VwGH Ra 2015/19/0075

VwGHRa 2015/19/007527.5.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Feiel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Februar 2015, Zl. W169 1434332-2/7E, betreffend Säumnisbeschwerde in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: G D, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §6;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §12;
VwGVG 2014 §16 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §28 Abs7;
VwGVG 2014 §29 Abs1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015190075.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Begründung

Mit dem (durch Amtsrevision) angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG statt (Spruchpunkt A) und erklärte die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - auf das für das Revisionsverfahren wesentliche zusammengefasst - aus, der Mitbeteiligte habe am 5. September 2011 (nach Ausweis des Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtig: 3. September 2011) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Das Bundesasylamt habe diesen Antrag mit Bescheid vom 28. März 2013 gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen. Unter einem sei der Mitbeteiligte gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Indien ausgewiesen worden.

Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde sei dieser Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 2014 - wegen der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zum Sachverhalt - gemäß § 28 Abs. 3

zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen worden.

Der Mitbeteiligte habe in der Folge mit Schriftsatz vom 17. November 2014 eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG eingebracht. In dieser sei vorgebracht worden, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe nach der zurückverweisenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bislang nicht über den Antrag des Mitbeteiligten entschieden. Der Mitbeteiligte habe beantragt, "das Bundesverwaltungsgericht möge in Stattgebung der 'gegenständlichen Säumnisbeschwerde eine öffentlich(e) mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, zu dieser den Beschwerdeführer laden sowie über den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf internationalen Schutz (...) in der Sache selbst entscheiden' ".

Das Bundesverwaltungsgericht habe daraufhin das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Hinweis auf § 8 Abs. 1 VwGVG mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 ersucht, innerhalb von zwei Wochen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob ein überwiegendes Verschulden der Verwaltungsbehörde an der "möglichen" Verletzung der Entscheidungspflicht vorliege.

In der am 16. Dezember 2014 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangten Stellungnahme habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgeführt, dass "im kurzen Wege leider keine entscheidungsrelevanten Ergebnisse zu erzielen gewesen seien und ein überwiegendes Behördenverschulden hinsichtlich der Verletzung der Entscheidungspflicht vorliege".

Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht, dass zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde die gesetzlich vorgesehene sechsmonatige Entscheidungsfrist (nach Zustellung des die Zurückverweisung des Verfahrens aussprechenden Beschlusses) abgelaufen gewesen sei und Säumigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unbestritten vorliege. Die Säumnisbeschwerde erweise sich daher als zulässig.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe seit Behebung des Bescheides vom 28. März 2013 keine entscheidungsrelevanten Ermittlungsschritte getätigt. Aus dessen Stellungnahme vom 16. Dezember 2014 gingen keine Umstände hervor, wonach die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Verwaltungsbehörde zurückzuführen wäre. Vielmehr räume es ein solches Verschulden sogar selbst ein.

Somit sei "die Zuständigkeit hinsichtlich des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz" auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen. Dieses Gericht werde in der Folge über diesen Antrag zu entscheiden haben.

Die Revision gegen diese Entscheidung sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werde noch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen sei. Auch sonst lägen keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten erwogen:

1.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt - mit näherer Begründung - zur Zulässigkeit der Revision vor, es existiere keine Rechtsprechung zu der Frage, ob es eine maßgebliche Verletzung von Verfahrensvorschriften darstelle, wenn ein Verwaltungsgericht der belangten Behörde entgegen § 16 Abs. 1 VwGVG nicht die neu geschaffene Möglichkeit zur Nachholung des versäumten Bescheides einräume.

Im Rahmen der Revisionsgründe macht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst geltend, es sei ihm vom Bundesverwaltungsgericht infolge der rechtswidrigen Verfahrensführung und Entscheidung die Möglichkeit genommen worden, den versäumten Bescheid innerhalb der in § 16 VwGVG vorgesehenen Nachfrist zu erlassen. Das Bundesverwaltungsgericht sei zudem im Hinblick auf diese mit dem VwGVG neu geschaffene Möglichkeit zur Zeit seiner Entscheidung funktionell nicht zuständig gewesen, die angefochtene Entscheidung zu erlassen.

1.2. Der Mitbeteiligte führt in seiner Revisionsbeantwortung aus, das Bundesverwaltungsgericht sei sowohl sachlich als auch funktionell aufgrund des Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG und des § 7 Abs. 1 Z 4 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) zuständig gewesen, über die gegenständliche Säumnisbeschwerde in der vorliegenden Weise zu entscheiden. Bei § 16 Abs. 1 VwGVG handle es sich um eine "Kann-Bestimmung". Die Möglichkeit zur Nachholung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde hänge davon ab, dass das Verwaltungsgericht eine Entscheidung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG treffe. Es liege somit in der "Entscheidungsfreiheit" des Verwaltungsgerichtes, ob es der säumigen Verwaltungsbehörde die Möglichkeit einräume, den Bescheid nachzuholen. Dies entspreche auch dem Zweck der Einführung einer "allumfassenden" Verwaltungsgerichtsbarkeit, der auch im "Ausbau des Rechtsschutzsystems im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung und einem verstärkten Bürgerservice" zu sehen sei.

1.3. Die Revision erweist sich aus den darin dargebrachten Gründen als zulässig. Sie ist auch begründet.

2. Die maßgebliche Rechtslage lautet:

Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG:

"(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

  1. 1. ...
  2. 2. ...
  3. 3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde

    4. ..."

    § 6 Abs. 1 und § 73 AVG:

"§ 6. (1) Die Behörde hat ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu verweisen.

(2) ..."

"3. Abschnitt: Entscheidungspflicht

§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird ein Bescheid, gegen den Berufung erhoben werden kann, nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die Berufungsbehörde über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Berufungsbehörde einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(3) Für die Berufungsbehörde beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."

§ 8, § 12, § 16 und § 28 Abs. 7 VwGVG:

"Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde

§ 8. (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) kann erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(2) In die Frist werden nicht eingerechnet:

1. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;

2. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union."

"Schriftsätze

§ 12. Bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht sind die Schriftsätze bei der belangten Behörde einzubringen. Dies gilt nicht in Rechtssachen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG."

"Nachholung des Bescheides

§ 16. (1) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen.

(2) Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen."

"Erkenntnisse

§ 28. (1) ...

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

(8) ..."

3.1. Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) dient - neben dem in § 73 Abs. 2 AVG in jenen Fällen, in denen auch nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Rechtsstufe (noch ausnahmsweise) Berufung erhoben werden kann, vorgesehenen Devolutionsantrag - dem Rechtsschutz wegen Säumnis der Behörden. Zweck dieses Rechtsbehelfes ist es, demjenigen, der durch die Untätigkeit einer Behörde beschwert ist, ein rechtliches Instrument zur Verfügung zu stellen, um eine Entscheidung in seiner Sache zu erlangen (vgl. Pabel, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Rz 82 in Fischer/Pabel/N. Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit).

3.2. Anders als in § 73 Abs. 2 AVG hat der Gesetzgeber, um diesen Zweck zu erreichen, im VwGVG nicht festgelegt, dass schon mit der Antragstellung die Zuständigkeit, die fragliche Sache zu erledigen, auf das angerufene Verwaltungsgericht übergeht. Vielmehr räumt § 16 Abs. 1 VwGVG der Verwaltungsbehörde von Gesetzes wegen die Möglichkeit ein, innerhalb einer Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen, ohne dass es erforderlich wäre, dass ihr dafür vom Verwaltungsgericht ausdrücklich eine Frist eingeräumt werden müsste (vgl. demgegenüber die im finanzrechtlichen Verfahren anzuwendende Bestimmung des § 284 Abs. 2 BAO, wonach das Verwaltungsgericht der Abgabenbehörde aufzutragen hat, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten ab Einlangen der Säumnisbeschwerde zu entscheiden, sowie § 284 Abs. 3 BAO, demzufolge die Zuständigkeit zur Entscheidung erst dann auf das Verwaltungsgericht übergeht, wenn die vom Verwaltungsgericht gesetzte Frist abgelaufen ist oder wenn die Abgabenbehörde vor Ablauf der Frist mitteilt, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt). Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen (§ 16 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG).

Schon daraus ergibt sich, dass - entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes und des Mitbeteiligten - nach dem VwGVG die Zuständigkeit, in der fraglichen Verwaltungssache zu entscheiden, nicht schon allein dann auf das Verwaltungsgericht übergeht, wenn sich die Säumnisbeschwerde als zulässig und im Sinn des § 8 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG begründet darstellt (vgl. Pabel, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Rz 87 in Fischer/Pabel/N. Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Martschin in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 16 VwGVG K 4, Winkler in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte § 16 VwGVG Rz 1, Schulev-Steindl, Säumnisschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 2014/68 S 439).

Der Mitbeteiligte führt für seine Ansicht § 28 Abs. 7 VwGVG ins Treffen. Diese Bestimmung räumt dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit ein, sich bei Vorliegen einer Säumnisbeschwerde im Rahmen der Erledigung der Verwaltungssache vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen zu beschränken und der Behörde aufzutragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der damit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen.

Anders als der Mitbeteiligte meint, begründet § 28 Abs. 7 VwGVG nicht die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes. Vielmehr setzt die Anwendung dieser Bestimmung voraus, dass dem Verwaltungsgericht (bereits) die Zuständigkeit zukommt, über die Verwaltungssache zu entscheiden (vgl. in diesem Sinn etwa Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts3 Rz 260, Schulev-Steindl, Säumnisschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 2014/68 S 439, letztere mit dem Hinweis darauf, dass der Verwaltungsbehörde durch eine Entscheidung nach § 28 Abs. 7 VwGVG eine "dritte Chance" zur Bescheiderlassung eingeräumt werde).

3.3. Gemäß § 12 VwGVG sind die Schriftsätze bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht bei der belangten Behörde einzubringen. Davon sind lediglich Rechtssachen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ausgenommen (§ 12 zweiter Satz VwGVG).

Als solche Schriftsätze sind (ua. auch) sämtliche an das Verwaltungsgericht herangetragene Beschwerden - ausgenommen jene, die die in § 12 VwGVG ausdrücklich angeführten Rechtssachen nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG betreffen - anzusehen. Dies wird auch durch die Materialien zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 bestätigt, aus denen hervorgeht, dass der Gesetzgeber als Schriftsätze im Sinn des § 12 VwGVG jedenfalls jegliche Art von Anträgen, Gesuchen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen verstanden wissen wollte, und dass Beschwerden und damit in Zusammenhang stehenden Anträge - mit Ausnahme der Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt - aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis bei der Verwaltungsbehörde eingebracht werden sollen (vgl. RV 2009 BlgNr 24. GP S. 4f).

Es besteht sohin nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kein Zweifel, dass (auch) eine Säumnisbeschwerde gemäß § 12 VwGVG bei der (säumigen) Verwaltungsbehörde einzubringen ist (vgl. Pabel, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Rz 85 in Fischer/Pabel/N. Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Schmied/Schweiger, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz S 66, Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts3 Rz 253, Martschin in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 16 VwGVG K 1, Liebhart/Herzog, Fristsäumnis Rz 1365, Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts Rz 930, Gruber in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 12 VwGVG Rz 4, Schulev-Steindl, Säumnisschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 2014/68 S 438) und sohin die in § 16 Abs. 1 VwGVG vorgesehene Frist von drei Monaten erst mit Einlangen bei der säumigen Behörde zu laufen beginnt (vgl. Martschin in Eder/Martschin/Schmid,

Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 16 VwGVG K 1 und K 3, Fister in Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 16 VwGVG Anm. 5, Winkler in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 16 VwGVG Rz 1, Schulev-Steindl, Säumnisschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 2014/68 S 438).

Eine dem § 73 Abs. 2 zweiter Satz AVG vergleichbare Anordnung, wonach eine nach dem VwGVG erhobene Säumnisbeschwerde in Abweichung von § 12 VwGVG unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen wäre, enthalten weder das VwGVG noch das - für das Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz vom VwGVG abweichende Verfahrensregelungen enthaltende - AsylG 2005 oder BFA-VG.

3.4. Die angeführten Regelungen sollen es letztlich der Verwaltungsbehörde (ua. auch) ermöglichen, ihrer an sich gegebenen Pflicht, die Verwaltungsangelegenheit zu erledigen, ungeachtet der bereits bestehenden Säumnis nachzukommen und den ausständigen Bescheid nachzuholen (vgl. etwa Schulev-Steindl, Säumnisschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 2014/68 S 438, die davon spricht, die Verwaltungsbehörde bekomme, ähnlich wie bei der Beschwerdevorentscheidung, eine "zweite Chance"; in diesem Sinn auch Fister in Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 16 VwGVG Anm. 1).

3.5. Gemäß dem nach § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anwendbaren § 6 AVG (vgl. dazu - insbesondere zur Einordnung einer danach durch ein Verwaltungsgericht erfolgten Abtretung als bloß verfahrensleitender Beschluss - des Näheren den hg. Beschluss vom 17. Februar 2015, Ra 2015/01/0022) hat die Behörde Anbringen, die bei ihr einlangen und zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu verweisen. Diese Pflicht zur Weiterleitung besteht - im Hinblick auf das unter Pkt. 3.2. Gesagte - auch betreffend Säumnisbeschwerden, die entgegen § 12 VwGVG nicht bei der säumigen Verwaltungsbehörde, sondern direkt beim Verwaltungsgericht eingebracht werden.

4.1. Im vorliegenden Fall brachte der Mitbeteiligte die Säumnisbeschwerde durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter auf dem Postweg unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht ein, wo sie am 24. November 2014 einlangte. Das Bundesverwaltungsgericht war sohin zur Behandlung der Säumnisbeschwerde zu dieser Zeit nicht zuständig. Es hätte die Säumnisbeschwerde nach der dargestellten Rechtslage gemäß § 6 Abs. 1 AVG iVm § 17 VwGVG (dies ist ein verfahrensleitender Beschluss, vgl. dazu den hg. Beschluss vom 17. Februar 2015, Ra 2015/01/0022, sowie jenen vom 18. Februar 2015, Ko 2015/03/0001, Pkt. 9.6. der Begründung) an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiterleiten müssen, damit diese Behörde die ihr zugewiesene Zuständigkeit, den versäumten Bescheid nachholen zu dürfen, wahrnehmen oder sich durch Vorlage der Säumnisbeschwerde dieser Zuständigkeit begeben hätte können.

4.2. Abgesehen davon, dass eine Übermittlung der Säumnisbeschwerde an die säumige Verwaltungsbehörde zu keiner Zeit stattgefunden hat, weist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht auch darauf hin, dass anhand der von ihm abgegebenen Stellungnahme vom 16. Dezember 2014 das Bundesverwaltungsgericht zudem nicht davon hätte ausgehen dürfen, die Behörde habe sich jedenfalls der Nachholung des versäumten Bescheides enthalten wollen. In dieser Stellungnahme räumte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nämlich - im Hinblick auf die Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage Stellung zu nehmen, ob ein überwiegendes Verschulden der Behörde am Nichteinhalten der Entscheidungsfrist vorliege - lediglich ein, dass Säumnis im Sinn des Gesetzes vorliege.

5. Schließlich ist zur Vorgangsweise des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes auszuführen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses darauf beschränkt, der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG stattzugeben. In der Begründung hielt es fest, dass, weil nach dessen Ansicht die Zuständigkeit, über den verfahrenseinleitenden Antrag zu entscheiden, auf dieses Gericht übergegangen sei, es in der Folge über diesen Antrag selbst zu entscheiden haben werde. Somit ist davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht mit der gegenständlichen Entscheidung allein - ohne zu dieser Zeit schon über die Verwaltungssache zu entscheiden - bindend zum Ausdruck bringen wollte, es sei aufgrund der Säumnisbeschwerde seit deren Einbringung bei diesem Gericht für die Erledigung der Verwaltungssache zuständig.

Zu Devolutionsanträgen nach dem AVG vertritt der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung die Ansicht, dass ein Spruchpunkt, mit dem einem Devolutionsantrag stattgegeben wird, keinen selbständigen rechtlichen Gehalt aufweist. Jede Behörde hat bei Fällung einer Entscheidung ihre dafür gegebene Zuständigkeit zu prüfen; in der Fällung einer Sachentscheidung liegt immer die zumindest implizite Bejahung der Zuständigkeit. Nichts anderes gilt für den Fall, dass eine Behörde ihre Zuständigkeit auf Grund eines von ihr als zulässig qualifizierten Devolutionsantrages bejaht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 28. März 2012, 2010/08/0063, und vom 15. Dezember 1995, 95/11/0266, sowie Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts Rz 935). Es ist daher entbehrlich, die Stattgebung eines Devolutionsantrages in Form eines ausdrücklichen Abspruches auszusprechen (mag ein solcher Ausspruch auch bezogen auf subjektive Rechte regelmäßig keine Rechtsverletzung bewirken, vgl. dazu das bereits erwähnte Erkenntnis 2010/08/0063); ein solcher Abspruch ist gesetzlich auch nicht vorgesehen (vgl. Liebhart/Herzog, Fristsäumnis Rz 1391, mwN). Es ist ausreichend, dass in der Begründung entsprechend dargelegt wird, weshalb die Behörde davon ausgeht, dass sie ihre Zuständigkeit auf Grund des Devolutionsantrages bejaht (vgl. nochmals das angeführte Erkenntnis vom 15. Dezember 1995).

Diese Überlegungen sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes - vor dem Hintergrund der insoweit identen rechtlichen Ausgangssituation - auf die Rechtslage nach dem VwGVG zu übertragen. In jenem Fall, in dem die Verwaltungsbehörde den Bescheid nachholt, ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde gemäß § 16 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG einzustellen. Erweist sie sich als unzulässig, ist sie zurückzuweisen; ist sie nicht berechtigt, ist sie abzuweisen. Geht aber - infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde nach Vorlage derselben oder Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs.1 VwGVG - die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht über, hat es allein in der Verwaltungssache zu entscheiden, ohne dass ein ausdrücklicher Abspruch über die Stattgebung der Säumnisbeschwerde vorzunehmen ist (ungeachtet dessen ist auch diesfalls davon auszugehen, dass ein solcher Ausspruch - wie im Fall der Absprache über die Stattgebung eines Devolutionsantrages - regelmäßig bezogen auf subjektive Rechte keine Verletzung in solchen bewirken wird). Es ist hinreichend, aber mit Blick auf die Pflicht zur Begründung von nicht bloß verfahrensleitenden Entscheidungen gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG auch geboten, jene Gründe, die dazu geführt haben, dass das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit bejaht, in der Begründung jener Entscheidung, mit der über die Verwaltungsangelegenheit abgesprochen wird, offenzulegen. Auch dies unterliegt nämlich - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof.

6. Nach dem Gesagten mangelte es dem Bundesverwaltungsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung an der Zuständigkeit zur Erlassung derselben. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

7. Von der Durchführung der vom Mitbeteiligen beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 27. Mai 2015

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