Normen
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z4
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z7
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z1
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z8
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210133.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die 1967 geborene Revisionswerberin, eine serbische Staatsangehörige, hält sich seit September 2013 mit Unterbrechungen im Bundesgebiet auf und heiratete am 29. August 2014 einen österreichischen Staatsbürger. Am 8. September 2014 beantragte die Revisionswerberin im Wege der österreichischen Vertretungsbehörde in Belgrad einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, der ihr zunächst mit einer Gültigkeit beginnend ab 7. Mai 2015 bis 6. Mai 2016 erteilt und zuletzt bis 6. Mai 2020 verlängert wurde. Am 27. April 2020 stellte die Revisionswerberin einen Zweckänderungsantrag zur Erlangung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 6. Dezember 2018 war gegen die Revisionswerberin gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. Des Weiteren hatte das BFA festgestellt, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Serbien zulässig sei. Unter einem war ein auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG (Eingehen einer Aufenthaltsehe) gestütztes, auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot ergangen.
3 Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde führte das Bundesverwaltungsgericht am 16. Oktober 2020 eine mündliche Verhandlung durch. Hierauf erging das angefochtene Erkenntnis vom 9. November 2020, mit dem der Beschwerde im Wesentlichen insoweit stattgegeben wurde, als die Dauer des Einreiseverbots auf drei Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend teilte das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht des BFA, dass zwischen der Revisionswerberin und ihrem österreichischen Ehemann eine ‑ am 27. März 2018 einvernehmlich geschiedene ‑ Aufenthaltsehe vorgelegen habe. Die Revisionswerberin habe den weit überwiegenden Teil ihres Lebens in Serbien verbracht und dort über 25 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet. Aus ihrer ersten Ehe habe sie zwei Kinder. Sie habe keine Familienangehörigen in Österreich, hingegen würden ihr Sohn, ihre Mutter sowie zahlreiche weitere Verwandte und Freunde in Serbien leben. Ihre Tochter lebe in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Revisionswerberin pflege regelmäßigen telefonischen Kontakt zu ihren Kindern und ihrer Mutter. In Österreich sei die strafgerichtlich unbescholtene Revisionswerberin seit Februar 2016 nahezu durchgängig berufstätig gewesen, seit Mai 2018 als selbständige Pflegerin. Sie habe Deutschkurse bis zum Niveau B2 besucht, Prüfungen auf dem Niveau A1 und A2 abgelegt und verfüge somit über grundlegende Deutschkenntnisse. Die Revisionswerberin habe Bekanntschaft zu einem älteren Ehepaar geschlossen, das sie im Alltag unterstütze.
5 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin sei eine Aufenthaltsehe mit einem österreichischen Staatsbürger eingegangen und habe unter Berufung darauf einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und Verlängerungsanträge gestellt. Es sei daher nachträglich ein Versagungsgrund für die Erteilung des Aufenthaltstitels bekannt geworden, weshalb die Rückkehrentscheidung vom BFA zu Recht gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG erlassen worden sei. Bei der Interessenabwägung nach § 9 BVA-VG kam das Bundesverwaltungsgericht auf Basis der in Rn. 4 wiedergegebenen Feststellungen zum Ergebnis, dass das große öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung das persönliche Interesse der Revisionswerberin am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Sozialkontakte der Revisionswerberin in Österreich könnten über moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden.
6 Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbots nach § 53 Abs. 1 und 2 Z 8 FPG seien ‑ so begründete das Bundesverwaltungsgericht weiter ‑ erfüllt, weil die Revisionswerberin zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine „Scheinehe“ eingegangen sei und sich auch in ihren Verlängerungsanträgen auf die Ehe berufen habe. Dies belege ihre Bereitschaft, sich über die österreichischen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen hinwegzusetzen. Da die Revisionswerberin (wenngleich auf Basis eines zu Unrecht erworbenen Aufenthaltsrechtes) jedoch im Bundesgebiet seit Februar 2016 erwerbstätig und strafrechtlich unbescholten sei, sei das Einreiseverbot auf eine angemessene Dauer von drei Jahren zu reduzieren gewesen.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 24.2.2021, E 4456/2020‑7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision (erkennbar) gegen die Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG. Diesbezüglich wird nur geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe verkannt, dass die Revisionswerberin sehr wohl integriert sei. Integration bedeute (lediglich) die Erlernung der Sprache, was hier vorliege. Die Revisionswerberin beherrsche die deutsche Sprache so gut, dass sie einen anspruchsvollen Beruf, der sehr kommunikationsabhängig sei, ausüben könne. Dass sie noch im „Kulturkreis“ der alten Heimat „verhaftet“ sei, sei kein Zeichen mangelnder Integration, sondern eine Folge von „Bikulturalität“.
12 Dem ist allerdings entgegen zu halten, dass bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA‑VG zu prüfen ist, wozu unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (vgl. etwa VwGH 15.2.2021, Ra 2020/21/0301, Rn. 14, mwN). Zu den Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA‑VG zählt zwar ‑ aber nur: unter anderem ‑ auch der in der Revision offenbar gemeinte „Grad der Integration“ iSd Z 4 der genannten Bestimmung, wofür auch Sprachkenntnisse maßgeblich sind (VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0168, Rn. 33; VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224, Rn. 20). Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte unter dem genannten Gesichtspunkt darüber hinaus ohnehin auch noch die berufliche Integration der Revisionswerberin und die bestehenden Sozialkontakte zu ihren Gunsten und nahm im Sinne der Z 6 der genannten Bestimmung auch auf ihre strafgerichtliche Unbescholtenheit Bedacht. Allerdings war es auch vertretbar, dass das Bundesverwaltungsgericht ‑ entgegen der Meinung in der Revision ‑ im Sinne der Z 5 des § 9 Abs. 2 BFA‑VG die starken Bindungen der Revisionswerberin zu ihrem Heimatstaat in die Beurteilung einbezog. Die für die Revisionswerberin sprechenden Umstände durfte das Bundesverwaltungsgericht aber überdies im Hinblick auf die festgestellte ‑ und in der Revision unbestritten gebliebene ‑ Aufenthaltsehe, auf die sich die Revisionswerberin gegenüber der Niederlassungsbehörde rechtsmissbräuchlich berufen hatte, jedenfalls vertretbar als im Sinne der Z 7 des § 9 Abs. 2 BFA‑VG wegen des Verstoßes gegen das Einwanderungsrecht und dessen Z 8 wegen des deshalb unsicheren Aufenthaltsstatus als maßgeblich relativiert erachten (vgl. VwGH 26.5.2020, Ra 2020/21/0127, Rn. 11; VwGH 22.11.2012, 2011/23/0626, mwN).
13 Vor diesem Hintergrund kann die vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 9 BFA‑VG nach mündlicher Verhandlung auch unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vorgenommene Interessenabwägung nicht als unvertretbar angesehen werden. Eine im Ergebnis vertretbare Interessenabwägung, die keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt, ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 9.7.2020, Ra 2020/21/0240, Rn. 9, mwN.).
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 1. Juni 2021
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