VwGH Ro 2014/15/0034

VwGHRo 2014/15/003415.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamts Spittal Villach in 9500 Villach, Meister-Friedrich-Straße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 7. April 2014, Zl. RV/4100497/2013, betreffend Einkommensteuer 2010 und 2011 (mitbeteiligte Partei: E S in F), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6;
BAO §307 Abs1;
EStG 1988 §2 Abs3;
EStG 1988 §2 Abs4;
EStG 1988 §33 Abs4 Z1;
EStG 1988 §4 Abs1;
VwRallg;
ABGB §6;
BAO §307 Abs1;
EStG 1988 §2 Abs3;
EStG 1988 §2 Abs4;
EStG 1988 §33 Abs4 Z1;
EStG 1988 §4 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte erzielte in den Streitjahren als Büroangestellte Einkünfte aus selbständiger Arbeit und machte im Zuge ihrer Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2010 und 2011 den Alleinverdienerabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 4 EStG 1988 geltend.

2 Das revisionswerbende Finanzamt veranlagte zunächst erklärungsgemäß. Anlässlich einer Überprüfung der Bescheide verfügte es die Wiederaufnahme der die Einkommensteuer für die Jahre 2010 und 2011 betreffenden Verfahren und berücksichtigte den Alleinverdienerabsetzbetrag in den entsprechenden Sachbescheiden nicht mehr. Begründend führte es aus, dass der Lebensgefährte der Mitbeteiligten SE die für die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrags maßgebliche Einkunftsgrenze von 6.000 EUR in den streitgegenständlichen Jahren überschritten habe.

3 Gegen diese Sachbescheide erhob die Mitbeteiligte Beschwerde und brachte vor, ihr Lebensgefährte habe in den Streitjahren über keine eigenen Einkünfte verfügt. Das in den Einkommensteuerbescheiden des SE für die Jahre 2010 und 2011 ausgewiesene Einkommen entspreche nicht den Tatsachen, zumal es sich dabei ausschließlich um Einkünfte aus einem Schuldnachlass aufgrund eines gerichtlich bestätigten Zahlungsplanes handle.

4 Das revisionswerbende Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, weil durch den Wegfall einer betrieblichen Schuld im Rahmen der Erfüllung eines Zahlungsplanes nach Maßgabe der Ratenzahlungen ein Gewinn entstanden sei, der zu entsprechenden Einkünften des SE geführt habe.

5 Aufgrund des von der Mitbeteiligten gegen diese Entscheidung erstatteten Vorlageantrags wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

6 Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nahm das Bundesfinanzgericht Einsicht in den beim Bezirksgericht Villach geführten, den SE betreffenden Insolvenzakt. In diesem Verfahren hatte SE angegeben, dass er von seiner Lebensgefährtin, der Mitbeteiligten, erhalten werde.

7 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde Folge und hob die im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Einkommensteuerbescheide auf.

8 Begründend führte das Bundesfinanzgericht aus, nach dem Grundsatz der Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dürfe der durch Unterhaltspflichten indisponible Einkommensteil keiner Besteuerung unterliegen. Der Alleinverdienerabsetzbetrag solle der geminderten Leistungsfähigkeit des unterhaltsleistenden Partners Rechnung tragen und das Existenzminimum des nicht verdienenden Partners steuerfrei stellen. Für die Ermittlung der für die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrags maßgeblichen Einkünftegrenze des Partners sei der Gesamtbetrag der Einkünfte maßgeblich. Der Begriff "Einkünfte" sei eine Nettogröße (positives oder negatives Ergebnis der einzelnen Einkunftsarten nach Abzug von Betriebsausgaben oder Werbungskosten). Steuerfreie Einkünfte blieben allerdings - von wenigen Ausnahmen abgesehen - bei der Ermittlung des Grenzbetrags außer Ansatz. Die Steuer, die auf den sich aus dem Schulderlass ergebenden Gewinn entfalle, werde gemäß § 36 EStG 1988 im selben prozentuellen Ausmaß erlassen und somit begünstigt besteuert. Im vorliegenden Fall habe der Fiskus bei SE auf 84% seiner Forderungen verzichtet. Die im Zuge des Sanierungsverfahrens vereinbarte Quote von 16% habe beim Schuldner SE zu den in den Einkommensteuerbescheiden 2010 und 2011 ausgewiesenen Einkünften geführt, welche tarifmäßig zur Versteuerung gelangt seien. Es sei aber eine Tatsache, dass bei Schuldnachlässen, unabhängig davon, ob sie zu Einkünften führen, die den maßgeblichen Grenzbetrag überschreiten oder nicht, ein für das Familieneinkommen disponibler Zufluss nicht vorliege.

9 Unter dem Aspekt von Gleichheitssatz und Sachlichkeitsgebot sei die Bestimmung des § 33 Abs. 4 EStG 1988 verfassungskonform teleologisch zu reduzieren, dass nur jene Einkommensteile des Partners einzubeziehen seien, die der Mitbeteiligten bzw. ihrer Familie auch tatsächlich zur Abgeltung der Lebenserhaltungskosten zur Verfügung stünden. Eine dem reinen Wortsinn - ohne Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Alleinverdienerabsetzbetrags in der Gesamtsystematik des Einkommensteuergesetzes 1988 - anhaftende Auslegungsmethode würde zu einer unzulässigen verfassungsrechtlichen Schieflage führen, da keine sachlichen Gründe dahingehend vorlägen, die eine unterschiedliche Behandlung von steuerfreien Einkünften (ohne Einkommensersatzcharakter) und Schuldnachlässen nach § 36 EStG 1988 rechtfertigen würden.

10 Dass hinsichtlich des für die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrags maßgeblichen Grenzbetrags ausschließlich tatsächlich erwirtschaftete bzw. tatsächlich zugeflossene Einkünfte anzusetzen seien, ergebe sich mittelbar auch aus der gesetzlichen Regelung, wonach - von diversen im Gesetz explizit ausgewiesenen Ausnahmefällen (wie z.B. der Bezug von Wochengeld) abgesehen - steuerfreie Einkünfte bei der Ermittlung des Grenzbetrags außer Ansatz zu bleiben hätten. Daraus lasse sich folgende Schlussfolgerung herleiten: Wenn schon steuerfreie Einkünfte, die keinen Einkommensersatz darstellten (Hinweis auf VfGH vom 12. Dezember 1998, G 198/98), außer Ansatz blieben, dann müsste dies umso mehr für real nicht zugeflossene Einkünfte gelten.

11 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil durch das vorliegende Erkenntnis Rechtsfragen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG berührt werden, denen grundsätzliche Bedeutung zukomme.

12 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamtes. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie darauf hinwies, dass ihrem Lebenspartner in den Streitjahren "kein zusätzliches Familieneinkommen in Form eines Geldflusses zur Abgeltung der Lebenshaltungskosten zur Verfügung" gestanden sei.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Das Finanzamt wendet sich gegen die Nichtberücksichtigung der Einkünfte des Lebensgefährten aus einem Schuldnachlass bei der Ermittlung des Grenzbetrages für die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrags. Nach § 6 ABGB dürfe einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchte. Bei der Auslegung von Gesetzen sei demnach in erster Linie von der Wortinterpretation in Verbindung mit der grammatikalischen und der systematischen Auslegung auszugehen. Ein Abweichen vom Gesetzeswortlaut sei jedoch zulässig, wenn feststehe, dass der Gesetzgeber etwas anderes gewollt habe, als er zum Ausdruck gebracht habe, so beispielsweise wenn den Gesetzesmaterialien mit eindeutiger Sicherheit entnommen werden könne, dass der Wille des Gesetzgebers tatsächlich in eine andere Richtung gegangen sei, als sie in der getroffenen Regelung zum Ausdruck komme. Im vorliegenden Fall sei daher zu prüfen, welche Bedeutung dem Begriff "Einkünfte" nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukomme. Es ergebe sich bei dieser Prüfung kein Anhaltspunkt dafür, dass nach der Wortinterpretation und der systematischen Auslegung die Legaldefinition des Begriffs "Einkünfte" in § 2 Abs. 2 bis 4 EStG 1988 nur für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage, nicht aber auch für den Alleinverdienerabsetzbetrag heranzuziehen wäre.

15 Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum die aus einem Schuldnachlass resultierenden Einkünfte für die Berechnung des Grenzbetrages gemäß § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 wie steuerfreie Einkünfte (ausgenommen Einkommensersätze) behandelt werden sollten. Aus dem zitierten Erkenntnis des VfGH zum Wochengeld, wonach Einkommensersatz wie Erwerbseinkommen zu besteuern und deshalb in die Grenzbetragsberechnung für den Alleinverdienerabsetzbetrag einzubeziehen sei, könne nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass real nicht zugeflossene Einkünfte bei dieser Berechnung außer Ansatz zu bleiben hätten.

16 Nach § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 (2010) bzw. BGBl. I Nr. 111/2010 (2011) ist Voraussetzung für die Gewährung des Alleinverdienerabsetzbetrages, dass der (Ehe‑)Partner (§ 106 Abs. 3) bei mindestens einem Kind Einkünfte von höchstens 6.000 EUR jährlich erzielt. Die nach § 3 Abs. 1 Z 4 lit. a, weiters nach § 3 Abs. 1 Z 10, 11 und 32 und auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreien Einkünfte sind in diese Grenze mit einzubeziehen. Andere steuerfreie Einkünfte sind nicht zu berücksichtigen.

17 Im Revisionsfall ist strittig, ob eine Überschreitung der Einkünftegrenze iSd § 33 Abs. 4 EStG 1988 aufgrund von Einkünften aus einem Schuldnachlass, der sich im betreffenden Kalenderjahr nicht in einem "monetären Zufluss" niederschlägt und somit nicht zur Vermehrung des (frei) disponiblen Familieneinkommens beiträgt, der Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrags entgegensteht.

18 Die Bestimmung des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 stellt bei der Normierung der für den Alleinverdienerabsetzbetrag maßgeblichen Grenze ausdrücklich auf die "Einkünfte" des (Ehe)Partners ab und bezieht sich demnach aus systematischer Sicht auf die Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 2 bis 4 EStG 1988, somit auch auf jene Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes, die die Frage der Einkünfteermittlung behandeln (vgl. VwGH vom 27. September 2000, 97/14/0033).

19 Das Bundesfinanzgericht hat demgegenüber die Ansicht vertreten, dass der Einkünftebegriff des EStG 1988 in Hinblick auf den Grenzbetrag des § 33 Abs. 4 EStG 1988 teleologisch zu reduzieren sei auf Einkünfte, die als "monetäre Zuflüsse" auch zu einer Vermehrung des "disponiblen" Familieneinkommens führen und dies mit verfassungsrechtlichen Erwägungen begründet.

20 Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 13.067/1992 dargelegt, dass die Frage, ob zwischen Ehegatten ein Unterhaltsanspruch besteht oder nicht, (anders als beim Kindesunterhalt) von mannigfaltigen Umständen abhängt, die weitgehend der Disposition der Ehegatten unterliegen und insofern als Sache privater Lebensgestaltung oder persönlichen Risikos anzusehen sind. Im zum Alleinverdienerabsetzbetrag ergangenen Erkenntnis VfSlg. 13.297/1992 hat der Verfassungsgerichtshof - darauf Bezug nehmend - betont, dass der Gesetzgeber nicht verhalten sei, die als Folge privater Lebensgestaltung oder persönlichen Risikos auftretende Unterhaltspflicht von Ehegatten ähnlich der Unterhaltspflicht für Kinder zu berücksichtigen, und die Begünstigung des Alleinverdienerabsetzbetrages auch an andere Kriterien knüpfen darf (vgl. VfGH vom 29. November 2011, G 27/11, VfSlg. 19.517).

21 Die Unterhaltspflichten gegenüber (Ehe)Partnern steuerlich zu berücksichtigen, ist nach der angeführten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes von Verfassung wegen nicht geboten. Das vom Bundesfinanzgericht angeführte Erkenntnis G 198/98 vom 12. Dezember 1998 verbietet es dem Gesetzgeber lediglich, ohne sachlichen Grund zwischen verschiedenen Einkünften (steuerfreies Wochengeld einerseits und steuerpflichtige Lohnfortzahlung andererseits) in Bezug auf ihre Schädlichkeit für den Alleinverdienerabsetzbetrag zu differenzieren.

22 Das Finanzgericht führt im angefochtenen Erkenntnis aus, es sei zu der seiner Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsfolge im Wege einer teleologischen Reduktion gelangt. Die Rechtsfigur der "teleologischen Reduktion" (oder Restriktion) setzt voraus, dass eine Gesetzesauslegung nach anerkannten Interpretationsmethoden (vgl. Lienbacher, Hat der Wortlaut wirklich Vorrang? ZfV 2015/29, 194) auf das Vorliegen einer planwidrig überschießenden Regelung hinweist. Voraussetzung ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den eigentlich gemeinten Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (vgl. weiterführend VwGH vom 18. September 2002, 2002/17/0119).

23 Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG 1988 sind u.a. der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, selbständiger Arbeit und Gewerbebetrieb. Gewinn ist nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 grundsätzlich der durch doppelte Buchführung zu ermittelnde Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Der betrieblich bedingte Wegfall einer Verbindlichkeit infolge eines Schulderlasses führt zu einer Betriebsvermögensvermehrung und wirkt somit gewinnerhöhend. Dies gilt beispielsweise auch für die Auflösung von Rückstellungen oder Wertberichtigungen. Auf das Vorliegen von Geldströmen kommt es nicht an. Das Vorgehen des Bundesfinanzgerichtes, bei Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages auf einen "monetären Zufluss" beim (Ehe)Partner abzustellen, liefe darauf hinaus, den Einkunftsbegriff des § 2 Abs. 4 EStG 1988 bei Ermittlung der Einkünfte des (Ehe)Partners aufzugeben und an dessen Stelle eine Art Cashflow-Rechnung zu setzen. Dass eine derartige Auslegung des Begriffs der Einkünfte in § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 dem gesetzgeberischen Plan entsprechen sollte, ist nicht zu erkennen und ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten.

24 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

25 Abschließend bleibt anzumerken, dass die Aufhebung der geänderten Sachbescheide bei Vorliegen rechtskräftiger Wiederaufnahmebescheide - entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts - nicht zu einem Wiederaufleben der früheren Sachbescheide führt (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 28. Dezember 2008, 2006/15/0102). Das angefochtene Erkenntnis erwiese sich daher auch aus diesem Grund als rechtswidrig.

Wien, am 15. September 2016

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