VwGH Ra 2017/19/0157

VwGHRa 2017/19/015718.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. März 2017, W222 2131335-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: I K in S, vertreten durch Dr. Mario Züger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und lebte bis zu seiner Ausreise in der Provinz Helmand. Er stellte am 10. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 11. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass gemäß § 46 FPG die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte eine Beschwerde, die er in der Folge hinsichtlich der Nicht-Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) wieder zurückzog.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge. Es erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21. März 2018 und hob den Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos auf.

Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe keine Berufsausbildung absolviert und habe in seinem Herkunftsstaat keine Verwandten, die ihn finanziell unterstützen könnten. Nach den (umfangreich zitierten) Länderberichten zur allgemeinen Lage in Afghanistan behalte die afghanische Regierung die Kontrolle über die größeren Städte, wie insbesondere Kabul, sowie die Transitrouten, und seien die Sicherheitskräfte auch in der Lage, die Bevölkerungszentren effektiv zu schützen. Die Taliban hätten aber "bewiesen", dass sie ländliche Gebiete einnehmen, "Schlüsselgebiete", wie etwa Helmland, bedrohen und Anschläge auch in Kabul durchführen könnten.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei vor dem Hintergrund der Länderberichte zu Afghanistan wahrscheinlich, dass der Mitbeteiligte im Fall einer Rückkehr in eine seine Existenz bedrohende Situation geraten werde. Er verfüge über kein ausreichendes familiäres sowie soziales Netzwerk, das ihm eine Reintegration in Afghanistan ermögliche, sodass er sich auch nicht "in einem anderen Teil Afghanistans" niederlassen könne. Es könne daher "nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden", dass der Mitbeteiligte im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhob gegen dieses Erkenntnis Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach vom Vorliegen einer realen Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK nur unter exzeptionellen Umständen ausgegangen werden könne und die bloße Möglichkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht ausreiche. Der Mitbeteiligte sei volljährig, gesund, arbeitsfähig und mit den kulturellen und örtlichen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut. Es lägen keine Umstände vor, die die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul unzumutbar machen könnten. Überdies sei das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargestellten Anforderungen an die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abgewichen.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit dem Kriterium nach § 8 Abs. 1 AsylG einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt. In Fortsetzung dieser Rechtsprechung wurde in jüngerer Zeit etwa in jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2017, Ra 2017/19/0095, zugrunde lag, - unter Hinweis auch auf die Judikatur des EGMR - das Vorliegen einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG verneint. Der Sachverhalt dieses Verfahrens stimmt in allen entscheidungswesentlichen Punkten mit dem vorliegenden Fall überein. Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen (vgl. etwa auch die im gleichen Sinn ergangenen hg. Erkenntnisse vom 25. April 2017, Ra 2016/01/0307, vom 8. August 2017, Ra 2017/19/0118, und vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063).

Aus den dort dargestellten Gründen ist die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes mit Rechtswidrigkeit belastet. Durch die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wird zwar (wie in den zitierten gleich gelagerten Fällen) eine schwierige Lebenssituation für den Mitbeteiligten bei einer Rückkehr nach Afghanistan - insbesondere auch hinsichtlich einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul - aufgezeigt. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, es sei unter Berücksichtigung der den Mitbeteiligten betreffenden individuellen Umstände davon auszugehen, es bestehe im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auch in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK, ist aber eine rechtliche Beurteilung, die in den Feststellungen keine Deckung findet (vgl. auch dazu nochmals das hg. Erkenntnis Ra 2017/19/0118, mwN).

10 Die Entscheidung war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 18. Oktober 2017

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