VwGH Ra 2017/01/0236

VwGHRa 2017/01/02365.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Fasching sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017, Zl. W121 2124664- 1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: S T T in W, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 26.8.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 4.3.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt und gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde, ab (Spruchpunkt A) I.), erkannte im Übrigen dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A) II.), erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 27.6.2018 (Spruchpunkt A) III.) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B)).

4 Das BVwG ging zur Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - davon aus, dass der Mitbeteiligte seit seinem sechsten Lebensjahr im Iran gelegt habe und seine Familie nach wie vor dort lebe. Er besitze in Afghanistan, wo noch seine Tante lebe, weder ein Haus noch ein Grundstück. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei regional von Provinz zu Provinz und auch innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedlich, insgesamt jedoch sehr prekär. Selbst in Kabul würden täglich mehrere Selbstmordattentate verübt. Die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zur Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stießen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet seien oder in einen solchen zurückkehrten, weil ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlten. Die Rückkehr des Mitbeteiligten nach Afghanistan erscheine derzeit unter diesen Umständen als unzumutbar und würde ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr aussetzen. Ihm sei daher gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen.

5 Das BFA erhob gegen dieses Erkenntnis die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung seitens des Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

6 Die Revision ist im Hinblick auf das im gesonderten Zulässigkeitsvorbringen dargelegte Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen einer realen Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK zulässig. Sie ist auch berechtigt.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt - etwa in seinem Erkenntnis vom 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, - mit dem Kriterium nach § 8 Abs. 1 AsylG einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses, mit dem die vorliegende Rechtssache in ihren entscheidungswesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Aspekten übereinstimmt, verwiesen.

8 In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. jüngst - seine bisherige Rechtsprechung fortsetzend - EGMR 11.7.2017, E.P. und A.R. gg. Niederlande, Nr. 43538/11 und 63104/11).

9 Das BVwG hat mit seinen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat aufgezeigt, dies in Bezug auf den Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sowie auf eine allgemein sehr prekäre Sicherheitslage. Die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn der obigen Rechtsgrundsätze wird damit aber nicht dargetan (vgl. neben VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, jüngst etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0157).

10 Im Ergebnis ist das BVwG somit von der hg. Rechtsprechung abgewichen und war die Entscheidung daher sowohl im Umfang des Spruchpunktes A) II. als auch im Umfang des Spruchpunktes A) III., weil dieser mit der Aufhebung des Spruchpunktes A) II. seine rechtliche Grundlage verliert, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 5. Dezember 2017

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