Normen
BDG 1979 §43 Abs2
B-VG Art134 Abs5
B-VG Art87
DO Wr 1994 §18 Abs2
IKT-NutzungsV 2009 §5 Abs2
MRK Art6 Abs1
RStDG §57 Abs3
VGWG 2014 §7
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017090049.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte steht als Richter des Verwaltungsgerichtes Wien in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Wien.
2 Mit Erkenntnis des Disziplinarausschusses des Verwaltungsgerichtes Wien vom 10. Mai 2017 wurde der Mitbeteiligte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Vorwurf freigesprochen, er habe am 20. und 29. Juli 2016 Äußerungen seiner Lebensgefährtin in einer sie betreffenden privaten Angelegenheit (Kündigung eines Vertrages mit einem näher bezeichneten Fitnessclub) sowie am 11. August 2016 eine Äußerung von sich selbst diese private Angelegenheit betreffend an näher bezeichnete Empfänger von seiner dienstlichen E‑Mail‑Adresse verschickt und diese als Richter des Verwaltungsgerichtes Wien unterzeichnet, wodurch er es unterlassen habe, im Dienst und außer Dienst alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seiner Stellung entgegengebracht werden, untergraben könnte und daher gegen § 18 Abs. 2 zweiter Satz der (Wiener) Dienstordnung 1994 (in der Folge: DO 1994) verstoßen zu haben. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
3 Der Disziplinarausschuss führte begründend aus, dass Richtern des Verwaltungsgerichtes weder die Verwendung der dienstlichen E‑Mail‑Adresse für private E‑Mails noch die Beifügung der Berufsbezeichnung bzw. der dienstlichen Stellung verboten sei, da es keine generelle Norm gebe, die dies (ausdrücklich) untersage. Nur wenn im jeweiligen konkreten Sachverhaltszusammenhang und Kontext weitere Umstände bzw. Merkmale hinzutreten würden, die erkennen ließen, dass durch die Verwendung der dienstlichen E-Mail‑Adresse und Nennung der dienstlichen Stellung etwa gedroht oder sonst widerrechtlich Druck ausgeübt werden sollte, sei dies geeignet, die Achtung und das Vertrauen in die Stellung als Richter des Verwaltungsgerichtes zu untergraben.
4 Im Revisionsfall sei ‑ so der Disziplinarausschuss weiter ‑ bei allen E‑Mails außer Zweifel gestanden, dass es ausschließlich um die Modalitäten der Vertragskündigung der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten gegangen sei, irgendein Zusammenhang mit einem aktuellen oder drohenden Verfahren beim Verwaltungsgericht Wien sei nicht behauptet bzw. nicht einmal angedeutet worden. Die Kritik sei auf die Sache beschränkt geblieben, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht worden und überschreite offenkundig nicht den Rahmen einer zulässigen Meinungsäußerung. Wenn sich die Betreiberin des Fitnesscenters bedrängt gefühlt habe, so habe das „wohl eher“ an der Beharrlichkeit, mit der eine kundenfreundlichere Vertragsauflösung thematisiert worden sei, gelegen. Die Vorgangsweise des Mitbeteiligten könne man „durchaus mit Begriffen wie ‚unnötig‘ oder ‚gedankenlos‘ charakterisieren“, der Tatbestand einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 18 Abs. 2 DO 1994 sei jedoch nicht verwirklicht.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Der Mitbeteiligte machte von der im Vorverfahren eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine Verletzung des § 18 Abs. 2 DO 1994 vorliege, wenn ein Richter in einer privaten Rechtsangelegenheit als Richter auftrete, ohne dass ein sachlicher Zusammenhang zu seiner Tätigkeit gegeben ist. Die Revision erweist sich als zulässig; sie ist auch begründet.
10 Die im Revisionsfall anzuwendenden Bestimmungen lauten (auszugsweise) wie folgt:
§§ 2, 5, 11 Abs. 1 und Abs. 2, 12 Abs. 1 und Abs. 2, 14 Abs. 1 Wiener Verwaltungsgericht‑Dienstrechtsgesetz (VGW‑DRG), in seiner hier maßgeblichen Stammfassung LGBl. Nr. 84/2012:
„Öffentlich‑rechtliches Dienstverhältnis
§ 2. Mit Wirksamkeit der Ernennung zum Mitglied des Verwaltungsgerichts oder zur Landesrechtspflegerin oder zum Landesrechtspfleger ist jede Person, die nicht schon Beamtin oder Beamter des Dienststandes im Sinn des § 1 Abs. 3 der Dienstordnung 1994 ‑ DO 1994, LGBl. Nr. 56, ist, unabhängig von den sonst vorgesehenen Anstellungserfordernissen der Dienstordnung 1994 zu unterstellen (Aufnahme in ein öffentlich‑rechtliches Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien).
...
Dienstrechtliche Sonderbestimmungen
§ 5. (1) Auf die Mitglieder des Verwaltungsgerichts sind die §§ 2a, 3, 6 bis 17a, 19 und 22, § 23 Abs. 2, § 24, § 25 Abs. 4 bis 7, §§ 26 bis 27, § 31 Abs. 5, § 33, § 37 Abs. 1 Z 1, § 38 Abs. 1, §§ 40 bis 42, 57 und 64 der Dienstordnung 1994 nicht anzuwenden.
(2) Die Bestimmungen der Abschnitte 7 und 8 der Dienstordnung 1994 gelten nur insoweit, als auf sie in diesem Gesetz ausdrücklich Bezug genommen wird.
(3) Soweit die Mitglieder nicht in Ausübung ihres richterlichen Amtes (§ 7 Abs. 2 VGWG) tätig sind, gilt auch § 20 DO 1994.
...
Disziplinarbehörde
§ 11. (1) Disziplinarbehörde ist der Disziplinarausschuss (§ 19 VGWG).
(2) Der Disziplinarausschuss ist zuständig zur Entscheidung über eine Suspendierung ‑ und zwar über Antrag der Präsidentin oder des Präsidenten des Verwaltungsgerichts, der Disziplinaranwältin oder des Disziplinaranwalts oder von Amts wegen ‑ und zur Erlassung von Beschlüssen und Disziplinarerkenntnissen. § 10 Abs. 1 zweiter bis fünfter Satz VGWG ist sinngemäß anzuwenden.
(3) ...
Disziplinaranwältin oder Disziplinaranwalt
§ 12. (1) Zur Vertretung der dienstlichen Interessen sind von der Landesregierung eine Disziplinaranwältin oder ein Disziplinaranwalt sowie die erforderliche Anzahl von Stellvertreterinnen und Stellvertretern zu bestellen. Die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt (die Stellvertreterinnen und Stellvertreter) müssen rechtskundige Beamtinnen und Beamte der Gemeinde Wien sein und dürfen dem Verwaltungsgericht nicht angehören. Beamtinnen und Beamte dürfen nur dann zur Disziplinaranwältin oder zum Disziplinaranwalt (zur Stellvertreterin oder zum Stellvertreter) bestellt werden, wenn sie disziplinär unbescholten sind und gegen sie kein Disziplinarverfahren anhängig ist. Jede Beamtin und jeder Beamte hat der Bestellung Folge zu leisten.
(2) Die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt ist in Ausübung ihres oder seines Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Stellvertreterinnen und Stellvertreter sind bei ihrer Amtsausübung nur an die Weisungen der Disziplinaranwältin oder des Disziplinaranwalts gebunden.
(3) ...
(6) Die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt ist ab Einlangen der Verständigung gemäß § 13 Abs. 1 Partei im Disziplinarverfahren, kann gegen Disziplinarerkenntnisse und Beschlüsse des Disziplinarausschusses Revision an den Verwaltungsgerichtshof erheben und ist zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt.
...
Disziplinarverfahren
§ 14. (1) Bei der Ahndung von Dienstpflichtverletzungen der Mitglieder des Verwaltungsgerichts gelten ‑ soweit in den folgenden Absätzen nicht anderes bestimmt ist ‑ §§ 76 bis 78, § 79 Abs. 1 bis 4, § 80, § 83 Abs. 1, § 87, § 90 Z 1 und 3 bis 5, § 91 Abs. 1 Z 1, § 91 Abs. 2, §§ 92 und 93, § 94 Abs. 4, 5, 7 und 8, § 95 Abs. 1, 2, 3a und 4, § 96, § 97a Z 2, §§ 99a und 100 bis 108 DO 1994 sinngemäß. Bezugnahmen in den im ersten Satz genannten Vorschriften auf die Disziplinarkommission oder einen ihrer Senate gelten als Bezugnahmen auf den Disziplinarausschuss und Bezugnahmen auf Beamtinnen und Beamte als Bezugnahmen auf die Mitglieder des Verwaltungsgerichts.
(2) ...
...“
§ 18 Abs. 2 (Wiener) Dienstordnung (DO 1994), LGBl. Nr. 56/1994:
„Dienstpflichten
Allgemeine Dienstpflichten
§ 18. (1) ...
(2) Der Beamte hat gegenüber den Vorgesetzten, den Mitarbeitern, den Parteien und Kunden ein höfliches und hilfsbereites Verhalten an den Tag zu legen. Er hat im Dienst und außer Dienst alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seiner Stellung entgegengebracht werden, untergraben könnte.
(3) ...“
§§ 7 und 19 des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien (VGWG), LGBl. Nr. 83/2012:
„Unabhängigkeit
§ 7. (1) Die Mitglieder des Verwaltungsgerichtes Wien sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig.
(2) In Ausübung seines richterlichen Amtes befindet sich ein Mitglied des Verwaltungsgerichtes Wien bei der Besorgung aller ihm nach dem Gesetz und der Geschäftsverteilung zustehenden gerichtlichen Geschäfte mit Ausnahme der Justizverwaltungssachen, die nach dem Gesetz nicht durch die Vollversammlung, durch einen Ausschuss oder durch Senate zu erledigen sind. Sofern einem Mitglied des Verwaltungsgerichtes Wien Angelegenheiten der Justizverwaltung als Einzelrichterin bzw. Einzelrichter übertragen werden, ist dieses an die Weisungen der Landesregierung sowie der Präsidentin bzw. des Präsidenten gebunden.
...
Disziplinarausschuss
§ 19. (1) Disziplinarbehörde ist der Disziplinarausschuss.
(2) Der Disziplinarausschuss besteht aus drei Mitgliedern, die für die Dauer von fünf Jahren zu bestellen sind. Für jedes Mitglied ist in gleicher Weise ein Ersatzmitglied zu bestellen, das bei Verhinderung des Mitgliedes an dessen Stelle tritt. Die Mitglieder (Ersatzmitglieder) dürfen nicht gleichzeitig Mitglied (Ersatzmitglied) des Personalausschusses oder Mitglied (Ersatzmitglied) des Geschäftsverteilungsausschusses sein.
(3) Zwei Mitglieder (Ersatzmitglieder) werden von der Präsidentin bzw. dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtes Wien ernannt, eines auf Grund freier Entscheidung der Präsidentin bzw. des Präsidenten, eines auf Grund eines bindenden Vorschlages des Dienststellenausschusses des Verwaltungsgerichtes Wien. Ein Mitglied (Ersatzmitglied) wird von der Vollversammlung gewählt (§ 20).
(4) ...
(5) ...
(6) Den Vorsitz im Disziplinarausschuss hat das von der Präsidentin bzw. dem Präsidenten auf Grund ihres bzw. seines freien Entscheidungsrechtes bestellte Mitglied (Abs. 3 erster Satz). Ist ein Mitglied des Disziplinarausschusses an der Ausübung seines Amtes verhindert, tritt seine Vertretung, wenn das Mitglied an der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung verhindert ist, für die restliche Dauer des Verfahrens, sonst nur auf die Dauer der Verhinderung, an seine Stelle.
(7) ...“
11 Soweit die Revisionswerberin zunächst Unzuständigkeit einwendet, weil aus dem Erkenntnis nicht eindeutig hervorgehe, dass der Disziplinarausschuss des Verwaltungsgerichtes Wien als zuständige Behörde entschieden habe, ist ihr zu entgegnen, dass im Revisionsfall ein in Entsprechung des § 19 VGWG zusammengesetzter Senat als Disziplinarausschuss entschieden hat, was auch aus dem Kopf der angefochtenen Entscheidung eindeutig hervorgeht („Der Disziplinarausschuss des Verwaltungsgerichtes Wien hat durch den Vorsitzenden B und die weiteren Mitglieder C und D ... erkannt“). Es ist sohin klar erkennbar, dass der Disziplinarausschuss und nicht ein Senat im Sinne des § 21 Abs. 2 VGWG die Entscheidung getroffen hat, woran auch die Umstände, dass das Kopfpapier des Verwaltungsgerichtes Wien verwendet wurde und der Vorsitzende des Disziplinarausschusses für das Verwaltungsgericht Wien, versehen mit der Stampiglie des Verwaltungsgerichtes Wien, unterschrieben hat, nichts zu ändern vermögen. Allein aus diesen Umständen kann keine Unzuständigkeit abgeleitet werden, weil das zuständige Organ des Verwaltungsgerichtes Wien entschieden hat.
12 Bezüglich der inkriminierten Verfehlungen ergibt sich aus den Verwaltungsakten sowie den (unbestrittenen) Feststellungen des Disziplinarausschusses, dass der Mitbeteiligte am 20. Juli sowie am 29. Juli 2016 jeweils von seiner dienstlichen E‑Mail‑Adresse ein Schreiben seiner Lebensgefährtin an einen Fitnessclub (betreffend Kündigung eines Vertrages ohne die vom Fitnessclub begehrten weiteren Zahlungen) versendet hat. Im Text dieser beiden Nachrichten verwies der Mitbeteiligte auf das „in der Anlage“ befindliche Schreiben seiner Lebensgefährtin bzw. übermittelte dieses „im Auftrag“ seiner Lebensgefährtin. Den E-Mail‑Nachrichten war eine Signatur beigefügt, die unter anderem aus dem Namen, der Funktion und der Telefonnummer des Mitbeteiligten bzw. der Adresse des Verwaltungsgerichtes Wien bestand. Die E‑Mails enthielten an ihrem Ende einen Disclaimer, worin festgehalten wurde, dass sie vom Verwaltungsgericht Wien stammen und wonach ein Empfänger, wenn er sie irrtümlich erhalten haben sollte, dies durch eine Antwort mitteilen und die Nachricht löschen solle. In einer E‑Mail‑Antwort des Fitnessclubs vom 25. Juli 2016 an den Mitbeteiligten war u.a. ausgeführt worden, dass ‑ da den Fitnessclub die Mitteilung des Mitbeteiligten [gemeint: vom 20. Juli 2016] in Ausübung seines Amtes erreiche ‑ um Klarstellung bzw. Mitteilung ersucht werde, „in welcher Weise [der Mitbeteiligte] bzw. [dessen] Funktion in Verbindung mit der Beschwerde“ der Lebensgefährtin stehe. Mit E‑Mail‑Nachricht vom 11. August 2016 wandte sich der Mitbeteiligte nicht nur an den in Rede stehenden Fitnessclub, sondern auch an dessen Franchisezentrale sowie den Verein für Konsumenteninformation. Darin führte der Mitbeteiligte aus wie folgt (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Sg Damen, sg Herren! Sg Vorstandsvorsitzender A!
Bitte sehen Sie sich die Korrespondenz selbst durch. Wollen Sie so den Konsumenten, Ihren Kunden gegenüber auftreten? Ich glaube nicht. Zumindest erwecken Sie den Eindruck, gänzlich anders erscheinen und auch sein zu wollen. Ein derartiges Verhalten ist schon als beleidigend, nicht bloß rechtlich und sachlich inkorrekt zu bezeichnen. Ich ersuche um eine Lösung Ihr
[Signatur, wie oben beschrieben]“
13 In einer E‑Mail‑Nachricht an den Präsidenten des Verwaltungsgerichtes vom 22. August 2016 nahm der Mitbeteiligte über Aufforderung zu diesen Vorgängen Stellung und erklärte seine Rolle dabei wie folgt:
„Meine Rolle ist die: Ich selbst habe versucht, die verfahrene und unhaltbare Situation zu sanieren und zu entschärfen. Damit das Ansehen eines Richters als Friedenswahrers in seiner Person geradezu zu befördern, also einen Streit zu verhindern. So wie in der Dienstordnung (indirekt) gefordert. Leider ist der Versuch gründlich missglückt, was nicht an mir liegt.“
14 Der Disziplinarausschuss hat das Verhalten des Mitbeteiligten unter Hinweis darauf, dass es keine generelle Norm gebe, die die Verwendung der dienstlichen E‑Mail‑Adresse für private E‑Mails bzw. die Beifügung der Berufsbezeichnung bzw. der dienstlichen Stellung explizit untersage, nicht als Dienstpflichtverletzung bewertet und ausgeführt, es liege kein Zusammenhang mit einem aktuellen oder drohenden Verfahren beim Verwaltungsgericht vor und es sei „nicht erkennbar, dass widerrechtlich Druck ausgeübt oder auch nur indirekt gedroht worden wäre.“
15 Mit der Ernennung zum Mitglied des Verwaltungsgerichtes wurde der Mitbeteiligte unter die DO 1994 unterstellt (betreffend das Disziplinarverfahren gelangen jedoch nicht alle Bestimmungen der DO 1994 zur Anwendung). Dem Disziplinarausschuss ist zunächst zuzustimmen, dass es in der DO 1994 keine generelle Norm gibt, die die Verwendung der dienstlichen E‑Mail‑Adresse für private E‑Mails bzw. die Beifügung der Berufsbezeichnung bzw. der dienstlichen Stellung explizit untersagt.
16 Der (nach dem Vorgesagten auf den Mitbeteiligten anwendbare) § 18 DO 1994 legt jedoch allgemeine Dienstpflichten fest und sieht unter anderem vor, dass der Beamte im Dienst und außer Dienst alles zu vermeiden hat, was die Achtung und das Vertrauen, die seiner Stellung entgegengebracht werden, untergraben könnte (vgl. Abs. 2 zweiter Satz). Der in § 18 Abs. 2 DO 1994 geregelte ‑ das dienstliche wie auch das außerdienstliche Verhalten betreffende ‑ Maßstab weist (wie auch der insoweit vergleichbare § 43 Abs. 2 BDG 1979) auf die allgemeine Wertschätzung, die das Beamtentum in der Öffentlichkeit genießt bzw. nach dem Willen des Gesetzgebers genießen soll, hin. Das zu schützende Rechtsgut liegt dabei in der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und des dafür erforderlichen Ansehens der Beamtenschaft (vgl. VwGH 15.9.2004, 2002/09/0152).
17 Mit dem in § 18 Abs. 2 zweiter Satz DO 1994 enthaltenen Gebot, „alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen“, die der „Stellung [des Beamten] entgegengebracht werden“, untergraben könnte“, wird dem Beamten ‑ wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, 2005/09/0044, zur gleichartigen Bestimmung des § 43 Abs. 2 BDG 1979 dargelegt hat ‑ ganz allgemein ein dienstliches oder außerdienstliches Verhalten untersagt, das bei der Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben das Einfließenlassen anderer als dienstlicher Interessen vermuten lässt. Diese Rückschlüsse können nur aus einem Verhalten gezogen werden, das mit seinem Aufgabenbereich in Zusammenhang steht (so genannter Dienstbezug). Dieser Dienstbezug kann ein allgemeiner sein, der sich aus jenen Aufgaben ergibt, die jeder Beamte zu erfüllen hat, er kann sich aber auch aus den besonderen Aufgaben des betroffenen Beamten ergeben (besonderer Dienstbezug; vgl. VwGH 10.12.1996, 93/09/0070, und 21.12.1999, 93/09/0122). Eine Rückwirkung des Verhaltens des Beamten auf den Dienst (Dienstbezug) ist dann gegeben, wenn das Verhalten des Beamten bei objektiver Betrachtung geeignet ist, Bedenken auszulösen, er werde seine dienstlichen Aufgaben ‑ das sind jene konkreten ihm zur Besorgung übertragenen Aufgaben (besonderer Funktionsbezug), aber auch jene Aufgaben, die jedem Beamten zukommen ‑ nicht in sachlicher (rechtmäßig und korrekt sowie unparteiisch und in uneigennütziger) Weise erfüllen. Dabei ist von einer typischen Durchschnittsbetrachtung auszugehen.
18 Dies gilt in gleicher Weise für die Richter des Verwaltungsgerichtes Wien. Diese sind gemäß Art. 87 iVm Art. 134 Abs. 5 B‑VG, sowie § 7 VGWG in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden und haben für die unabhängige und unparteiliche Verwaltungsgerichtsbarkeit zu sorgen. Aus ihren besonderen Aufgaben als Richter ist der besondere Funktionsbezug abzuleiten, dass sie in ihrem Verhalten die Achtung und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu wahren und zu beachten haben, dass bei der Beurteilung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters auch dessen Verhalten als Privatperson (vgl. etwa EGMR 10. 4. 2003 Pétur Thór Sigurðsson/Island, 39731/98, Z 37) und das äußere Erscheinungsbild von Bedeutung sein kann (vgl. etwa EGMR, Plenum, 22.10.1984, Sramek/Österreich, 8790/79, Z 42, zu Art. 6 Abs. 1 EMRK).
19 In seinem Erkenntnis vom 1. Juli 1998, 95/09/0166, hat der Verwaltungsgerichtshof die Verwendung von erkennbar amtlichem Briefpapier für die Androhung rechtlicher Schritte in einer Privatangelegenheit durch einen Oberstleutnant der Gendarmerie als eine Verletzung der allgemeinen Dienstpflicht des § 43 Abs. 2 BDG 1979 gewertet und ausgeführt, dass diese geeignet ist, „das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche (= ordnungsgemäße und uneigennützige) Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zu beeinträchtigen“. Das Unrecht einer diesbezüglichen Vorgangsweise sei an sich unmittelbar einsichtig und selbstverständlich.
20 Für den Bereich der Gerichtsbarkeit des Bundes normiert § 57 Abs. 3 RStDG, dass sich Richter (und Staatsanwälte) im und außer Dienst so zu verhalten haben, dass das Vertrauen der Rechtspflege sowie das Ansehen ihrer Berufsstände nicht gefährdet wird. Für die Erfüllung des Tatbestandes einer Pflichtverletzung ist (hier) nicht erforderlich, dass ein Verlust an Vertrauen in die richterlichen Amtshandlungen oder an Achtung vor dem Richterstand tatsächlich eingetreten ist. Es genügt vielmehr die Gefahr des Eintritts eines solchen Verlustes (vgl. OGH 26.6.1978, Ds 4/78).
21 Eine explizite Regelung das Versenden von privaten E‑Mails von der dienstlichen E‑Mail‑Adresse betreffend gibt es im Übrigen für Bedienstete des Bundes: Diese dürfen in privaten E-Mails, die sie unter Verwendung ihrer dienstlichen E‑Mail‑Adresse versenden, keinen Hinweis auf ihre dienstliche Stellung oder ihre dienstliche Postadresse aufnehmen. Insbesondere das Hinzufügen der dienstlichen E‑Mail‑Signatur ist unzulässig (vgl. § 5 Abs. 2 IKT‑Nutzungsverordnung).
22 Wenn vom Dienstgeber ein Computer mit eingerichteter (dienstlicher) E‑Mail‑Adresse zur Verfügung gestellt wird, so wird damit ‑ sofern keine weiteren einschränkenden Regelungen getroffen werden ‑ implizit auch die Verwendung dieser technischen Möglichkeiten für private Zwecke erlaubt. Im Rahmen der allgemeinen Dienstpflichten ist aber die Grenze der Nutzung einerseits dort zu ziehen, wo durch den Umfang dieser Nutzung die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben leiden könnte; zum anderen dort, wo durch die Nutzung das Vertrauen der Allgemeinheit in die ordnungsmäße Erfüllung der Aufgaben gefährdet bzw. beeinträchtigt wird.
23 Wird eine E‑Mail‑Adresse für private Zwecke verwendet, bestehen aus disziplinarrechtlicher Sicht grundsätzlich keine Bedenken, wenn der Absender (sei es als übermittelnder Bote oder in eigener Sache) darin keinen Hinweis auf seine Dienststelle und seine Position innerhalb dieser setzt (also beispielsweise lediglich seinen Namen bzw. seine private Adresse nennt) oder ein solcher Hinweis nicht erkennbar ist. Differenzierter ist dies zu sehen, wenn ‑ wie im Revisionsfall ‑ in der Signatur die dienstrechtliche Stellung und die Adresse des Dienstgebers genannt werden. Hier wird es darauf ankommen, ob bei objektiver Betrachtung der Eindruck entstehen kann, dass der Absender durch die Nennung seiner dienstrechtlichen Stellung dem Inhalt des Textes Nachdruck verleihen bzw. eine besondere Behandlung zur Erzielung eines Vorteils erreichen will, wodurch die Achtung und das Vertrauen, die seiner Stellung entgegengebracht werden, untergraben sowie das Ansehen seines Berufsstandes gefährdet werden könnte.
24 Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht des Disziplinarausschusses, dass in einer derartigen Konstellation erst ein Drohen oder das widerrechtliche Ausüben von Druck eine Dienstpflichtverletzung darzustellen vermöge, nicht überzeugend. Vielmehr ist die dem Mitbeteiligten im Revisionsfall konkret vorgeworfene Art und Weise der Kommunikation in einer privaten Angelegenheit über seine dienstliche E‑Mail‑Adresse mit Verwendung einer Signatur, die auf die Funktion des Absenders als Richter und seine Dienststelle hinweist, grundsätzlich geeignet, das einem Richter entgegengebrachte Vertrauen zu beeinträchtigen und eine Dienstpflichtverletzung iSd § 18 Abs. 2 DO 1994 zu begründen. Eine „irrtümliche“ Verwendung einer (automatisch vordefinierten) Signatur wurde weder festgestellt noch vom Mitbeteiligten behauptet. In Zusammenschau aller versendeten Nachrichten ist bei objektiver Betrachtung anzunehmen, dass der Mitbeteiligte mit der Beifügung der Signatur entsprechenden Nachdruck erzielen wollte. Die genannte Rechtfertigung des Mitbeteiligten gegenüber dem Präsidenten spricht zumindest nicht gegen diesen Eindruck.
25 Näher hat sich der Disziplinarausschuss mit dem vorgeworfenen Verhalten nicht auseinandergesetzt, sondern darüber hinaus lediglich eingeräumt, dass man die „Vorgangsweise“ des Mitbeteiligten als „unnötig“ und „gedankenlos“ charakterisieren könne. In weiterer Folge hat der Disziplinarausschuss das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 18 Abs. 2 DO 1994 verneint. Einer solchen Charakterisierung des in Rede stehenden Verhaltens steht jedoch schon der Wortlaut der vom Mitbeteiligten selbst verfassten E‑Mail‑Nachricht vom 22. August 2016 entgegen, aus der hervorgeht, dass der Mitbeteiligte ganz bewusst seine Stellung als Richter hervorgekehrt hat, um die Situation zu „sanieren und zu entschärfen“. Von einer unbedachten Äußerung kann daher nicht ausgegangen werden (vgl. VwGH 19.10.2011, 2011/08/0090; 23.2.2010, 2009/05/0080, worin der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, dass auch im öffentlichen Recht bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen ist, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind und wonach § 6 ABGB zunächst auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang verweist). Der Mitbeteiligte hat, wie bereits ausgeführt, auch keine diesbezügliche Erklärung abgegeben bzw. insbesondere nicht behauptet, dass er die verfahrensgegenständlichen E‑Mail‑Nachrichten nur aus Versehen mit der beigefügten Signatur versendet hätte.
26 Diese eindeutig dem Wortlaut der E‑Mail‑Nachricht widersprechende Beurteilung des Verhaltens des Mitbeteiligten als „gedankenlos“ hat der Disziplinarausschuss ohne Einvernahme des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vorgenommen. Aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses und aus dem Akteninhalt ergeben sich ebenfalls keine Hinweise auf weitere Ermittlungen durch den Disziplinarausschuss, die das Verhalten des Mitbeteiligten unter einem solchen Blickwinkel erscheinen lassen könnten. Auch wenn der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz grundsätzlich nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen ist, ist diese dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind (vgl. VwGH 2.8.2016, Ra 2016/20/0054; 4.7.2016, Ra 2016/04/0056).
27 Nach dem Vorgesagten kann die Wertung des Disziplinarausschusses nicht als schlüssig eingestuft werden. Auch wenn von einem Richter des Verwaltungsgerichts Wien in disziplinarrechtlicher Hinsicht nicht in allen Bereichen ein völlig perfektes und fehlerfreies Verhalten verlangt werden kann (vgl. zu § 43 Abs. 1 BDG 1979 VwGH 19.9.2001, 99/09/0202), ist im vorliegenden Fall nicht zu ersehen, weshalb das gesamte Verhalten des Mitbeteiligten unterhalb der Schwelle der disziplinären Erheblichkeit einzustufen gewesen wäre.
28 Soweit der Disziplinarausschuss außerdem ohne nähere Begründung darauf hinweist, dass die Verhaltensweise des Mitbeteiligten „jedenfalls“ von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sei, ändert dies nichts daran, dass die Begründung, mit der der Disziplinarausschuss den Mitbeteiligten freigesprochen hat, nicht schlüssig ist.
29 Aus den dargelegten Gründen hat der Disziplinarausschuss das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 22. Februar 2018
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