VwGH Ra 2017/21/0157

VwGHRa 2017/21/01575.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revisionen 1. des T S in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 11/10, und 2. des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Juni 2017, W189 1301887-3/4E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs3a;
AsylG 2005 §9 Abs2;
AsylG 2005;
AVG §56;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrÄG 2017;
FrPolG 2005 §46;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §50;
FrPolG 2005 §51 Abs1;
FrPolG 2005 §51 Abs2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §51 Abs2;
FrPolG 2005 §52 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §52 idF 2013/I/068;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs3 impl;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017210157.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat T S Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 T S (im Folgenden: "Revisionswerber"), ein 1993 geborener, aus Tschetschenien stammender Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste erstmals am 7. Juni 2005 im Alter von zwölf Jahren gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 9. Mai 2006 samt Erlassung einer Ausweisung in den Herkunftsstaat abgewiesen wurde. Nachdem die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages gerichtet hatte, zurückgezogen worden war, stellte der Asylgerichtshof letztlich mit Erkenntnis vom 1. Juli 2011 fest, dass die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig sei. Dem entsprechend wurden ihm in der Folge Aufenthaltstitel, zuletzt am 9. Juli 2014 eine "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" mit Gültigkeit bis 9. Juli 2017, ausgestellt.

2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Juni 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch liegt im Wesentlichen zugrunde, der Revisionswerber habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen Mittätern am 18. August 2014 versucht, von Österreich aus über den osteuropäischen Raum nach Syrien in ein vom sogenannten "Islamischen Staat" (IS) kontrolliertes Gebiet zu reisen, um sich dort dem IS anzuschließen und um sich an dessen bewaffnetem Kampf durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise durch Stärkung der Truppenmoral zu beteiligen. Aus der deshalb verhängten Strafhaft wurde der Revisionswerber am 18. Februar 2016 unter gleichzeitiger Anordnung der Bewährungshilfe bedingt entlassen.

3 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27. April 2017 wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 6 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verbunden (Spruchpunkt III.). Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.)

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juni 2017, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I. und III. des genannten Bescheides des BFA richtete, gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 6 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Weiters wurde "in Erledigung der Beschwerde" Spruchpunkt II. des genannten Bescheides des BFA behoben und die Angelegenheit insoweit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen (Spruchpunkt A.II.). Schließlich wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B.).

 

5 Gegen Spruchpunkt A.I. dieses Erkenntnisses richtet sich die Revision des T S, gegen dessen Spruchpunkt A.II. die Amtsrevision des BFA. Darüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - gemeinsam erwogen:

6 In der Beschwerde wurde unter Bezugnahme auf entsprechendes Berichtsmaterial mit näheren Ausführungen (u.a.) vorgebracht, der IS gelte sowohl in Russland als auch in Tschetschenien als Terrororganisation. Deshalb würde der wegen Mitgliedschaft beim IS "vorbestrafte" Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegen dem Verbot der Doppelbestrafung wegen seiner Beteiligung an einer Terrororganisation neuerlich zur Rechenschaft gezogen werden und er wäre "menschenrechtswidriger Behandlung im Sinne der Art 3 bzw. 5 EMRK" ("zusätzlicher Sanktionen schwerster Natur" - "extralegaler" Tötung, Folter oder anderen schwersten Formen von Behördenwillkür) ausgesetzt. Dem entsprechend stellte der Revisionswerber dann in der Beschwerde auch den ausdrücklichen Antrag, das BVwG möge in Stattgebung der Beschwerde aussprechen, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation nicht zulässig sei.

7 Diesbezüglich bemängelte das BVwG im Rahmen seiner aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidung zu Spruchpunkt A.II., der Bescheid des BFA enthalte nur allgemeine Informationen über die Terrorbekämpfung im Herkunftsstaat des Revisionswerbers und über die genaue Überprüfung von im Ausland vorbestraften Rückkehrern, es finde sich jedoch keine konkrete Auseinandersetzung mit der Frage, wie die tschetschenischen bzw. russischen Behörden mit vorbestraften Rückkehrern verfahren, die aufgrund der Unterstützung einer Terrororganisation wie den IS verurteilt worden seien. Um jedoch die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation beurteilen zu können, sei es erforderlich, derartige Länderinformationen einzuholen. Das BFA werde daher im insoweit fortzusetzenden Verfahren "fallbezogene Recherchen" im Herkunftsstaat anzustellen und dem Revisionswerber hierzu entsprechendes Parteiengehör zu gewähren haben.

8 Gemäß der geltenden Fassung des § 52 Abs. 9 FPG hat "das Bundesamt" mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, "es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei". Das gilt auch für das BVwG im Beschwerdeverfahren (so der Sache nach bereits das hg. Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234; vgl. dazu auch die ErläutRV zu einem FrÄG 2017, 1523 BlgNR 25. GP  30, wonach die vorgeschlagene "behördenneutrale Formulierung" im § 52 Abs. 9 FPG lediglich der Klarstellung dient).

9 Der im letzten Halbsatz des § 52 Abs. 9 FPG angesprochene Ausnahmefall liegt gegenständlich nicht vor; es ist unstrittig, dass sich die in Rede stehende Feststellung auf die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat Russische Föderation zu beziehen hat. Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung folgt, dass die besagte Feststellung "gleichzeitig" mit der Rückkehrentscheidung zu ergehen hat. Demzufolge hat der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ohne eine Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG - außer im Fall, dass die Feststellung aus vom Fremden zu vertretenden Gründen nicht möglich ist - auf Grund des vom Gesetzgeber seit 1. Jänner 2014 geschaffenen Systems nicht in Betracht kommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 4. August 2016, Ra 2016/21/0162, Rz 12, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ra 2016/21/0101; siehe in diesem Sinn auch die ErläutRV zu einem FrÄG 2017, aaO., 32, wonach aus der Verwendung des Wortes "gleichzeitig" folge, "dass eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich - dh. wenn kein Fall der vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Unmöglichkeit gemäß Satz 2 vorliegt - nicht ohne die Feststellung zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Abschiebung erlassen werden kann.").

10 Dem hat das BVwG nicht Rechnung getragen, weil es gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung samt (darauf aufbauendem) Einreiseverbot erließ, ohne jedoch eine Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, indem es das Verfahren ausschließlich hinsichtlich dieses Spruchpunktes an das BFA gemäß § 28 Abs. 3 VwGG zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwies. Insoweit ist das BVwG von der erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, was im Ergebnis die Zulässigkeit beider Revisionen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG bewirkt und schon aus den genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG zur Aufhebung des gesamten Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes führen muss.

Für das weitere Verfahren ist noch auf Folgendes hinzuweisen:

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bereits genannten Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234, mit näherer Begründung (Rz 10 bis 13) dargelegt, dass für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG (von Amts wegen) gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung - wie beim Antragsverfahren nach § 51 Abs. 1 FPG betreffend einen vom Herkunftsstaat verschiedenen "Drittstaat" - der Maßstab des § 50 FPG gilt. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang (siehe Rz 14 iVm Rz 15 sowie auch Rz 19) unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119, klargestellt, dass weder das FPG noch das AsylG 2005 einen eigenständigen Antrag eines Fremden kennen, der darauf gerichtet ist festzustellen, dass eine Abschiebung in seinen Herkunftsstaat gemäß § 50 FPG unzulässig ist. Einem Fremden sei es verwehrt, eine derartige Feststellung zu begehren, weil über das Thema dieser Feststellung ohnehin - und ausschließlich - im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz abzusprechen sei. Stelle ein Fremder dennoch einen derartigen Antrag, so gelte er gemäß § 51 Abs. 2 FPG als Antrag auf internationalen Schutz und es sei gemäß den Bestimmungen des AsylG 2005 vorzugehen.

12 Wie in Rz 6 wiedergegeben wurde, hat der Revisionswerber im gegenständlichen Verfahren eine ihm wegen seiner Betätigung für den IS drohende, insbesondere Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung durch staatliche Behörden bei einer Rückkehr in die Russische Föderation behauptet und deshalb in der Beschwerde ausdrücklich die Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung dorthin beantragt.

Angesichts dessen wäre daher vor dem Hintergrund der vorstehenden Überlegungen vom BVwG mit dem Revisionswerber zu erörtern gewesen, ob damit die Stellung eines (neuerlichen) Antrags auf internationalen Schutz beabsichtigt sei, wäre doch in einem solchen Fall der vom Gesetzgeber primär vorgezeichnete Weg die Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz. Nur ein solcher Antrag könnte im Übrigen bei Zutreffen der Verfolgungsbehauptungen zur Gewährung von Asyl oder von subsidiärem Schutz führen und entsprechende (umfassende) Aufenthaltsberechtigungen verschaffen; zumindest könnte bei Vorliegen einer Konstellation iSd § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auf diesem Weg eine Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat erreicht werden, woran die Aufenthaltsduldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG anknüpft. Auch darauf hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem erwähnten Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234, unter Rz 23 hingewiesen. Zuletzt wurde daher vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 31. August 2017, Ra 2016/21/0367, in der Rz 10 neuerlich betont, es sei nicht Aufgabe des BFA bzw. des BVwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt. Die Überlegung, es sei im Rahmen eines Rückkehrentscheidungsverfahrens in eine abschließende Prüfung eines allfälligen Gefährdungsszenarios im Herkunftsstaat einzusteigen, erweise sich daher - außer die Führung des dafür vorgesehenen Verfahrens auf internationalen Schutz und damit die Stellung eines diesbezüglichen Antrags wird vom Fremden abgelehnt (vgl. zu einem solchen Fall das schon mehrfach genannte Erkenntnis Ra 2016/21/0234) - als verfehlt. Das gilt sinngemäß - wie wegen der fallbezogenen Gegebenheiten zur Vollständigkeit noch anzumerken ist - auch für die Prüfung des Vorliegens eines der Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz entgegenstehenden Ausschlussgrundes.

13 Im Übrigen hätte das BVwG zu beachten gehabt, dass es am Maßstab der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (siehe etwa das Erkenntnis vom 29. Juni 2017, Ra 2017/21/0068, Rz 12, mwN) im vorliegenden Fall auch von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer Verhandlung nicht hätte absehen dürfen. Das wird in der Parteirevision zutreffend gerügt. Der Revisionswerber ist nämlich in der Beschwerde der Annahme des weiteren Vorliegens einer (schwerwiegenden) Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit mit konkreten Ausführungen entgegen getreten, die das BVwG aufgrund näherer, überwiegend beweiswürdigender Überlegungen im angefochtenen Erkenntnis (siehe Seite 16 bis 20 iVm 33) für nicht stichhältig erachtete. Schon von daher lagen aber die im angefochtenen Erkenntnis unterstellten Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht vor.

14 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. Oktober 2017

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