VwGH Ra 2015/08/0217

VwGHRa 2015/08/02177.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die außerordentliche Revision des Mag. H W gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 5. Mai 2015, VGW-041/057/431/2015-9, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

ASVG §111 Abs1 Z1;
ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33;
ASVG §34;
ASVG §35 Abs3;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9;
ASVG §111 Abs1 Z1;
ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33;
ASVG §34;
ASVG §35 Abs3;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Verwaltungsgericht die Bestrafung des Revisionswerbers gemäß § 33 Abs. 1 iVm. § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG zu drei Geldstrafen von je EUR 770,-- (drei Ersatzfreiheitsstrafen von je zwei Tagen und zwei Stunden), weil dieser als Insolvenzverwalter der G U GmbH (im Folgenden nur: GmbH) und damit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener zu verantworten habe, dass drei am 27. Februar 2014 beschäftigte (näher genannte) Dienstnehmer nicht vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet wurden.

Die Revision wurde gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für nicht zulässig erklärt.

2.2. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in mehreren Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

3.1. Der Revisionswerber macht geltend, entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts treffe ihn keine Verantwortung, weil er den bisherigen Geschäftsführer zum verantwortlichen Beauftragten im Sinn des § 9 Abs. 2 und 3 VStG bestellt habe. Die Übertragung der Verantwortlichkeit sei trotz irrtümlich unterbliebener Bekanntgabe gegenüber dem Krankenversicherungsträger wirksam erfolgt, die nachträgliche Vorlage der Vereinbarung im Verwaltungsstrafverfahren reiche aus. Nach dem Inhalt der Vereinbarung sei auch die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Pflichten nach dem ASVG übertragen worden.

3.2. Die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit des zur Vertretung einer juristischen Person nach außen Berufenen - im aufrechten Insolvenzverfahren ist dies der Insolvenzverwalter (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1999, 97/09/0177) - besteht dann, wenn nicht die Verwaltungsvorschriften etwas anderes bestimmen und nicht verantwortliche Beauftragte bestellt sind. Die hier anzuwendende Verwaltungsvorschrift des § 111 ASVG sieht iVm.

§ 35 Abs. 3 ASVG die Übertragung der nach den §§ 33, 34 ASVG bestehenden Pflichten auf Bevollmächtigte vor, die dann nach § 111 ASVG allein strafbar sind. Voraussetzung ist allerdings, dass Name und Anschrift der Bevollmächtigten unter deren Mitfertigung dem zuständigen Versicherungsträger bekannt gegeben werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, 98/08/0268). Hat der Dienstgeber den im § 35 Abs. 3 ASVG vorgezeichneten Weg einer Übertragung der Meldepflichten auf Bevollmächtigte nicht beschritten, so bleibt er selbst der Gebietskrankenkasse gemäß den §§ 33, 34 iVm. § 111 ASVG verantwortlich und zur Erstattung der erforderlichen Meldungen persönlich verpflichtet (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs: vgl. etwa die Erkenntnisse vom 15. März 2005, 2003/08/0053, und vom 3. Oktober 2002, 2002/08/0227).

3.3. Vorliegend ist unstrittig, dass die Vereinbarung vom 10. Oktober 2014, mit welcher der Revisionswerber den früheren Geschäftsführer zum verantwortlichen Beauftragten für die Zeit der Fortführung des Betriebs im Insolvenzverfahren bestellt hat, dem zuständigen Krankenversicherungsträger nicht in der im § 35 Abs. 3 ASVG vorgeschriebenen Weise mitgeteilt wurde. Schon aus dem Grund wurde der im § 35 Abs. 3 ASVG vorgesehene Weg einer Pflichtenübertragung nicht eingehalten; dahingestellt bleiben kann, ob die zu übertragenden Pflichten nach den §§ 33, 34 ASVG in der Vereinbarung hinreichend konkret bezeichnet wurden. Der Revisionswerber blieb jedenfalls - mangels einer gesetzmäßigen Mitteilung der Vereinbarung im Sinn des § 35 Abs. 3 ASVG - dem Krankenversicherungsträger zur Vornahme der Meldungen weiter selbst verpflichtet und ist für deren schuldhaftes Unterlassen verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich. Wie der Revisionswerber verkennt, reicht es für die gesetzmäßige Bekanntgabe im Sinn des § 35 Abs. 3 ASVG auch nicht aus, eine Vereinbarung erst nachträglich im Verwaltungsstrafverfahren nachzuweisen. Die diesbezügliche zu § 9 VStG ergangene Rechtsprechung kommt im Hinblick auf die nach Abs. 1 leg. cit. vorrangige selbständige Regelung des § 35 Abs. 3 ASVG hier nicht zur Anwendung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. September 2010, 2010/08/0162).

4.1. Der Revisionswerber releviert, es treffe ihn kein Verschulden, er sei nicht selbst (im Betrieb) tätig gewesen, sondern habe sich dritter Personen bedient. Das Verschulden sei in einem falschen Zusammenhang geprüft bzw. nicht näher qualifiziert worden, es sei nicht näher begründet worden, warum nicht bloß ein geringfügiges Verschulden vorliege. Das Verwaltungsgericht gehe von einer Verletzung der Aufsichtspflicht aus; selbst bei häufigerer Anwesenheit des Revisionswerbers im Betrieb hätte sich jedoch an der außerhalb des Geschäftssitzes erfolgten Beschäftigung der Dienstnehmer nichts geändert.

4.2. Übertretungen des § 111 iVm. § 33 ASVG sind Ungehorsamsdelikte iSd. § 5 Abs. 1 VStG. Bei Zuwiderhandeln ist Fahrlässigkeit ohne Weiteres anzunehmen, wenn der Täter - wie vorliegend - nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (vgl. den hg. Beschluss vom 2. September 2015, Ra 2015/08/0073). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch schon ausgesprochen, dass ein Masseverwalter im Rahmen der Verschuldensprüfung, selbst wenn er sich bei der Unternehmensfortführung dritter Hilfspersonen bedient, denselben strengen Anforderungen des § 5 Abs. 1 VStG unterliegt wie jeder andere verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche; es kommt dabei nicht auf die faktische Unkenntnis von der Beschäftigung von Arbeitskräften an, vielmehr ist eine ausreichende Kontrolle auszuüben bzw. durch ein geeignetes Kontrollsystem die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sicherzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 2010, 2008/09/0307). Vorliegend wurde jedoch - wie das Verwaltungsgericht vertretbar würdigte - die Gewährleistung einer entsprechenden Kontrolle durch den Revisionswerber nicht behauptet und bescheinigt. Soweit der Revisionswerber erstmals in der Revision vorbringt, die gesetzwidrige Beschäftigung wäre selbst bei häufigerer Anwesenheit im Betrieb nicht zu verhindern gewesen, liegt ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot vor.

5.1. Der Revisionswerber rügt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht drei Geldstrafen verhängt und damit gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen. Richtiger Weise wäre von einer einheitlichen Tathandlung im Sinn eines fortgesetzten Delikts auszugehen und nur eine Strafe auszusprechen gewesen.

5.2. Gemäß § 22 Abs. 1 VStG sind Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn jemand (unter anderem) durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat. Für die Beurteilung, ob mehrere selbständige Taten vorliegen, kann die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum fortgesetzten Delikt herangezogen werden. Demnach liegt ein solches nur dann vor, wenn Einzelakte von einem vorgefassten einheitlichen Willensentschluss (Gesamtvorsatz) getragen sind; der Täter muss von vornherein ein bestimmtes Ziel ins Auge gefasst haben, das er durch die Begehung mehrerer Teilakte erreichen will, er muss den erstrebten Enderfolg von Anfang an in seinen wesentlichen Umrissen erfasst haben, sodass sich die einzelnen Akte nur als Teilhandlungen eines von vornherein gewollten Gesamtkonzepts darstellen. Dieser innere Zusammenhang lässt die Einzelakte nur als Verwirklichung des einheitlich gewollten Ganzen erscheinen. Hingegen reichen der allgemeine Entschluss, mehrere gleichartige strafbare Handlungen zu begehen, oder ein bloß einheitliches Motiv für die Annahme eines Gesamtvorsatzes nicht aus (vgl. den hg. Beschluss vom 26. Februar 2015, Ra 2015/07/0014, sowie die hg. Erkenntnisse vom 16. Februar 2012, 2010/01/0009, vom 3. April 2008, 2007/09/0183, uva.).

5.3. Vorliegend wurde nicht vorgebracht und ist auch nicht hervorgekommen, dass der Beschäftigung der drei Dienstnehmer ein vorgefasster einheitlicher Willensentschluss bzw. ein Gesamtvorsatz im soeben aufgezeigten Sinn zugrunde gelegen wäre, ist doch kein Anhaltspunkt gegeben, dass sich die einzelnen Beschäftigungen bloß als Teilhandlungen im Sinn der Verwirklichung eines von vornherein gewollten einheitlichen Ganzen dargestellt hätten. Den Beschäftigungen mag ein allgemeiner Entschluss, mehrere gleichartige Handlungen zu begehen, oder ein einheitliches Motiv zugrunde gelegen sein, was jedoch der Annahme selbständiger Taten nicht entgegensteht. Der behauptete Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot ist daher nicht gegeben.

6. Der Revisionswerber moniert, dem Doppelbestrafungsverbot widerspreche ferner, dass sowohl er als auch sein Stellvertreter bestraft worden seien. Da den Stellvertreter eine Strafe nur im Fall der Verhinderung des Revisionswerbers treffen könne, schließe seine Bestrafung jene des Revisionswerbers aus.

Dieses Vorbringen ist schon deshalb unbeachtlich, weil der Revisionswerber diesbezügliche Tatsachenbehauptungen erstmals in der Revision erstattet und damit gegen das Neuerungsverbot verstoßen hat.

7. Insgesamt wird daher in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen. Wien, am 7. April 2016

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