Normen
AuslBG §18
AuslBG §18 Abs12
AuslBG §18 Abs12 idF 2007/I/078
AVG §37
AVG §45 Abs3
EURallg
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 idF 2017/I/024
VwGVG 2014 §10
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24
VwRallg
31996L0071 Entsende-RL Art2
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art12
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art72
61967CJ0019 Van der Vecht VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017090023.L00
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden in ihren Spruchpunkten A wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die zweitrevisionswerbende Partei, ein Unternehmen mit Sitz in Italien, meldete am 7. Juli 2016 der Zentralen Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle illegaler Beschäftigung (in der Folge: ZKO) die Entsendung des Erstrevisionswerbers, eines bei der S‑d.o.o. (einer Tochtergesellschaft der zweitrevisionswerbenden Partei mit Sitz in Kroatien) beschäftigten kroatischen Staatsangehörigen, vom 14. Juli bis 13. Oktober 2016 als Maschinenbauingenieur an die V‑GmbH (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof) mit Sitz in Österreich, welche sie mit der Errichtung einer Stranggießanlage beauftragt hatte. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht (in der Folge: AMS) stellte daraufhin am 18. Juli 2016 gemäß § 18 Abs. 12 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) eine EU‑Entsendebestätigung für diesen Zeitraum aus.
2 Am 23. September 2016 erfolgte eine Meldung an die ZKO hinsichtlich einer weiteren Entsendung des Erstrevisionswerbers für den Zeitraum vom 14. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017. Mit Schreiben vom 27. September 2016 reichte die zweitrevisionswerbende Partei dem AMS dazu Unterlagen nach; darunter einen zwischen der S‑d.o.o. und dem bei dieser beschäftigten Erstrevisionswerber im September 2016 abgeschlossenen Entsendungsvertrag über seine Entsendung vom 14. Oktober 2016 bis 1. Juli 2017 als Maschinenbauingenieur an die zweitrevisionswerbende Partei zum Zweck des Projekteinsatzes bei der V‑GmbH sowie eine (kroatische) A1‑Bescheinigung vom 15. September 2016 mit Gültigkeitszeitraum vom 11. Juli 2016 bis 30. Juni 2017.
3 Mit Bescheid vom 14. November 2016 wurde vom AMS der Antrag vom 23. September 2016 auf Ausstellung einer EU‑Entsendebestätigung für den Erstrevisionswerber betreffend den Zeitraum vom 14. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017 gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG abgelehnt und die Entsendung untersagt. Begründend führte das AMS aus, die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: Verwaltungskommission) habe mit dem Beschluss Nr. A2 vom 12. Juni 2009 zur Auslegung des Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 festgelegt, dass für den Fall des Ablaufs der Entsendung eines Arbeitnehmers die weitere Entsendung desselben Arbeitnehmers für dasselbe Unternehmen und denselben Mitgliedstaat erst nach Ablauf von mindestens zwei Monaten nach Ende des vorangehenden Entsendezeitraums zugelassen werden könne. Für die erstrevisionswerbende Partei sei bereits für den Zeitraum vom 14. Juli bis 13. Oktober 2016 eine EU‑Entsendebestätigung ausgestellt worden. Eine neuerliche Entsendung sei nach dem ‑ nach Ansicht des AMS für Österreich verbindlichen ‑ zuvor genannten Beschluss erst nach einer zweimonatigen Wartezeit möglich und deshalb für den beantragten Zeitraum zu untersagen gewesen.
4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien wies das Verwaltungsgericht (ohne Durchführung einer beantragten Verhandlung) mit den angefochtenen Erkenntnissen hinsichtlich des Beschwerdepunktes „EU‑Entsendebestätigung“ jeweils als unbegründet ab (Spruchpunkte A). Hinsichtlich des Beschwerdepunktes „Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG“ gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt (Spruchpunkte B). Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG wurde für nicht zulässig erklärt.
5 In den im Wesentlichen inhaltsgleichen Begründungen führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit in den Revisionsfällen von Bedeutung ‑ zunächst aus, dass zur Beschwerdevorlage am 22. Dezember 2016 seitens des AMS ergänzt worden sei, der Erstrevisionswerber sei „mittlerweile bei der kroatischen [S]‑d.o.o. abgemeldet und direkt bei der italienischen [S]‑p.A. [Anm.: der zweitrevisionswerbenden Partei] eingestellt. Da somit keine Entsendung von demselben Unternehmen mehr vorliegt, wurde aufgrund einer neuerlichen Entsendungsmeldung vom 15.11.2016 eine EU‑Anzeigebestätigung für den Zeitraum vom 23.11.2016 bis 31.08.2017 erteilt, ebenfalls für das Projekt [...]“. Das Verwaltungsgericht setzte fort, dass zu der am 15. November 2016 erfolgten Meldung der Entsendung desselben Arbeitnehmers am 16. Dezember 2016 eine EU-Entsendebestätigung für den genannten Zeitraum, beginnend mit 23. November 2016 ausgestellt worden sei; die Beschwerde richte sich sohin gegen die Versagung der Entsendung des Arbeitnehmers im Zeitraum 14. Oktober bis 22. November 2016.
6 Im Weiteren vertrat das Verwaltungsgericht die Ansicht, dass dem Beschluss der Verwaltungskommission vom 12. Juni 2009 zwar tatsächlich keine unmittelbare Bindungswirkung zukomme (vgl. dazu auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 5. Dezember 1967, Rs 19/67, Van der Vecht, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Juli 2014, Ro 2014/08/0003), jedoch die Kriterien eines Gutachtens als im Verfahren heranzuziehendes Beweismittel erfülle. Sei daher iSd Z. 3 lit c dieses Beschlusses die Entsendung eines Arbeitnehmers abgelaufen, könne eine weitere Entsendung für denselben Arbeitnehmer, dieselben Unternehmen und denselben Mitgliedstaat erst nach Ablauf von mindestens zwei Monaten nach Ende des vorangehenden Entsendezeitraumes zugelassen werden, es sei denn, es lägen besondere Gegebenheiten vor, von diesem Grundsatz abzuweichen. Mangels Einhaltung der Zweimonatsfrist und mangels Vorbringens und Vorliegens solcher besonderer Gegebenheiten habe die belangte Behörde zu Recht die EU‑Entsendebestätigung für den Zeitraum 14. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017 abgelehnt und die Entsendung untersagt.
7 Die inhaltlich gleichlautenden Revisionen richten sich gegen die Spruchpunkte A der angefochtenen Erkenntnisse. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht machte von der im Vorverfahren eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch und beantragte die Abweisung der Revisionen.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Revisionen erwogen:
9 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die revisionswerbenden Parteien stützen sich in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revisionen darauf, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Fragen fehle, ob es in einem Verfahren nach § 18 Abs. 12 AuslBG zulässig sei, im Falle einer vorzeitigen Verlängerung der Entsendung für einen Arbeitnehmer eine zweimonatige Unterbrechung als Voraussetzung für die Erteilung einer weiteren EU‑Entsendebestätigung vorzusehen, sowie, ob der Beschluss Nr. A2 der Verwaltungskommission zur Auslegung des Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Verfahren nach § 18 Abs. 12 AuslBG überhaupt Entscheidungsgrundlage sein könne. Zudem habe das Verwaltungsgericht das Recht auf Parteiengehör verletzt und sei diesbezüglich von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
12 Die Revisionen erweisen sich mit diesem Vorbringen als zulässig; sie sind auch berechtigt:
13 Unionsrechtlich regelt die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende‑RL).
14 Art. 1 bis 3 der Entsende-RL lauten (auszugsweise):
„Artikel 1
Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Abs. 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.
(...)
Artikel 2
Begriffsbestimmung
(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.
(...)
Artikel 3
Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen
(1) ...
(6) Die Dauer der Entsendung berechnet sich unter Zugrundelegung eines Bezugszeitraums von einem Jahr ab Beginn der Entsendung.
Bei der Berechnung der Entsendungsdauer wird die Dauer einer gegebenenfalls im Rahmen einer Entsendung von einem zu ersetzenden Arbeitnehmer bereits zurückgelegten Entsendungsdauer berücksichtigt.
(...)“
15 Die ‑ mittlerweile von der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 abgelöste ‑ Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu‑ und abwandern, sah in Art. 14 Abs. 1 lit. a vor, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendezeit abgelaufen ist. Wenn eine solche Arbeit, deren Ausführung aus nicht vorhersehbaren Gründen die ursprünglich vorgesehene Dauer überschreitet, über zwölf Monate hinaus geht, ist nach Abs. 1 lit. b dieser Bestimmung (unter weiteren Voraussetzungen) auch eine Verlängerung dieser Rechtswirkungen um maximal weitere zwölf Monate möglich.
16 In der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist in Art. 12 Abs. 1 normiert, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere Person ablöst.
17 Gemäß Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit beziehen sich bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung (VO 883/2004 ) die Worte „der gewöhnlich dort tätig ist“ auf einen Arbeitgeber, der gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausübt, unter Berücksichtigung aller Kriterien, die die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens kennzeichnen; die maßgebenden Kriterien müssen auf die Besonderheiten eines jeden Arbeitgebers und die Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten abgestimmt sein.
18 Die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit hat am 12. Juni 2009 den Beschluss Nr. A2 zur Auslegung des Artikels 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der auf entsandte Arbeitnehmer sowie auf Selbständige, die vorübergehend eine Tätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat ausüben, anzuwendenden Rechtsvorschriften gefasst (2010/C 106/02). In dessen Spruchpunkt 3 heißt es:
„3. a) Im Rahmen der in Nummer 1 dieses Beschlusses vorgesehenen Bestimmungen gilt Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 weiterhin für die Entsendung von Arbeitnehmern, wenn der von einem Unternehmen des Entsendestaats zu einem Unternehmen des Beschäftigungsstaats entsandte Arbeitnehmer ebenfalls zu einem oder mehreren anderen Unternehmen dieses Beschäftigungsstaats entsandt wird, sofern dieser Arbeitnehmer seine Tätigkeit weiterhin für Rechnung des Unternehmens ausübt, das ihn entsandt hat. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer von dem Unternehmen in einen anderen Mitgliedstaat entsandt worden ist, um dort eine Arbeit nacheinander oder gleichzeitig in zwei oder mehr in demselben Mitgliedstaat gelegenen Unternehmen zu verrichten. Maßgeblich ist dabei, ob die Arbeit weiterhin für Rechnung des entsendenden Unternehmens verrichtet wird. Unmittelbar aufeinanderfolgende Entsendungen in verschiedene Mitgliedstaaten führen in jedem Fall zu einer neuen Entsendung im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.
b) Eine zeitweise Unterbrechung der Tätigkeiten des Arbeitnehmers bei dem Unternehmen des Beschäftigungsstaats gilt unabhängig von der Begründung (Urlaub, Krankheit, Fortbildung im entsendenden Unternehmen usw.) nicht als Unterbrechung der Entsendezeit im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.
c) Ist die Entsendung eines Arbeitnehmers abgelaufen, kann eine weitere Entsendung für denselben Arbeitnehmer, dieselben Unternehmen und denselben Mitgliedstaat erst nach Ablauf von mindestens zwei Monaten nach Ende des vorangehenden Entsendezeitraums zugelassen werden. Unter besonderen Gegebenheiten kann allerdings von diesem Grundsatz abgewichen werden.“
19 § 18 AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975 idF BGBl. I Nr. 72/2013, lautet (auszugsweise):
„§ 18. (1) Ausländer, die von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt werden, bedürfen, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt ist, einer Beschäftigungsbewilligung. Dauern diese Arbeiten nicht länger als sechs Monate, bedürfen Ausländer einer Entsendebewilligung, welche längstens für die Dauer von vier Monaten erteilt werden darf.
...
(12) Für Ausländer, die von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich entsandt werden, ist keine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erforderlich, wenn
1. sie ordnungsgemäß zu einer Beschäftigung im Staat des Betriebssitzes über die Dauer der Entsendung nach Österreich hinaus zugelassen und beim entsendenden Unternehmen rechtmäßig beschäftigt sind und
2. die österreichischen Lohn‑ und Arbeitsbedingungen gemäß § 7b Abs. 1 Z 1 bis 3 und Abs. 2 des Arbeitsvertragsrechts Anpassungsgesetzes (AVRAG), BGBl. Nr. 459/1993, sowie die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden.
Die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Arbeitsvertragsrechts‑Anpassungsgesetz des Bundesministeriums für Finanzen hat die Meldung über die Beschäftigung betriebsentsandter Ausländer gemäß § 7b Abs. 3 und 4 AVRAG unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu übermitteln. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat binnen zwei Wochen ab Einlangen der Meldung dem Unternehmen und dem Auftraggeber, der die Arbeitsleistungen in Anspruch nimmt, das Vorliegen der Voraussetzungen zu bestätigen (EU‑Entsendebestätigung) oder bei Nichtvorliegen die Entsendung zu untersagen. Unbeschadet der Meldepflicht gemäß § 7b Abs. 3 und 4 AVRAG darf die Beschäftigung bei Vorliegen der Voraussetzungen auch ohne EU‑Entsendebestätigung begonnen werden.“
20 Der Wortlaut und die sich aus der Regierungsvorlage ergebenden Motive der Gesetzwerdung des § 18 Abs. 12 AuslBG idgF BGBl I Nr. 78/2007 zeigen, dass mit diesem die Regelungen für die Entsendung ausländischer Arbeitskräfte durch Unternehmen aus EWR-Mitgliedstaaten nunmehr vollständig an diese unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden sollten (RV 215 Blg. Nr XXIII. GP, S 5).
21 Sowohl das AuslBG (mit der Wortfolge in § 18 leg. cit.: „Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung eines Ausländers) als auch die Richtlinie 96/71/EG (vgl. Art. 2: Erbringung der Arbeitsleistung „während eines begrenzten Zeitraumes“) gehen von einer nicht dauernden Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat aus, sie sehen aber keine explizite zeitliche Obergrenze für die Dauer einer Entsendung vor. Aus Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ergibt sich, dass der Arbeitnehmer bis zu einer Entsendedauer von vierundzwanzig Monaten den Rechtsvorschriften des Entsendestaats unterliegt (vgl. dazu auch den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG , COM(2016) 128 final, worin eine Obergrenze von vierundzwanzig Monaten in dem Sinne vorgesehen ist, als bei Überschreitung von vierundzwanzig Monaten der Aufnahmestaat als der Staat angesehen werden soll, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird). Es gibt in diesen Rechtsvorschriften keine Regelung, dass bei Verlängerung einer Entsendung bzw. bei einer neuerlichen Entsendung eine Wartezeit einzuhalten wäre.
22 Zum zitierten Beschluss Nr. A2 zur Auslegung des Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ‑ wie schon das Verwaltungsgericht aufzeigt ‑ der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass diesem für die Gerichte keine bindende Wirkung zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Juli 2014, Ro 2014/08/0003 sowie das Urteil des EuGH vom 5. Dezember 1967, Van der Vecht, Rs 19‑67). Die anderslautende Rechtsansicht des AMS ist somit verfehlt. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Verwaltungskommission nach Art. 72 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 „alle Verwaltungs‑ und Auslegungsfragen, die sich aus dieser Verordnung [...] ergeben, behandelt“; sie hat damit aber keine Rechtsetzungskompetenz.
23 Wenn das Verwaltungsgericht im Weiteren aber diesem Beschluss die Bedeutung eines „Gutachtens als im Verfahren heranzuziehendes Beweismittel“ beimisst und damit die Versagung der EU‑Entsendebestätigung begründet, übersieht es, dass nach wie vor keine unionsrechtliche oder nationale normative Grundlage für eine Wartefrist von mindestens zwei Monaten für eine neuerliche Entsendung nach Österreich besteht; dies kann auch nicht durch diesen Beschluss ersetzt werden. Eine allfällige Verwaltungspraxis dazu muss aber auch dem Legalitätsprinzip entsprechen. Darüber hinaus wird mit der „Umwürdigung“ des genannten Beschlusses Nr. A2 ohne Einräumung von Parteiengehör bzw. Durchführung der beantragten Verhandlung gegen das auch im Verwaltungsverfahren geltende Überraschungsverbot verstoßen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 30. März 2016, Ra 2015/09/0075). Die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dient nicht nur der Klärung des Sachverhaltes sondern auch der Erörterung von Rechtsfragen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. April 2015, Ra 2015/09/0009, und vom 16. Februar 2017, Ra 2016/05/0038). Daran hat sich auch durch die Änderung des VwGVG durch die Novelle BGBl. I Nr. 24/2017 nichts geändert (vgl. auch Leitl‑Staudinger/Pabel, Die öffentliche mündliche Verhandlung: Kernelement des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, FS Holzinger, 2017, 515 ff).
24 Der Erstrevisionswerber war zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt der mit 14. Oktober 2016 beginnenden „zweiten“ Entsendung (noch) bei der kroatischen Tochtergesellschaft der zweitrevisionswerbenden Partei beschäftigt. Im Übrigen wurde mit Schreiben des Vertreters der revisionswerbenden Parteien vom 18. Oktober 2016 gegenüber dem AMS vorgebracht, dass die Entsendung für einen längeren Zeitraum beabsichtigt gewesen und daher die A1‑Bestätigung bis 30. Juni 2017 ausgestellt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat sich auch damit nicht auseinandergesetzt.
25 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und auch von der Durchführung der beantragten Verhandlung Abstand genommen hat, hat es schon deshalb die angefochtenen Entscheidungen mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, sodass diese gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.
26 Im fortzusetzenden Verfahren wird sich das Verwaltungsgericht auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Entsendung eines Arbeitnehmers, der im relevanten Zeitraum bei einer Gesellschaft mit Sitz in Kroatien beschäftigt gewesen ist, durch das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung eingeschränkt werden kann, wenn diese Entsendung im Wege der Überlassung an eine in Italien ansässige Gesellschaft zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung durch die italienische Gesellschaft in Österreich erfolgt (vgl. die Tätigkeit der kroatischen Staatsangehörigen bei der „Errichtung eines Drahtwalzwerkes“ in den Fällen des hg. Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH vom 13. Dezember 2016, EU 2016/0009 bis 0014‑1 [Ra 2016/09/0082 bis 0087]).
27 Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
28 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. September 2017
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