Normen
AVG §37
AVG §45 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art6 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080134.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Beschäftigung bei der revisionswerbenden Partei vom 1. Jänner 2015 bis 8. November 2016 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Pflichtversicherung in der Kranken‑, Unfall‑, Pensions‑ und Arbeitslosenversicherung unterliegt. Der Erstmitbeteiligte habe für die revisionswerbende Partei auf Basis eines als „Dienstleistungsvertrag“ bezeichneten entgeltlichen Vertrages vom 8. Jänner 2008 gemeinsam mit anderen Mitarbeitern seines Teams rund um die Uhr IT-Supportleistungen an Kunden der revisionswerbenden Partei erbracht. Diese habe den Revisionswerber mit Visitkarten, Diensthandy und Laptop ausgestattet. Für Kundenfahrten mit dem eigenen PKW habe er Kilometergeld erhalten. Er sei in erster Linie am Betriebsstandort der revisionswerbenden Partei, wo ihm die vollständige Infrastruktur zur Verfügung gestanden sei, sowie bei Kunden und vereinzelt auch von zu Hause aus tätig gewesen. Die Schichtpläne und allfällige gegenseitige Vertretungen der Teammitglieder insbesondere im Urlaubs- oder Krankheitsfall seien vom Erstmitbeteiligten erstellt bzw. eingeteilt worden. Die jeweiligen Arbeitszeiten und Tätigkeiten seien für die revisionswerbende Partei dokumentiert worden. Diese habe sich über den betrieblichen e‑mail Account des Erstmitbeteiligten laufend über seine Arbeitsabfolge und seinen Arbeitserfolg informiert. Der Erstmitbeteiligte habe seit Jänner 2015 durchschnittlich 25,65 Wochenstunden gearbeitet und sei durchschnittlich 123,57 Stunden in Rufbereitschaft gestanden. Er habe € 23,50 pro Stunde bzw. € 3,83 für die Rufbereitschaft erhalten und dies mit „Honorarnoten“ geltend gemacht. Der OGH habe mit Beschluss vom 28.6.2018, 9 ObA 65/18a, rechtskräftig festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund eines „echten Arbeitsvertrages“ für die revisionswerbende Partei tätig gewesen sei.
5 Der Erstmitbeteiligte habe seine Arbeitsleistungen persönlich zu erbringen gehabt (kein generelles Vertretungsrecht und kein sanktionsloses Ablehnungsrecht). In Anbetracht der dargelegten örtlichen und zeitlichen Bedingungen seiner Arbeitsleistungen, seiner Einbindung in die Betriebsorganisation und der über ihn ausgeübten Kontrolle sei er iSd § 4 Abs. 2 ASVG persönlich abhängig gewesen und habe ein über der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Entgelt bezogen.
6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis hat die revisionswerbende Partei Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben.
8 Dieser hat mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 1071/2019‑7, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19. Juli 2019, E 1071/2019‑9, zur Entscheidung abgetreten.
9 Gegen das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision.
10 Die revisionswerbende Partei erblickt entgegen dem genannten Ausspruch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Bundesverwaltungsgericht die beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt habe.
11 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Die Akten lassen dann im Sinne des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann. Dies ist dann der Fall, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender, für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wurde und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Ein bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes kann aber außer Betracht bleiben. Art. 6 Abs. 1 EMRK oder Art. 47 GRC stehen einem Entfall der Verhandlung nicht entgegen, wenn es ausschließlich um rechtliche oder sehr technische Fragen geht oder wenn das Vorbringen des Revisionswerbers angesichts der Beweislage und angesichts der Beschränktheit der zu entscheidenden Fragen nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen‑ oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich macht. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung kann auch in Fällen gerechtfertigt sein, in welchen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen werden (VwGH 26.6.2019, Ra 2019/08/0099; 9.7.2019, Ra 2019/08/0101, jeweils mwN).
12 Die revisionswerbende Partei hat in ihrer Revision nicht dargelegt, welche relevanten Feststellungen sie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe bekämpfen wollen bzw. welchen weiteren relevanten Sachverhalt sie behauptet habe. Auch der Beschwerde ist kein konkretes Sachverhaltsvorbringen zu entnehmen, das in einer mündlichen Verhandlung im dargelegten Sinn hätte thematisiert werden können. Die in der Beschwerde beantragten Zeugen wurden zu Beweisthemen geführt („gelebte Praxis“, „ex‑ante‑Vertragswille, „Weisungsrecht“, „technische Einbindung“, „abrechnungsrelevante Agenden betreffend Dienstleister“, „Prüfung der Unternehmereigenschaft der Dienstleister“, „Kommunikation mit der GPLA‑Prüferin“), denen kein ausreichend konkreter Sachverhalt zugeordnet werden kann bzw. die Gegenstand der rechtlichen Beurteilung sind. Die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG war nicht unvertretbar.
13 Die in der Revision im Übrigen aufgeworfenen Fragestellungen „liegt ein ausführliches Ermittlungsverfahren iSd § 37 AVG vor, wenn die vernommene Partei vom ursprünglichen ex‑ante Willen nachträglich abweicht und die Beweggründe hierfür von der Behörde nicht erhoben werden“, „kann § 49 Abs. 6 ASVG überhaupt Bindungswirkung/Indizwirkung entfalten, wenn das Urteil des Zivilgerichts aufgrund der Präklusion der Beweisanträge der Revisionswerberin erging“, usw sind fallbezogene rechtliche Argumentationsversuche der revisionswerbenden Partei und keine erheblichen Rechtsfragen, zumal nicht dargelegt wird, inwiefern die Entscheidung über die Revision von ihrer Lösung abhängt.
14 Rechtsfragen des Verfahrensrechts ‑ wie hier die behauptete unrichtige Sachverhaltsfeststellung ‑ sind nur dann von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (VwGH 9.3.2016, Ra 2016/08/0045). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Wie schon erwähnt zeigt die revisionswerbende Partei auch nicht konkret auf, welche relevanten Feststellungen auf Grund der behaupteten Verfahrensfehler unrichtig sein sollen.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. September 2019
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