VwGH Ra 2017/22/0066

VwGHRa 2017/22/006612.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des Bundesministers für Inneres in 1010 Wien, Herrengasse 7, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. Februar 2017, VGW-151/011/1815/2017-1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Partei: M Y, vertreten durch Mag. Slaviša Žeželj, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Gersthofer Straße 4), zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6;
B-VG Art130;
NAG 2005 §41a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28 Abs4;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei, eine türkische Staatsangehörige, verfügte wiederholt über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nach § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), zuletzt mit Gültigkeit bis zum 19. März 2016. Am 14. März 2016 stellte sie unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80) einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a NAG.

2 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (im Folgenden: Behörde) vom 14. Dezember 2016 wurde dieser Antrag "wegen des Fehlens der für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels maßgeblichen Erteilungsvoraussetzungen" abgewiesen.

Nach den Feststellungen der Behörde sei die mitbeteiligte Partei (bis 30. April 2016 geringfügig, ab 1. Mai 2016 im Ausmaß von 40 Stunden) beim Unternehmen K OG beschäftigt und verfüge über eine aufrechte Beschäftigungsbewilligung. Sie habe ein Jahr ununterbrochen eine ordnungsgemäße Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber ausgeübt und erfülle somit die Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80.

Die Behörde sah das erfolgreiche Studium der mitbeteiligten Partei als ausschließlichen Zweck ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet an. Die aus dem ARB 1/80 erfließenden Rechte der mitbeteiligten Partei seien durch die Innehabung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nicht eingeschränkt, zumal die Voraussetzungen für die Erteilung einer weiteren derartigen Aufenthaltsbewilligung vorlägen, die bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit neben dem Studium uneingeschränkt fortgesetzt werden könne und die mitbeteiligte Partei ein Recht auf Erneuerung ihrer Arbeitserlaubnis bei ihrem bisherigen Arbeitgeber habe.

Das NAG selbst sehe keine Zweckänderung von einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" auf einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a vor, dies sei im Fall der mitbeteiligten Partei zur Wahrung ihrer aus ARB 1/80 erfließenden Rechte auch nicht erforderlich.

3 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde, über die das Verwaltungsgericht Wien erkannte, dass der Bescheid gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG behoben und das Verfahren an die Behörde zurückverwiesen werde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht verwies auf einen näher zitierten Erlass des Bundesministeriums für Inneres, dem zufolge "türkische Staatsangehörige, die sich auf das Recht auf Zweckänderung gem. ARB 1/80 berufen, dem BMI zur Begutachtung vorzulegen" seien. Diese Befassung des BMI sei im Akt nicht ausgewiesen. Weiters monierte das Verwaltungsgericht eine "unzulässige Vermengung der Diktion" des angefochtenen Bescheides über den Zweckänderungsantrag, den begehrten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" sowie die Aufenthaltsbewilligung "Studierender", die auch in der Begründung nicht klargestellt werde. Dem Akteninhalt ließe sich entnehmen, dass die mitbeteiligte Partei den Anforderungen des Art. 6 ARB 1/80 zu entsprechen vermöge. Feststellungen dazu, dass diese Erfordernisse von der mitbeteiligten Partei nicht erfüllt würden, enthalte der Bescheid nicht. Im Hinblick auf die aufrechte Beschäftigungsbewilligung und den vorliegenden Versicherungsdatenauszug könne der mitbeteiligten Partei eine Berufung auf den ARB 1/80 weder verwehrt noch dies von vornherein als aussichtslos beurteilt werden.

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides - so das Verwaltungsgericht weiter - sei auch nicht zu erschließen, aus welchen Erwägungen "der sichtlich ebenso hineinvermengte Abspruch" über die Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gemäß § 64 NAG "einer Abweisung zugeführt" worden sei. Aus diesen Erwägungen sei der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur weiteren Verfahrensführung an die Behörde zurückzuverweisen gewesen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

5 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragt, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien aufzuheben und ihrem Antrag - im Rahmen eines Vorgehens nach § 42 Abs. 4 VwGG - stattzugeben.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 VwGVG abgewichen.

7 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.

8 Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Behebung und Zurückverweisung sowohl nach Abs. 3 als auch nach Abs. 4 des § 28 VwGVG nicht durch Erkenntnis, sondern mit Beschluss zu erfolgen hat.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, festgehalten, dass das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen habe, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (Pkt. 2.6.4.). Eine nachvollziehbare Begründung lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht entnehmen.

10 Das Verwaltungsgericht stützte sich in seiner Entscheidung auf § 28 Abs. 4 VwGVG, legte aber nicht dar, warum es von einem von der Behörde zu übenden Ermessen ausgeht. Ein solches ist bei einem auf Art. 6 ARB 1/80 gestützten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auch nicht ersichtlich.

11 Ob es sich vorliegend überhaupt um eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 4 VwGVG oder der Sache nach um eine solche nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG handelt, kann allerdings dahinstehen, weil sich die angefochtene Entscheidung in jedem Fall als rechtswidrig erweist.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis Ro 2014/03/0063 ausgesprochen, dass die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 VwGVG und somit eine Aufhebung und Zurückverweisung erst dann in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur Entscheidung in der Sache selbst nach sich ziehen, nicht vorliegen. Im Fall einer Ermessensübung durch die Behörde kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 4 VwGVG der Sachentscheidung in den Fällen des § 28 Abs. 2 VwGVG ebenfalls Vorrang vor einer Aufhebung und Zurückverweisung zu (siehe VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0027, mwN).

13 Was die Befugnis der Verwaltungsgerichte zur Aufhebung und Zurückverweisung anlangt, unterscheiden Art. 130 B-VG und § 28 VwGVG also insoweit nicht zwischen Ermessens- und sonstigen Entscheidungen: Hier wie dort hängt die Zulässigkeit einer Zurückverweisung ausschließlich davon ab, ob die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG gegeben sind; liegen sie vor, hat das Verwaltungsgericht eine Sachentscheidung zu treffen (siehe zu allem VwGH 26.4.2016, Ro 2015/03/0038, Rn. 72).

14 Dass die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG vorliegend nicht erfüllt sind, lässt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen und ist für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht ersichtlich. Es wird nicht dargelegt, in welcher Weise der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht oder allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 26.2.2015, Ra 2014/22/0103 bis 0105).

15 Das Verwaltungsgericht moniert zwar eine - seiner Ansicht nach - unklare Begründung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass auf verschiedene Aufenthaltstitel abgestellt bzw. (offenbar) auch über die Aufenthaltsbewilligung nach § 64 NAG abgesprochen werde. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass mit Bescheid der Behörde vom 14. Dezember 2016 nach seinem eindeutigen Spruch einzig der Antrag der mitbeteiligten Partei vom 14. März 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a NAG abgewiesen worden ist. Selbst eine dürftige Begründung eines Bescheides - wobei eine solche vom Verwaltungsgericht ohnehin nicht substanziiert dargelegt wird - rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Aufhebung und Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (siehe VwGH Ro 2015/03/0038, Rn. 73, mwN).

16 Soweit das Verwaltungsgericht fehlende Feststellungen dazu rügt, dass die gemäß ARB 1/80 normierten Voraussetzungen seitens der mitbeteiligten Partei nicht erfüllt würden, ist dem entgegenzuhalten, dass die Behörde unter Berufung auf die Aktenlage ohnedies davon ausgegangen ist, dass die mitbeteiligte Partei die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 erfüllt. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht (offenbar) die daran anschließende rechtliche Beurteilung durch die Behörde nicht teilt, ermächtigt nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung.

17 Mit dem Hinweis des Verwaltungsgerichtes auf die im Akt nicht ausgewiesene Befassung des Bundesministers für Inneres wird schließlich schon deshalb keine relevante Ermittlungslücke aufgezeigt, weil eine derartige Befassung auch nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes nur durch Erlass und nicht gesetzlich vorgesehen ist.

18 Ausgehend davon erweist sich das angefochtene Erkenntnis somit als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

19 Der in der Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei gestellte - der Sache nach als Revision zu wertende - Aufhebungsantrag war gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als verspätet zurückzuweisen (vgl. VwGH 9.9.2016, Ra 2016/02/0137).

Wien, am 12. Dezember 2017

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