VwGH Ra 2016/16/0110

VwGHRa 2016/16/011011.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, LL.M., über die Revision der K S in W, vertreten durch Dr. Georg Prantl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franziskanerplatz 5/2/15a, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. August 2016, Zl. RV/7102333/2012, betreffend Rechtsgebühr (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1380;
GebG 1957 §33 TP20 Abs1 idF 2001/I/144;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016160110.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Am 29. Februar 2012 schlossen die Revisionswerberin (S) und ihr zukünftiger Ehemann (M) im Hinblick auf die bevorstehende Eheschließung eine Vereinbarung in Form eines Notariatsaktes. Diese lautete - soweit hier wesentlich - wie folgt:

"ERB- und PFLICHTTEILSVERZICHT

(S) verzichtet gegenüber (M) vorbehaltlos und unwiderruflich auf die Geltendmachung ihres Erbrechtes und ihres gesetzlichen Pflichtteils einschließlich Schenkungspflichtteil hinsichtlich dessen gesamten Vermögens.

(S) verpflichtet sich nach dem Tod von (M) die Wohnung (...) binnen sechs Monaten nach dessen Tod von ihren Fahrnissen geräumt zu übergeben und verzichtet unwiderruflich auf jeglichen Räumungsaufschub.

Dafür erhält (S) nach dem Tod von (M) EUR 100.000,00 (Euro einhunderttausend) sofern die Ehe zwischen (S) und (M) zum Todeszeitpunkt von (M) noch nicht drei Jahre gedauert hat und ihr keine unbefristete Witwenpension nach (M) gebührt, sonst EUR 50.000,00 (Euro fünfzigtausend). Dieser Anspruch von (S) ist höchstpersönlich und unvererbbar."

2 Mit Bescheid vom 31. Mai 2012 schrieb das Finanzamt der Revisionswerberin für diese Vereinbarung eine Rechtsgeschäftsgebühr in Höhe von 2.000 EUR (2% von 100.000 EUR gemäß § 33 TP 20 Abs. 1 lit. b GebG 1957) vor.

3 In ihrer dagegen erhobenen Berufung vom 2. Juli 2012 wandte sich die Revisionswerberin gegen die Qualifikation der Vereinbarung als "Vergleich" im Sinne des § 33 TP 20 Abs. 1 lit. b GebG. Es fehle schon an der Grundvoraussetzung für das Vorliegen eines Vergleichs, nämlich einem vorangegangenen Streit der Vertragsparteien oder zumindest einer Ungewissheit über die Sach- oder Rechtslage. Auch handle es sich um keine Scheidungsfolgenvereinbarung gemäß § 55a Abs. 2 EheG.

4 Mit Erkenntnis vom 23. August 2016 wies das Bundesfinanzgericht die (als Beschwerde zu behandelnde) Berufung der Revisionswerberin ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesfinanzgericht aus, ein Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB sei ein Neuerungsvertrag, durch den streitige oder zweifelhafte Rechte dergestalt bestimmt würden, dass jede Partei sich wechselseitig etwas zu geben, zu tun oder zu unterlassen verbinde. Ein Vergleich sei somit die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung streitiger oder zweifelhafter Rechte. Die Revisionswerberin habe gegenüber ihrem Vertragspartner einen Erbverzicht für die Zukunft geleistet, da sie im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung noch nicht erbberechtigt gewesen sei. In dem für die gebührenrechtliche Beurteilung der Vereinbarung maßgeblichen Zeitpunkt, am 29. Februar 2012, sei noch zweifelhaft gewesen, ob die für einen Erbverzicht gesetzlich normierte Voraussetzung, ein gegenüber dem Vertragspartner bestehendes Erbrecht, überhaupt gegeben sein werde. Der Verzicht der Revisionswerberin auf ein ihr im Fall der Eheschließung zustehendes Recht sei als Nachgeben ihrerseits anzusehen. Bei der Abgabe des vorliegenden Erbverzichts habe sich die Revisionswerberin ihrem Vertragspartner aber nicht vollständig unterworfen. Vielmehr sei eine Abfindung vereinbart worden, zu deren Leistung der Vertragspartner der Revisionswerberin gesetzlich nicht verpflichtet sei. Dass sich der Vertragspartner zu der genannten Leistung verbunden habe, sei als Nachgeben seinerseits anzusehen. Somit sei ein zweifelhaftes Recht durch beiderseitiges Nachgeben neu geregelt worden, weshalb ein der Vergebührung nach § 33 TP 20 Abs. 1 lit. b GebG unterliegendes Rechtsgeschäft vorliege.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens (§ 36 VwGG) und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die belangte Behörde erwogen hat:

7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revisionswerberin trägt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, es bestehe noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein Erb- und Pflichtteilsverzicht gegen eine Abfindung ein Vergleich im Sinne des § 33 TP 20 Abs. 1 lit. b GebG sei.

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Gemäß § 17 Abs. 1 erster Satz des Gebührengesetzes 1957 (GebG), BGBl. Nr. 267, ist für die Festsetzung der Gebühr der Inhalt der über das Rechtsgeschäft errichteten Schrift (Urkunde) maßgebend.

12 Nach § 33 TP 20 Abs. 1 GebG idF des Abgabenänderungsgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 144, unterliegen (außergerichtliche) Vergleiche einer Rechtsgebühr in Höhe von 1 %, wenn der Vergleich über anhängige Rechtsstreitigkeiten getroffen wird (lit. a), ansonsten in Höhe von 2 % (lit. b) vom Gesamtwert der von jeder Partei übernommenen Leistungen.

13 Da das GebG keine eigenständige Definition des Begriffs "Vergleich" enthält, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Auslegung dieses Begriffs § 1380 ABGB heranzuziehen (vgl. etwa VwGH 21.3.2012, 2011/16/0122; 28.2.2007, 2006/16/0136; 29.7.2004, 2003/16/0117).

14 Danach ist ein Vergleich ein Neuerungsvertrag, durch welchen streitige oder zweifelhafte Rechte dergestalt bestimmt werden, das jede Partei sich wechselseitig etwas zu geben, zu tun oder zu unterlassen verbindet. Ein Vergleich ist somit die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung streitiger oder zweifelhafter Rechte. Strittig oder zweifelhaft ist ein Recht, wenn die Parteien uneins sind, ob oder in welchem Umfang ein Recht entstanden ist oder noch besteht, wobei die Differenzen gegenwärtige wie zukünftige Rechts- oder Tatfragen betreffen können (vgl. nochmals VwGH 21.3.2012, 2011/16/0122; 28.2.2007, 2006/16/0136).

15 Soweit das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis die Auffassung vertritt, dass mit der streitgegenständlichen Vereinbarung ein - wegen der erst zu erfolgenden Eheschließung - zweifelhaftes Erbrecht der Revisionswerberin gegenüber ihrem Vertragspartner neu geregelt worden sei, kann dem nicht gefolgt werden.

16 Wie sich aus dem Inhalt der streitgegenständlichen Vereinbarung ergibt, wollten die Vertragsparteien lediglich für den Fall der späteren Eheschließung eine Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge (einschließlich des gesetzlichen Pflichtteilsanspruchs) treffen. Dass zwischen den Vertragsparteien bei Abschluss der Vereinbarung ein Streit über Art oder Ausmaß des der Revisionswerberin im Falle des Todes ihres Ehegattens zustehenden gesetzlichen Erbrechts bestanden hätte, nimmt auch das Bundesfinanzgericht nicht an. Der Umstand, dass die gesamte Vereinbarung (einschließlich des Anspruchs der Revisionswerberin auf den Abfindungsbetrag) nur unter der Bedingung der nachfolgenden Eheschließung geschlossen wurde, führt nicht zu einer für die Annahme eines Vergleichs erforderlichen Ungewissheit der Sach- oder Rechtslage. Im Übrigen geht aus der streitgegenständlichen Vereinbarung auch nicht hervor, dass der Revisionswerberin unabhängig von der späteren Eheschließung ein Abfindungsbetrag im Falle des Todes des Vertragspartners zustehen solle.

17 Eine Vereinbarung, in der die Vertragsparteien Rechte und Pflichten, über deren Art und Ausmaß kein Streit herrscht, anders regeln als es im Gesetz vorgesehen ist, stellt aber keinen gebührenpflichtigen Vergleich dar (vgl. VwGH 21.3.2012, 2011/16/0122; 19.9.1956, 1769/54, VwSlg 1471/F).

18 Da das Bundesfinanzgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. September 2018

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