VwGH Ra 2020/19/0314

VwGHRa 2020/19/03145.10.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des N I, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2020, W251 1416882‑3/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190314.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Jänner 2019 wurde dem Revisionswerber, einem afghanischen Staatsangehörigen, der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 16. Dezember 2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, der Antrag des Revisionswerbers vom 4. September 2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan festgestellt, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ein Einreisverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der Dauer des Einreiseverbotes statt und setzte dieses mit vier Jahren fest. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, die Gründe für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes seien seit der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung weggefallen, weil sich der Gesundheitszustand des Revisionswerbers gebessert habe. Der Revisionswerber sei in den letzten Jahren ‑ unterbrochen durch den Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe ‑ in Österreich Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Er sei seit dem Jahr 2010 in Österreich aufhältig, unterhalte diverse (näher dargestellte) soziale Kontakte, habe jedoch keine Familienangehörigen in Österreich. Er sei mehrfach straffällig geworden und ‑ aufgrund näher festgestellter Straftaten ‑ wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, sowie der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB verurteilt worden.

4 Bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers bestünde aufgrund dort herrschender prekärer Sicherheitslage zwar eine reale Gefahr einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Dem nunmehr gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber, der über ein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge, stehe jedoch ‑ vor dem Hintergrund näher getroffener Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage ‑ eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar‑e Sharif offen. Das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthaltes des Revisionswerbers überwiege seine persönlichen Interessen am Verbleib im Inland. Die Schwere der Straftaten und das sich ergebende Persönlichkeitsbild des Revisionswerbers rechtfertige die Verhängung eines Einreiseverbotes von vier Jahren.

5 Mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 1117/2020‑7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit gegen die Annahme des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar‑e Sharif. Entgegen den Annahmen des BVwG sei ganz Afghanistan nicht sicher, zumal von mehreren Ländern Reisewarnungen erlassen worden seien. Die Zustände im Land seien, wie sich aus sicherheitsrelevanten Vorfällen ergebe, insgesamt so gefährlich, dass bereits ein Aufenthalt im Land als unzumutbar anzusehen sei.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach dargestellt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; sowie etwa VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine ‑ von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende ‑ Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0273).

11 Bei der Feststellung der entscheidungsmaßgeblichen Lage im Heimatland eines Asylwerbers hat das BVwG die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Berichte zugrunde zu legen. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN).

12 Im vorliegenden Fall hat das BVwG auf der Grundlage von Länderberichten Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan allgemein und insbesondere in Herat und Mazar‑e Sharif sowie zur sicheren Erreichbarkeit dieser Städte getroffen. Mit ihren bloß pauschalen Ausführungen vermag die Revision nicht darzulegen, dass dem BVwG insoweit bei Feststellung der entscheidungsmaßgeblichen Lage ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Verfahrensmangel unterlaufen wäre.

13 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang auch vorbringt, aus einem Zeitungsbericht vom 24. März 2020 ergebe sich, dass aufgrund der Covid‑19‑Pandemie zehntausende Afghanen aus dem Iran in ihr Herkunftsland zurückgekehrt seien und sich der „Gesamtzustand des Landes“ verschlechtert habe, ist zunächst festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt dieser Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192, mwN). Welche Umstände sich durch Erhebungen hinsichtlich der Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG ‑ somit vor Veröffentlichung des zitierten Zeitungsberichtes vom 24. März 2020 ‑ ergeben hätten, legt die Revision nicht konkret dar, sodass es ihr schon insoweit nicht gelingt, einen Ermittlungsmangel des BVwG aufzuzeigen. Im Übrigen lässt die Revision auch eine konkrete Darstellung der Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar‑e Sharif vermissen.

14 Bei den auf der Grundlage der Feststellungen angestellten Erwägungen des BVwG, wonach dem Revisionswerber in Herat und Mazar‑e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe, handelt es sich um eine rechtliche Beurteilung (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0636). Eine Unvertretbarkeit der einzelfallbezogenen Beurteilung, wonach dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber, der mit den Verhältnissen in Afghanistan vertraut sei, Berufserfahrung in Afghanistan und in Österreich habe und über ein soziales Netzwerk im Herkunftsstaat verfüge, jedenfalls in Mazar‑e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe, zeigt die Revision nicht auf (vgl. zu ähnlicher Berichtslage etwa VwGH 24.6.2020, Ra 2020/19/0201, mwN).

15 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit weiters gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes. Das BVwG habe „keine ordnungsgemäße Güterabwägung“ vorgenommen und die soziale Integration des Revisionswerbers in Österreich übergangen.

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. etwa VwGH 18.06.2020, Ra 2020/01/0162, mwN). Im vorliegenden Fall kann insbesondere vor dem Hintergrund der strafgerichtlichen Verurteilungen keine Unvertretbarkeit der Beurteilung des BVwG erkannt werden. Zutreffend hat das BVwG in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Suchtgiftdelinquenz, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten hat, ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2019/14/0272, mwN). Auch hat das BVwG die „soziale Integration“ des Revisionswerbers bei seiner Abwägung berücksichtigt.

17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 5. Oktober 2020

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte