VwGH Ro 2014/03/0021

VwGHRo 2014/03/002126.3.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der A1 Telekom Austria AG in Wien, vertreten durch DDr. Christian Schneider, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Donau City Straße 11, gegen den Bescheid der Telekom-Control-Kommission vom 16. Dezember 2013, Zl M 1.1/12-106, betreffend Feststellung beträchtlicher Marktmacht und Auferlegung spezifischer Verpflichtungen nach dem TKG 2003 (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), den Beschluss gefasst:

Normen

32002L0021 Rahmen-RL Kommunikationsnetze Art7a Abs5 lita;
AVG §59 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
TKG 2003 §129 Abs2;
TKG 2003 §129 Abs3e idF 2011/I/102;
TKG 2003 §36 Abs1;
TKG 2003 §36 Abs2 idF 2011/I/102;
VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs5;
32002L0021 Rahmen-RL Kommunikationsnetze Art7a Abs5 lita;
AVG §59 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
TKG 2003 §129 Abs2;
TKG 2003 §129 Abs3e idF 2011/I/102;
TKG 2003 §36 Abs1;
TKG 2003 §36 Abs2 idF 2011/I/102;
VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs5;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid, der der Revisionswerberin am 20. Dezember 2013 zugestellt wurde, hat die belangte Behörde unter Spruchpunkt A. ("Marktdefinition") gemäß § 36 Abs 2 TKG 2003 festgestellt, dass der Vorleistungsmarkt "Physischer Zugang zu Netzinfrastrukturen" ein der sektorspezifischen Regulierung unterliegender Markt ist. - A.1., dass dieser Markt folgende Produkte/Dienstleistungen umfasst:

"a) Kupferdoppelader- Teilnehmeranschlussleitungen einschließlich Teilabschnitten davon (Teilentbündelung), einschließlich gemeinsamer Zugang (shared use), im Anschlussnetz;

b) Glasfaser- Teilnehmeranschlussleitungen (Fibre-to-the-Home, FTTH) einschließlich Teilabschnitten davon (Teilentbündelung) im Anschlussnetz;

c) Virtuelle Entbündelung über Kupfer- und/oder Glasfaser-Teilnehmeranschlussleitungen (Fibre-to-the-Cabinet, FTTC; Fibre-tothe-Building; FTTB; Fibre-to-the-Home, FTTH);

d) Eigenleistungen unter Verwendung von Kupfer- und/oder Glasfaser-Teilnehmeranschlussleitungen (inkl. Fibre-to-the-Cabinet - FTTC; Fibre-to-the-Building - FTTB; Fibre-to-the-Home - FTTH)" - A.2.,

und dass der Markt das gesamte Bundesgebiet umfasst. - A.3.

Unter Spruchpunkt B. ("Beträchtliche Marktmacht") wurde gemäß §§ 36 Abs 1 iVm 37 Abs 1 iVm 35 TKG 2003 festgestellt, dass die Beschwerdeführerin, die A1 Telekom Austria AG (iF: A1) auf dem Vorleistungsmarkt "Physischer Zugang zu Netzinfrastrukturen" über beträchtliche Marktmacht verfügt.

Unter Spruchpunkt C. ("Auferlegung von Verpflichtungen") wurden der A1 gemäß § 37 Abs 1 TKG 2003 näher konkretisierte (Spruchpunkte C.1. bis C.5., Seiten 2 bis 18 des angefochtenen Bescheids) spezifische Verpflichtungen auferlegt.

Mit Spruchpunkt D. ("Aufhebung von Verpflichtungen") schließlich wurden die der A1 mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. September 2010, M 3/09-103, auferlegten Verpflichtungen betreffend den Markt "Physischer Zugang zu Netzinfrastrukturen (Vorleistungsmarkt)" iSd § 1 Z 3 TKMV 2008 aufgehoben.

2.1. § 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) lautet (auszugsweise):

"Verwaltungsgerichtshof

§ 4. (1) Ist ein Bescheid, gegen den eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung beim Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, vor Ablauf des 31. Dezember 2013 erlassen worden, läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann gegen ihn vom 1. Jänner bis zum Ablauf des 12. Februar 2014 in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Wurde gegen einen solchen Bescheid vor Ablauf des 31. Dezember 2013 Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben und läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch, gilt die Beschwerde als rechtzeitig erhobene Revision gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG.

...

(5) Die Revision gemäß den Abs. 1 bis 3 ist unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Die Revision gegen den Bescheid einer unabhängigen Verwaltungsbehörde oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z 2 oder 3 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung ist unzulässig, wenn die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen. Eine solche Revision hat gesondert die Gründe zu enthalten, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen. Ob eine solche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen. Für die Behandlung der Revision gelten die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung die Revision als unzulässig zurückgewiesen werden kann. Für Revisionen gegen Bescheide anderer als der im zweiten Satz genannten Verwaltungsbehörden gelten die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht.

..."

2.2. Art. 133 Abs. 4 B-VG idF BGBl I Nr 51/2012 lautet:

"(4) Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist."

3. Der gegen den Bescheid der belangten Behörde - einer Behörde gemäß Art 20 Abs 2 Z 3 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung - am 12. Februar 2014 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Revisionsschriftsatz enthält zur Frage, ob die Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG vorliegen, folgende Ausführungen:

3.1. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtsfrage, welche verfahrensrechtlichen Bindungen sich aus § 129 Abs 3e TKG 2003 ergeben, wenn die Telekom-Control-Kommission (TKK) einer Empfehlung der Europäischen Kommission (EK), den notifizierten Entwurf zu ändern oder zurückzuziehen, nicht Folge leistet: Der bekämpfte Bescheid sei auf Grund eines Koordinationsverfahrens iSd § 129 TKG 2003 ergangen, wobei die EK zum Entwurf der Vollziehungshandlung mit Schreiben vom 25. Juli 2013 ernsthafte Zweifel erhoben und mit Empfehlung vom 22. November 2013 iSd Art 7a Abs 5 lit a der Rahmenrichtlinie die TKK aufgefordert habe, den Entwurf zu ändern oder zurückzuziehen, wobei diese Empfehlung mit weiteren Empfehlungen verbunden gewesen sei. Die TKK habe im bekämpften Bescheid die Empfehlung verworfen und sich mit dieser bloß im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auseinandergesetzt. Sie habe dabei neue Sachverhaltsfeststellungen getroffen, die durch die bisherigen Ermittlungsergebnisse nicht gedeckt gewesen seien und zu denen nicht Parteiengehör eingeräumt worden sei; die Empfehlung sei auch nicht zum Anlass für eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens genommen worden.

Dabei sei auch die Rechtsfrage zu beantworten, ob und inwieweit es genüge, dass sich die TKK mit einer Empfehlung der EK bloß im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auseinandersetzt oder ob es geboten sein kann, diese Empfehlung zum Anlass für eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zu nehmen, wobei zu den Ergebnissen des ergänzten Ermittlungsverfahrens konsequenterweise Parteiengehör einzuräumen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof habe sich zwar schon mit der Bestimmung des § 129 Abs 2 TKG 2003 (idF vor der Novelle BGBl I Nr 102/2011) befasst, wonach Stellungnahmen der EK "weitestgehend Rechnung zu tragen" ist, nicht aber mit der auf Art 7a der Rahmenrichtlinie idF der Änderungsrichtlinie 2009/140/EG zurückgehenden Regelung des § 129 Abs 3e TKG 2003 (idF der genannten Novelle), wonach dann, wenn die EK unter den Voraussetzungen des Art 7a Abs 5 lit a der Rahmenrichtlinie eine Empfehlung an die Regulierungsbehörde richtet und diese die Vollziehungshandlung nicht im Einklang mit der Empfehlung ändert oder zurückzieht, "dies zu begründen" ist.

Dieser Rechtsfrage komme über den vorliegenden Fall hinaus allgemeine Bedeutung zu, weil derartige Empfehlungen der EK in jedem Marktanalyseverfahren abgegeben werden könnten, eine Vielzahl von Märkten zu analysieren sei und weil § 36 Abs 6 TKG 2003 die Wiederholung der Marktanalyse grundsätzlich alle drei Jahre vorsieht.

3.2. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob die Entscheidungen über die Marktdefinition und die Marktanalyse trennbare Bescheidbestandteile bildeten:

Deren Beantwortung sei entscheidend dafür, ob im Zusammenhang mit der Anfechtung des vorliegend angefochtenen Bescheids über den Hauptantrag der Revision (der von untrennbaren Spruchbestandteilen ausgeht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheids zur Gänze beantragt) oder über den Eventualantrag (der Teilbarkeit annimmt und nur die Spruchpunkte B, C und D anficht) zu entscheiden sei.

Auch dabei handle es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, weil dazu - bedingt dadurch, dass die Marktdefinition erst seit der Novelle BGBl I Nr 102/2011 durch Bescheid vorzunehmen sei - bislang Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehle. Dieser Frage komme über den Einzelfall hinaus Bedeutung zu, weil sie sich im Zusammenhang mit sämtlichen Bescheiden stelle, die gleichzeitig Märkte definieren und diese Märkte analysieren.

4. Mit diesem Vorbringen wird von der Revisionswerberin nicht konkret aufgezeigt, welche Rechtfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte.

4.1. § 129 Abs 3e TKG 2003 (idF der Novelle BGBl I Nr 102/2011) lautet:

"Richtet die Europäische Kommission unter den Voraussetzungen des Art. 7a Abs. 5 lit. a der Rahmenrichtlinie eine Empfehlung an die Regulierungsbehörde und hat die Regulierungsbehörde den Entwurf der Vollziehungshandlung nicht gemäß § 129 Abs. 6 bereits zurückgezogen, hat die Regulierungsbehörde die geplante Vollziehungshandlung innerhalb eines Monats, längstens aber nach Durchführung eines Verfahrens nach § 128 zu erlassen. Falls die Regulierungsbehörde die Vollziehungshandlung nicht im Einklang mit der Empfehlung ändert oder zurückzieht, ist dies zu begründen."

Wenn auch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Regelung des § 129 Abs 3e TKG 2003, wonach die Regulierungsbehörde zu begründen hat, warum sie eine Vollziehungshandlung nicht im Einklang mit einer im Verfahren nach Art 7a Abs 5 lit a der Rahmenrichtlinie abgegebenen Empfehlung der Kommission ändert oder zurückzieht, fehlt, hat der Verwaltungsgerichtshof doch schon mehrfach zur Bestimmung des § 129 Abs 2 TKG 2003 judiziert, wonach Stellungnahmen der Kommission weitestgehend Rechnung zu tragen und ein Abweichen entsprechend zu begründen ist (vgl etwa VwGH vom 23. Oktober 2013, 2010/03/0175, und vom 27. Februar 2013, 2010/03/0136).

Dass die belangte Behörde die dabei aufgestellten Leitlinien der Koordination zwischen Kommission und nationaler Regulierungsbehörde, deren Maßstäbe auch auf den Fall des Abweichens von einer Empfehlung nach § 129 Abs 3e TKG 2003 zu übertragen sind, zumal die nach der bisherigen Judikatur bestehende Begründungspflicht nunmehr ausdrücklich im Gesetz normiert ist, verlassen hätte, oder dass die Begründung der belangten Behörde, warum sie der Empfehlung der Kommission nicht folgt (vgl die Seiten 133 bis 144 des angefochtenen Bescheids), unschlüssig sei, wird von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt.

Die Revision legt derart nicht dar, dass die Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG vorliegen.

Daran ändert der Umstand nichts, dass alle Marktanalyseverfahren dem Koordinationsverfahren nach § 129 TKG 2003 zu unterziehen sind und die EK nach Ansicht der Revisionswerberin "in einer Vielzahl von Fällen" Empfehlungen an die Regulierungsbehörde richten kann.

Nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung können im Übrigen die von § 4 Abs 5 VwGbk-ÜG geforderte gesonderte Darlegung, warum die Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG vorliegen, nicht ersetzen (vgl VwGH vom 28. Februar 2014, Ro 2014/03/0005).

4.2. Während nach § 36 Abs 1 TKG 2003 idF vor der Novelle BGBl I Nr 102/2011 die der sektorspezifischen Regulierung unterliegenden Märkte durch Verordnung der Regulierungsbehörde festzulegen waren, hat seit der genannten Novelle diese Festlegung mit Bescheid zu erfolgen (§ 36 Abs 2 TKG 2003 idgF).

Ob deshalb die wie hier in einem einzigen Bescheid erfolgte Marktfestlegung (Spruchpunkt A), Marktanalyse (Spruchpunkt B) und Auferlegung spezifischer Verpflichtungen (Spruchpunkt C) samt Aufhebung früherer Verpflichtungen (Spruchpunkt D) insgesamt als untrennbar zu beurteilen ist (mit der Konsequenz, dass die Rechtswidrigkeit eines Spruchteils auch die übrigen Teile erfasst), muss im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden: Dies wäre erst dann relevant, wenn zumindest ein Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids mit Rechtswidrigkeit behaftet ist. Da die Revision derartiges aber nicht aufzeigt, kommt der Frage derzeit nur theoretische und keine grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs 1 VwGG iVm § 4 Abs 5 VwGbk-ÜG in dem nach § 12 Abs 2 VwGG gebildeten Senat als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 26. März 2014

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