VwGH Ra 2020/21/0533

VwGHRa 2020/21/053325.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des G S, vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. November 2020, W123 2215892‑1/3E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs2 Z1
NAG 2005 §11 Abs4 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210533.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein im Mai 1983 in Österreich geborener serbischer Staatsangehöriger, besuchte hier ab dem Alter von acht Jahren die Schule und war anschließend (mit Unterbrechungen) bis Oktober 2004 als Arbeiter beschäftigt.

2 Der schon zuvor einschlägig vorbestrafte Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Jänner 2005 wegen (teils versuchten) schweren gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt, die er unter Anrechnung der seit 20. September 2004 bestehenden Vorhaft zunächst bis zu seiner Flucht aus einer Justizanstalt am 2. November 2005 verbüßte.

3 Ein wegen seiner Straffälligkeit gegen den Revisionswerber rechtskräftig erlassenes Aufenthaltsverbot wurde im April 2015 wieder aufgehoben. In der Folge kehrte der Revisionswerber im Herbst 2015 wieder nach Österreich zurück. Er lebt hier mit seiner Mutter, die über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt, und mit seinen beiden hier aufenthaltsberechtigten minderjährigen (im Juli 2011 und im Juni 2014 geborenen) Kindern im gemeinsamen Haushalt. Die Obsorge für die Kinder kommt der Mutter des Revisionswerbers zu. Die Ehefrau des Revisionswerbers und Mutter der Kinder lebt in Serbien; in Österreich befindet sie sich nur zu Besuchen im Rahmen der sichtvermerksfreien Einreise‑ und Aufenthaltsmöglichkeiten. Dem Revisionswerber wurde eine vom 16. Oktober 2015 bis 16. Oktober 2016 gültige „Niederlassungsbewilligung ‑ Angehöriger“ erteilt, wozu er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag und in der Folge einen Zweckänderungsantrag stellte.

4 Der Revisionswerber wurde am 10. Mai 2016 nach Begehung eines Diebstahls festgenommen und in der Folge vom Landesgericht Wiener Neustadt mit Urteil vom 26. August 2016 wegen mehrerer Vermögensdelikte zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Im Hinblick darauf und wegen der Verbüßung von Freiheitsstrafen aus der Zeit vor seiner Flucht war der Revisionswerber bis zu seiner bedingten Entlassung am 18. Mai 2018 in Haft.

5 Angesichts der neuerlichen Straffälligkeit des Revisionswerbers erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 8. Februar 2019 gegen ihn gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm mit § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 55 FPG wurde dann noch eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. November 2020 als unbegründet ab. Des Weiteren sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:

8 In Bezug auf die Gefährdungsprognose ‑ einerseits für die Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG iVm § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 NAG und andererseits für das Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG ‑ legte das BVwG zwar zugrunde, der Revisionswerber sei aufgrund der von ihm begangenen Straftaten und seines Persönlichkeitsbildes als schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit anzusehen. Bei dieser Einschätzung ließ das BVwG jedoch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht, dass bei einer solchen Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0062, Rn. 9, mwN). Das BVwG beschränkte sich diesbezüglich allerdings im Wesentlichen auf eine der Strafregisterauskunft folgende Beschreibung der strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers. Das ist ‑ wie die Revision zu Recht bemängelt ‑ nach der eben dargestellten Judikatur nicht ausreichend (vgl. dazu auch VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0091, Rn. 10, mwN), zumal die vorliegend verwirklichten Delikte nicht schon für sich genommen jedenfalls und zwingend eine solche Schwere aufweisen, dass sie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes gegen den Revisionswerber für gerechtfertigt erscheinen lassen. Außerdem führte der Revisionswerber schon im Verfahren vor dem BFA relativierend ins Treffen, dass der Verurteilung vom August 2016 ‑ bis auf den letzten Diebstahl am 10. Mai 2016 ‑ großteils im Jahr 2005 begangene Straftaten zugrunde lägen. Überdies konnte der Revisionswerber gerechnet von der bedingten Entlassung im Mai 2018 bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses im November 2020 in strafrechtlicher Hinsicht immerhin auf ein Wohlverhalten von etwa zweieinhalb Jahren verweisen.

9 Im Übrigen besteht einerseits im Hinblick auf die Geburt, das Aufwachsen und den langjährigen Aufenthalt und andererseits aufgrund der familiären Bindungen, vor allem zu seinen aufenthaltsberechtigten Kindern, eine starke Verankerung des Revisionswerbers in Österreich.

10 Vor diesem Hintergrund bedarf es auch für eine nachvollziehbare Abwägung der wechselseitigen Interessen nach § 9 BFA‑VG einer näheren Darstellung der vom Revisionswerber verübten Delikte, um die daraus ableitbare Gefährlichkeit und die Größe des deshalb bestehenden öffentlichen Interesses an der Beendigung seines Aufenthaltes beurteilen zu können. Im Übrigen lag nach dem Gesagten auch kein „eindeutiger Fall“ vor, der es dem BVwG vor dem Hintergrund des § 21 Abs. 7 BFA‑G ausnahmsweise erlaubt hätte, von der in der Beschwerde, aber auch vom BFA bei der Aktenvorlage ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen (vgl. zu dieser Voraussetzung aus der ständigen Judikatur etwa VwGH 30.11.2020, Ra 2020/21/0355, Rn. 10, mwN). Auch das wird in der Revision zutreffend bemängelt. Im Übrigen hätte die Verhandlung Gelegenheit geboten, sich näher vor allem mit der Frage zu befassen, ob die durch das Einreiseverbot bewirkte Trennung von den Kindern ‑ ein gemeinsames Familienleben in Serbien hat auch das BVwG nicht in Betracht gezogen ‑ verhältnismäßig wäre.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel und wegen der unterlassenen Beschwerdeverhandlung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. März 2021

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