European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190199.L00
Spruch:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 13. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 14. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. März 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 4 Mit Beschluss vom 24. Juni 2019, Ra 2019/19/0199-2, wies der Verwaltungsgerichtshof den Antrag des Revisionswerbers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gegen das genannte Erkenntnis des BVwG ab. Dieser Beschluss wurde vom Zustelldienst in der Post-Geschäftsstelle 1225 Wien hinterlegt und eine Verständigung davon in der Abgabeeinrichtung eingelegt, wobei als Beginn der Abholfrist der 2. Juli 2019 angegeben wurde. Wie sich aus dem im Akt befindlichen Zustellnachweis ergibt, wurde dieses Dokument vom Revisionswerber bereits am 1. Juli 2019 - also vor Beginn der Abholfrist - in dieser Post-Geschäftsstelle übernommen, wobei die Übernahme auf dem Zustellnachweis bestätigt wurde.
5 Am 13. August 2019 brachte der Revisionswerber, vertreten durch einen Rechtsanwalt, beim BVwG im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) eine außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des BVwG ein.
6 Auf Vorhalt durch den Verwaltungsgerichtshof, dass die Revisionsfrist nach der Aktenlage mit dem Tag der persönlichen Ausfolgung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 2019 an den Revisionswerber zu laufen begonnen habe und die Revision somit verspätet sei, brachte der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 9. September 2019 eine Stellungnahme, verbunden mit dem gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsfrist ein. 7 Die maßgeblichen Bestimmungen des Zustellgesetzes - ZustG idF BGBl. I Nr. 5/2018 lauten auszugsweise:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
...
Zustellung am Ort des Antreffens
§ 24a. Dem Empfänger kann an jedem Ort zugestellt werden, an dem er angetroffen wird, wenn er
- 1. zur Annahme bereit ist oder
- 2. über keine inländische Abgabestelle verfügt."
8 Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung
der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61 VwGG) und wird dieser Antrag abgewiesen, so beginnt die Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 3 VwGG mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei. 9 Gemäß § 24a Z 1 ZustG kann dem Empfänger an jedem Ort zugestellt werden, an dem er angetroffen wird, wenn er zur Annahme bereit ist. Erhält der Empfänger das hinterlegte Dokument vor Beginn der Abholfrist ausgefolgt, ist die Zustellung damit wirksam (vgl. OGH 25.3.2014, 10 ObS 35/14s; 24.10.2017, 4 Ob 186/17g). 10 Im vorliegenden Fall wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 2019 dem Revisionswerber am 1. Juli 2019 in der Geschäftsstelle des Zustelldienstes persönlich ausgefolgt, was von diesem auch nicht bestritten wird. Es ist daher davon auszugehen, dass der Revisionswerber auch zur Annahme des Dokuments bereit war. Die Zustellung wurde somit an diesem Tag wirksam. Die sechswöchige Revisionsfrist des § 26 Abs. 3 VwGG endete am 12. August 2019. Die vorliegende, am 13. August 2019 im Wege des ERV eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet.
11 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht.
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0406, mwN).
13 Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wird vorgebracht, der Antragsteller habe seinem Rechtsvertreter das Kuvert, in welchem der Beschluss zugestellt worden sei, übergeben und mitgeteilt, dass er das Schreiben "ehest möglich" abgeholt habe. Auf Grund des Vermerks auf dem Kuvert, dass die Abholfrist am 2. Juli 2019 beginne, sei die Frist vom Rechtsvertreter berechnet, im Sekretariat entsprechend eingetragen und die korrekte Eintragung der Frist vom Rechtsvertreter kontrolliert worden. Den Antragsteller und seinen Rechtsvertreter treffe kein Verschulden an der Versäumung der Frist, da grundsätzlich davon ausgegangen werden müsse, dass Schriftstücke nicht "vor dem Datum des Poststempels oder vor Beginn der eingetragenen Abholfrist" zugestellt würden.
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0190; 24.4.2017, Ra 2016/06/0095; jeweils mwN).
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es als geradezu auffallende Sorglosigkeit gesehen werden muss, wenn sich der Rechtsvertreter bei derart bedeutenden und grundlegenden Fakten wie dem Zustellzeitpunkt des zu bekämpfenden Asylbescheides ausschließlich auf die Angaben eines - noch dazu offenkundig mit der österreichischen Rechtsordnung nicht vertrauten - Fremden verlässt (vgl. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0436). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die Angaben des Antragstellers, er habe das zuzustellende Dokument "ehest möglich" abgeholt, nicht alle für die Bestimmung des den Beginn der Revisionsfrist auslösenden Zustellzeitpunktes notwendigen Informationen enthalten haben. Wie der Verwaltungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall ausgeführt hat, muss es einem Rechtsanwalt klar sein, dass für die Frage des Beginns des Fristenlaufes der durch den Rückschein im Sinne des § 22 Abs. 1 ZustG beurkundete Zeitpunkt der persönlichen Übernahme (und nicht sonstige Angaben auf dem Briefkuvert) maßgeblich sein kann (vgl. VwGH 17.12.2002, 2002/11/0191).
16 Zum Zeitpunkt der Einbringung der Revision bestand auch schon Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu genau jenem Sachverhalt, der auch dem vorliegenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Grunde liegt (Zustellung durch Ausfolgung eines Dokuments vor Beginn der in der Verständigung angegebenen Abholfrist; vgl. die in Rn. 9 zitierten Beschlüsse). 17 Vor diesem Hintergrund trifft aber den Antragsteller, der seinem Rechtsvertreter das Datum der Übernahme des zuzustellenden Dokuments nicht mitgeteilt hat, bzw. seinen Rechtsvertreter ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung der Revisionsfrist (vgl. zu alledem neuerlich VwGH 2002/11/0191).
18 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen und die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 25. September 2019
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