehlt.

19 Für den Anspruch auf Familienleistungen nach Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 11 Abs. 3 lit a leg. cit. auf die in Ungarn beschäftigte Mitbeteiligte die Rechtsvorschriften Ungarns anzuwenden sind, sodass ihr nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG die Familienbeihilfe oder eine Differenzzahlung nicht zusteht. Der leibliche Vater hingegen unterliegt gemäß Art. 11 Abs. 3 lit a der Verordnung Nr. 883/2004 zufolge seiner Beschäftigung in Österreich den österreichischen Rechtsvorschriften. Nach dem FLAG kann ein Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. bestehen. Nach dieser Bestimmung hat eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2010, 2009/15/0205).

20 Zur Prüfung dieser Frage reichen indes die Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichtes im angefochtenen Erkenntnis nicht aus. Die dort enthaltene Feststellung, der leibliche Vater habe zwar Unterhaltszahlungen für seinen Sohn geleistet, jedoch in so geringer Höhe, dass das Finanzamt nicht davon ausgegangen sei, dass diese für den Kindesvater einen Anspruch auf Familienbeihilfe begründeten, lässt nicht erkennen, in welcher Höhe die Unterhaltszahlungen tatsächlich erfolgten. Darüber vermögen auch die in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses enthaltenen Andeutungen, dass der leibliche Vater nicht die überwiegenden Kosten des Unterhalts für seinen Sohn getragen habe, nicht hinweghelfen, weil das Bundesfinanzgericht ohne weitere Einschränkung die Ausführungen der Mitbeteiligten wiedergab, wonach sie vom leiblichen Vater des Kindes die von ihm per Vergleich übernommene Unterhaltsverpflichtung von 25.000 Forint pro Monat erhalte, und weil das Finanzamt in der Berufungsvorentscheidung den Familienbeihilfeanspruch der Mitbeteiligten deswegen ablehnte, dass sie fehlende Unterhaltszahlungen des leiblichen Vaters nicht habe nachweisen können.

21 Eindeutige Feststellungen dahingehend, ob der leibliche Vater des Kindes den Unterhalt im Sinn des § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG überwiegend trägt, sind deshalb erforderlich, weil bejahendenfalls ein Beihilfenanspruch des leiblichen Vaters nach innerstaatlichem Recht bestünde, den gemäß Art. 60 Abs. 1 Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 die Mutter geltend machen könnte, wenn er vom leiblichen Vater nicht begehrt wird.

22 Der angefochtene Bescheid war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 22. November 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte