VwGH Ra 2020/13/0108

VwGHRa 2020/13/010823.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Rechnungs‑ und Abgabenwesen, in 1010 Wien, Ebendorferstraße 2, 3. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 8. Oktober 2020, Zl. RV/7400035/2020, betreffend Haftung (Kommunalsteuer und Wiener Dienstgeberabgabe) (mitbeteiligte Partei: Mag. P in W, vertreten durch Dr. Matthias Klissenbauer, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Trautsongasse 6/5), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1295
BAO §115 Abs1
BAO §119
BAO §167 Abs2
BAO §269
BAO §280 Abs1 lite
DienstgeberabgabeG Wr §6a Abs1
IO §27
KommStG 1993 §6a Abs1
VwGG §41

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020130108.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 teilte die belangte Behörde und nunmehrige revisionswerbende Partei dem Mitbeteiligten mit, dass Abgaben (Kommunalsteuer, Wiener Dienstgeberabgabe) der D GmbH, deren Geschäftsführer der Mitbeteiligte gewesen sei, für den Zeitraum 1‑12/2012 sowie 1‑9/2013 unberichtigt aushafteten. Im Hinblick auf eine mögliche Vertreterhaftung werde dem Mitbeteiligten Gelegenheit gegeben, hiezu Stellung zu nehmen.

2 Der Mitbeteiligte äußerte sich dazu, es sei im Laufe des Jahres 2012 eine schrittweise Stilllegung des damaligen Betriebes erfolgt. Er habe bis zuletzt versucht, laufende Verbindlichkeiten unter Aufwendung von beträchtlichen Mitteln aus seinem Privatvermögen bzw. durch Darlehen von dritter Seite zu erfüllen. Leider sei er Opfer seines damaligen Betriebsleiters geworden, der wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs unter Anklage stehe.

3 Mit Bescheid vom 14. September 2017 wurde der Mitbeteiligte zur Haftung für den Rückstand der D GmbH an Kommunalsteuer (samt Nebenansprüchen) in Höhe von 923,54 € für den Zeitraum Juni 2012 bis September 2013 sowie für den Rückstand an Dienstgeberabgabe (samt Nebenansprüchen) in Höhe von 99,45 € für den Zeitraum Juni bis Dezember 2012 herangezogen.

4 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte unter Hinweis auf Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes (11.6.2015, E 559/2014) und des Verwaltungsgerichtshofes (29.1.2014, 2012/08/0227), geltend, die Nachweispflicht dürfe nicht überspannt werden. Im Konkurs über das Vermögen der D GmbH seien Verbindlichkeiten von mehr als 950.000 € angemeldet worden. Es seien somit keineswegs alle anderen Gläubiger befriedigt worden. Aus den Forderungsanmeldungen sei auch feststellbar, dass diese Verbindlichkeiten in denselben Zeiträumen angefallen seien, in denen auch die Abgabenverbindlichkeiten entstanden seien. Der Primärschuldnerin seien von der belangten Behörde Zahlungserleichterungen gewährt worden, sodass der Rückstand nicht mehr fällig gewesen sei. Den Geschäftsführer habe keine Verpflichtung getroffen, den Abgabengläubiger vor den anderen Gläubigern zu begünstigen und nicht fällige Verbindlichkeiten vorrangig zu bedienen. Hintergrund der Zahlungsvereinbarung sei gewesen, dass die Gesellschaft die betrieblichen Tätigkeiten mangels verfügbarer liquider Mittel bereits im Mai 2012 vollständig eingestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien daher auch keine anderen Gläubiger im Verhältnis zum Magistrat bevorzugt worden, was mangels verfügbarer Mittel auch nicht möglich gewesen wäre. Die Ratenzahlungen ‑ nicht nur an den Revisionswerber, sondern auch an andere Gläubiger ‑ seien wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft nicht durch diese, sondern bereits aus privaten Mitteln des Geschäftsführers erfolgt, der aufgrund von erhofften Zahlungen, die jedoch nicht erfolgt seien, zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen sei, eine Insolvenz der Gesellschaft allenfalls abwehren zu können.

5 Die belangte Behörde forderte den Mitbeteiligten auf, eine monatliche Aufschlüsselung der Abgabenbeträge an Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe für den Zeitraum Jänner 2012 bis September 2013 sowie eine gegliederte Liquiditätsaufstellung für den Zeitraum Jänner 2012 bis Oktober 2013 vorzulegen.

6 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 14. März 2019 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Darin wurde insbesondere ausgeführt, der Mitbeteiligte sei der Aufforderung, eine Liquiditätsaufstellung vorzulegen, nicht nachgekommen. Der Mitbeteiligte habe somit keinen Nachweis erbracht, dass die im Haftungszeitraum vorhandenen Mittel der Gesellschaft anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet worden seien.

7 Der Mitbeteiligte beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der Mitbeteiligte wiederholte, vor Insolvenzeröffnung noch durchgeführte Zahlungen seien bereits von dritter Seite und nicht durch die Gesellschaft erfolgt. Dies sei auch durch Vorlage der Zahlungsbelege nachgewiesen worden. Das Konto der Gesellschaft sei bereits im März 2012 mit ca. 19.000 € überzogen gewesen, sodass keine Zahlungen an Gläubiger möglich gewesen wären. Nach einem Konkursantrag der Gebietskrankenkasse im Juni 2012 seien mit den Gläubigern Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen worden, wobei die Raten in den Folgemonaten von dritter Seite bezahlt worden seien. Im Juni 2012 sei auch die betriebliche Tätigkeit eingestellt worden, sodass keine weiteren Verbindlichkeiten hätten entstehen können.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den angefochtenen Bescheid auf. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

9 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, über das Vermögen der D GmbH sei im Oktober 2013 ein Konkursverfahren eröffnet worden. Dem Mitbeteiligten sei als Geschäftsführer der D GmbH von März 2009 bis zur Konkurseröffnung die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft oblegen. Die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderungen bei der D GmbH sei spätestens mit der amtswegigen Löschung der Gesellschaft im September 2016 wegen Vermögenslosigkeit festgestanden.

10 Die Gesellschaft habe die betrieblichen Tätigkeiten laut Vorbringen des Mitbeteiligten mangels verfügbarer liquider Mittel bereits im Mai 2012 vollständig eingestellt. Die vor Insolvenzeröffnung noch durchgeführten Zahlungen seien laut Vorlageantrag wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft von dritter Seite und nicht durch die Gesellschaft erfolgt. Die mit Bescheid vom 27. Juli 2012 gewährten Ratenzahlungen seien wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft nicht durch diese, sondern bereits aus privaten Mitteln des Geschäftsführers erfolgt. Dieser sei damals noch davon ausgegangen, eine Insolvenz der Gesellschaft unter Umständen abwehren zu können.

11 Die nach Eintritt der Mittellosigkeit der Gesellschaft vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu dessen Abwehr geleisteten Zahlungen stammten somit aus privaten Mitteln des Mitbeteiligten und nicht aus Gesellschaftsmitteln, sodass sie bei der Beurteilung eines Verschuldens an der Verwendung von Gesellschaftsmitteln zur anteiligen Abgabenentrichtung „wohl“ außer Betracht zu bleiben hätten. Da eine Verpflichtung zur Abgabenentrichtung für den Geschäftsführer nur aus Gesellschaftsmitteln bestanden habe, habe „zu deren Zahlung keine Verpflichtung“ bestanden.

12 Mangels Verfügbarkeit liquider Mittel bereits im Mai 2012 und Fälligkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben ab 15. Juli 2012 seien diese Abgaben zu Zeitpunkten fällig geworden, in denen der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel zur Verfügung gehabt habe. Werde eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene keine liquiden Mittel zur Verfügung habe, so verletze der Vertreter keine abgabenrechtliche Pflicht.

13 Der Mitbeteiligte habe das vollständige Fehlen jeglicher Mittel der Gesellschaft vorgebracht; dies sei ein Sachverhalt, der keiner konkreteren Darstellung bedürfe.

14 Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeute nicht, dass die Behörde von jeglicher Ermittlungspflicht entbunden wäre. Entspreche der Geschäftsführer wie im gegenständlichen Fall seiner Obliegenheit, das Nötige an Behauptung und Beweisanbot zu seiner Entlastung darzutun, dann liege es an der Behörde, erforderlichenfalls Präzisierungen und Beweise vom Geschäftsführer abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über das vom Mitbeteiligten vorgebrachte vollständige Fehlen jeglicher Mittel zu treffen.

15 Konkrete Feststellungen hinsichtlich der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung zur Verfügung stehender Mittel seien von der belangten Behörde nicht getroffen worden.

16 Die Inanspruchnahme des Mitbeteiligten als Haftungspflichtiger gemäß § 6a Kommunalsteuergesetz und § 6a Dienstgeberabgabegesetz mit Haftungsbescheid vom 14. September 2017 sei daher zu Unrecht erfolgt.

17 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision der belangten Behörde. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, wenn das Bundesfinanzgericht der Meinung sei, dass die belangte Behörde konkrete Feststellungen hinsichtlich der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung zur Verfügung stehender Mittel unterlassen habe, so hätte das Bundesfinanzgericht das Haftungsverfahren an die belangte Behörde zurückverweisen müssen oder derartige Feststellungen selbst treffen müssen. Die ersatzlose Aufhebung sei rechtswidrig. Auch bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob Zahlungen, die aus privaten Mitteln des Geschäftsführers oder von dritter Seite stammten, im Rahmen der Haftung des Vertreters zu berücksichtigen seien.

18 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

20 Die Revision ist zulässig und begründet.

21 Gemäß § 6a Abs. 1 Kommunalsteuergesetz 1993 (KommStG) haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

22 Gemäß § 6a Abs. 1 Wiener Dienstgeberabgabegesetz haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Konkurseröffnung. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

23 Die Kommunalsteuer ist gemäß § 11 Abs. 2 KommStG vom Unternehmer für jeden Kalendermonat selbst zu berechnen und bis zum 15. des darauffolgenden Monates (Fälligkeitstag) an die Gemeinde zu entrichten. Wird kein selbstberechneter Betrag der Abgabenbehörde bekannt gegeben oder erweist sich die Selbstberechnung als nicht richtig, hat die Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid zu erfolgen.

24 Auch die Dienstgeberabgabe ist vom Abgabepflichtigen bis zum 15. Tag des darauffolgenden Monats zu entrichten (§ 6 Abs. 1 Wiener Dienstgeberabgabegesetz).

25 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Geschäftsführers, darzutun, weshalb er den auferlegten Pflichten nicht entsprochen habe, insbesondere nicht habe Sorge tragen können, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit war. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden sind, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten (vgl. VwGH 13.4.2005, 2001/13/0220, mwN).

26 Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeutet nicht, dass die Behörde von jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre; entspricht der Geschäftsführer nämlich seiner Obliegenheit, das Nötige an Behauptung und Beweisanbot zu seiner Entlastung darzutun, dann liegt es an der Behörde, erforderlichenfalls Präzisierungen und Beweise vom Geschäftsführer abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die von ihm angebotenen Entlastungsbehauptungen zu treffen (vgl. neuerlich VwGH 13.4.2005, 2001/13/0220, mwN).

27 Wird eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel zur Verfügung hat, so verletzt der Vertreter keine abgabenrechtliche Pflicht (vgl. VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601, VwSlg. 7566/F); werden mangels Vorhandenseins irgendwelcher Gesellschaftsmittel keinerlei Zahlungen der Gesellschaft an wen immer geleistet, liegt kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor (vgl. VwGH 21.1.2004, 2002/13/0218).

28 Gemäß § 269 Abs. 1 BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

29 Es ist Aufgabe des Bundesfinanzgerichts, alle erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, um das Bestehen oder Nichtbestehen einer Abgabenpflicht ‑ oder hier: der geltend gemachten Haftung ‑ zu beurteilen. Wenn die Ermittlungsergebnisse der Abgabenbehörde nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts für eine abschließende Beurteilung noch nicht ausreichen, liegt es daher am Bundesfinanzgericht, im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht (unter Beachtung der Mitwirkungspflichten des Abgabepflichtigen) als notwendig erachtete Ermittlungsschritte (etwa auch unter ergänzender Befragung der Betriebsprüfer oder auch Erteilung ‑ bestimmter ‑ Ermittlungsaufträge an die Abgabenbehörde gemäß § 269 BAO) zu setzen und nach Maßgabe der Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 167 BAO in Auseinandersetzung mit den bisherigen Verfahrensergebnissen und den Parteienvorbringen den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2020/15/0014).

30 Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind so zu begründen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen (hier: Haftungspflichtigen) und die belangte Behörde als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs für diesen nachvollziehbar ist. Hiezu muss die Begründung insbesondere erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt, und aus welchen Gründen die Subsumtion des Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet wird (vgl. VwGH 27.8.2020, Ra 2020/13/0020, mwN).

31 Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Erkenntnis nicht.

32 Das Bundesfinanzgericht verneint eine Haftung des Mitbeteiligten ‑ soweit erkennbar ‑ mit der Begründung, dass der vertretenen Gesellschaft keine Mittel zur Verfügung gestanden seien. Es ist aber zweifelhaft, ob das Bundesfinanzgericht von entsprechenden Sachverhaltsannahmen (dass nämlich der Gesellschaft keine Mittel zur Verfügung gestanden seien) ausgeht. Gesonderte Feststellungen zum Sachverhalt enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Im Rahmen der Erwägungen führt das Bundesfinanzgericht aus, die noch durchgeführten Zahlungen stammten „laut Vorlageantrag“ von dritter Seite. Die Zahlungen stammten „somit“ aus privaten Mitteln des Mitbeteiligten. Abschließend führt das Bundesfinanzgericht sodann aus, die belangte Behörde habe keine konkreten Feststellungen zu den der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mitteln getroffen.

33 Das Bundesfinanzgericht kann die geltend gemachte Haftung aber nicht darauf gestützt verneinen, dass die Abgabenbehörde keine derartigen Feststellungen getroffen habe; es ist vielmehr Aufgabe des Bundesfinanzgerichts im Beschwerdeverfahren, derartige Feststellungen zu treffen. Das Bundesfinanzgericht darf aber auch nicht ohne jede erkennbare Beweiswürdigung das Vorbringen des Mitbeteiligten als zutreffend unterstellen. Aus der bloßen Vorlage eines einzigen Kontoauszuges der D GmbH (nach dem Inhalt der vorgelegten Akten ‑ soweit leserlich ‑ überdies aus einem Zeitraum, für den der Mitbeteiligte nicht zur Haftung herangezogen wurde: Kontoauszug vom 31. März 2012) kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass der D GmbH keine liquiden Mittel im Haftungszeitraum zur Verfügung gestanden seien. Das Bundesfinanzgericht wird vielmehr Beweise (etwa Jahresabschlüsse, Buchhaltungsunterlagen betreffend Kassabuch, Bankkonten und sonstige Vermögensbestandteile, insbesondere Forderungen; allfällige Verrechnungskonten mit dem Gesellschafter und dem Geschäftsführer) vom Mitbeteiligten abzufordern und sodann gestützt auf diese Beweise Sachverhaltsfeststellungen zu diesem Thema zu treffen haben. Dabei wird sich das Bundesfinanzgericht auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, aus welchem Grund (laut dem in den vorgelegten Verfahrensakten befindlichen Firmenbuchauszug der D GmbH) die Stammeinlage vom Gesellschafter der D GmbH (einer Limited mit Sitz in Malta) nur zur Hälfte eingezahlt wurde; sohin insbesondere auch, aus welchem Grunde eine Aufforderung zur Einzahlung der offenen Stammeinlage (selbst im Insolvenzverfahren, wenn auch insoweit den Mitbeteiligten keine Verantwortung mehr trifft) unterblieben ist.

34 Was die Zahlungen des Mitbeteiligten aus seinen eigenen Mitteln (bzw. Zahlungen von dritter Seite) betrifft, verweist die Revision auf Entscheidungen des unabhängigen Finanzsenats (11.6.2008, RV/0539‑L/07) und des Bundesfinanzgerichts (21.9.2016, RV/4100320/2012; 10.1.2020, RV/7400063/2019; 8.7.2020, RV/7400039/2020). Danach stelle auch ein Dritter, der Schulden der Gesellschaft begleicht, dadurch der Gesellschaft mittelbar Vermögensmittel in einer Weise zur Verfügung, die es rechtfertige, die Gesellschaft steuerlich genauso wie bei der entsprechenden Verwendung eigener Mittel zu behandeln. Begründet wird diese Ansicht mit einem Verweis auf Rechtsprechung des deutschen Bundesfinanzhofs (so in RV/0539‑L/07: Hinweis auf BFH 22.11.2005, VII R 21/05).

35 In diesem Urteil vom 22. November 2005 kam der Bundesfinanzhof zum Ergebnis, dass ein Gesellschafter‑Geschäftsführer auch bei Zahlungen, die er auf die von der GmbH geschuldeten Löhne aus seinem eigenen Vermögen ohne unmittelbare Berührung der Vermögenssphäre der Gesellschaft und ohne dieser gegenüber dazu verpflichtet zu sein selbst erbringt, dafür zu sorgen habe, dass die Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt werde. Gestützt auf diese Entscheidung führte der Bundesfinanzhof im Beschluss vom 28. Juni 2006, VII B 267/05, aus, unabhängig davon, woher die finanziellen Mittel stammten, die dem Geschäftsführer in der Krise der Gesellschaft noch zur Verfügung stünden (seien es Gelder aus dem eigenen Vermögen oder durch eine Bank zur Verfügung gestellte Fremdmittel), müsse er sie mit der gleichen Quote zur Tilgung der Steuerschulden wie zur Befriedigung anderer Gläubiger der Gesellschaft verwenden (vgl. auch BFH 11.11.2015, VII B 57/15).

36 Diese Rechtsansicht ist in Deutschland nicht unbestritten (vgl. bereits den Hinweis in BFH 22.11.2005, VII R 21/05, wonach eine gegenteilige Entscheidung eines Finanzgerichts im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen sei: Klein/Rüsken, Abgabenordnung8, § 69 Rn. 29; vgl. weiters ‑ zu BFH VII B 267/05 ‑ Klein/Rüsken, Abgabenordnung13, § 69 Rn. 63a: „jedoch zweifelhaft“).

37 Die Haftung eines Vertreters ist einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch nachgebildet (vgl. z.B. VwGH 25.3.2010, 2009/16/0104, mwN). Was die hier zu behandelnde Gläubigergleichbehandlung betrifft, so besteht zivilrechtlich außerhalb des Anfechtungsrechts (nach der Anfechtungsordnung oder nach der Insolvenzordnung) kein allgemeines Gebot der Gläubigergleichbehandlung (vgl. RIS‑Justiz RS0018000). Im Rahmen des Anfechtungsrechts kann eine Befriedigung eines Gläubigers aus fremden Mitteln mangels Benachteiligung unanfechtbar sein („Gläubigerwechsel“; vgl. Bollenberger in Koller/Lovrek/Spitzer, IO, § 27 Rz 24). In Fällen, in denen sich der durch die Befriedigung des früheren Gläubigers erfolgte Gläubigerwechsel zu Lasten der späteren Insolvenzmasse auswirkt, sich also die Position der übrigen Gläubiger verschlechtert, liegen hingegen die Anfechtungsvoraussetzungen vor (vgl. RIS‑Justiz RS0110262; vgl. auch RIS‑Justiz RS0119146, RS0106897; RS0064410).

38 Die Wertungen des Anfechtungsrechts stimmen aber nicht (zur Gänze) mit jenen der abgabenrechtlichen Pflicht zur Gleichbehandlung des Abgabengläubigers überein. Hier ist nicht entscheidend, ob es zu einem Nachteil für die Masse (insgesamt) gekommen ist, sondern darauf, ob eine Ungleichbehandlung des Abgabengläubigers vorliegt. Eine derartige Ungleichbehandlung liegt auch bei einem Gläubigerwechsel vor, bei dem ein Gläubiger, nicht aber der Abgabengläubiger Befriedigung erlangte. Anderseits kann eine Haftung des Vertreters, die ‑ wie hier ‑ dessen Verschulden voraussetzt, nur durch dessen Verhalten (Handeln oder Unterlassen) begründet werden. Im Rahmen des Anfechtungsrechts ist hingegen ein Zutun des späteren Gemeinschuldners oder dessen Vertreters nicht immer maßgeblich (vgl. OGH 30.4.2002, 1 Ob 201/01t).

39 Bei Zahlungen von Dritten ist demnach nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zu differenzieren:

40 Liegt eine Zahlung eines Dritten an einen Gläubiger des Abgabepflichtigen vor, auf die der Vertreter keinen Einfluss nehmen konnte (etwa ‑ im Allgemeinen ‑ bei Befriedigung eines Gläubigers des Abgabepflichtigen im Wege einer Drittschuldnerexekution), scheidet eine Haftung des Vertreters, die auf einen Verstoß gegen die Gläubigergleichbehandlung gestützt werden soll, aus.

41 Zahlt ein Dritter hingegen an einen Gläubiger des Abgabepflichtigen auf Anweisung des Vertreters des Abgabepflichtigen in Erfüllung einer Verbindlichkeit dieses Dritten gegenüber dem Abgabepflichtigen, so liegt in dieser Anweisung eine Verfügung des Vertreters über liquide Mittel des Abgabepflichtigen. Insoweit ist aber der Vertreter zur Gleichbehandlung des Abgabengläubigers verpflichtet; ein Verstoß gegen diese Verpflichtung führt zu seiner Haftung.

42 Erfolgt die Zahlung des Dritten auf Anweisung durch den Vertreter nicht in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Dritten gegenüber dem Abgabepflichtigen, sondern „auf Kredit“ (wird also zur Erfüllung der Verbindlichkeit des Abgabepflichtigen gegenüber einem Gläubiger eine Verbindlichkeit des Abgabepflichtigen gegenüber diesem Dritten begründet; „Gläubigerwechsel“), so ist zu beachten, dass den Geschäftsführer zwar lediglich die Pflicht trifft, für die Abgabenentrichtung aus den vorhandenen Mitteln der Gesellschaft zu sorgen (und die Mittel insbesondere nicht zur bevorzugten Befriedigung anderer Gesellschaftsschulden zu verwenden). Es kann dem Vertreter nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er es unterlassen hat, zur Entrichtung fälliger Abgaben Kredite aufzunehmen (vgl. VwGH 26.6.2007, 2004/13/0032; vgl. hingegen deutscher BFH 11.11.2015, VII B 57/15, Rz 8: Entscheidend ist, ob Mittel zur Begleichung der Steuerschulden verfügbar sind bzw. beschafft werden können). Hat der Geschäftsführer aber tatsächlich Kredite aufgenommen oder in anderer Weise Mittel beschafft, so unterliegen die damit gewonnenen Mittel (unabhängig davon, ob diese formal in den Rechenkreis des Abgabepflichtigen aufgenommen werden) der Verpflichtung zur Gleichbehandlung. Auch wenn durch diesen Gläubigerwechsel insgesamt die spätere Insolvenzmasse nicht verringert wird und diese Handlung ‑ unter Umständen ‑ anfechtungsfest ist, ist der Abgabengläubiger benachteiligt, wenn diese Mittel nicht auch anteilig zur Begleichung seiner Forderungen verwendet werden. Dies gilt auch dann, wenn Mittel vom Dritten ausschließlich zur Befriedigung konkret bezifferter Forderungen von konkret genannten Gläubigern gewährt werden und die Zahlung unmittelbar an diese Gläubiger erfolgt. Diese Befriedigung ist zwar anfechtungsfest, weil der Vorgang für die Masse (insgesamt) nicht nachteilig ist (vgl. OGH 8.8.2012, 3 Ob 79/12g). Soweit diese Mittelgewährung und Zahlung aber (auch) vom Vertreter veranlasst wurde (von ihm zu beeinflussen war), liegt dennoch eine von ihm zu verantwortende Ungleichbehandlung des Abgabengläubigers vor, wenn dieser ‑ anders als der befriedigte Gläubiger ‑ keine anteilige Zahlung erhalten hat (vgl. auch BFH 12.7.1983, VII B 19/83).

43 Gleiches gilt auch für Zahlungen des Vertreters aus seinen eigenen Mitteln. Leistet der Vertreter an Gläubiger des Abgabepflichtigen aus eigenen Mitteln in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Vertreters gegenüber dem Abgabepflichtigen, so liegt darin eine Verfügung über Mittel des Abgabepflichtigen; dabei unterliegt er der Verpflichtung zur Gleichbehandlung des Abgabegläubigers. Aber auch dann, wenn er Mittel dem Abgabepflichtigen zur Verfügung stellt, ohne dadurch eine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Abgabepflichtigen zu erfüllen, bewirkt dieses Zur‑Verfügung‑Stellen (auch bei Direktzahlung an den Gläubiger), dass es sich damit um Mittel des Abgabepflichtigen handelt; diese Mittel unterliegen der Gleichbehandlungspflicht. Nur dann, wenn dies nicht von ihm zu beeinflussen ist (etwa Drittschuldnerexekution gegen ihn persönlich), besteht keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung.

44 Das Bundesfinanzgericht ist im angefochtenen Erkenntnis insoweit (auch) von einer abweichenden Rechtsansicht ausgegangen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesfinanzgericht ‑ unter Mitwirkung des Mitbeteiligten ‑ zu prüfen haben, über welche Mittel die D GmbH im zu betrachtenden Zeitraum verfügen konnte. Dabei sind auch jene Mittel zu berücksichtigen, die vom Mitbeteiligten aus seinen eigenen Mitteln oder von Dritten der D GmbH zur Verfügung gestellt wurden (soweit dies vom Mitbeteiligten beeinflussbar war). Im Hinblick auf diese Mittel wird zu beurteilen sein, ob der Abgabengläubiger (zumindest) gleich behandelt wurde.

45 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 23. April 2021

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