VwGH Ra 2017/04/0061

VwGHRa 2017/04/006112.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführs Mag. Soyer, über die Revision der L GmbH & Co KG in P, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Fleischmarkt 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 22. März 2017, Zl. E B02/09/2016.008/012, betreffend gewerberechtliches Betriebsanlagenverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See; mitbeteiligte Parteien: 1. C W, 2. Dr. O W,

3. MMag. R S, alle in P und alle vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017040061.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid vom 21. September 2016 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See (belangte Behörde) dem Antragsteller R Z die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung eines Motels mit Parkplatz auf einem näher bezeichneten Grundstück in P.

2 Der Antragsteller teilte dem Verwaltungsgericht am 22. November 2016 mit, dass er das Grundstück, auf dem die Betriebsanlage geplant sei, an die Revisonswerberin verkauft habe und diese in das anhängige Verfahren eintrete.

3 2.1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. März 2017 gab das Landesverwaltungsgericht Burgenland (Verwaltungsgericht) der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien (Nachbarn) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, hob den Bescheid der belangten Behörde vom 21. September 2016 auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an diese zurück. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

4 2.2. In seiner Begründung setzte sich das Verwaltungsgericht mit den Beschwerdevorbringen der mitbeteiligten Parteien auseinander. Zu einer möglichen Beschattung der Nachbargrundstücke hielt es fest, dass ein Gutachten eines Bausachverständigen betreffend die Beschattungswirkung auf ein bestehendes Gebäude vorliege. Zu einer möglichen Belästigung der mitbeteiligten Parteien durch Beschattung während eines Aufenthalts im Freien habe die Behörde keine Erhebungen durchgeführt.

5 Zur Frage der Gesundheitsgefährdung bzw. Belästigung durch Lärm führte das Verwaltungsgericht aus, es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die mitbeteiligten Parteien durch den regelmäßigen Aufenthalt auf ihrem Grundstück als Folge des Betriebes der Anlage gefährdet oder unzumutbar belästigt werden könnten. Es gehöre grundsätzlich zu den Aufgaben des gewerbetechnischen Sachverständigen, sich nicht nur über das Ausmaß sondern auch über die Art der zu erwartenden Immissionen zu äußern und in diesem Zusammenhang darzulegen, ob und gegebenenfalls welche Eigenart einem Geräusch unabhängig von seiner Lautstärke anhafte. Gerade weil die Eigenart eines Geräusches in den Messergebnissen hinsichtlich der Lautstärke keine Berücksichtigung finde, bedürfe es einer Darstellung auch dieser Komponente des Lärms durch den gewerbetechnischen Sachverständigen. Auch habe dieser bei der Beurteilung des vorgelegten Lärmprojektes auf den Einwand, bei der Messung des Ist-Zustandes sei nicht die für die Nachbarn ungünstigste Situation herangezogen worden, einzugehen. Es müsse ausführlich begründet werden, warum die im Lärmprojekt wiedergegebene Situation die für den Nachbarn ungünstigste sei.

6 Die spezifische Art und Dauer des Lärms seien in die Betrachtung einzubeziehen und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke vom medizinischen Sachverständigen nachvollziehbar zu beurteilen. Der medizinische Sachverständige habe sich mit dem Vorbringen, dass es sich bei den Pegelspitzen im Bereich des Immissionspunktes 4 um Geräusche von Rollwagen handle, die nur in geringer Anzahl auftreten würden, im Detail auseinanderzusetzen. Eine bloße Gegenüberstellung des Dauerschallpegels mit den "betriebskausalen Störgeräuschimmissionen", ohne dass in schlüssig erkennbarer Weise auf das Verhältnis von Intensität, Klanghäufigkeit und Häufigkeit der Störgeräusche gegenüber dem Grundgeräuschpegel und der Intensität, Klangcharakteristik und Häufigkeit der sonstigen sich über den Grundgeräuschpegel erhebenden Umgebungslärmgeräusche eingegangen werde, lasse - jedenfalls ohne nähere Begründung - keine Rückschlüsse auf eine Belästigung der Nachbarn durch "betriebskausale Immissionen" zu.

7 Aufbauend auf das Gutachten des technischen Sachverständigen sei die zumutbare Immissionsgrenze von einem medizinischen Sachverständigen zu bestimmen. Dieser müsse ein solches Beurteilungsmaß nachvollziehbar darlegen. Das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen könne sich nicht in der Wiedergabe allgemeiner Ausführungen zu den Auswirkungen von Lärm auf die menschliche Gesundheit erschöpfen. Das vorliegende Gutachten nehme mit keinem Wort auf das konkrete Projekt Bezug. Das tatsächliche Gutachten beschränke sich auf wenige Zeilen. Es differenziere auch nicht zwischen dem baurechtlichen und dem gewerbebehördlichen Verfahren und setze sich, obwohl der "planungstechnische Grundsatz an mehreren Immissionspunkten überschritten" werde, nur mit einem einzigen Immissionswert auseinander. Das Gutachten komme zum Ergebnis, dass bei ständiger Wohnnutzung eine Gesundheitsgefährdung vorliege. Zu klären sei aber die Frage, ob es bei einem vorübergehenden Aufenthalt im Freien zu einer Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung kommen könne. Dies fehle im vorliegenden Gutachten. Im Übrigen sei die im Gutachten getroffene Feststellung, wonach der Grenzwert des vorbeugenden Gesundheitsschutzes am IP 4 überschritten werde, nicht schlüssig. Wie sich aus der Eingabe des Antragstellers nachvollziehbar ergebe, betrage der relevante energieäquivalente Dauerschallpegel LA,eq,T,13h 46,4 dB (A), der daraus gebildete Beurteilungspegel LrT,13h 51,4 dB (A). Der vom Sachverständigen angesetzte Grenzwert von 55 dB (A) werde somit gar nicht überschritten.

8 Die belangte Behörde habe hinsichtlich der Frage, ob es bei einem vorübergehenden Aufenthalt im Freien zu einer Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung durch Lärm kommen könne, jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Auch sei das gewerbetechnische Gutachten zu ergänzen. Das Ermittlungsergebnis erweise sich als ungeeignet, es lägen daher im Ergebnis gravierende Ermittlungslücken vor. Auch zur Frage der Beeinträchtigung durch Beschattung der Nachbargrundstücke sei jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen worden. Die Angelegenheit sei damit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde, die die Erhebungen vor Ort rascher durchführen könne, zurückzuverweisen.

9 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die das Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt hat.

10 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der außerordentlichen Revision beantragten.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 1. Die Zulässigkeit der Revision wird damit begründet, dass eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliege, weil das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht in der Sache selbst entschieden habe.

12 2. Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.

13 2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in zahlreichen Erkenntnissen, beginnend mit jenem vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, zur Befugnis der Verwaltungsgerichte zur Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG Stellung genommen.

14 Demnach stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa VwGH 16.10.2015, Ra 2015/08/0042, mwN), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

16 Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt (vgl. VwGH 27.1.2016, Ra 2015/08/0171). Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077; 9.9.2015, Ra 2014/04/0031) oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens (vgl. VwGH 30.5.2017, Ro 2015/07/0005) im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen.

17 2.2. Im vorliegenden Fall führte die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren betreffend die Immissionen des Gesamtvorhabens (Motel samt Parkplatz) durch. Sie holte dabei Gutachten von Amtssachverständigen ein, die sich mit den Einwendungen der mitbeteiligten Parteien auseinandersetzten.

18 Das Verwaltungsgericht hat in seiner Begründung zwar Mängel im verwaltungsbehördlichen Verfahren aufgezeigt und auf die Notwendigkeit ergänzender Sachverhaltsermittlungen, insbesondere hinsichtlich einer möglichen Gesundheitsgefährdung bzw. Belästigung durch Lärm, hingewiesen. So sei das gewerbetechnische Gutachten und das darauf aufbauende Gutachten des medizinischen Sachverständigen diesbezüglich mangelhaft. Ebenso fehlten Erhebungen zu einer potentiellen Belästigung der mitbeteiligten Parteien durch Beschattung während eines Aufenthalts im Freien.

19 Selbst wenn man davon ausgeht, dass dem von der belangten Behörde geführten Ermittlungsverfahren Mängel anhaften, scheinen diese nicht so krass bzw. besonders gravierend zu sein, dass sie im Sinn des hg. Erkenntnisses Ro 2014/03/0063 eine Aufhebung und Zurückverweisung rechtfertigten. Die belangte Behörde hat weder jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen noch zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt. Die vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten fraglichen Punkte hätten von ihm durch Ergänzung der vorhandenen Gutachten geklärt werden können. Das gilt auch für die Frage der Beschattung, zumal hier ebenso bereits ein bautechnisches Gutachten hinsichtlich der Beschattungswirkung der Betriebsanlage auf ein bestehendes Gebäude vorliegt.

20 3. Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Beschluss als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. April 2018

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