VwGH Ro 2014/13/0035

VwGHRo 2014/13/003528.10.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Revision des Finanzamts Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 28. April 2014, Zl. RV/7103101/2012, betreffend "Einstellung" eines Beschwerdeverfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §212a;
BAO §278 Abs1 litb;
BAO §78;
BAO §79;
BAO §80;
BAO §82 Abs2;
BAO §9;
FBG 1991 §40;
GmbHG §93;
VwGG §33 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:RO2014130035.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit sechs Bescheiden vom 22. Oktober 2009 zog das revisionswerbende Finanzamt die E GmbH in Wien für den Zeitraum 2004 bis 2006 zur Haftung für Lohnsteuer heran und schrieb ihr für denselben Zeitraum Dienstgeberbeiträge und Zuschläge dazu samt Säumniszuschlägen vor.

Die E GmbH erhob dagegen Berufung und beantragte nach einer Berufungsvorentscheidung des Finanzamts vom 12. April 2012 mit Schriftsatz vom 23. August 2012 die Vorlage der Berufung.

Im März 2014 lud das Bundesfinanzgericht die E GmbH zur Verhandlung über die gemäß § 323 Abs. 38 BAO als Beschwerde zu erledigende Berufung. Diese Ladung beantworteten die bisherigen Vertreter der E GmbH mit Schreiben vom 22. April 2014, worin sie mitteilten, die E GmbH sei "in Folge rechtskräftiger Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckendem Vermögen und Zahlungsunfähigkeit aufgelöst". Bedingt durch den Wegfall der steuerlichen Vertretungsmacht werde die Verhandlung daher nicht besucht werden.

Mit dem nunmehr angefochtenen, nur an das Finanzamt gerichteten Beschluss entschied das Bundesfinanzgericht, das "Beschwerdeverfahren" werde "eingestellt". Das Bundesfinanzgericht stellte fest, das Handelsgericht Wien habe mit Beschluss vom 10. Juli 2013 die Einleitung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens abgelehnt, am 5. April 2014 sei die E GmbH gemäß § 40 Firmenbuchgesetz ("Vermögenslosigkeit") von Amts wegen gelöscht worden und die nunmehr gelöschte GmbH habe die strittigen Abgaben nicht entrichtet, weshalb eine Stattgebung der Beschwerde zu keinem Abgabenguthaben führen könne.

Davon ausgehend legte das Bundesfinanzgericht (in Anlehnung an eine beim Verwaltungsgerichtshof unbekämpft gebliebene Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 23. Mai 2011, RV/2748-W/09) dar, eine das Beschwerdeverfahren abschließende Sachentscheidung könne bei dieser Sachlage nicht mehr wirksam erlassen werden. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, wie beim "Untergang einer Partei" vorzugehen sei, liege jedoch nicht vor, weshalb die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 9 B-VG zulässig sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Beschluss gerichtete Revision des Finanzamts erwogen:

Das revisionswerbende Finanzamt bestreitet die Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes nicht. Es macht insbesondere nicht geltend, die strittigen Abgaben seien zumindest zum Teil entrichtet worden, und räumt auch ausdrücklich ein, es könne "nicht ausgeschlossen werden", dass die gelöschte GmbH "tatsächlich vermögenslos" (gewesen) sei. Da eine "rechtskräftige" Festsetzung der strittigen Abgaben noch nicht erfolgt sei, bestehe jedoch "Abwicklungsbedarf", weshalb auch die Rechtspersönlichkeit der GmbH noch fortbestehe.

Es ist unstrittig und wird auch im angefochtenen Beschluss hervorgehoben, dass die Löschung einer GmbH im Firmenbuch insofern nur deklarativ wirkt, als sie nicht zum Verlust der Parteifähigkeit führt, solange Vermögen vorhanden ist (vgl. dazu die Nachweise bei Ritz, BAO5, § 79 Tz 11; ebenso etwa auch die Entscheidung des OGH vom 22. April 2014, 7 Ob 55/14k, GES 2014/6, 283, wonach die Vermögenslosigkeit der aus diesem Grund gelöschten GmbH aber "bis zum Beweis des Gegenteils ... anzunehmen" sei). Es trifft auch zu, dass der Verwaltungsgerichtshof den Fortbestand der Rechtssubjektivität einer wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöschten GmbH bejaht hat, "solange noch ein Abwicklungsbedarf besteht, was dann der Fall ist, wenn Abgabenverbindlichkeiten einer solchen Gesellschaft bescheidmäßig festzusetzen sind" (vgl. den hg. Beschluss vom 20. September 1995, 95/13/0068; die Aussage bezog sich nicht auf die Erledigung eines Berufungsverfahrens).

Die dabei zunächst nicht angesprochene Frage, ob dies auch gilt, wenn "die Abgabenfestsetzung in keiner denkbaren Konstellation - etwa durch Anrechnung von Steuervorauszahlungen, Abzugsteuern oder Vorsteuern - zu einem Aktivvermögen der gelöschten Gesellschaft führen kann", ließ der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 29. März 2007, 2006/15/0027, ausdrücklich offen. Eine Kommunalsteuer betreffende Beschwerde einer nach Liquidation (und vor Erlassung des erstinstanzlichen Abgabenbescheides) gelöschten GmbH wurde mit diesem Beschluss zurückgewiesen, weil die Zustellung der bekämpften Erledigung an die bisherigen Vertreter der Gesellschaft jedenfalls nicht wirksam gewesen war. Der Verwaltungsgerichtshof hob unter Hinweis auf Literatur hervor, mit der Löschung verliere die Gesellschaft ihre organschaftliche Vertretung. Die Funktion der Liquidatoren sei erloschen und ihre Legitimation lebe von selbst für keine Rechtshandlung auf. In der Kostenentscheidung fand Berücksichtigung, dass die Beschwerde - mit deren Erhebung der Beschwerdevertreter von den ehemaligen Geschäftsführern und Liquidatoren beauftragt worden war - keinem Rechtssubjekt zugerechnet werden konnte.

In dem eine Umsatz- und Körperschaftsteuer betreffende Beschwerde eines (während des Berufungsverfahrens) aufgelösten Vereins zurückweisenden Beschluss vom 24. Februar 2011, 2007/15/0112, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, es sei "zu prüfen, ob sich auf Grund des vorliegenden Rechtsstreits nachträglich ein abwickelbares Vermögen des Beschwerdeführers ergeben könnte, sodass die Rechtspersönlichkeit des Vereins insoweit als fortdauernd anzusehen wäre". Da im Beschwerdefall keine Zahlungen auf die strittige Abgabenschuld erfolgt seien, somit keine Aussicht auf einen Rückzahlungsanspruch bestehe und das Vorliegen eines anderweitigen Vermögens "und damit Abwicklungsbedarfes" nicht behauptet werde, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtspersönlichkeit des aufgelösten Vereines fortbestehe.

Der Verwaltungsgerichtshof verwies dazu auf den Beschluss vom 26. Februar 2003, 98/17/0185, mit dem das verwaltungsgerichtliche Verfahren über eine Ortstaxe betreffende Beschwerde eines Vereins wegen Gegenstandslosigkeit eingestellt wurde, weil sich der Verein, der auf die strittige Abgabenschuld keine Zahlungen geleistet hatte, nach Einbringung der Beschwerde ohne Liquidation aufgelöst hatte. Der Verwaltungsgerichtshof nahm in diesem Einstellungsbeschluss auf die Gründe Bezug, aus denen dem Kläger im Zivilprozess die Fortsetzung des Verfahrens gegen eine vollbeendete Kapitalgesellschaft ermöglicht werde (vgl. zuletzt etwa die schon zitierte Entscheidung des OGH vom 22. April 2014), und verneinte das Vorliegen vergleichbarer Gründe für eine Fortsetzung des Verfahrens über die Beschwerde des aufgelösten Vereins gegen eine Abgabenvorschreibung. Da das Verfahren nach dem "Wegfall der Rechtspersönlichkeit" der beschwerdeführenden Partei nicht fortgeführt werden könne, sei es in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandslosigkeit der Beschwerde einzustellen (vgl. zu den damit vergleichbaren Fällen, in denen es nach dem Tod einer beschwerdeführenden Partei nicht zum Eintritt von Erben in das verwaltungsgerichtliche Verfahren kommt, zuletzt etwa den hg. Beschluss vom 6. Dezember 2011, 2007/15/0034, 2009/15/0131).

Auch für den vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob unter der vom revisionswerbenden Finanzamt nicht bestrittenen Annahme, die für die Löschung gemäß § 40 Firmenbuchgesetz erforderliche Voraussetzung der Vermögenslosigkeit sei im Übrigen gegeben gewesen, im Hinblick auf die von der E GmbH zuvor erhobene, gemäß § 323 Abs. 38 BAO als Beschwerde geltende Berufung noch Abwicklungsbedarf bestand. Die Revision zeigt nicht auf, dass dies der Fall gewesen wäre, weil ihr nicht entnehmbar ist, dass das vom Bundesfinanzgericht eingestellte Verfahren direkt oder indirekt ein abwickelbares Aktivvermögen der gelöschten GmbH betraf.

Ist demnach von der Vollbeendigung der GmbH auszugehen, so führt auch der in der Revision vertretene Standpunkt, die "Einstellung des Beschwerdeverfahrens mit Beschluss" sei "nach den Bestimmungen der Bundesabgabenordnung nicht vorgesehen", nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Revision selbst verweist auf § 278 Abs. 1 lit. b BAO, wonach die Bescheidbeschwerde in den Fällen des § 256 Abs. 3 BAO (Zurücknahme der Beschwerde) und des § 261 BAO (Fälle, in denen dem Beschwerdebegehren Rechnung getragen wurde) mit Beschluss des

Verwaltungsgerichtes "als gegenstandslos ... zu erklären" ist.

Dies entspricht den Fällen des schon erwähnten § 33 Abs. 1 VwGG und damit der Vorschrift, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sinngemäß anzuwenden ist, wenn es zu einem "Wegfall der Rechtspersönlichkeit" der beschwerdeführenden (revisionswerbenden) Partei kommt. Dass die zitierten Bestimmungen der BAO nur die "Gegenstandsloserklärung" der Bescheidbeschwerde vorsehen, wohingegen die Beschwerde (Revision) nach § 33 Abs. 1 VwGG "als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen" ist, macht im Ergebnis keinen Unterschied, weil auch die vorliegende Revision nicht den Standpunkt vertritt, das Verfahren über eine Bescheidbeschwerde sei nach deren Gegenstandsloserklärung fortzuführen.

Zu den übrigen Ausführungen in der vorliegenden Revision ist darauf hinzuweisen, dass - anders, als dies in der Begründung des angefochtenen Beschlusses anklingt - nicht etwa der Fortbestand der GmbH zu verneinen ist, weil man ihr nicht mehr zustellen kann, sondern vielmehr umgekehrt eine Zustellung nur im Hinblick auf das Erlöschen der Parteifähigkeit unterbleiben kann. Zur Bestellung eines Kurators gemäß § 82 Abs. 2 BAO (vgl. dazu Stoll, BAO-Kommentar, 809) besteht in einem solchen Fall kein Anlass. Gegenteiliges ist für eine vollbeendete GmbH auch aus dem hg. Erkenntnis vom 26. September 1990, 89/13/0265, 90/13/0094, VwSlg 6533/F, das einen besonders gelagerten Fall nach einem Bundesgesetz über die Erfassung und Abwicklung bestimmter Vermögenswerte betraf, nicht abzuleiten.

Die Revision macht an einer Stelle auch geltend, an eine "im Firmenbuch bereits gelöschte GmbH" gerichtete Bescheide ergingen "grundsätzlich rechtswirksam", und verweist dazu auf die hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, 2006/16/0220, und vom 26. Februar 2014, 2009/13/0112. Dem ist entgegen zu halten, dass das erste dieser Erkenntnisse einen Fall betraf, in dem davon ausgegangen wurde, die gelöschte Gesellschaft verfüge noch über Aktivvermögen. Im Fall des zuletzt genannten Erkenntnisses ging es nicht um die wirksame Erlassung eines Bescheides. Der Verwaltungsgerichtshof, der beim Einlangen der Beschwerde mit Beschluss vom 17. Juli 2009, AW 2009/13/0021, einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen hatte, entschied über die Beschwerde mit Erkenntnis, ohne die erst im Jänner 2014 erfolgte Löschung der beschwerdeführenden GmbH zum Anlass für Ermittlungen zu nehmen. Ein Argument gegen die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes, die sich maßgeblich auf die vollständige Nichtentrichtung der Abgaben stützt, ergibt sich daraus nicht.

Die Revision meint schließlich noch, die Rechtsfähigkeit der gelöschten GmbH müsse schon deshalb fortdauern, weil die Einhebung der Abgaben auf Grund eines im Zusammenhang mit der Berufung der GmbH von dieser gestellten Antrages ausgesetzt worden sei, was auch der Inanspruchnahme ihres früheren Geschäftsführers zur Haftung entgegenstehe, solange die Berufung nicht "rechtsgültig" erledigt und gegenüber der gelöschten GmbH nicht eine Verfügung des Ablaufes der Aussetzung der Einhebung erfolgt sei. Dazu ist anzumerken, dass die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers zur Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO schon im Hinblick auf die Subsidiarität einer solchen Haftung oft nicht in Betracht kommen wird, wenn die Einhebung der Abgabe gegenüber der Gesellschaft gemäß § 212a BAO ausgesetzt wurde. Wenn der Erstschuldner "nicht mehr existiert, was bei aufgelösten Gesellschaften beziehungsweise beim Ableben des vertretenen Erstschuldners, ohne daß Gesamtrechtsnachfolger zur Abgabenleistung herangezogen werden können, der Fall sein kann", so führt dies aber andererseits dazu, dass der Haftende von vornherein und allein zur Leistung herangezogen werden kann (vgl. dazu Stoll, BAO-Kommentar, 132). Seiner Heranziehung steht es dann auch nicht entgegen, wenn die weitere Verfolgung des Anspruchs gegenüber dem Erstschuldner, zu der auch allenfalls eine an diesen zu richtende Ablaufverfügung gehören würde, an seinem Wegfall während eines Berufungsverfahrens scheitert.

Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 28. Oktober 2014

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte