VwGH Ra 2016/22/0094

VwGHRa 2016/22/009427.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Baden gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 4. August 2016, LVwG-AV-461/001-2016, betreffend Rückstufung gem. § 28 NAG (mitbeteiligte Partei: M M p.A. JA H), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs5;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §61;
FrPolG 2005 §66;
NAG 2005 §28 Abs1 idF 2012/I/087;
NAG 2005 §28 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016220094.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Bezirkshauptmannschaft Baden (BH) stellte mit Bescheid vom 15. März 2016 fest, dass das aufgrund des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" bestehende unbefristete Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten, eines serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ende, und erteilte ihm einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" für die Dauer von 12 Monaten (Rückstufung).

2 Begründend führte die BH aus, aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung (Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 12. Februar 2015) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren (u.a. wegen §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Satz StGB, §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 erster Fall StGB) lägen die Voraussetzungen zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) vor. Eine gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) zu treffende Abwägung habe jedoch ergeben, dass das Privat- und Familienleben des Mitbeteiligten die öffentlichen Interessen überwiege, weshalb eine Rückkehrentscheidung nicht zulässig sei. Der Mitbeteiligte missachte jedoch immer wieder die in Österreich geltenden Rechtsvorschriften und stelle eine erhebliche Gefahr für die österreichische Gesellschaft dar, weshalb die Voraussetzungen für eine Rückstufung des unbefristeten Aufenthaltsrechts vorlägen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das LVwG aus, § 28 NAG komme nur dann zur Anwendung, wenn der Fremde - vor allem in Hinblick auf Art. 8 EMRK - nicht "ausgewiesen" werden könne. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssten für eine Rückstufung jedoch sämtliche Voraussetzungen für die Erlassung eines "Aufenthaltsverbotes" (mit Ausnahme der Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privat- und Familienlebens) vorliegen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 3. März 2011, 2008/22/0306). Es dürfe auch kein "Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestand" gemäß § 61 FPG aF, nunmehr gemäß § 9 Abs. 4 BFA-VG, vorliegen. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass der Mitbeteiligte in Österreich geboren und aufgewachsen und jedenfalls gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG aufenthaltsverfestigt sei. Ausgehend davon liege ein "Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestand" vor, sodass die von der BH ausgesprochene Rückstufung der geltenden Rechtslage widerspreche.

5 Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen gemäß § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht vor, weil der (weitere) Aufenthalt des Mitbeteiligten keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich darstelle. Der Mitbeteiligte sei in Österreich integriert und habe ein schützenswertes Familien- und Privatleben. Er sei Vater von zwei Kindern und halte - soweit es ihm im Hinblick auf seinen Haftaufenthalt möglich sei - zu diesen Kontakt. Er plane, die ehemals bestandene Lebensgemeinschaft mit der Mutter seiner Kinder nach seiner Haftentlassung wieder aufzunehmen. Zwar lägen die Straftaten noch nicht lange zurück und der Mitbeteiligte befinde sich nach wie vor in Haft, allerdings sei aufgrund der festgestellten Haftumstände, seiner Verantwortung und seiner künftigen, bereits geregelten Lebensplanung von keiner strafrechtlich relevanten Wiederholungsgefahr auszugehen.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

7 Revisionsbeantwortungen wurden keine erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Amtsrevision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, die vom LVwG zitierte hg. Rechtsprechung zu § 28 Abs. 1 NAG sei zu einer früheren Rechtslage (vor der Novelle BGBl. I Nr. 87/2012) ergangen und könne nicht auf die geltende Rechtslage übertragen werden. § 28 Abs. 1 NAG in der hier anzuwendenden Fassung verweise nunmehr auf den gesamten § 9 BFA-VG. Durch diese geänderte Verweiskette werde deutlich, dass der Gesetzgeber explizit auch in Konstellationen, in denen nach der Rechtslage vor dem 1. Jänner 2014 aufgrund eines "Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestandes" eine Rückstufung nicht möglich gewesen sei, nunmehr eine solche - bei Vorliegen der in § 28 Abs. 1 NAG genannten Voraussetzungen - erlassen werden könne. Dies bedeute, dass nach der geltenden Rechtslage im Zuge eines Rückstufungsverfahrens das Vorliegen eines "Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestandes" einer Rückstufung nicht mehr im Wege stehe.

Die vom LVwG vorgenommene Gefährdungsprognose widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis ua. auf das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2009, 2008/22/0932). Die vom Mitbeteiligten gesetzten Maßnahmen einer Resozialisierung (Aufrechterhaltung eines familiären Hintergrundes, Suche von Arbeit nach der Haftentlassung, Beginn einer Suchttherapie, Reue) könnten aufgrund der vorliegenden teils gravierenden, teils gewerbsmäßig begangenen Eigentumsdelikte und der nicht einmal zwei Jahre vergangenen Zeit seit der Begehung des letzten Delikts, der nicht abgeschlossenen Suchttherapie und der wiederholten Delinquenz nicht dazu führen, dass von keiner gegenwärtigen, hinreichend schweren Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen sei. Bei derart gravierenden Straftaten müsse sogar bei erfolgreicher Absolvierung einer Therapie zusätzlich ein Wohlverhalten über einen längeren Zeitraum vorliegen, damit von einem Wegfall oder einer maßgeblichen Minderung der Gefährdung ausgegangen werden könne (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2013, 2012/18/0192).

9 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 10 § 52 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz - FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:

"(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde."

Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ist die Annahme, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, unter anderem dann gerechtfertigt, wenn der Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt wurde.

§ 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, lautete in der Stammfassung:

"Rückstufung und Entziehung eines unbefristeten Niederlassungsrechts

§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels ‚Daueraufenthalt - EG' (§ 45) oder ‚Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (§ 48) die Voraussetzungen des § 54 FPG für die Erlassung einer Ausweisung oder die Voraussetzungen des § 60 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots vor, können diese Maßnahmen aber im Hinblick auf § 66 FPG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen eine befristete Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" (§ 8 Abs. 2 Z 3) auszustellen (Rückstufung)."

§§ 61 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/500, lauteten jeweils in der Stammfassung auszugsweise:

"Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes

§ 61. Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn

1. ...

4. der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier

langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1, 3 und 4 darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der

Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen."

§ 28 Abs. 1 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 68/2013 lautet:

"Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" (§ 45) die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, kann diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus' auszustellen (Rückstufung)."

§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. Nr. 70/2015, lautet auszugsweise:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die

Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im

Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden

in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres

unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des

Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) ...

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes

die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier

langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) ..."

11 Die Amtsrevision weist zu Recht darauf hin, dass die vom LVwG vorgenommene Gefährdungsprognose mit der hg. Rechtsprechung nicht in Einklang steht. Gemäß § 52 Abs. 5 FPG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig, wenn der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289). Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. den hg. Beschluss vom 22. Jänner 2015, Ra 2014/21/0009, mwN).

12 Der Mitbeteiligte wurde unbestritten mit Urteil vom 12. Februar 2015 wegen verschiedener Gewalt- und Eigentumsdelikte (Tatzeitraum Juli bis September 2014) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und befand sich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nach wie vor in Haft. Dem Bescheid der BH vom 15. März 2016 sind umfassende Feststellungen zu den der Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten zu entnehmen. Die BH führte dazu aus, der Mitbeteiligte habe stets in der Absicht gehandelt, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen seinen Lebensunterhalt, insbesondere seine Spielsucht und seinen Drogenkonsum zu finanzieren; er habe zumindest billigend in Kauf genommen, Gewalt gegen die Opfer anzuwenden, und habe sich damit abgefunden, den bewusst altersschwachen und hilflosen Opfern Verletzungen zuzufügen. Aus den Verfahrensakten geht hervor, dass die Kinder des Mitbeteiligten 2009 und 2012 - somit vor Begehung der Straftaten - geboren wurden. Weder seine "Verantwortung" noch seine Integration konnten ihn offenbar davon abhalten, straffällig zu werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem LVwG am 2. August 2016 gab der Mitbeteiligte an, "erst seit 2 Monaten" eine Therapie gegen seine Spielsucht zu machen. Angesichts dieser Umstände erweist sich die vom LVwG vorgenommene Gefährdungsprognose, wonach der Mitbeteiligte keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich mehr darstelle, als nicht nachvollziehbar. Fallbezogen ist daher davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung insoweit vorliegen.

13 § 28 Abs. 1 NAG idF BGBl. I Nr. 100/2005 (der dem vom LVwG zitierten hg. Erkenntnis 2008/22/0306 zugrunde lag) legte fest, dass eine Rückstufung bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung (§ 54 FPG) bzw. eines Aufenthaltsverbotes (§ 60 FPG) erlassen werden konnte, wenn die aufenthaltsbeendende Maßnahme im Hinblick auf § 66 FPG (dieser wurde mit der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011 durch einen Verweis auf § 61 FPG ersetzt), nicht verhängt werden durfte.

14 Zu dieser Rechtslage sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, der Verweis auf die "Voraussetzungen des § 60 FPG" bedeute, dass alle Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - mit Ausnahme der Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privat- und Familienlebens im Sinn des § 66 FPG - gegeben sein müssten; ein Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestand dürfe nicht vorliegen. Lediglich die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privat- und Familienlebens iSd § 66 FPG hindere nicht die Rückstufung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, 2007/21/0533).

15 Mit der Novelle BGBl. I Nr. 87/2012 wurde § 28 Abs. 1 NAG insofern geändert, als der bisherige Verweis auf § 61 FPG (betreffend ausschließlich das Privat- und Familienleben) durch § 9 BFA-VG ersetzt wurde. Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage enthält § 9 BFA-VG aber nicht nur das Privat- und Familienleben (Absätze 1 bis 3), sondern auch die Verbotstatbestände (Absätze 4 bis 6). Aus dem Verweis in § 28 Abs. 1 NAG auf den gesamten § 9 BFA-VG ergibt sich, dass nunmehr eine Rückstufung zulässig ist, wenn die aufenthaltsbeendende Maßnahme entweder im Hinblick auf den Schutz des Privat- und Familienlebens oder hinsichtlich der Verbotstatbestände nicht verhängt werden darf. Nach der neuen Rechtslage kommt den Verbotsgründen dieselbe Bedeutung zu wie dem Privat- und Familienleben; beides hindert eine Rückstufung nicht. Liegen somit die Voraussetzungen zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, darf diese aber gemäß § 9 BFA-VG - gleichgültig aus welchem Grund - nicht erlassen werden, ist eine Rückstufung zulässig.

16 Wie die Amtsrevision zutreffend ausführte, unterscheidet sich die Rechtslage des § 28 Abs. 1 NAG idF BGBl. I Nr. 100/2005 von der im vorliegenden Fall anzuwendenden Rechtslage idF BGBl. I Nr. 68 /2013, sodass das vom LVwG zitierte Vorerkenntnis 2008/22/0306 auf die nunmehr anzuwendende Rechtslage nicht übertragen werden und fallbezogen eine Rückstufung erfolgen kann.

17 Da das LVwG dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 27. April 2017

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