Normen
AsylG 2005 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs2
MRK Art8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140374.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14. Jänner 2010 wurde im Beschwerdeverfahren dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2 Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 29. April 2016 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt, wobei zehn Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.
3 Am 19. Jänner 2021 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 3 erster Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten.
4 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Mai 2021 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Revisionswerber nicht zuerkannt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei, die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt und ein befristetes Einreiseverbot auf die Dauer von zehn Jahren erlassen.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf vier Jahre herabgesetzt werde. Weiters sprach es aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, die Rückkehrentscheidung und ‑ der Sache nach ‑ das Einreiseverbot. Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht sie geltend, das BVwG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Revisionswerber vier minderjährige, in Österreich geborene Kinder habe, mit welchen er in engem Kontakt stehe, sodass auf das Kindeswohl in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen sei. Seine strafrechtlichen Verurteilungen seien nicht schwerwiegend genug, um im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen zu rechtfertigen. Es fehle eine Auseinandersetzung damit, dass dem Revisionswerber weder ein soziales Netz, noch eine Berufsausbildung oder die nötigen Geldmittel zur Verfügung stehen würden. Er habe Bandscheibenprobleme und leide unter einer Suchtmittelerkrankung. Es fehle eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Soweit die negative Zukunftsprognose auch auf Verurteilungen des Vaters und des Bruders des Revisionswerbers abstelle, und daraus eine unzureichende Beachtung der in Österreich geltenden Normen im Familienverband ableite, liege eine unzulässige Sippenhaftung vor. Weiters habe das BVwG im Rahmen der Gefährdungsprognose lediglich die Verurteilungen und das Strafmaß angeführt, ohne auf die Tatumstände und die herangezogenen Milderungsgründe einzugehen. Auf das Wohlverhalten seit der Entlassung aus der Haft habe es keinen Bezug genommen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten stützte das BVwG ‑ näher begründet ‑ auf den Endigungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK, weil der Revisionswerber nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen könne, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitze. Dieser Beurteilung tritt die Revision mit dem an den Voraussetzungen für die Gewährung bzw. Aberkennung von Asyl vorbeigehenden Zulässigkeitsvorbringen, es sei aufgrund der familiären und privaten Interessen des Revisionswerbers und seiner Angehörigen die Aberkennung von Asyl nicht zulässig, nicht substantiiert entgegen.
11 Soweit die Revision eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative vermisst, geht das Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil der Revisionswerber nicht auf eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 verwiesen wurde. Im Übrigen fehlt es an einer Darstellung der Relevanz des damit behaupteten Verfahrensmangels, also insbesondere der Anführung der vermissten Feststellungen und deren rechtlicher Konsequenzen (zu diesem Erfordernis vgl. etwa VwGH 29.6.2021, Ra 2021/14/0164, mwN).
12 Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose sowie für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 4.5.2021, Ra 2021/14/0053, mwN).
13 Zutreffend weist der Revisionswerber ‑ wie auch schon das BVwG ‑ darauf hin, dass die Rückkehrentscheidung einen Eingriff in das Familienleben des Revisionswerbers mit seinen minderjährigen Kindern darstellt und dabei auch auf das Kindeswohl Bedacht zu nehmen ist.
14 Eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, wird in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 15.10.2021, Ra 2021/14/0240, mwN).
15 Das BVwG hat in seiner eingehenden Interessenabwägung unter anderem berücksichtigt, dass der Revisionswerber Vater von vier minderjährigen Kindern sei, wobei er weder mit diesen noch mit der Kindesmutter in einer gemeinsamen Wohnung lebe, da zur Kindesmutter keine Beziehung mehr bestehe. Es hat erkannt, dass die Rückkehrentscheidung ohne Zweifel Konsequenzen für das Familienleben des Revisionswerbers mit seinen Kindern habe, bezog aber in die Interessenabwägung mit ein, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund des mehrmaligen strafbaren Verhaltens sowie der Drogenprobleme des Revisionswerbers, das in weiterer Folge zur Strafhaft geführt habe, ein aktives Familienleben ohnedies nicht möglich sei. Eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Heimatstaat auf das Kindeswohl seiner Kinder hat das BVwG ausdrücklichen vorgenommen, es hat jedoch insbesondere im Hinblick auf das wiederholte Fehlverhalten des Revisionswerbers und die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung angenommen. Eine Unvollständigkeit oder Unvertretbarkeit der Interessenabwägung vermag das Zulässigkeitsvorbringen der Revision ‑ auch unter Berücksichtigung der weiteren von ihr hervorgehobenen Aspekte ‑ nicht aufzuzeigen.
16 Gegen die dem Einreiseverbot zugrundeliegende Gefährdungsprognose gerichtet ist das Zulässigkeitsvorbringen, wonach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftat und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen sei. Das BVwG hat jedoch ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ nicht nur die Verurteilungen an sich, sondern auch die diesen zu Grunde liegenden Taten sowie die Strafbemessungserwägungen des Strafgerichtes festgestellt und in seine Beurteilung miteinbezogen.
17 Neben einer aus dem Beschwerdevorbringen abgeleiteten Uneinsichtigkeit und Verharmlosung der Taten durch den Revisionswerber hat das BVwG noch festgehalten, dass eine uneingeschränkte Beachtung der in Österreich geltenden Normen in seinem Familienverband nicht gegeben zu sein scheint. Es hat dabei auf die Straffälligkeit sowohl des Vaters als auch eines Bruders des Revisionswerbers Bezug genommen, jedoch mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ihm diese nicht vorzuwerfen sei. Aus diesen lediglich ergänzenden Überlegungen lässt sich keine Unvertretbarkeit der insgesamt angestellten Erwägungen zur Rückkehrentscheidung und zum Einreiseverbot ableiten.
18 In Bezug auf Suchtgiftdeliquenz hat der Verwaltungsgerichtshof ‑ vor dem Hintergrund einer Verurteilung wegen eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a SMG ‑ bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht. Ferner entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es grundsätzlich im Fall von strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens bedarf, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (vgl. VwGH 19.10.2021, Ra 2020/14/0562, mwN).
19 Wenn das Zulässigkeitsvorbringen der Revision diesbezüglich eine Berücksichtigung des Wohlverhaltens nach der Haftentlassung und die geordneten Lebensverhältnisse vermisst, entfernt es sich begründungslos von den nach § 41 VwGG maßgeblichen, durch die Aktenlage gedeckten tatsächlichen Annahmen des BVwG, wonach sich der Revisionswerber zum Zeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses noch in Haft befand. Außerdem hat eine Entwöhnung des Revisionswerbers nach seinem eigenen Vorbringen noch nicht stattgefunden.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 16. Dezember 2021
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