VwGH Ra 2016/21/0206

VwGHRa 2016/21/020615.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Mai 2016, Zl. W191 1306806-2/3E, betreffend insbesondere Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: D S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §15;
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2;
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3 idF 2013/II/492;
AsylGDV 2005 §8 Abs1 Z1 idF 2013/II/492;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 20. September 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, der zuletzt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10. Februar 2009, verbunden mit einer Ausweisung nach Indien, vollinhaltlich abgewiesen wurde.

2 Am 2. März 2015 beantragte der Mitbeteiligte die Erteilung eines "Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" nach § 56 AsylG 2005. Dass dieser Antrag im weiteren Verfahren geändert worden wäre, ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.

3 Mit Schreiben vom 5. Oktober 2015 zum angeführten Gegenstand "Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Aufenthaltsberechtigung' aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG" trug das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Mitbeteiligten unter Fristsetzung u.a. die (bislang unterbliebene) Vorlage eines gültigen Reisedokumentes auf. Es belehrte ihn über die Möglichkeit einer Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 sowie einer Antragstellung auf Zulassung der Heilung von Mängeln gemäß § 4 AsylG-DV.

4 Der Mitbeteiligte äußerte sich dazu (mit Bezug auf eine insoweit inhaltsgleiche Eingabe vom 28. September 2015) u.a. am 10. November 2015 und führte aus, er habe bei der indischen Vertretungsbehörde wiederholt um Ausstellung eines Reisepasses ersucht, was ihm jedoch jedes Mal verweigert worden sei. Allenfalls könnte, laut einer ihm gegenüber erfolgten Mitteilung insbesondere des Konsuls und der Vizekonsulin dieser Vertretungsbehörde, ein die Notwendigkeit klarstellendes Schreiben des BFA Abhilfe schaffen.

5 Mit Bescheid vom 23. Februar 2016 wies das BFA den gegenständlichen Antrag "gemäß § 55 Asylgesetz" ohne weiteres Verfahren in Anwendung des § 58 Abs. 11 AsylG 2005 als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde gegen den Mitbeteiligten gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt II.).

6 Begründend verwies es auf seine Amtserfahrung, wonach die indische Botschaft sehr wohl Reisepässe ausstelle, wenn man sich darum bemühe. Dem Mitbeteiligten wäre insbesondere eine Kontaktaufnahme mit Angehörigen im Heimatstaat oder die Beauftragung eines rechtsfreundlichen Vertreters möglich gewesen. Er habe aber "offensichtlich nicht genug dazu getan, um die Klärung (seiner) Identität zu bewirken". Insgesamt sei er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, weil er dem BFA trotz Aufforderung keinen Reisepass vorgelegt habe; dieser Mangel sei auch nicht geheilt worden.

7 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 2. Mai 2016 behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den genannten Bescheid vom 23. Februar 2016 "gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit §§ 55, 58 AsylG 2005" und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Begründend qualifizierte es die eben wiedergegebene Argumentation des BFA als Spekulation und Mutmaßung, ohne dass das BFA die dem Mitbeteiligten bezüglich seiner Vorsprachen bei der Vertretungsbehörde attestierte Unglaubwürdigkeit nachvollziehbar begründet hätte oder auf die - inhaltlich gar nicht geprüften - Umstände des Einzelfalles, etwa die im Jahr 2008 problemlos erfolgte Ausstellung eines Reisepasses für den Mitbeteiligten durch die indische Vertretungsbehörde in Wien, wobei die Gültigkeit dieses Dokuments mittlerweile abgelaufen sei, oder die Richtigkeit des von ihm geführten Vor- und Familiennamens eingegangen wäre. Der Beurteilung des BFA, der Mitbeteiligte sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, weil er kein Personaldokument im Original vorlegen konnte, sei nicht zu folgen, weil die §§ 55 und 56 AsylG 2005 nicht ausdrücklich normierten, welche Dokumente ein Antragsteller vorzulegen habe. Gerade Asylwerber, die längere Zeit in Österreich lebten, hätten oft tatsächlich keine Identitätspapiere vorzuweisen. Es erschiene - zumal angesichts der laut seinem Vorbringen erfolgten Bemühungen um Neuausstellung eines Passes - überschießend, dem Mitbeteiligten dessen Nichtvorlage als Verletzung der Mitwirkungspflicht in einer Weise anzulasten, dass der Antrag ohne inhaltliche Prüfung aus formellen Gründen zurückgewiesen werde. Die Nichtvorlage sei iSd § 15 AsylG 2005 lediglich "bei der inhaltlichen Bewertung ... mit zu berücksichtigen".

Die vom BFA im Bescheid vom 23. Februar 2016 aufgezeigten Umstände reichten für sich allein somit nicht aus, dem Mitbeteiligten eine materielle Entscheidung zu versagen. Darüber hinaus sei der Antragsgegenstand (§ 55 oder § 56 AsylG 2005), der "aus dem Verlauf des Verfahrens nicht klar hervorgeh(e)", bislang ungeklärt geblieben, weshalb "folglich zu klären sein (werde), welche Bestimmung des Asylgesetzes die Grundlage des gegenständlichen Verfahrens bildet." Das BFA werde das Verfahren fortzusetzen und zu ermitteln haben, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels vorlägen, dem Mitbeteiligten die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis zu bringen "und eine neue (inhaltliche) Entscheidung zu treffen haben."

Aufgrund der Behebung von Spruchpunkt I. habe auch Spruchpunkt II. keine rechtliche Grundlage mehr.

Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen gewesen sei.

 

9 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

10 Die Revision ist, wie sich aus dem Weiteren ergibt, entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Ausspruch des BVwG schon wegen Abweichens von der Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.

11 Das BFA weist in der Revision zutreffend darauf hin, dass das BVwG die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV unberücksichtigt gelassen hat.

12 Diese, die Anordnungen des - die §§ 54 bis 61 beinhaltenden - 7. Hauptstücks des AsylG 2005 ("Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen") konkretisierenden Regelungen der AsylG-DV 2005, BGBl. II Nr. 448/2005 in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 492/2013, lauten auszugsweise:

"Verfahren

§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

  1. 1. ... 2.
  2. 3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

    ...

    Urkunden und Nachweise für Aufenthaltstitel

§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG); ..."

13 Die vom Mitbeteiligten geltend gemachten Schwierigkeiten, einen Reisepass von der indischen Vertretungsbehörde ausgestellt zu bekommen, wären lediglich im Rahmen einer Antragstellung nach den eben genannten Bestimmungen zu berücksichtigen gewesen. Eine solche Antragstellung durch den Mitbeteiligten könnte fallbezogen in der Eingabe vom 10. November 2015 erblickt werden. Dazu hätte es allerdings einer Klärung durch das BVwG bedurft, die es - die genannten Verordnungsbestimmungen offenkundig nicht beachtend - nicht herbeigeführt hat.

Entgegen der vom BVwG vertretenen Ansicht rechtfertigt die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments bei Unterbleiben einer Antragstellung nach § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV grundsätzlich eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung (vgl. dazu ausführlich die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0039, vom 14. April 2016, Ra 2016/21/0077, und zuletzt vom heutigen Tag, Ra 2016/21/0187).

Bei seiner Argumentation mit § 15 AsylG 2005 übersieht das BVwG, dass diese Bestimmung lediglich die Mitwirkung eines Asylwerbers im laufenden Asylverfahren regelt, das hier allerdings unbestritten bereits rechtskräftig abgeschlossen ist. Damit fehlt dieser Norm im vorliegenden Zusammenhang der Anwendungsbereich.

14 Die vom BVwG - erkennbar - vorgenommene ersatzlose Behebung des Zurückweisungsbescheides des BFA vom 23. Februar 2016 erweist sich daher als verfehlt.

15 Anzumerken ist dabei im Übrigen, dass der Auftrag des BVwG, "die Grundlage des gegenständlichen Verfahrens" (§ 55 oder § 56 AsylG 2005) zu klären, nicht nachvollziehbar ist, wurde doch nach der Aktenlage (und auch nach dem Inhalt der Revision) zweifelsfrei ein Antrag nach § 56 AsylG 2005 gestellt, der im hierüber abgeführten Verfahren - soweit ersichtlich - unverändert geblieben ist.

16 Nach dem Gesagten erweist sich das angefochtene Erkenntnis als inhaltlich rechtswidrig. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 15. September 2016

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