VwGH Ra 2021/20/0004

VwGHRa 2021/20/000417.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache des Antrages des A M N in S, vertreten durch das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger, dieses vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg in 5024 Salzburg, St. Julien Straße 20, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2020, W159 2225077‑1/17E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332
VwGG §46 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200004.L00

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 25. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den im Mai 2019 vom Antragsteller, einem Staatsangehörigen von Afghanistan, gestellten Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab. Die Behörde erkannte ihm allerdings den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis 24. September 2020.

2 Die gegen den die Antragsabweisung betreffenden Ausspruch dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11. November 2020 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Das anzufechtende Erkenntnis wurde dem vor dem Bundesverwaltungsgericht für den Antragsteller einschreitenden Rechtsanwalt im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs übersendet und gelangte am 11. November 2020 in dessen elektronischen Verfügungsbereich. Als Zeitpunkt der Zustellung dieses Erkenntnisses galt daher gemäß § 21 Abs. 8 BVwGG Donnerstag, der 12. November 2020, weshalb der letzte Tag der in § 26 Abs. 1 VwGG festgelegten sechswöchigen Frist (unter Bedachtnahme auf § 33 Abs. 2 AVG) Montag, der 28. Dezember 2020, war.

4 Mit der am 5. Jänner 2021 zur Post gegebenen Eingabe vom selben Tag begehrt der minderjährige Antragsteller, vertreten durch den vom Bezirksgericht Salzburg mit seiner gesetzlichen Vertretung betrauten Kinder- und Jugendhilfeträger, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis. Unter einem wird der zuletzt genannte Antrag nachgeholt.

5 Dazu wird vorgebracht, der Antragsteller sei im Asylverfahren von einem (näher genannten) Rechtsanwalt, der vom Kinder- und Jugendhilfeträger bevollmächtigt worden sei, vertreten gewesen. Nach Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts sei nach einer Besprechung vereinbart worden, dass der Rechtsanwalt Anträge auf Gewährung der Verfahrenshilfe an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof vorbereiten solle und anschließend die Anträge vom Kinder- und Jugendhilfeträger zu vervollständigen und zu versenden seien. Am 10. Dezember 2020 sei das E‑Mail des Rechtsanwalts mit den vorbereiteten Anträgen eingelangt. In diesem E‑Mail habe der Rechtsanwalt auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anträge bei beiden Gerichtshöfen vor dem 23. Dezember 2020 eingereicht werden sollten. Der für den Antragsteller zuständige Mitarbeiter des Kinder- und Jugendhilfeträgers habe den vom Rechtsanwalt geschriebenen Text aber zunächst nur „überflogen“ und dabei den Hinweis auf die Notwendigkeit der Antragstellungen vor dem 23. Dezember 2020 übersehen. Zwar habe der Mitarbeiter vorgehabt, die Angelegenheit des Antragstellers schnell zu erledigen, und sich daher in seinem elektronischen Kalender als Termin den 14. Dezember 2020 vermerkt. Er sei aber „gedanklich“ davon ausgegangen, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts „erst kürzlich zugestellt worden“ sei und die Rechtsmittelfrist „noch lange laufen“ werde. In der Zeit von 14. Dezember 2020 bis einschließlich 23. Dezember 2020 sei die Arbeitsbelastung des Mitarbeiters wegen anderer wichtiger und termingebundener Arbeiten, wie etwa Eingaben an das Bezirksgericht Salzburg, derart intensiv gewesen, dass er zur Einbringung des Verfahrenshilfeantrages für den Antragsteller nicht gekommen sei. Weiters habe die Einschulung zweier neu aufgenommener Mitarbeiterinnen, um die sich der Mitarbeiter, der mit der Wahrnehmung der Angelegenheiten des Antragstellers betraut gewesen sei, zu kümmern gehabt habe, Priorität gehabt. In der Zeit von 28. bis 30. Dezember 2020 habe sich der Mitarbeiter frei genommen und infolge weiterer arbeitsfreier Tage seinen Dienst am 4. Jänner 2021 wieder angetreten. Erst als er ‑ sogar während seines Urlaubes ‑ am 29. Dezember 2020 die Angelegenheit des Antragstellers habe bearbeiten wollen, habe er entdeckt, dass die Frist bereits abgelaufen gewesen sei.

6 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ‑ so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat ‑ eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

7 Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (vgl. VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0375, mwN).

8 Die Partei eines Verfahrens muss sich das Verschulden ihres Vertreters zurechnen lassen. Die „Pflichtverletzung“, auf die sich das Verschulden des Vertreters bezieht, besteht darin, dass er den ‑ sonst die Partei treffenden ‑ Obliegenheiten zur Vermeidung einer Säumnis nicht nachkommt. Unterlaufen dem Vertreter bei der Unterlassung der Erhebung des Rechtsmittels oder bei der Verständigung des von ihm Vertretenen Sorgfaltswidrigkeiten, so sind diese dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. etwa VwGH 27.9.2001, 2001/20/0332, 0333, mwN). Das gilt auch in jenem Fall, in dem ein Kinder- und Jugendhilfeträger mit der gesetzlichen Vertretung eines Minderjährigen betraut wurde (vgl. etwa VwGH 26.7.2001, 2001/20/0377, 0378; in diesem Fall hatte sich der Vertretene das Handeln der vom [damals:] Jugendwohlfahrtsträger mit der Vertretung betrauten Person zurechnen lassen müssen).

9 Das im Wiedereinsetzungsantrag geschilderte Verhalten, wonach der ‑ nach dem Vorbringen regelmäßig mit Eingaben in gerichtlichen und behördlichen Verfahren befasste ‑ Mitarbeiter des Kinder- und Jugendhilfeträgers die von einem Rechtsanwalt zur Kenntnis gebrachten, für das Verfahren relevanten Informationen nur „überflogen“ und sich weder durch die Mitteilung des Rechtsanwalts noch auf andere Weise Kenntnis vom konkreten Termin des Fristablaufes verschafft hatte (sondern sich nur auf seine Vermutung verlassen hatte, die anzufechtende Entscheidung wäre erst „kürzlich zugestellt worden“ und die Rechtsmittelfrist würde noch „lange laufen“), kann nicht als minderer Grad des Versehens gewertet werden. Eine konkrete Erklärung dafür, warum der Mitarbeiter den von ihm für den 14. Dezember 2020 in seinem Kalender gesetzten Terminvormerk unbeachtet gelassen hat, enthält der vorliegende Antrag nicht. Auch wird nicht dargelegt, weshalb er zu dieser Zeit den Tag des tatsächlichen Fristablaufes nicht weiter vermerkt hat. Die Behauptung beruflicher Überlastung ist wiederum nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht hinreichend, um einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen (vgl. VwGH 21.1.2020, Ra 2019/14/0604, mwN).

10 Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt somit keine Berechtigung zu, weshalb er nach § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

11 Vor diesem Hintergrund war es entbehrlich, einen Auftrag zur Behebung des dem Wiedereinsetzungsantrag anhaftenden Mangels ‑ dieser wurde entgegen der Bestimmung des § 24 Abs. 2 erster Satz VwGG (ein Fall des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGG liegt hier nicht vor) nicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abgefasst und eingebracht ‑ zu erteilen. Ein solcher Auftrag erübrigt sich nämlich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn ‑ was hier der Fall ist ‑ der Antrag zweifelsfrei erkennen lässt, dass keinerlei Anhaltspunkte für die Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrages gegeben sind und somit auch nach Behebung des Mangels die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausgeschlossen wäre (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0318, mwN).

12 Über den gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachten Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wird vom zuständigen Berichter (§ 14 VwGG) gesondert entschieden werden.

Wien, am 17. Februar 2021

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