Normen
AVG §52
AVG §53
AVG §7 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220232.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck (belangte Behörde) vom 7. Mai 2019 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, vom 21. Dezember 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ gemäß § 45 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen, weil kein Nachweis der Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung vorgelegt worden sei und ‑ so die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die eingeholte amtsärztliche Stellungnahme ‑ die Voraussetzung des § 10 Abs. 3 Z 2 Integrationsgesetz nicht gegeben sei.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Oktober 2019 wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber, der 2011 nach Österreich eingereist und dem gemäß § 8 AsylG 2005 der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt worden sei, das Modul 2 der Integrationsvereinbarung nicht erfüllt habe. Der Revisionswerber habe in seiner Heimat für drei Jahre ‑ unregelmäßig ‑ die Schule besucht. Im Inland arbeite er ‑ nach einer vierjährigen Tätigkeit bei einer Metallfirma ‑ derzeit als Lieferwagenfahrer. Der Revisionswerber habe eine Lernschwäche, die durch eine individuelle Rehabilitation gefördert werden könne. Er weise keinen dauerhaft schlechten physischen oder psychischen Gesundheitszustand auf, die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung könne ihm somit zugemutet werden.
Beweiswürdigend hielt das Verwaltungsgericht fest, sowohl die Amtssachverständige D als auch der Zeuge T, der am 1. März 2019 eine psychodiagnostische Befundung beim Revisionswerber durchgeführt habe, hätten übereinstimmend angegeben, dass der Revisionswerber zwar eine Lernschwäche aufweise, ihm aber kein dauerhaft schlechter physischer oder psychischer Gesundheitszustand attestiert werden könne. Die Ausführungen der Amtssachverständigen, dass die Lernschwäche des Revisionswerbers durch entsprechende Förderungen positiv beeinflusst werden könnten, seien schlüssig und nachvollziehbar gewesen.
Die vom Revisionswerber in seiner Beschwerde beantragte Einholung eines neuropsychodiagnostischen Gutachtens sei im Hinblick auf die übereinstimmenden Angaben der Amtssachverständigen und des Zeugen T nicht erforderlich. Zudem habe die Amtssachverständige in ihrer Einvernahme ausgeführt, dass es sich bei der vom Zeugen T durchgeführten Untersuchung um eine neuropsychodiagnostische Untersuchung gehandelt habe.
Gestützt auf die dargestellten Ermittlungsergebnisse gelangte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass dem Revisionswerber die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung zugemutet werden könne.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Der Revisionswerber sieht die Rechtsfrage als grundsätzlich an, ob ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen werden dürfe, wenn vom Antragsteller ein psychologisches Gutachten eingeholt wurde und die Amtssachverständige bei der belangten Behörde „in der Abteilung tätig ist, die in erster Instanz die Begutachtung vornahm und für die somit der Ausschlussgrund der §§ 53 Abs 1, 7 Abs 1 Z 4 [gemeint wohl: AVG] gilt“. Zudem sieht der Revisionswerber eine grundsätzliche Rechtsfrage darin, ob als Amtssachverständiger des Verfahrens zweiter Instanz ein Amtsarzt der belangten Behörde herangezogen werden dürfe, ohne dass dabei der sich aus Art. 6 EMRK ergebende Grundsatz der Waffengleichheit verletzt werde; dies insbesondere in Verfahren, in denen ‑ wie vorliegend ‑ vorgeschrieben sei, dass ein Beweis durch ein amtsärztliches Gutachten zu erbringen sei.
6 Dem Vorwurf der Befangenheit der Amtssachverständigen bzw. der Verletzung des Art. 6 EMRK durch Heranziehung der bereits im behördlichen Verfahren herangezogenen Amtssachverständigen auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist Folgendes entgegenzuhalten:
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2014, E 707/2014 ‑ bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Heranziehung von Amtssachverständigen in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz grundsätzlich zulässig ist. Das Verwaltungsgericht ist auf dem Boden des § 17 VwGVG in Verbindung mit §§ 52 und 53 AVG verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständigen) seinen Verfahren beizuziehen, wobei ein Verwaltungsgericht stets prüfen muss, ob ein Amtssachverständiger unbefangen, u.a. also tatsächlich unabhängig von der Verwaltungsbehörde ist, deren Bescheid beim Verwaltungsgericht angefochten wird (vgl. zu allem VwGH 27.1.2020, Ra 2019/04/0074, mwN).
8 Dass der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren Bedenken gegen die Unabhängigkeit der Amtssachverständigen erhoben hätte, auf die in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses einzugehen gewesen wäre, wird in der Revision nicht vorgebracht und ist auch nicht ersichtlich. Auch sonst vermag die Revision mit ihrem Vorbringen die Unbefangenheit der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Amtssachverständigen nicht in Frage zu stellen. Mit dem bloßen Hinweis darauf, die Amtssachverständige sei bei der belangten Behörde tätig bzw. mit der Sache bereits in der ersten Instanz befasst gewesen, wird eine Hemmung ihrer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive in Bezug auf die konkreten von ihr zu beurteilenden Fachfragen nicht aufgezeigt (vgl. etwa VwGH 24.10.2018, Ra 2016/04/0040, Rn. 13).
9 Da das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung die insoweit übereinstimmenden Ausführungen der Amtssachverständigen und des Zeugen T zugrunde gelegt hat und die Amtssachverständige angegeben hat, dass der Zeuge T eine neuropsychodiagnostische Untersuchung des Revisionswerbers vorgenommen hat, ist es auch nicht zu beanstanden, dass dem Antrag auf Einholung eines (weiteren) neuropsychodiagnostischen Gutachtens nicht stattgegeben wurde.
10 Des Weiteren wird eine grundsätzliche Rechtsfrage des materiellen Rechts darin gesehen,
„ob die Fähigkeit langfristig trotz Lernschwäche und geringer Intelligenz sich Deutschkenntnisse zu erwerben, mit der Zumutbarkeit des § 10 Abs 3 Z. 2 IntG Sprachkenntnisse auf dem Niveau B 1 die jedenfalls auch Kompetenzen im Lesen und Schreiben in deutscher Sprache umfassen als Person die nicht einmal zwei Jahre afghanische Schulbildung genossen hat, gleichzusetzen ist“.
11 Nach § 45 Abs. 12 NAG kann subsidiär Schutzberechtigten ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ erteilt werden, wenn sie ‑ neben anderen Voraussetzungen ‑ das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (gemäß § 10 Integrationsgesetz ‑ IntG) erfüllt haben. Nach § 10 Abs. 3 Z 2 IntG gilt die Verpflichtung zur Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung nicht für Drittstaatsangehörige, denen auf Grund ihres psychisch oder physisch dauerhaft schlechten Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann.
12 Nach den ‑ insoweit unbestritten gebliebenen ‑ Darlegungen im angefochtenen Erkenntnis haben sowohl die Amtssachverständige als auch der Zeuge T ausgeführt, dass dem Revisionswerber kein dauerhaft schlechter psychischer oder physischer Gesundheitszustand attestiert werden könne. Dass das Verwaltungsgericht gestützt darauf zum Ergebnis gelangte, dem Revisionswerber sei die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung zumutbar, ist nicht als unvertretbar anzusehen (siehe zur inhaltlich vergleichbaren Regelung des § 21a Abs. 4 Z 2 NAG auch VwGH 27.7.2017, Ra 2016/22/0066).
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 3. September 2020
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