VwGH Ra 2021/14/0020

VwGHRa 2021/14/002026.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag. Alexander Fuchs, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lüfteneggerstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2020, W238 2192643‑1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140020.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 19. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit der Furcht vor den Taliban begründete.

2 Mit Bescheid vom 15. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Nichtgewährung von Asyl aufgrund der insoweit erfolgten Zurückziehung der Beschwerde ein. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insofern abgewichen, als es die Rückkehrentscheidung nicht aufgehoben und dem Revisionswerber keine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt habe. Der Revisionswerber habe im Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit im Ausmaß einer Vollzeitbeschäftigung ausgeübt, lebe seit über fünf Jahren in Österreich, sei unbescholten und verfüge über ein Privatleben, in welches durch die Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig eingegriffen werde. Überdies „hätte das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen können“. Aufgrund der Umstände in Afghanistan sei zu befürchten, dass ihm die Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht möglich sein werde. Für den Revisionswerberbestehe bestehe im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen aufgrund der Covid‑19‑Pandemie die Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein, weil zu befürchten sei, dass es ihm nicht möglich sein werde, notwendige Lebensbedürfnisse befriedigen zu können.

8 Soweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine Entscheidung im Einzelfall darstellt, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0273, mwN). Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, mwN).

9 Exzeptionelle und konkret auf den Revisionswerber Bezug nehmende Umstände, welche die Annahme einer realen Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat rechtfertigen würden, werden nicht dargetan (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/20/0231; 23.6.2020, Ra 2020/20/0188; zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative unter dem Aspekt einer durch die Covid‑19‑Pandemie‑ bewirkten schwierigeren wirtschaftlichen Lage vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0297, mwN). Der Revision gelingt es mit ihren pauschal gehaltenen und lediglich allgemein auf die Situation in Afghanistan bezogenen Ausführungen nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe insbesondere in Herat und Mazar‑e Sharif eine zumutbare innstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, im konkreten Fall unvertretbar erfolgt wäre.

10 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist. Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0414, mwN).

11 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. wiederum VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0414, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einzubeziehen, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2020/14/0398, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich im Rahmen seiner Interessenabwägung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen auseinander. Es berücksichtigte dabei auch die vom Revisionswerber gesetzten Integrationsschritte, wie etwa dessen Kenntnisse der deutschen Sprache, das gemeinnützige Engagement sowie die seit Oktober 2020 ausgeübte Vollzeitbeschäftigung, und seinen knapp über fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, wies aber auch ‑ im Sinn der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ zutreffend darauf hin, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend sei, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt würden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Beurteilung von den dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes in unvertretbarer Weise entfernt hätte, wird von der Revision nicht aufgezeigt.

13 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 26. Februar 2021

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