European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140095.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am 27. August 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, dass er als Kurde in der Türkei diskriminiert und schlecht behandelt worden sei.
2 Mit Bescheid vom 12. Jänner 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und verhängte gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schutz, des Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Rückkehrentscheidung und des Ausspruchs der Zulässigkeit der Abschiebung als unbegründet ab, gab ihr hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung und der Frist zur freiwilligen Ausreise statt, behob das Einreiseverbot und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte es ‑ soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren wesentlich ‑ aus, dass der Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat keiner asylrelevanten individuellen Verfolgung ausgesetzt sei und eine solche bei seiner Rückkehr auch nicht zu erwarten habe. Zudem seien keine stichhaltigen Hinweise für eine Gruppenverfolgung von Angehörigen der Volksgruppe der Kurden hervorgekommen. Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe dem Revisionswerber außerdem keine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst im Wesentlichen vor, dass der Revisionswerber angesichts der behaupteten illegalen Ausreise aus der Türkei nicht ausreichend zu den Folgen einer Einreise in seinen Herkunftsstaat befragt worden sei. Zudem habe das BVwG die allgemeine Lage im Herkunftsstaat nicht ausreichend festgestellt und es seien Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern nicht miteinbezogen worden.
10 Mit dem Vorbringen, der Revisionswerber sei im Verfahren des BFA nicht ausreichend befragt worden, macht die Revision der Sache nach das Unterbleiben eines vollständigen und ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens geltend. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Vorbringen des Asylwerbers zentrale Bedeutung zukommt. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das BFA und das BVwG in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 16.6.2020, Ra 2020/19/0064, mwN).
11 Im vorliegenden Fall wurde der Revisionswerber vom BFA zu seinen Fluchtgründen befragt und es wurde ihm nach dem Akteninhalt auch ausdrücklich Gelegenheit gegeben, weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. Befürchtungen für den Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat zu schildern und die widersprüchlichen Angaben des Revisionswerbers zu seiner Ausreise aus der Türkei entsprechend gewürdigt. Vor diesem Hintergrund vermag es die Revision daher nicht, eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens aufzuzeigen.
12 Soweit die Revision Verfahrensmängel ‑ wie hier Feststellungs- und Begründungsmängel im Zusammenhang mit Länderberichten zum Herkunftsstaat ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 24.5.2022, Ra 2022/14/0123, mwN). Eine solche konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung lässt die Revision mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen jedoch vermissen. Insbesondere verabsäumt sie es, konkret aufzuzeigen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und aufgrund welcher Umstände diese zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.
13 Wenn die Revision zur weiteren Begründung ihrer Zulässigkeit versucht, die Schutzfähigkeit des Heimatlandes infrage zu stellen und eine Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden vorbringt, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates nicht bereits dann gesprochen werden kann, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines ‑ asylrelevante Intensität erreichenden ‑ Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 14.4.2022, Ra 2022/14/0082, mwN). Mit der bloßen Behauptung, der türkische Staat sei „nicht willens“, den Revisionswerber vor Verfolgung zu schützen, zeigt die Revision nicht auf, dass das BVwG fallbezogen unvertretbar von der grundsätzlichen Schutzfähigkeit bzw. -willigkeit des Herkunftsstaates ausgegangen wäre. Ebenso legt sie nicht dar, aufgrund welcher Feststellungen das BVwG zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass dem Revisionswerber allein aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine asylrelevante Gruppenverfolgung in seinem Herkunftsstaat droht (vgl. VwGH 26.3.2020, Ra 2019/14/0450, mwN).
14 Soweit sich die Revision letztlich gegen die Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 5.4.2022, Ra 2022/14/0057, mwN). Dass diese Voraussetzungen vorlägen, zeigt die Revision mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen nicht auf.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 30. Juni 2022
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