VwGH Ra 2020/02/0099

VwGHRa 2020/02/009916.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Dr. A in W, vertreten durch Dr. Matthias Cernusca, Rechtsanwalt in 3400 Klosterneuburg, Stadtplatz 14, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 31. März 2020, VGW‑031/019/285/2020‑17, betreffend Übertretungen der StVO und des FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

VStG §22 Abs2
VwGVG 2014 §38

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020099.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 2. Dezember 2019 wurde der Revisionswerber wegen 1. des Lenkens eines näher bezeichneten Fahrzeuges am Tatort am 20. November 2019 um 21:36 Uhr in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft 0,65 mg/l), 2. wegen der näher umschriebenen Inbetriebnahme dieses Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft von 0,54 mg/l) an einem anderen Tatort am 20. November 2019 um 22:12 Uhr sowie 3. wegen des näher konkretisierten Lenkens eines KFZ ohne Führerschein der Verletzung 1. des § 99 Abs. 1a iVm. § 5 Abs. 1 StVO, 2. des § 99 Abs. 1b iVm. § 5 Abs. 1 StVO sowie 3. des § 37 Abs. 1 iVm. § 39 Abs. 5 FSG schuldig erkannt. Über ihn wurde zu 1. gemäß § 99 Abs. 1a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.300,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 11 Tage), zu 2. gemäß § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 950,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Tage 19 Stunden) sowie zu 3. gemäß § 37 Abs. 3 Z 2 FSG eine Geldstrafe in der Höhe von € 365,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage) verhängt. Dem Revisionswerber wurde gemäß § 64 VStG die Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.

2 Die nur gegen den zweiten Spruchpunkt erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde vom Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit am 6. März 2020 verkündetem Erkenntnis als unbegründet abgewiesen; dem Revisionswerber wurde die Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig. Der Revisionswerber beantragte in der Folge rechtzeitig die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

3 Das Verwaltungsgericht stellte folgenden Sachverhalt fest: Der Revisionswerber habe am 20. November 2019 um 21:36 Uhr ein näher konkretisiertes KFZ am Tatort in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft 0,65 mg/l) gelenkt. Nach erfolgter Anhaltung und Durchführung einer Amtshandlung durch die Polizei hätten ihm die einschreitenden Polizisten aufgrund seiner Alkoholisierung ausdrücklich die anschließende Weiterfahrt untersagt. Der Revisionswerber habe, nachdem die Beamten weggefahren waren, beschlossen, dennoch sein Fahrzeug neuerlich in Betrieb zu nehmen und habe dieses in alkoholisiertem Zustand vom ersten Tatort zum näher umschriebenen zweiten Tatort gelenkt. Dort sei er von den einschreitenden Beamten zum zweiten Mal betreten worden; er sei am Fahrersitz gesessen, der Motor des Fahrzeuges sei noch gelaufen. Der Alkoholgehalt der Atemluft des Revisionswerbers habe bei der zweiten Messung 0,54 mg/l betragen.

4 Das Verwaltungsgericht erläuterte in der Folge seine Beweiswürdigung, die rechtlichen Erwägungen sowie die Strafbemessung.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, es stelle sich die Rechtsfrage, ob bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden, in welchem ein Autolenker alkoholisiert sein Fahrzeug benütze, um nach Hause zu fahren, wenige hundert Meter vor seinem Wohnsitz in eine Polizeikontrolle gerate, schließlich die von Anfang an geplante Heimfahrt für die letzten wenigen hundert Meter fortsetze und bei seinem Wohnsitz nochmals polizeilich kontrolliert werde, dahingehend rechtlich zu beurteilen sei, dass hinsichtlich der beiden alkoholisierten Fahrten ein fortgesetztes Delikt vorliege. Das Verwaltungsgericht habe sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 2010, 2010/02/0155, gestützt; diesem liege jedoch ein anderer Sachverhalt zugrunde, weil dem dortigen Erkenntnis das von Beginn an gesetzte Vorhaben einer alkoholisierten Heimfahrt nach Durchführung einer Polizeikontrolle entschlussgemäß zu beenden, nicht zu entnehmen sei. Erst in einem späteren Erkenntnis (VwGH 16.2.2012, 2010/01/0009) habe der Verwaltungsgerichtshof die Voraussetzungen des „einheitlichen Willensentschlusses“ näher erläutert. Ob der vorliegende Sachverhalt diese Kriterien erfülle, habe der Verwaltungsgerichtshof bislang nicht geklärt. Da der Verwaltungsgerichtshof vor kurzem bei Fahrlässigkeitsdelinquenz die Rechtsfigur der tatbestandlichen Handlungseinheit etabliert habe, sei es im Sinne der Rechtssicherheit unabdingbar, den vorliegenden Sachverhalt auszujudizieren.

10 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen:

11 Für das Verwaltungsstrafverfahren gilt beim Zusammentreffen mehrerer Verwaltungsübertretungen, anders als im gerichtlichen Strafverfahren, nach § 22 Abs. 2 erster Satz VStG das Kumulationsprinzip. Danach ist grundsätzlich jede gesetzwidrige Einzelhandlung, durch die der Tatbestand verwirklicht wird, als Verwaltungsübertretung zu bestrafen.

12 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beim fortgesetzten Delikt bzw. beim Dauerdelikt (vgl. VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108, mwH). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein fortgesetztes Delikt vor, wenn eine Reihe von Einzelhandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss umfasst war und wegen der Gleichartigkeit ihrer Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs zu einer Einheit zusammentraten (vgl. VwGH 2.5.2018, Ra 2018/02/0062, mwN).

13 Um von einem fortgesetzten Delikt sprechen zu können, müssen die Einzelakte von einem vorgefassten einheitlichen Willensentschluss, vom sogenannten Gesamtvorsatz getragen sein, das heißt, der Täter muss von vornherein ein bestimmtes Endziel ins Auge gefasst haben, das er durch die Begehung mehrerer Teilakte, somit schrittweise, erreichen will. Von einem solchen Gesamtvorsatz kann daher nur dann gesprochen werden, wenn der Täter den angestrebten Enderfolg von Anfang an in seinen wesentlichen Umrissen erfasst hat, sodass sich die einzelnen Akte zu dessen Erreichung nur als Teilhandlungen eines (von vornherein gewollt vorhandenen) Gesamtkonzeptes darstellen. Erst dieser innere Zusammenhang lässt die Einzelakte nur als sukzessive Verwirklichung des einheitlich gewollten Ganzen erscheinen (vgl. erneut VwGH 2.5.2018, Ra 2018/02/0062; zum Fahrlässigkeitsdelikt vgl. erneut VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108). Wie groß der Zeitraum zwischen den einzelnen Tathandlungen sein darf, um noch von einem fortgesetzten Delikt sprechen zu können, wird von Delikt zu Delikt verschieden sein und hängt im besonderen Maße von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend ist, dass die einzelnen Tathandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss getragen werden (vgl. VwGH 15.9.2006, 2004/04/0185, mwN).

14 Sofern der Revisionswerber vorbringt, es habe ein einheitlicher Willensentschluss hinsichtlich beider Alkoholfahrten vorgelegen, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, weshalb schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/02/0013, 0014). Im Übrigen ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Beurteilung eines Deliktes als fortgesetzt begangen trotz eines engen zeitlichen Zusammenhanges ein „Ereignis“ innerhalb dieses Zeitraumes entgegenstehen kann. Als solches ist etwa eine Verkehrskontrolle und der darauf neu gefasste Tatentschluss zu sehen (vgl. z.B. VwGH 24.9.2010, 2010/02/0155; VwGH 22.3.2016, Ra 2016/02/0031, sowie VwGH 13.12.2018, Ra 2018/02/0331). Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht nicht abgewichen.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juni 2020

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