VwGH Ra 2016/21/0008

VwGHRa 2016/21/000824.5.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des A B in W, vertreten durch Dr. Georg Rihs, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. November 2015, G311 2016550-1/12E und G311 2016550-2/2E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde als verspätet und Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrages in Angelegenheiten des FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses (Beschwerdezurückweisung) richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen (Spruchpunkt I.; Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, befindet sich seit 2003 im Bundesgebiet und verfügte zuletzt über einen bis 20. August 2010 gültigen Aufenthaltstitel.

2 Im Hinblick auf diverse Straftaten erließ die Landespolizeidirektion Wien gegen ihn mit Bescheid vom 19. April 2013 gemäß § 63 Abs. 1 und 3 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 FPG (idF des FrÄG 2011) ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot. Dieser Bescheid wurde dem zum damaligen Zeitpunkt in Strafhaft befindlichen Revisionswerber am 26. April 2013 durch persönliche Ausfolgung zugestellt.

3 Am 2. Mai 2014 wurde der Revisionswerber aus der Haft bedingt entlassen. Er beantragte in der Folge am 6. Juni 2014 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den vorgenannten Bescheid vom 19. April 2013 und erhob gleichzeitig Beschwerde gegen diesen Bescheid. Seinen Wiedereinsetzungsantrag begründet er im Wesentlichen damit, dass er den Aufenthaltsverbotsbescheid unmittelbar nach dessen Zustellung in der Haftanstalt dem zuständigen Sozialarbeiter weitergegeben habe, damit dieser - wie zugesagt - die Erhebung einer Berufung in die Wege leite. Nach seiner etwa ein Jahr später erfolgten Haftentlassung im Mai 2014 habe er sich zum AMS begeben, wo ihm mitgeteilt worden sei, dass er in Österreich ein Aufenthaltsverbot hätte, welches bereits seit 11. Mai 2014 rechtskräftig sei. Das habe er dann seiner damaligen Rechtsvertreterin mitgeteilt, welche daraufhin umgehend am 4. Juni 2014 "bei der Fremdenpolizei" eine Akteneinsicht durchgeführt habe. Dabei sei festgestellt worden, dass das Aufenthaltsverbot nicht seit 11. Mai 2014, sondern schon seit 11. Mai 2013 rechtskräftig sei, uzw. mangels Erhebung einer Berufung. Der Sozialarbeiter habe somit - für den Revisionswerber unvorhersehbar - seine Zusage nicht eingehalten.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 19. November 2015 mit der Maßgabe ab, dass der Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 71 Abs. 1 AVG zurückgewiesen werde (Spruchpunkt I. A). Außerdem wies es mit dem genannten Erkenntnis die Beschwerde gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid gemäß § 63 Abs. 5 AVG iVm § 16 Abs. 1 BFA-VG als verspätet zurück (Spruchpunkt II. A). In Bezug auf beide Spruchpunkte erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkte I. B und II. B).

5 Das BVwG stellte fest, dass der Revisionswerber nach seiner Haftentlassung am 2. Mai 2014 am 5. Mai 2014 beim AMS vorgesprochen habe. In weiterer Folge habe dann ein Beratungstermin stattgefunden, bei welchem dem Revisionswerber mitgeteilt worden sei, dass gegen ihn ein Aufenthaltsverbot bestehe. Wann dieses Beratungsgespräch stattgefunden habe, könne nicht festgestellt werden. Es sei dann aber mit 28. Mai 2014 der Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 5. Mai 2014 abgewiesen worden.

6 In rechtlicher Hinsicht ging das BVwG demzufolge davon aus, dass der Revisionswerber zwischen dem 5. Mai 2014 und dem 28. Mai 2014 im Zuge eines Beratungstermins beim AMS vom Bestehen des Aufenthaltsverbotes erfahren habe. Er wäre verpflichtet gewesen, genau anzugeben, wann diese Mitteilung des AMS erfolgte. Diesbezüglich sei dem Revisionswerber (in der Beschwerdeverhandlung vom 3. September 2015) die Möglichkeit eingeräumt worden, Unterlagen über den zwischen dem 5. Mai 2014 und dem 28. Mai 2014 stattgefundenen Beratungstermin vorzulegen. Demgegenüber sei jedoch auch im dann erstatteten Schriftsatz vom 30. September 2015 "der Zeitpunkt der fristauslösenden Aufklärung" nicht präzisiert worden. Die Angaben des Revisionswerbers ließen daher keine Beurteilung der Rechtzeitigkeit seines Wiedereinsetzungsantrages zu, weshalb dieser spruchgemäß zurückzuweisen gewesen sei. Mangels Bewilligung der Wiedereinsetzung sei auch die Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot wegen Verspätung zurückzuweisen gewesen.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

7 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 In Bezug auf die Zurückweisung der Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot als verspätet fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen (siehe der Vollständigkeit halber aber zur Zurückweisung eines verspäteten Rechtsmittels ungeachtet eines noch offenen Wiedereinsetzungsantrages etwa den hg. Beschluss vom 21. Oktober 2014, Ra 2014/03/0037).

9 Im Übrigen erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt.

10 Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

11 Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses (oder - was fallbezogen jedoch außer Betracht bleiben kann - nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat) gestellt werden.

12 Das BVwG hat im Ergebnis richtig ausgeführt, dass ein Wiedereinsetzungswerber konkrete Angaben zu machen hat, aus denen die Rechtzeitigkeit seines Wiedereinsetzungsantrages zu erkennen ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 9. September 2010, Zl. 2007/20/1469). Es hat allerdings verkannt, dass die vom Revisionswerber erstatteten Angaben ausreichen, um die Rechtzeitigkeit seines Wiedereinsetzungsantrages (zumindest wenn man wie das BVwG davon ausgeht, dass die Wiedereinsetzungsfrist auf Grund der Vorfälle nach Haftentlassung zu laufen begonnen hat) beurteilen zu können.

13 Das Hindernis im Sinn des § 71 Abs. 1 AVG, das der (rechtzeitigen) Einbringung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid vom 19. April 2013 nach den Behauptungen des Revisionswerbers entgegen stand, war die Unkenntnis des Umstands, dass eine solche Berufung - anders als angenommen - nicht erhoben werde (und in weiterer Folge auch nicht erhoben wurde). Diese Unkenntnis ist aber - folgt man dem vom BVwG nicht in Frage gestellten Vorbringen des Revisionswerbers - erst mit Vornahme der Akteneinsicht am 4. Juni 2014 "weggefallen". Davor - zwischen dem 5. Mai 2014 und dem 28. Mai 2014 - gab es zwar ein nicht näher datierbares Beratungsgespräch beim AMS, im Zuge dessen der Revisionswerber von der Existenz eines Aufenthaltsverbotes erfahren hatte. Daraus ließ sich aber nicht ableiten, dass gar keine Berufung erhoben worden war, zumal der Revisionswerber zur Wiedereinsetzung weiter vorgebracht hat - auch das zieht das BVwG erkennbar nicht in Zweifel -, es sei ihm mitgeteilt worden, das Aufenthaltsverbot sei seit 11. Mai 2014 rechtskräftig. Die Angabe dieses Datums legte nämlich eher die Vermutung nahe, es sei mittlerweile zu einer - negativen - Erledigung der Berufung des Revisionswerbers gekommen, musste aber noch nicht den Verdacht erwecken, eine solche Berufung sei gar nicht eingebracht worden (siehe dazu auch das vom Revisionswerber ins Treffen geführte, der Sache nach zu einer ähnlichen Konstellation ergangene hg. Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0393).

14 Nach dem Gesagten haftete dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag der vom BVwG erblickte Mangel nicht an. Das angefochtene Erkenntnis war sohin in seinem Spruchpunkt I. (Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 bis Z 6 VwGG abgesehen werden.

16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. Mai 2016

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