Normen
BRÄG 2008;
B-VG Art7 Abs1;
B-VG Art7;
Geo §498;
RAO 1868 §16 Abs4;
RAO 1868 §45;
RAO 1945 §16 Abs4;
StPO 1975 §27;
StPO 1975 §285 Abs2;
VwRallg;
ZPO §63;
Spruch:
Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I. Sachverhalt
1 A. Der Revisionswerber ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Bescheiden vom 20. September 2011 bestellte ihn die Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien auf seinen Wunsch zum Verfahrenshilfeverteidiger gemäß § 45 RAO in den gegen die Angeklagten X ... (insgesamt 14 Personen betreffend das Verfahren "R I") sowie gegen die Angeklagten Y ... (insgesamt 20 Personen betreffend das Verfahren "R II") zur Zahl Z geführten Strafverfahren des Landesgerichts für Strafsachen Wien. In dem Strafverfahren wurden die Auseinandersetzungen von Fans des R mit rivalisierenden Fans des W sowie mit einschreitenden Exekutivbeamten am 21. Mai 2009 im Gebäude des Wiener Westbahnhofes wegen § 274 StGB ("Landfriedensbruch") in seiner damals geltenden Fassung verfolgt.
2 Mit Beschluss vom 4. Juli 2011 hatte das Landesgericht für Strafsachen Wien das zur Zahl Z gegen insgesamt 85 Angeklagte geführte Strafverfahren in drei selbständige Verfahren ("R I", "R II" und "R III") getrennt. Begründend hatte das Landesgericht ausgeführt, dass die gemeinsame Führung des Strafverfahrens gegen sämtliche Angeklagte aufgrund deren großer Anzahl und der damit verbundenen zeitlich sehr umfangreichen Vernehmungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung zu einer wesentlichen Verzögerung des Verfahrens für die übrigen Angeklagten und der durch die Angeklagtenzahl bedingte hohe organisatorische Aufwand zur Erschwerung des Verfahrens führen würde. Materiellrechtliche Nachteile für die Parteien seien durch die getrennte Führung der Verfahren nicht zu erwarten. Mit Schreiben vom 26. Jänner 2012 teilte das Landesgericht dem Revisionswerber mit, dass die drei Verfahren aus Gründen der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo) als selbständige Verfahren getrennt voneinander geführt würden, und zählte die Namen der Angeklagten auf, gegen welche die Verfahren "R I", "R II" und "R III" jeweils geführt würden.
3 Im Verfahren "R I" nahm der Revisionswerber an der am 3. Oktober 2011, 4. Oktober 2011, 6. Oktober 2011, 7. Oktober 2011, 10. Oktober 2011, 14. November 2011, 15. November 2011, 16. November 2011, 9. Jänner 2012, 10. Jänner 2012 und 13. Jänner 2012 stattfindenden Hauptverhandlung, also insgesamt an elf Verhandlungstagen teil. Im Verfahren "R II" nahm der Revisionswerber an der am 14. Oktober 2011, 17. Oktober 2011, 18. Oktober 2011, 13. Dezember 2011, 14. Dezember 2011, 16. Dezember 2011, 16. Jänner 2012, 17. Jänner 2012 und 19. Jänner 2012 stattfindenden Hauptverhandlung, folglich insgesamt an neun Verhandlungstagen teil. Der Schöffensenat des Landesgerichts für Strafsachen Wien war in den drei Verfahren "R I", "R II" und "R III" mit unterschiedlichen Schöffen besetzt. Die Beweisaufnahme und weitere Ermittlungen wurden für jedes der drei Verfahren getrennt durchgeführt und zum Teil auch wiederholt.
4 Mit Antrag vom 10. Jänner 2012 begehrte der Revisionswerber eine Sonderpauschalvergütung gemäß § 16 Abs 4 RAO in der Höhe von EUR 39.247,54. Als Nachweis dafür, dass er an mehr zehn Verhandlungstagen tätig gewesen war, legte er die Verhandlungsprotokolle der ersten zehn Verhandlungstage vor. Mit Antrag vom 25. März 2013 begehrte er für die seit der Einbringung seines ersten Antrags stattgefundenen, weiteren sechs Verhandlungstage eine zusätzliche Sonderpauschalvergütung in der Höhe von EUR 62.059,14, somit insgesamt einen Betrag von EUR 101.306,68.
Mit Bescheid vom 29. April 2014 erkannte die Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien dem Revisionswerber für die Verteidigung der Angeklagten im Verfahren "R I" eine Vergütung in der Höhe von EUR 4.828,95 zu (dieser Bescheid betrifft das zur Zl Ra 2015/03/0088 protokollierte Revisionsverfahren). Den Antrag auf Zuspruch einer angemessenen Vergütung für die Verteidigung der Angeklagten im Verfahren "R II" wies die Abteilung III - ebenfalls mit Bescheid vom 29. April 2014 - jedoch ab (dieser Bescheid betrifft das zur Zl Ra 2015/03/0089 protokollierte Revisionsverfahren). Die Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien hielt begründend insbesondere fest, dass das Strafverfahren "R II" von den beiden anderen zur selben Geschäftszahl geführten Verfahren "R I" und "R III" seit den in Rechtskraft erwachsenen Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Juli 2011 getrennt als selbständiges Verfahren geführt worden sei. Im Verfahren "R II" habe der Revisionswerber neun Verhandlungstage bzw 24,5 volle Verhandlungsstunden verrichtet. Eine gesonderte Vergütung seiner Leistungen sei dem Revisionswerber daher schon nach dem Wortlaut des § 16 Abs 4 RAO nicht zugestanden, weil er den von dieser Bestimmung geforderten Schwellenwert von zehn Verhandlungstagen oder 50 Verhandlungsstunden nicht überschritten habe.
5 Dagegen erhob der Revisionswerber am 4. Juni 2014 jeweils Vorstellung. Mit Bescheid vom 9. September 2014 gab das Plenum des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien den Vorstellungen keine Folge. Das Plenum des Ausschusses begründete seine Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass es im Hinblick auf die sinngemäß anzuwendende Bestimmung des § 38 AVG an rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und Gerichte im Vorfragenbereich gebunden sei und dass gerade auch Beschlüsse wie der hier maßgebliche Trennungsbeschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Juli 2011 eine Bindungswirkung entfalten könnte. Dies gelte insbesondere, wenn solche Beschlüsse - wie der Beschluss vom 4. Juli 2011 - auch gegenüber dem Revisionswerber als Parteienvertreter im Strafverfahren verbindlich geworden sei. Es komme nicht darauf an, ob die Beschlüsse vom 4. Juli 2011 rechtmäßig gewesen seien oder im Widerspruch zur Rechtslage stünde, weiters gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vom Revisionswerber ins Treffen geführten Mängel eine absolute Nichtigkeit dieses Beschlusses bewirkt hätten.
6 Gegen die Bescheide des Plenums des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien erhob der Revisionswerber am 1. Oktober 2014 jeweils Beschwerde. Mit den beiden angefochtenen Erkenntnissen vom 24. August 2015 wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG Wien) die Beschwerden als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. In den Entscheidungsgründen führte das VwG Wien im Wesentlichen übereinstimmend aus, dass die auf der Grundlage des rechtskräftigen Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Juli 2011 getrennt geführten Strafverfahren "R I" und "R II" nicht als einheitliches Verfahren im Sinne des § 16 Abs 4 RAO zu erachten seien, und daher zwei voneinander getrennte Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung einer angemessenen Entschädigung vorlägen. Es könne dahinstehen, ob die Beurteilung dieses Problems für die belangte Behörde eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darstelle und ob diese eigenständig zu beurteilen sei, weil jedenfalls ein rechtskräftiger Trennungsbeschluss des Landesgerichts vorliege, der mit sämtlichen Folgen eines solchen Beschlusses, wie die unterschiedliche Besetzung des entscheidenden Tribunals und eigenständige Beweisaufnahmen, behaftet sei. Dieser Auslegung des § 16 Abs 4 RAO stünden auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken entgegen, weil der Revisionswerber die Pflicht zur Vertretung und Bestellung als Verfahrenshelfer für eine so große Zahl von Angeklagten freiwillig übernommen habe, und ihm andernfalls im Rahmen der innerorganisatorischen Aufteilung der Rechtsanwaltskammer Wien wohl lediglich eine einzige oder ein minimales Ausmaß an Vertretungspflichten zugeteilt worden wäre.
7 B. Dagegen richten sich die vorliegenden außerordentlichen, im Wesentlichen gleichlautenden Revisionen. Ihre Zulässigkeit begründet der Revisionswerber damit, dass keine fallbezogen verwertbare Judikatur zu § 16 Abs 4 RAO existiere, und der Lösung der Rechtsfrage der verfassungskonformen Interpretation dieser Bestimmung überdies grundsätzliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukomme, weil deren Klärung für vergleichbare Folgefälle von grundlegender Bedeutung sei. In der Sache bringt der Revisionswerber vor, das VwG Wien habe übersehen, dass sich die Bindungswirkung gemäß § 38 AVG bloß auf die Parteien jenes Verfahrens beziehen könne, in dem die Vorfrage entschieden wurde, nicht aber auch für sonstige Beteiligte verbindlich sei. Das VwG Wien habe den Wertungswiderspruch im Sinne einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zwar zitiert, diesem aber nicht Rechnung getragen. Entgegen dem VwG Wien sei es nicht maßgeblich, dass der Revisionswerber freiwillig als Verfahrenshelfer für insgesamt 34 Angeklagte aufgetreten sei. Der Revisionswerber begehrte insbesondere, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
8 C. Die belangte Behörde und der Bundesminister für Justiz erstatteten Revisionsbeantwortungen und beantragten, die außerordentlichen Revisionen mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zurückzuweisen, in eventu die außerordentlichen Revisionen abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen wegen ihres sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. II. Rechtslage
9 A. Die maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl Nr 96/1868 idF BGBl I Nr 159/2013 (betreffend § 16) bzw BGBl I Nr 128/2004 (betreffend § 45), lauten:
"§ 16. (1) Der Rechtsanwalt kann sein Honorar mit der Partei frei vereinbaren. Er ist jedoch nicht berechtigt, eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder teilweise an sich zu lösen.
(2) Der nach den §§ 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt hat die Vertretung oder Verteidigung der Partei nach Maßgabe des Bestellungsbescheides zu übernehmen und mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen. Er hat an die von ihm vertretene oder verteidigte Partei, vorbehaltlich weitergehender verfahrensrechtlicher Vorschriften, nur so weit einen Entlohnungsanspruch, als ihr der unterlegene Gegner Kosten ersetzt.
(3) Für Leistungen, für die die nach den §§ 45 oder 45a bestellten Rechtsanwälte zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, haben die in der Liste einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwälte an diese Rechtsanwaltskammer einen Anspruch darauf, dass sie jedem von ihnen aus dem ihr zugewiesenen Betrag der Pauschalvergütung einen gleichen Anteil auf seinen Beitrag zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung anrechnet, soweit nicht ein Anspruch auf Vergütung nach Abs. 4 besteht.
(4) In Verfahren, in denen der nach den §§ 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt innerhalb eines Jahres mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, hat er unter den Voraussetzungen des Abs. 3 für alle jährlich darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Auf Antrag des Rechtsanwalts ist bei Verfahren, in denen das Gericht unter Heranziehung von § 285 Abs. 2 StPO eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels beschließt, die Tätigkeit zur Erstellung der Rechtsmittelschrift in Ansehung jeder vollen Woche, um die die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, der Teilnahme an zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten. Der Antrag auf Vergütung ist vom Rechtsanwalt bei sonstigem Ausschluss bis spätestens zum 31. März des auf das abgelaufene Kalenderjahr, in dem der Rechtsanwalt seine Leistungen erbracht hat, folgenden Jahres bei der Rechtsanwaltskammer einzubringen. Auf diese Vergütung ist dem Rechtsanwalt auf sein Verlangen nach Maßgabe von Vorschusszahlungen nach § 47 Abs. 5 letzter Satz von der Rechtsanwaltskammer ein angemessener Vorschuss zu gewähren. Über die Höhe der Vergütung sowie über die Gewährung des Vorschusses und über dessen Höhe entscheidet der Ausschuss. Im Rahmen der Festsetzung der angemessenen Vergütung sind die vom Rechtsanwalt in seinem Antrag verzeichneten Leistungen entsprechend der zeitlichen Abfolge ihrer Erbringung zu berücksichtigen und zu beurteilen. Ist die Vergütung, die der Rechtsanwalt erhält, geringer als der ihm gewährte Vorschuss, so hat der Rechtsanwalt den betreffenden Betrag der Rechtsanwaltskammer zurückzuerstatten.
...
§ 45. (1) Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine solche Beigebung ein, so hat die Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer.
(2) Die Bestellung für ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof obliegt dem Ausschuss der nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Partei, sonst dem Ausschuss der nach dem Sitz des Gerichtes zuständigen Rechtsanwaltskammer."
10 B. Die relevanten Bestimmungen der Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl Nr 631/1975 idF BGBl I Nr 19/2004 (betreffend § 27) bzw BGBl I Nr 98/2009 (betreffend § 36), lauten:
"Trennung von Verfahren
§ 27. Die Staatsanwaltschaft kann auf Antrag des Beschuldigten oder von Amts wegen anordnen, dass das Ermittlungsverfahren wegen einzelner Straftaten oder gegen einzelne Beschuldigte getrennt zu führen ist, um Verzögerungen zu vermeiden oder die Haft eines Beschuldigten zu verkürzen."
"Örtliche Zuständigkeit
§ 36. (1) Im Ermittlungsverfahren obliegen gerichtliche Entscheidungen und Beweisaufnahmen dem Landesgericht, an dessen Sitz sich die Staatsanwaltschaft befindet, die das Verfahren führt.
(2) Im Fall der Abtretung eines Verfahrens hat über offene Anträge, Einsprüche und Beschwerden das vor der Abtretung zuständige Gericht zu entscheiden.
(3) Für das Hauptverfahren ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Liegt dieser Ort im Ausland oder kann er nicht festgestellt werden, so ist der Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen, fehlt es an einem solchen, der Ort, an dem der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, in Ermangelung eines solchen der Ort, an dem er betreten wurde. Kann auch dadurch eine örtliche Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so ist das Gericht zuständig, an dessen Sitz sich die Staatsanwaltschaft befindet, die Anklage einbringt. Sonderzuständigkeiten bleiben unberührt.
(4) Ein Gericht bleibt auch dann für das Hauptverfahren örtlich zuständig, wenn es ein Verfahren gegen einen Angeklagten oder wegen einer Straftat ausscheidet, es sei denn, dass ein Gericht mit Sonderzuständigkeit ein Verfahren wegen einer allgemeinen strafbaren Handlung oder ein Landesgericht eine Strafsache ausscheidet, für deren Verhandlung und Entscheidung das Bezirksgericht zuständig ist.
(5) Wenn sich zum Zeitpunkt der Einbringung der Anklage ein Angeklagter in Untersuchungshaft befindet und die Verhandlung und Entscheidung der Strafsache dem Bezirksgericht zusteht, ist das Bezirksgericht örtlich zuständig, an dessen Sitz sich die Staatsanwaltschaft befindet, die nach den §§ 25 bis 28 für das Ermittlungsverfahren zuständig war. Wird der Angeklagte nach diesem Zeitpunkt freigelassen, so ändert dies die Zuständigkeit nicht."
C. § 498 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz, BGBl Nr 264/1951 idF BGBl II Nr 452/2008, lautet:
"Trennung von Hauptverfahren
§ 498. (1) Wenn hinsichtlich einzelner Angeklagter oder hinsichtlich einzelner Taten (Tatvorwürfe) ein Hauptverfahren getrennt, aber nicht sofort durch Abtretung an ein anderes Gericht, Einstellung oder Abbrechung erledigt wird (§ 485 Abs. 1 Z 6), ist das getrennte Verfahren in der bisher damit befassten Geschäftsabteilung des Gerichts zu Ende zu führen, es sei denn, dass es nach einer Verfahrensart durchzuführen ist, die nicht zum Wirkungskreis dieser Geschäftsabteilung gehört. Bestehen bei einem Gericht Fachabteilungen für Strafsachen besonderer Art (Finanzstrafsachen und dergleichen), so können in der Geschäftsverteilung für den Fall der Trennung Ausnahmebestimmungen über die Abgabe solcher Sachen an die Fachabteilung getroffen werden.
(2) Ob nach der Trennung der Verfahren ein neuer Akt anzulegen ist, ergibt sich aus § 8a Abs. 9 DV-StAG."
D. § 8a Abs 9 der Verordnung des Bundesministers für Justiz zur Durchführung des Staatsanwaltschaftsgesetzes (DV-StAG), BGBl Nr 338/1986 idF BGBl II Nr 388/2015, lautet:
"Führung des Ermittlungsakts
§ 8a. ...
...
(9) Wird ein Verfahren in ein anderes einbezogen (§ 26 StPO), so wird dessen Ermittlungsakt unter einer besonderen Ordnungsnummer oder als eigene Mappe dem Akt des Verfahrens, zu dem die gemeinsame Führung angeordnet wird, einverleibt, dem auch die Geschäftsstücke einzuordnen sind, die zum einbezogenen Verfahren einlangen. Bei der Trennung von Verfahren (§ 27 StPO) ist nur dann ein neuer Ermittlungsakt anzulegen, wenn mehrere Strafverfahren gleichzeitig durchzuführen sind und daher an mehr als einer Stelle ein Ermittlungsakt benötigt wird. In diesem Falle sind die Geschäftsstücke, welche das getrennte Verfahren betreffen, dem ursprünglichen Ermittlungsakt zu entnehmen (in der Aktenübersicht zu vermerken), bzw. allenfalls hievon die nötigen Auszüge oder Kopien herzustellen."
III. Erwägungen
A. Zur Zulässigkeit
11 Nach Art 133 Abs 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Die für das vorliegende Verfahren maßgebliche Rechtsfrage, welche Relevanz eine allfällige Trennung von Verfahren durch das Gericht für den Vergütungsanspruch des Verfahrenshelfers nach § 16 Abs 4 RAO hat, wurde noch nicht hinreichend behandelt. Die Revisionen sind daher entgegen dem Ausspruch des VwG Wien zulässig. B. In der Sache
13 a. Der einzelne Rechtsanwalt erwirbt im Allgemeinen durch seine Leistungen in einem Verfahren, in dem er als Verfahrenshelfer bestellt wurde, gegenüber der Rechtsanwaltskammer - abgesehen vom Anspruch auf anteilsmäßige Anrechnung auf die Beiträge zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung - keinen individuellen Vergütungsanspruch.
14 Von diesem Grundsatz normiert § 16 Abs 4 RAO eine Ausnahme: Wird der Rechtsanwalt in besonderem Umfang in Anspruch genommen, gebührt ihm eine individuelle Vergütung (VwGH vom 3. September 2001, 99/10/0206; VwGH vom 28. Februar 2006, 2002/06/0211; VwGH vom 26. Mai 2008, 2006/06/0264). Diesbezüglich sieht § 16 Abs 4 erster Satz RAO vor, dass dem Rechtsanwalt die Sonderpauschalvergütung für solche Verfahren zusteht, in denen innerhalb eines Jahres mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden anfallen (ErläutRV 1638 BlgNR 20. GP , 16; vgl VwGH vom 3. September 2001, 99/10/0206; VwGH vom 28. Februar 2006, 2002/06/0083). Zur Ermittlung der maßgeblichen Grenze von zehn Verhandlungstagen bzw von 50 Verhandlungsstunden ist nach dem Gesetzeswortlaut auf die tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht abzustellen (ErläutRV 303 BlgNR 23. GP , 22). In § 16 Abs 4 RAO werden daher nach dem Kriterium der Dauer der Hauptverhandlung jene Gruppe von Strafverfahren definiert, in denen eine sorgfältige Vertretung oder Verteidigung für den Verfahrenshelfer einen ungewöhnlich hohen Arbeitsaufwand erfordert und in welchen daher den als Verfahrenshelfer beigegebenen Rechtsanwälten für ihren Aufwand ausnahmsweise eine besondere Vergütung zuerkannt werden soll. Diese Wertung hat der Gesetzgeber insofern unterstrichen, als er den ursprünglich mit BGBl Nr 474/1990 in die RAO aufgenommenen § 16 Abs 4 durch das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 (BGBl I Nr 111/2007) erweiterte, sodass nunmehr bei Verfahren, in denen das Gericht unter Heranziehung des § 285 Abs 2 StPO eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels beschließt, auch die Tätigkeit zur Erstellung der Rechtsmittelschrift in Ansehung jeder vollen Woche, um welche die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, der Teilnahme an zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten ist. Damit wollte er bewusst dem Umstand Rechnung tragen, dass das Gesetz im Fall des § 285 Abs 2 StPO selbst auf den besonderen Umfang der Rechtssache Bedacht nimmt und anerkennt, dass mit der üblicherweise für die Erstellung einer Rechtsmittelschrift zur Verfügung stehenden Zeit nicht das Auslangen gefunden werden kann. Tragender Erwägungsgrund dafür war, dass bei Rechtsmitteln in solchen "Monsterverfahren" der besonders hohe Aufwand, der mit der Erstellung des Rechtsmittels verbunden ist, durch die Entscheidung des Gerichts auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist objektiviert ist (ErläutRV 303 BlgNR 23. GP , 23; vgl VwGH vom 18. Mai 2010, 2009/06/0263).
15 b. Die Regelung des § 16 Abs 4 RAO geht auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. Februar 1991, G 135/90 ua, VfSlg 12.638, zurück, mit dem ausgesprochen wurde, dass die Bestimmung des § 16 Abs 2 RAO idF BGBl Nr 570/1973 verfassungswidrig war. Diese hatte angeordnet, dass einem Verfahrenshelfer an die von ihm vertretene oder verteidigte Partei nur so weit ein Entlohnungsanspruch zustand, als ihr der unterlegene Gegner Kosten ersetzte. Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass es dem Gleichheitsgrundsatz iSd Art 7 B-VG widerspricht, wenn Verfahrenshelfer auch für Verfahren zu bestellen sind, die eine weit überdurchschnittliche Belastung der bestellten Rechtsanwälte bewirken, sodass für die betroffenen Rechtsanwälte unzumutbare Belastungen eintreten können. Dabei handelt es sich nicht um vernachlässigbare Härtefälle, sondern um Auswirkungen, die dem System innewohnen. Auch wenn im Falle der Bestellung eines Rechtsanwalts für ein monatelanges Verfahren eine neuerliche Heranziehung zur Verfahrenshilfe allenfalls erst nach Jahren zulässig wäre, kann eine solche Vertretungsverpflichtung zu Belastungen führen, die sich für Anwälte existenzgefährdend auswirken können (VfSlg 12.638/1991, Z 3,6; vgl VwGH vom 26. Mai 2008, 2006/06/0264; VwGH vom 17. Dezember 2009, 2009/06/0144).
16 Vor diesem Hintergrund ging der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 16 Abs 4 RAO davon aus, dass die Einführung einer individuellen Vergütung für zu Verfahrenshelfern bestellte Rechtsanwälte, deren Inanspruchnahme einen bestimmten Umfang überschreitet, notwendig ist, um existenzbedrohende Situationen für Rechtsanwälte, die durch den Umfang ihrer Tätigkeit in solchen Verfahren am anderweitigen Erwerb gehindert sind, zu vermeiden. Unter diesem Gesichtspunkt entspricht eine Regelung dem Gleichheitsgebot, die eine individuelle Vergütung für den Rechtsanwalt erst ab dem Erreichen eines bestimmten Arbeitsumfangs für diesen vorsieht. Eine Auslegung, wonach etwa einem während eines Prozesses bestellten Rechtsanwalt unabhängig davon, ob seine Inanspruchnahme den Schwellenwert überschritten hat, die Vergütung zu gewähren sei, ist von daher nicht geboten (VwGH vom 3. September 2001, 99/10/0206). Wenn in § 16 Abs 4 RAO festgelegt ist, dass dem Rechtsanwalt "für alle darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer (ein) Anspruch auf eine angemessene Vergütung zusteht", so wird damit aber zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Anspruch auf angemessene Vergütung in jenem Ausmaß gewährt werden soll, in welchem die Leistungen des Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer die Leistungen eines Verteidigers in einem typischen Strafverfahren unterhalb der Schwelle des § 16 Abs 4 RAO übersteigen (VwGH vom 28. Februar 2006, 2002/06/0083; VwGH vom 17. April 2007, 2003/06/0050).
17 c. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgehalten, dass zur Bemessung des Anspruchs nach § 16 Abs 4 RAO nur auf das einzelne Verfahren abzustellen ist, nicht aber alle während eines Jahres erbrachten Verfahrenshilfeleistungen in jedem einzelnen Verfahren, für das der Rechtsanwalt zum Verfahrenshelfer bestellt worden ist, zusammenzuzählen sind (VwGH vom 14. Mai 1996, 95/19/0565). Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der beschwerdeführende Rechtsanwalt die Zuerkennung der Sonderpauschalvergütung für mehrere zusammenhanglose, innerhalb eines Jahres angefallene Verfahrenshilfesachen begehrt, in denen er insgesamt mehr als zehn Verhandlungstage aufwenden hatte müssen.
18 Im vorliegenden Fall erfolgte die Bestellung der revisionswerbenden Partei zum Verfahrenshelfer mit Bescheiden des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 20. September 2011 erst nach der bereits mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Juli 2011 angeordneten Trennung in die besagten drei selbständigen Verfahren (vgl Rz 1 bis Rz 3), wobei diese Bestellung auf Wunsch der revisionswerbenden Partei vorgenommen wurde.
Somit war dieser Partei schon zum Zeitpunkt ihrer freiwillig übernommenen Bestellung zum Verfahrenshelfer bekannt, dass sie nicht in einem, sondern in zwei unterschiedlichen Verfahren als Verfahrenshelfer tätig wird. Ausgehend davon kann sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihre dadurch bedingte Belastung einen ungewöhnlich hohen, iSd § 16 Abs 4 RAO für ein Verfahren zu vergütenden Arbeitsaufwand darstelle, zumal auf der Grundlage des zitierten Erkenntnisses VfSlg 12.638 (vgl insbesondere Z 6.2.) für die Vergütung eines außergewöhnlichen Aufwandes offensichtlich auch ausschlaggebend ist, dass die sich aus der Bestellung ergebende Vertretungsverpflichtung eines Verfahrenshelfers bzw einer Verfahrenshelferin letztere ohne deren Ingerenz trifft.
IV. Ergebnis
19 Die Revisionen waren daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als
unbegründet abzuweisen.
20 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf den
§§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. September 2016
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