VwGH Ro 2014/11/0001

VwGHRo 2014/11/000130.4.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des S in V, vertreten durch die Holzer-Kofler-Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 51/DG, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 8. Oktober 2013, Zl. BMASK-44140/0027-IV/A/7/2012, betreffend Zustimmung zur Kündigung einer begünstigten Behinderten (weitere Partei:

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: L T in V, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17), zu Recht erkannt:

Normen

BEinstG §8 Abs4 litc;
BEinstG §8 Abs4 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 8. Oktober 2013 entschied die Bundesberufungskommission, der Berufung der Mitbeteiligten stattgebend, über den Antrag des Revisionswerbers vom 28. Juli 2011 auf Zustimmung zur (auszusprechenden) Kündigung der Mitbeteiligten, einer begünstigten Behinderten, dahin, dass die Zustimmung zur Kündigung nicht erteilt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision.

Das Bundesverwaltungsgericht legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand, beantragt aber die kostenpflichtige Abweisung der Revision.

Die Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

1.1. Zur maßgeblichen Rechtslage wird auf das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2013, Zl. 2013/11/0111, verwiesen.

1.2. Die Beschwerdefrist war bei Ablauf des 31. Dezember 2013 noch nicht abgelaufen. Im vorliegenden Fall ist folglich gemäß § 4 Abs. 5 VwGbkÜG das VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

2. Entgegen dem Vorbringen der Mitbeteiligten lässt die Revision hinreichend erkennen, dass sich der Revisionswerber im Recht auf eine gesetzmäßige Ermessensübung bei Entscheidung über seinen Antrag zur Erteilung der Zustimmung zur Kündigung der Mitbeteiligten verletzt erachtet.

Die Revision ist auch begründet.

2.1.1. Die Erstbehörde, das Bundessozialamt - Behindertenausschuss, hat ihren Bescheid, mit dem sie die Zustimmung zur Kündigung erteilte, nach Durchführung einer Verhandlung auf folgende Feststellungen gestützt:

Die Mitbeteiligte sei mit Dienstvertrag vom 18. April 2006 beginnend mit 1. April 2006 beim Revisionswerber zur Versehung des Küchendienstes aufgenommen worden, sie habe als Köchin im Seniorenwohn- und Pflegeheim W. gearbeitet und sei ursprünglich mit der Küchenleitung betraut gewesen. Später sei eine weitere Köchin aufgenommen worden. Bereits im Jahr 2008 sei es zu massiven Unstimmigkeiten zwischen den Kolleginnen gekommen. Die Mitbeteiligte habe als Vorgesetzte über alle Gespräche ihrer Mitarbeiterinnen genaue Protokolle geführt, weiters seien von ihr auch die Dienstpläne der gesamten Kollegenschaft abgeschrieben und nach Hause genommen worden, obwohl sie im Betrieb zur allgemeinen Einsicht aufgelegen seien. Dieses Verhalten habe in weiterer Folge bewirkt, dass Gespräche in Anwesenheit der Mitbeteiligten eingestellt worden seien, um dadurch weitere Dokumentationen derselben zu vermeiden.

Die Mitbeteiligte habe in weiterer Folge eine Anzahl von Anordnungen und Dienstanweisungen des Dienstgebers nicht befolgt. Dieses Verhalten habe bereits im Jahr 2008 zu einer schriftlichen Ermahnung (vom 27. November 2008) und einer weiteren Dienstanweisung (vom 11. Dezember 2008) geführt. Im Zuge dieser Dienstanweisung sei der Mitbeteiligten die Küchenleitung entzogen und einer Kollegin übertragen worden. Im Einzelnen habe die Mitbeteiligte u.a. folgendes Fehlverhalten gesetzt:

-- Entgegen den dienstlichen Anordnungen habe sie Bestellungen nicht ausschließlich über das System H. beim Hauptlieferanten A durchgeführt.

-- Sie habe sich entgegen den Anordnungen bei der Erstellung des Speiseplans nicht an den Plänen einer anderen Einrichtung orientiert, sondern habe versucht "alternativ zu kochen".

-- Entgegen der von allen Mitarbeiterinnen unterschriebenen Erklärung habe sie Trinkgeld nicht an das Büro weitergeleitet, sondern es zu sich nach Hause genommen.

-- Sie habe dienstliche Daten vom Firmencomputer gelöscht. -- Sie habe Überstunden nicht zur Genehmigung beantragt. -- Sie habe sich an einem Feiertag, an dem sie nicht zum Dienst eingeteilt gewesen sei, entgegen einer ausdrücklichen Anordnung eines Vorgesetzten geweigert, den Dienstort zu verlassen.

-- Sie habe die Verwendung einer Warmhaltevorrichtung für Speisen verweigert.

Eine zweite Ermahnung sei am 2. Juni 2010 ausgesprochen worden. Neben den genannten schriftlichen Ermahnungen habe es auch zahlreiche mündliche Ermahnungen gegeben. Da sich das Verhalten der Mitbeteiligten nicht geändert habe, sei der Zustimmungsantrag eingebracht worden.

Die Erstbehörde vertrat die Auffassung, das ständige Dokumentieren von Gesprächsinhalten und das Abschreiben der Dienstpläne durch eine Vorgesetzte sei ein Verhalten, das durchaus geeignet sei, das Betriebsklima zu stören. Die der Mitbeteiligten anzulastende beharrliche Pflichtenverletzung iSd. § 8 Abs. 4 lit. c BEinstG sei durch die zahlreichen mündlichen und schriftlichen Verwarnungen, die zu keiner Verhaltensänderung geführt hätten, dokumentiert. Die Störung des Betriebsklimas durch die Mitbeteiligte könne den Zeugenaussagen eindeutig entnommen werden. Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sei darüber hinaus durch eine schriftliche Erklärung der Kolleginnen der Mitbeteiligten dokumentiert, worin sich diese gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der Mitbeteiligten aussprächen. Die Unzumutbarkeit werde auch dadurch dokumentiert, dass es dem Revisionswerber als Dienstgeber wert gewesen sei, die Mitbeteiligte seit immerhin Februar 2012 unter Bezahlung der Bezüge vom Dienst freizustellen.

2.1.2. Die belangte Behörde trifft zu den behaupteten Dienstpflichtverletzungen der Mitbeteiligten nicht explizit eigene Feststellungen, sondern gibt in der Bescheidbegründung die diesbezüglichen Feststellungen der Erstbehörde wieder. Festgestellt wird hingegen auf der Grundlage eines im Berufungsverfahren eingeholten psychiatrisch-neurologischen Gutachtens, dass die Mitbeteiligte zu leichten und fallweise zu mittelschweren körperlichen Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen im Raum und im Freien fähig sei, wobei längerdauernde Zwangshaltungen der Wirbelsäule nicht zumutbar seien. Zumutbar seien mittelschwere geistige Arbeiten unter durchschnittlichen und fallweise besonderem Zeitdruck und unter durchschnittlicher psychischer Belastung. Die Arbeitsbedingungen sollten wohlwollend und nicht dirigistisch sein; gesetzliche Arbeitspausen seien ausreichend. Aufgrund einer Annonce des Revisionswerbers werde schließlich festgestellt, dass einerseits der Mitbeteiligten die bisherige Tätigkeit weiter möglich und eine solche Tätigkeit beim Revisionswerber vorhanden sei.

In der Begründung des angefochtenen Bescheids wird in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, selbst "unter Zugrundelegung der - übernommenen - Feststellungen" der Erstbehörde ergebe sich aus dem Verhalten der Mitbeteiligten keine beharrliche Pflichtenverletzung gemäß § 8 Abs. 4 lit. c BEinstG.

Daraus, dass der Revisionswerber die Mitbeteiligte mündlich und schriftlich, jedoch ohne Vorliegen eines entsprechenden Tatbestandes, verwarnt habe, sei keine beharrliche Dienstpflichtverletzung abzuleiten. Durch das Mitschreiben der Gespräche habe die Mitbeteiligte zwar nicht zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen, damit aber keine Pflichtverletzung begangen. Auch die nicht ausschließliche Bestellung über das System H. beim Hauptlieferanten A. stelle keine beharrliche Pflichtverletzung dar, weil der Revisionswerber einen Nachteil oder Schaden nicht einmal behauptet habe. Im Hinblick darauf, dass das Trinkgeld der Mitbeteiligten "ja übergeben wurde", liege vielleicht ein unfreundlicher Akt, aber keine beharrliche Pflichtverletzung vor. Dass die Mitbeteiligte versucht habe, alternativ zu kochen, stelle schon im Hinblick auf gesundheitliche Erwägungen in einem Alten- und Pflegeheim keine Pflichtverletzung dar. Unnachgiebigkeit, Nachhaltigkeit oder Hartnäckigkeit der Dienstverweigerung habe der Revisionswerber weder behauptet, noch habe ein solches Verhalten festgestellt werden können.

Zusammenfassend ergebe sich, dass weder der Tatbestand des § 8 Abs. 4 lit. c BEinstG erfüllt noch der Arbeitsplatz der Mitbeteiligten weggefallen sei.

2.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 8 BEinstG liegt die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung eines Behinderten erteilt werden soll, im freien Ermessen der Behörde. Bei dieser Ermessensentscheidung ist es Aufgabe der Behörde, das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Ermessensentscheidung entsprechend Art. 130 Abs. 2 B-VG ausschließlich daraufhin zu prüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat oder ob dies nicht der Fall gewesen ist. Eine solche Prüfung setzt freilich voraus, dass alle für die Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Umstände unter Einhaltung der maßgebenden Verfahrensvorschriften ermittelt und in der Bescheidbegründung festgestellt wurden. Es unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ob alle für die Ermessensübung maßgebenden Umstände in die Abwägung einbezogen wurden, sowie ferner, ob die Behörde Umstände in die Erwägungen einbezogen hat, die bei richtiger rechtlicher Beurteilung dabei nicht berücksichtigt werden dürften (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2008, Zl. 2006/11/0018, und vom 27. Februar 2004, Zl. 2002/11/0056, jeweils mwN).

An diesen Grundsätzen hat die Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 nichts Entscheidendes geändert.

2.2.2. Der Kündigungsgrund der beharrlichen Pflichtverletzung nach § 8 Abs. 4 lit. c BEinstG setzt in der Regel eine Ermahnung des Arbeitnehmers voraus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Dezember 2011, Zl. 2011/11/0142, und vom 23. Mai 2012, Zl. 2011/11/0147).

Sollte sich, was die Bescheidbegründung nicht zweifelsfrei erkennen lässt, die belangte Behörde die von ihr wiedergegebenen Feststellungen der Erstbehörde nicht zu eigen gemacht haben, wäre der angefochtene Bescheid mit einem relevanten Feststellungsmangel behaftet, weil die belangte Behörde eigene Feststellungen zu den oben unter Pkt. 2.1.1. wiedergegebenen Umständen, die die Erstbehörde rechtlich als wiederholte Pflichtverletzungen gewertet hat, nicht getroffen hat.

Sollte sich die belangte Behörde hingegen sehr wohl die erwähnten Feststellungen der Erstbehörde zu eigen gemacht haben, dann erweist sich der angefochtene Bescheid, wie die Revision zutreffend ausführt, als mit einem relevanten Begründungsmangel behaftet, weil sich die belangte Behörde in ihren Erwägungen zur Frage, ob ungeachtet der festgestellten Ermahnungen beharrliche Pflichtverletzungen der Mitbeteiligten vorliegen, von diesen Sachverhaltsannahmen wieder entfernt.

Die Erstbehörde hat unmissverständlich festgestellt, dass die Mitbeteiligte in einer Reihe von Fällen entgegen ausdrücklichen Anordnungen des Dienstgebers gehandelt hat und trotz ausdrücklich ausgesprochenen Ermahnungen ihr Verhalten nicht geändert habe. Werden diese Feststellungen übernommen, dann bedürfte es besonderer Umstände, unter denen solches Verhalten entgegen Dienstgeberanordnungen nicht als beharrliche Pflichtverletzung iSd. § 8 Abs. 4 lit. c BEinstG zu werten wäre. Solche Umstände sind der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht zu entnehmen. So erscheint es irrelevant, ob durch Nichtbestellung über das vorgeschriebene Bestellsystem H. dem Dienstgeber ein Nachteil oder Schaden entstanden ist. Die Einschätzung der belangten Behörde, der Versuch der Mitbeteiligten, "alternativ zu kochen", stelle schon im Hinblick auf gesundheitliche Erwägungen in einem Altenheim keine Pflichtverletzung dar, verfehlt das Thema, weil es nicht Aufgabe der belangten Behörde war zu beurteilen, welche Kost für die Heimbewohner aus gesundheitlichen Erwägungen angemessen wäre. Die Bescheidbegründung geht hingegen mit keinem Wort auf die erstbehördlichen Feststellungen ein, dass die Mitbeteiligte Daten auf dem Firmencomputer gelöscht, Überstunden nicht zur Genehmigung beantragt, trotz ausdrücklicher Weisung ihren Dienstort nicht verlassen habe und sich geweigert habe, eine Warmhaltevorrichtung zu verwenden. Sollte die belangte Behörde Zweifel an der Richtigkeit der von der Erstbehörde getroffenen Feststellungen, insbesondere dazu, ob die Mitbeteiligte ungeachtet der ausgesprochenen Ermahnungen das beanstandete Verhalten fortgesetzt hat, hegen, wäre sie zu eigenen Ermittlungen verhalten gewesen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich nach der Aktenlage zumindest Anhaltspunkte dafür finden, dass die Mitbeteiligte auch andere, im erstbehördlichen Bescheid nicht eigens angeführte, dienstliche Anordnungen nicht befolgt hat.

Die belangte Behörde ist damit - schon in Ansehung des § 8 Abs. 4 lit. c BEinstG - ihrer Aufgabe nicht nachgekommen, sämtliche Umstände zu ermitteln und zu würdigen, die für eine Ermessensentscheidung im Sinne des Gesetzes unabdingbar sind.

2.3. Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren an Umsatzsteuer war abzuweisen, weil über den pauschalierten Ersatz für Schriftsatzaufwand hinaus kein weiterer Kostenersatz vorgesehen ist.

Wien, am 30. April 2014

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