VwGH Ra 2020/19/0201

VwGHRa 2020/19/020124.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des T S A, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2020, W207 2180552‑1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §37
AVG §45 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190201.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 5. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, seine Familie sei aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für die Amerikaner von den Taliban bedroht worden.

2 Mit Bescheid vom 27. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier maßgeblich ‑ aus, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubwürdig. Der Revisionswerber, dessen Familie weiterhin in Afghanistan lebe, habe konkrete Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft machen können. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BVwG damit, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar‑e Sharif offen stehe.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision wendet sich zu ihrer Zulässigkeit zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Der Revisionswerber habe sein Fluchtvorbringen seinem Alter entsprechend glaubwürdig und nachvollziehbar geschildert. Aus dem Umstand, dass sich die Familie des Revisionswerbers nach wie vor in Afghanistan aufhalte, könne nicht geschlossen werden, dass der Vater des Revisionswerbers und dieser selbst keiner Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wären.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712 bis 0715, mwN).

10 Das BVwG hat sich ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und ist unter Berufung auf unkonkrete und widersprüchliche Angaben des Revisionswerbers zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht glaubwürdig, dass der Vater des Revisionswerbers für die Amerikaner tätig gewesen sei und seine Familie deshalb von den Taliban verfolgt worden wäre. Die Revision legt nicht dar, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre. Im Hinblick auf diese für sich tragende Begründung kommt es darauf, dass die Familie des Revisionswerbers weiterhin in Afghanistan lebe, nicht weiter an.

11 Der Revision ist zwar zuzustimmen, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf (vgl. VwGH 24.9.2014, Ra 2014/19/0020). Ihr ist jedoch zu entgegnen, dass der Revisionswerber ‑ entsprechend seinen eigenen Angaben zu seinem Geburtsdatum im Asylverfahren und auch in der Revision ‑ im Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA am 16. Oktober 2017 und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23. September 2019, in der sich der erkennende Richter einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und der Glaubwürdigkeit seiner Angaben verschaffen konnte, bereits volljährig war.

12 Die Revision bringt weiter vor, eine innerstaatliche Fluchtalternative scheide für den Revisionswerber schon deshalb aus, weil die Taliban über ein Informationsnetz in ganz Afghanistan verfügten, sodass er sich deren Zugriff nicht entziehen könne. Mit diesem Vorbringen wird aber schon deswegen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil sich die Revision damit vom festgestellten Sachverhalt, wonach die vom Revisionswerber behauptete Bedrohung seiner Familie durch die Taliban nicht glaubwürdig sei, entfernt.

13 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit auch geltend, das BVwG sei zu Unrecht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar‑e Sharif ausgegangen, weil zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am 27. Februar 2020 „vorhersehbar“ gewesen sei, dass die Verbreitung von Covid‑19 in Afghanistan die allgemeine Lage für die Bevölkerung und für Rückkehrer verändern werde. Das BVwG hätte daher die Folgen für die Lebensumstände und die Situation für potentielle Rückkehrer aus Europa umfassend untersuchen und neu beurteilen müssen.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach‑ und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen. Daraus wird in ständiger Rechtsprechung auch abgeleitet, dass neue Tatsachen, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgebracht werden, bei der Entscheidung über die Revision keine Berücksichtigung finden können (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2020/19/0001, mwN).

15 Das angefochtene Erkenntnis des BVwG wurde nach den Angaben in der Revision am 28. Februar 2020 erlassen. Insoweit sich die Revision darauf beruft, dass nach näher genannten Informationen vom 26. März 2020 die für die Unterbringung von Rückkehrern wichtigen Teehäuser „gerade sukzessiv schließen“ würden, dass eine Nicht‑Regierungsorganisation, die Rückkehrhilfe anbiete, ab 28. März 2020 geschlossen habe, dass sich die Preise für Grundnahrungsmittel im März 2020 drastisch erhöht hätten und dass „drohende Ausgangssperren ... nur eine Frage der Zeit“ seien, ist dieses Vorbringen im Revisionsfall daher nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch für einen mit der Revision vorgelegten Bericht vom 27. März 2020 betreffend „Risiken der Verbreitung von SARS‑CoV‑2 und schweren Erkrankungen an Covid‑19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener“, da sich dieser Bericht ebenfalls nur auf Ereignisse bezieht, die nach dem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnises stattgefunden haben.

16 Schließlich bringt die Revision vor, das BVwG hätte näher genannte Länderinformationen zur Sicherheits‑ und Rückkehrsituation in Mazar‑e Sharif berücksichtigen müssen, und legt dazu eine ACCORD‑Anfragebeantwortung vom 30. April 2020 zur lokalen Sicherheits‑ und Versorgungslage der Stadt Mazar‑e Sharif und Umgebung vor, welche auf verschiedene frühere Berichte verweist.

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0606, mwN).

18 Dies gelingt der Revision nicht. Das BVwG hat seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden Mann im erwerbfähigen Alter handle, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut sei, Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und anfangs von seiner in Afghanistan befindlichen Familie zumindest in bescheidenem Ausmaß finanziell unterstützt werden könne. Die Revision zeigt ‑ auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Länderinformationen zu Mazar‑e Sharif ‑ nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber stehe vor diesem Hintergrund in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre (vgl. etwa VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0411; 8.6.2020, Ra 2020/19/0155; jeweils mwN), zumal die Revision kein gesondertes Vorbringen hinsichtlich der vom BVwG angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Herat enthält.

19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 24. Juni 2020

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