VwGH Ra 2017/08/0015

VwGHRa 2017/08/001531.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des V B in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2016, W209 2122451-1/7E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien, Huttengasse), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §6;
MRK Art6;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017080015.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - in Bestätigung der Beschwerdevorentscheidung des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse (AMS) vom 29. Jänner 2016 - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus, dass der Revisionswerber seinen Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum vom 22. Oktober 2015 bis 27. November 2015 verloren habe. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2 Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, dem Revisionswerber sei durch das AMS ein Stellenangebot übermittelt worden. Der Revisionswerber habe in dem Unternehmen, das die Stelle angeboten habe, ohne vorherige Terminvereinbarung vorgesprochen und habe mitgeteilt, "einen Stempel" für das Arbeitsmarktservice zu benötigen, um keine Probleme zu bekommen. Eine darauf erteilte Aufforderung, einen Bewerbungsbogen auszufüllen, habe der Revisionswerber verweigert, worauf der Personalverantwortliche des Unternehmens das Gespräch mit dem Revisionswerber beendet habe.

3 Diese Feststellungen gründete das BVwG in seiner Beweiswürdigung auf die Ergebnisse der Erhebungen des AMS. Vom (in diesem Verfahrensstadium nicht vertretenen) Revisionswerber war dagegen im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen vorgebracht worden, er habe persönlich für die angebotene Stelle vorgesprochen.

Er habe sein Kommen nicht per E-Mail angekündigt, weil er über keinen Anschluss an das Internet verfügt habe. Er habe auch die Erfahrung gemacht, dass persönliche Vorsprachen wirkungsvoller seien. Bei seiner Vorsprache im Unternehmen habe man sich dort an ihm nicht interessiert gezeigt und ihm gesagt, dass er sich in zwei Wochen wieder melden solle. Darauf habe er wahrheitsgemäß mitgeteilt, dass das AMS ihn aufgefordert habe, binnen zehn Tagen eine Bestätigung seiner Bewerbung vorzulegen. Er habe daher um eine solche Bestätigung gebeten und gefragt, ob bereits jetzt ein weiterer Termin vereinbart werden könne. Es sei ihm darauf aber gesagt worden, dass das Unternehmen "keine Arbeiter" mehr brauche. Dieses Vorbringen erachtete das BVwG nicht als glaubhaft.

4 In rechtlicher Hinsicht folgerte das BVwG, aufgrund des Verhaltens des Revisionswerbers sei die Verhängung einer Sanktion nach § 10 Abs. 1 AlVG gerechtfertigt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei nicht erforderlich gewesen, weil der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

6 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit seiner Revision geltend, das BVwG sei, indem es keine Verhandlung durchgeführt habe, von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 24 VwGVG abgewichen.

7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von "civil rights" in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 15.11.2017, Ra 2017/08/0075, 0077; 19.12.2017, Ra 2017/09/0003; 17.11.2017, Ra 2017/08/0111). Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK. Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. etwa VwGH 12.1.2018, Ra 2017/08/0109; 24.7.2018, Ra 2015/08/0144; jeweils mwN).

9 Im vorliegenden Fall wurde durch den Revisionswerber - wie dargestellt - ein den Verfahrensergebnissen des AMS bzw. den darauf gegründeten entscheidungsrelevanten Feststellungen des BVwG widersprechendes Vorbringen erstattet. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, wäre daher in Entsprechung der dargestellten Vorgaben des § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.

10 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

11 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. Jänner 2019

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